26. Mai 2013
„The world is flat“ war 2005 der Titel eines aufsehenerregenden Buches von Thomas Friedman. Er proklamierte, dass mit der Etablierung des Internets, den Möglichkeiten des Datenaustausches und Teleconferencings, dem Fall der Berliner Mauer, den sich ausbreitenden Freihandelsabkommen und den laufend besseren Verkehrsverbindungen die Geographie in Zukunft irrelevant sei. Weil jeder Punkt der Erde mit jedem anderen virtuell verbunden, Information jederzeit überall verfügbar und auch der Gütertransport immer schneller und günstiger sei, käme es nicht mehr darauf an, wo Personen oder Firmen stationiert seien, da sie jederzeit und überall am globalen Austausch- und Arbeitsprozess teilnehmen könnten. Die Welt würde damit „flach“, alle Standorte hätten gleiche Chancen im globalen Wettbewerb.
Wie viele Programmierer kennen Sie, die ins Val Müstair gezogen sind, sich von der Natur inspirieren lassen und gleichzeitig, mit der ganzen Welt vernetzt, bahnbrechende Software schreiben? Wie viele Werber lassen sich in der Provence von der Muse küssen und liefern ihren Kunden in Paris umwerfende Kampagnen ab?
Interessanterweise ist das Gegenteil eingetroffen. Die regionalen Unterschiede in der Welt haben sich eher verstärkt. Sowohl in Bezug auf die Wirtschaftsleistung als auch auf die Innovationskraft sind erstaunlich wenige Regionen global tatsächlich relevant . 85% aller Patente entfallen auf nur 5 Länder. Nicht etwa, dass Inder und Chinesen nicht innovativ wären: rund 30% der Silicon-Valley Startups werden von ihnen gegründet, aber eben: nicht bei sich zu Hause, sondern im kreativen, gut vernetzten Ökosystem an der amerikanischen Westküste, wo sie in einem innovativen Umfeld Zugang zu interessanten Leuten spannenden Ideen und ausreichend Kapital haben.
Trotz aller technischer Möglichkeiten ist eine Konzentration von gut ausgebildeten, kreativen, talentierten einsatzbereiten Leuten (der sogenannten „Creative Class“) wichtig für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg. Ideen, Produkte, Geschäfte entstehen dort, wo diese Personen in ausreichender Menge und Dichte vorhanden sind und intensiv miteinander interagieren können. Eine relativ geringe Anzahl von führenden Stadtregionen wie London – New York – San Francisco – Paris – Singapur – Seoul – Hong Kong und weitere sind eng miteinander vernetzt und dominieren die Weltwirtschaft. Solche Zentren sind nicht nur deshalb wichtig, weil die Leute gerne mit ihresgleichen interagieren, sondern auch wegen den grossen Produktivitätsvorteilen, die sich durch diese Clusterbildung ergeben.
Firmen wie Google, Microsoft und Walt Disney haben wichtige Ableger in Zürich, weil sie dort genügen globale High Performers finden und die richtigen Voraussetzungen, um weitere anzuziehen: hervorragende Universitäten, hohe Lebensqualität, Offenheit für fremde Kulturen, einen urbanen, mondänen „Groove“, verbunden mit hohem Freizeitwert und globaler Anbindung, dazu ein Umfeld, das es ihnen einfach macht, ihr Geschäft zu führen. Und je mehr solche Personen und Firmen sich hier wohl fühlen, desto mehr Neue kommen dazu!
Andererseits findet ein Grossteil der wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten nach wie vor lokal und regional statt. Eltweit sind rund 80% aller Telefonanrufe immer noch Lokalgespräche. Mehr und mehr gibt es zwei Ebenen in Gesellschaft und Wirtschaft: die lokale und die globale. Der Unterschied von einem polyglotten Zürcher zu einem Entlebucher ist grösser als derjenige zu einem Londoner, die Chance, geschäftlich oder privat nach Singapur zu fliegen grösser als die, ins Val Mustair zu fahren.
Eine grosse Herausforderung für die Zukunft sowohl global als auch in der Schweiz wird es sein, diese beiden Ebenen zu harmonisieren. Die eine kann ohne die andere nicht existieren. Die global wettbewerbsfähigen Orte zu stärken, ohne die lokale Wirtschaft zu schwächen. Für die internationalen kreativen High Performers attraktiv zu sein ohne die Wurzeln der eigenen Kultur zu beschädigen.
Die Diskussionen über „Stadtlandschaft Schweiz“ oder „Dörfli-Land“ zielen ins Leere. Richtig sind lokal angepasste Lösungen: In den Städten durch quantitative und qualitative Verdichtung urbanen, kreativen Geist zu verstärken, auf dem Land Freiräume, Natur und Erholungszonen zu erhalten. Und dafür zu sorgen, dass wir die Rahmenbedingung für global tätige Firmen und High Performers weiter stärken, statt, wie mit einigen anstehenden Initiativen, mutwillig zu beschädigen. Davon profitieren letztlich auch der Schreiner in Sempach und der Bäcker in Rotkreuz.
(Dieser Beitrag erschien am 26.5.2013 als Kolumne in der «Zentralschweiz am Sonntag»)
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Kommentare
1 Kommentare
Die Welt ist keine Scheibe! | Immobilienmanagem...
26. August 2013
[...] „The world is flat“ war 2005 der Titel eines aufsehenerregenden Buches von Thomas Friedman. [...]
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.