10. August 2017

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Wie die Digitalisierung die Immobilienbranche verändert

Wie die Digitalisierung die Immobilienbranche verändert

Dampfmaschine und der Verbrennungsmotor haben jeweils Revolutionen ausgelöst und Gesellschaft und Wirtschaft fundamental verändert. Werden die Entwicklungen der Computertechnologie und des Internets Ähnliches bewirken?

Prof. Dr. Markus Schmidiger

Verschiedene Megatrends haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ausgebildet und zunehmenden Einfluss auf unsere Gesellschaft als Ganzes und die Immobilienwirtschaft im Speziellen gewonnen. Über den demografischen Wandel und seine Folgen ist viel geschrieben worden (vgl. Höpflinger, Van Vezemael, 2015; Zimmerli, Schmidiger, 2016) und auch der Wertewandel in der Gesellschaft und seine Auswirkungen sind verschiedentlich beleuchtet worden (vgl. Roos, G., 2011). In letzter Zeit gewinnt der Einfluss des technologischen Wandels zunehmend an Beachtung. Viele Akteure spüren die Auswirkungen der Digitalisierung in Form von Internet, Virtual Reality, Building Information Modeling (BIM), MobileWorking, etc. auf ihr Geschäft und fragen sich, was dies für die Zukunft ihrer Firmen bedeutet.

Die digitale Revolution

Mehr und mehr ist festzustellen, dass Unternehmensführer sich ernsthaft Gedanken darüber machen, was die sogenannte „Digitale Revolution“ für ihr Unternehmen bedeuten könnte. In Gesprächen ist immer häufiger eine grosse Verunsicherung festzustellen und die Angst, dass das eigene Geschäftsmodell oder sogar das eigene Unternehmen aufgrund von Veränderungen in diesem Bereich sowie durch neue Mitspieler obsolet werden könnte. Viele haben den Eindruck, dass hier eine grundlegende Revolution im Gange sein könnte, die grosse Veränderungen mit sich bringen wird.

Tatsächlich scheinen wir uns in der Anfangsphase einer neuen „industriellen Revolution“ zu befinden, die durchaus vergleichbar ist mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen, die etwa die Erfindung des Buchdrucks, der Dampfmaschine oder des Autos nach sich gezogen haben. Aus diesem Grund lohnt es sich, die Hintergründe und die wesentlichen Treiber dieser fundamentalen Verschiebungen genauer zu betrachten.

Die grossen gesellschaftlichen und ökonomischen Revolutionen der Vergangenheit beruhten in der Regel auf einem Zusammentreffen neuer Technologien, neuer Infrastrukturen und neuer Energieformen, was in Kombination dazu führte, dass sich die Art und Weise, wie Menschen lebten, produzierten und miteinander kommunizierten, grundlegend veränderte (vgl. Rifkin, 2014). Die Buchpresse in Kombination mit dem Aufkommen der Wind und Wassermühlen trug ab dem 15. Jahrhundert massgeblich zum Niedergang von Aristokratie und Klerus bei und damit zum Aufkommen von Städten, Bürgertum und Handwerkern.

Die Erfindung der Dampfmaschine führte Ende des 18. Jahrhunderts zu einer auf Kohle als Energieträger basierenden Wirtschaft. Die Eisenbahn wurde das neue, schnelle und verlässliche Transportmittel. Dampfgetriebene Maschinen ermöglichten die Automatisierung ganzer Industriezweige und führten rasch zur Substitution menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen, zuerst sehr markant in der Textilindustrie, später in allen anderen Branchen.

Die zweite „industrielle Revolution“ basierte auf der Verwendung von Öl als neuem, breit verfügbarem, günstigem und einfach transportierbarem Energieträger, in Kombination mit der Erfindung der Telefonie, die völlig neue und schnelle Kommunikationsmöglichkeiten eröffnete, was erneut zu grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen führte.

Aktuell und in den kommenden Jahren erreichen die drei Basisinnovationen. Computertechnologie, Internet und regenerative Stromerzeugung einen Reifegrad, der bereits zu markanten Durchbrüchen geführt hat und zu weiteren führen wird. In Kombination werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit Veränderungen bewirken, die durchaus mit den grossen Revolutionen der Vergangenheit vergleichbar sind und damit unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem grundlegend verändern. Wie diese Veränderungen aussehen werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht konkret vorausgesagt werden, dennoch sind gewisse Tendenzen erkenn- und damit in gewisser Weise prognostizierbar.

Die Computertechnologie hat in den letzten Jahren massiv an Leistung und Benutzerfreundlichkeit zugelegt. Speicherplatz, Geschwindigkeit und Komplexität zu lösen der Aufgaben stellen heute keine grossen Herausforderungen mehr dar. Komponenten wurden derart verkleinert, dass sie mittlerweile auf kleinstem Platz verwendet werden können. Benutzerschnittstellen sind so intuitiv und vielfältig, dass die Bedienung ohne Probleme sogar von ungeschulten Personen vorgenommen werden kann. Dank der Entwicklung und Verwendung mobiler Devices für viele Anwendungen wurde mittlerweile eine weitgehende Ortsunabhängigkeit erreicht, die vorher kaum vorstellbar war.

Die Übertragungskapazitäten des Internets wurden in den letzten Jahren derart gesteigert, dass mobil bereits fast die gleiche Leistung zur Verfügung steht wie stationär. Mit der weltumspannenden Vernetzung wurden Cloud Speicher und Cloud Rechner möglich, welche von jedem Standort Zugriff auf fast unbeschränkte Daten und Rechnerleistungen erlauben und es so Unternehmen ermöglichen, ihre Strukturen virtuell und de zentral aufzubauen. Mit dem anstehenden Ausbau des „Internets der Dinge“ wird es zudem möglich, dass auch Gegenstände vollautomatisch Informationen untereinander austauschen. Distanzen und Informationsmengen sind damit so gut wie irrelevant geworden, da Daten weltweit überall verfügbar und beinahe kostenlos übertragbar sind.

Mit der Energiewende und dem weltweiten Ausbau der Solarenergie steht die Menschheit vor einem neuen Energiezeitalter. Mit fortschreitenden Entwicklungen steigen die Leistungen von Solarpanels laufend, während die Preise massiv sinken, so dass davon auszugehen ist, dass elektrische Energie künftig praktisch unbeschränkt und zu sehr tiefen Preisen (vgl. Mayer et al., 2015) zur Verfügung stehen kann, insbesondere, da sich parallel dazu auch die Speichertechnologien weiterentwickeln und vergünstigen (vgl. Naam, 2015).

Gemeinsam dürften diese drei Faktoren eine Veränderungskraft erreichen, die mit den letzten „industriellen Revolutionen“ vergleichbar ist und damit zu entsprechenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen führen wird. Darüber hinaus eröffnet die Kombination dieser drei Basisinnovationen völlig neue Möglichkeiten in Produktion und Interaktion, die grundlegende Veränderungen auch in der Immobilienbranche auslösen werden.

Folgende Trends zeichnen sich bereits heute ab oder sind im Gange:

Die Möglichkeiten der Virtual Reality und der Simulation halten unter dem Stichwort BIM – Building Information Modeling Einzug in den Entwurfs- und Bauprozess. Damit können Gebäude und beliebige andere Objekte bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase umfassend erlebbar gemacht sowie Bau und Nutzungsprozesse vorab simuliert werden. Alle Projektbeteiligten greifen auf ein zentrales Modell zu und haben somit jederzeit identische und aktuelle Daten. Nutzer und andere Stakeholders können sich früher in den Prozess einbringen. In Kombination dürfte dies zu besseren Produkten und massiven Beschleunigungen, Vereinfachungen und Kostenersparnissen im Produktionsprozess führen.

Die Automatisierung, die bisher vor allem über Roboter und Fliessbänder in Fabrikhallen stattgefunden hat, erreicht Bauprojekte und Baustellen. Erste Roboter oder Drohnen, welche selbständig Häuser bauen, sind bereits im Einsatz. Weitere Anwendungen werden folgen. Dank per Internet überall, jederzeit und kostengünstig zur Verfügung stehender Pläne oder Bauanleitungen wird es mit 3D-Druckern möglich sein, die Produktion zu individualisieren, dezentralisieren und bis auf „Losgrösse eins“ rentabel zu gestalten. Für Massenprodukte werden immer noch zentralisierte (und damit besser kontrollier- und automatisierbare) Fertigungen effizienter sein, aber viele Produkte wie etwa Ersatzteile, die in kleineren Losgrössen und aperiodisch hergestellt werden, werden dadurch erschwinglicher und individualisierbarer.

Mit dem „Internet of Things“ werden mehr und mehr Gegenstände mit Sensoren oder Intelligenz ausgestattet und vernetzt. Prozesse zur vorbeugenden Wartung, selbständiges Bestellen von Verbrauchsmaterialien oder Ersatzteilen und vieles mehr werden in allen Bereichen zur Norm. Produkte oder Postsendungen sind jederzeit genau lokalisierbar und menschliche Funktionen werden mit intelligenten „Wearables“ unterstützt und erweitert. Besonders im Gebäudeumfeld sind unter den Stichworten „Intelligente Energiesysteme“, „Smart Metering“, „Ambient Assisted Living“ oder „Intelligente Haussteuerung“ bereits verschiedenste Anwendungen in Entwicklung und weitere werden folgen. Grosse Internetkonzerne wie Apple, Google oder Amazon sind bereits heute daran, entsprechende Plattformen zu entwickeln und weltweit auszurollen.

Die digitale Reproduktion verursacht praktisch keine zusätzlichen Kosten. Ist beispielsweise eine Zeitung erst einmal geschrieben, fallen online keine Kosten mehr an, unabhängig davon, ob ein Artikel einmal oder millionenfach gelesen wird. Das Gleiche gilt für praktisch alle digitalen (oder digitalisierbaren) Produkte, seien es Bücher, Ausbildungsunterlagen, Baupläne, Programme, Produktionsvorlagen für 3D-Drucker oder anderes mehr. Damit werden viele Geschäftsmodelle in Frage gestellt und Unternehmen werden sich mit der Frage befassen müssen, wie sie ihre Einkommensströme aufrechterhalten und expandieren können.

Dank des Internets sind Informationen global einfach und schnell verfügbar. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Privatpersonen und Geschäftspartner immer besser und transparenter informiert sind. Das führt einerseits dazu, dass Fehlverhalten schneller publik gemacht und sanktioniert wird, andererseits dürfte es aber auch dazu führen, dass Geschäftsmodelle, die ausschliesslich auf einem Informationsvorsprung beruhen, immer schwieriger aufrecht zu erhalten sein werden.

Mithilfe entsprechender Plattformen können die Kosten für Informationsbeschaffung und Transaktionen massiv gesenkt werden. Immobilienplattformen wie ImmoScout24 und andere haben es in ihrem Bereich bereits vorgemacht, bilden jedoch erst einen ganz kleinen Teil der Wertschöpfungskette ab. Analog zum Online Banking sind durch Automatisierung und Virtualisierung massive Kostensenkungen und Geschwindigkeitssteigerungen im Verkehr zwischen Unternehmen und Einzelpersonen zu erwarten. Ebenfalls grosses Potential liegt in der unternehmensübergreifenden Vernetzung von Geschäftsprozessen verschiedener Akteure. Mit dem elektronischen Grundbuch und den elektronischen Schuldbriefen ist im Bereich des Liegenschaftenhandels ein erster Schritt getan. Weitere werden folgen, auch in anderen Bereichen.

Dank Internet, Cloud und Telekonferenzen spielen Raum und Zeit für die Zusammenarbeit eine geringere Rolle als früher. Das wird dazu führen, dass Zusammenarbeit und Führung anders gestaltet wird, dass nach der Globalisierung der Industrie sich nun auch bisher geschützte Branchen aus dem Dienstleistungsbereich (wie etwa Architektur, Ingenieurwesen, Werbung, PR) einem verstärkt internationalen Wettbewerb stellen müssen, womit sich natürlich auch die Anforderungen an Büroräumlichkeiten und Arbeitsplätze sowohl quantitativ als auch qualitativ weiter verändern.

Unternehmen haben sich insbesondere deshalb gebildet, weil der Koordinations- und Informationsaufwand auf diese Weise reduziert werden konnte. Mit den neuen Möglichkeiten des virtuellen Arbeitens können Freelancer und andere Firmen einfach und weltweit in Projekte eingebunden werden. Es ist davon auszugehen, dass sich Spezialisten vermehrt selbständig machen oder in kleinen Firmen organisieren und projektbezogen in Unternehmensprojekte eingebunden werden. Architekten, Ingenieure, Zeichner, Informatikspezialisten, Werber etc. können ohne grossen Aufwand weltweit rekrutiert und eingebunden werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf Kapazitäten und Kosten. Unternehmen werden nicht strategierelevante Aktivitäten noch stärker auslagern als bisher.

Mit Prozessautomatisierung, künstlicher Intelligenz, Datenanalyse und Automatisierung von Routineprozessen geraten nun auch sogenannt höher wertige Tätigkeiten in den Fokus der Digitalisierung und werden sich nötigen Veränderungen nicht entziehen können (Chui et al., 2015, S. 37) . Studien gehen davon aus, dass selbst von den Tätigkeiten eines CEO rund 20% automatisiert werden könnten. Bei anderen, auch kreativen Berufen etwa im Bereich Architektur oder Design, aber auch im Verkauf ist der Anteil teilweise noch wesentlich höher. Berufsbilder und Anforderungen an Mitarbeiter werden sich massiv verändern und damit auch die Ansprüche an Aus- und Weiterbildung.

Internet-Plattformen ermöglichen immer stärker, dass Privatpersonen sich direkt miteinander in Verbindung setzen und vernetzen. Uber und AirBnB, die damit ihre jeweiligen Branchen drastisch verändern, sind nur der Anfang. Auch in anderen Bereichen dürfte vermehrt zu beobachten sein, dass sich Anbieter und Nachfrager direkt vernetzen. Da diese oft über andere Kostenstrukturen verfügen als die etablierten Marktakteure (und teilweise auch nicht den gleichen staatlichen Regelungen unterliegen), können sie zu wesentlich günstigeren Konditionen anbieten. Professionelle Anbieter werden dadurch in Zugzwang geraten und ihre Geschäftsmodelle überarbeiten müssen. Klassische „Gatekeeper“ wie Makler oder Vermittler werden massiv unter Druck kommen und aus dem Markt gedrängt werden, wenn es ihnen nicht gelingt, substantielle Mehrwerte anzubieten und erfolgreich neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

In welchem Ausmass und Zeitrahmen sich die dargestellten Veränderungen verwirklichen und welche weiteren, heute noch nicht absehbaren Veränderungen hinzu kommen, ist weitgehend offen und hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Sicher ist jedoch, dass jede einzelne dieser Veränderungen das Potential hat, die Art und Weise, wie und wo Menschen und Unternehmen interagieren und produzieren, zu verändern. In der Kombination können sie zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Revolution führen. Damit werden sich nicht nur die Anforderungen an Wohn und Arbeitsräume qualitativ und quantitativ verändern. Auch die Attraktivität von Standorten wird sich verschieben und die Art und Weise, wie sich Unternehmen organisieren, mit ihren Kunden interagieren und wie Mitarbeiter geführt werden, wird sich drastisch verändern.

Die Immobilienwirtschaft ist gut beraten, sich mit diesen Veränderungen rechtzeitig zu befassen, sie bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen und in ihr Handeln einfliessen zu lassen.

Wertewandel – Herausforderung und Chance

Interessanterweise werden die teilweise revolutionären Innovationen in den Bereichen Computertechnologie, Internet und regenerative Energien von einem beinahe gleichzeitig stattfindenden Wertewandel in unserer Gesellschaft begleitet. Insbesondere jüngere Generationen denken und funktionieren anders und leben nach einem anderen Wertesystem sowie einer anderen Arbeitsethik als die Babyboomer.

Diese jüngeren Generationen sind in grossem Masse für die Innovationen im digitalen Bereich verantwortlich, sind sie doch mit den neuen Technologien aufgewachsen und verfügen bereits über eine ganz andere Denkweise und ein viel tieferes Verständnis für die digitalen Möglichkeiten und Anwendungen.

Im gesellschaftlichen wie persönlichen Umfeld ist festzustellen, dass als Gegenentwicklungen zu Automatisierung, Beschleunigung, ständiger Verfügbarkeit, Null-Fehler-Toleranz und Technologisierung, welche die wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen der letzten Jahre mit sich gebracht haben menschliche, soziale und ethische Werte wieder verstärkt an Bedeutung gewinnen.

Es sind insbesondere folgende Trends zu beobachten:

Soziale NäheZugehörigkeit: Nach Jahren von Individualisierung und Selbstverwirklichung und der damit verbundenen Isolierung sind die Menschen wieder vermehrt auf der Suche nach Zugehörigkeit zu Gruppen oder Gemeinschaften. Dies nicht nur im Rahmen von Religion oder Weltanschauung, im Kreis gleichgesinnter Weinliebhaber oder OldtimerRestaurateure, sondern in zunehmendem Masse auch im Rahmen der Zugehörigkeit zu einer Firma oder einem Arbeitsteam. Besonders junge Mitarbeiter wollen sich mit der Firma und ihren Werten identifizieren können und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu machen, zu etwas Grösserem zu gehören und verbunden zu sein.

Suche nach Sinn / Spiritualität: Die wirtschaftlichen Entwicklungen in der westlichen Welt haben dazu geführt, dass die Grundversorgung weitgehend gesichert ist und die Menschen sich nun höheren Werten zuwenden können. Nachdem nicht mehr um das reine Überleben gekämpft werden muss ist die Suche nach Sinn und Spiritualität ins Zentrum des menschlichen Strebens gerückt. Waren es in der 68er-Bewegung noch vorwiegend junge Menschen und Randgruppen, die sich Musik und Spiritualität zu wendeten, boomen heute Yoga-, Selbstfindungs- und Meditationskurse auf breiter Basis. Auch Unternehmensführer und Top-Manager beschäftigen sich mittlerweile immer häufiger mit Fragen zu Sinnstiftung und Spiritualität. Die Arbeit dient nicht mehr nur dem Broterwerb, sondern soll einen gesellschaftlichen und individuellen Sinn stiften.

Work – Life Balance: Arbeit ist nicht mehr der kategorische Imperativ, dem alle anderen Faktoren, wie etwa Gesundheit, Familienleben und eigene Interessen, bedenkenlos untergeordnet oder geopfert werden. Selbstbestätigung und Selbstwertgefühl werden nicht mehr nur im beruflichen Umfeld gesucht. Familie, Freunde und Selbstverwirklichung im privaten Bereich und in der Freizeit gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die klassischen Erwartungen an Mitarbeiter, sich unter vollem Einsatz und mit langen Arbeitszeiten nach oben zu schuften, laufen damit immer öfter ins Leere. Führungskräfte und Management müssen umdenken und neue Arbeitszeit- und Karrieremodelle anbieten, wollen sie die neue Generation produktiv und erfolgreich für ihre Ziele einbinden.

Verantwortung: Wirtschaft und Einzelpersonen wollen und sollen sich für ihr Handeln wieder vermehrt verantwortlich fühlen. Das ist die Basis des Nachhaltigkeitstrends, der insbesondere die Immobilienbranche in den letzten Jahren stark beeinflusst hat. Das bezieht sich jedoch nicht nur auf Verantwortung für die Umwelt, sondern auch für die Gemeinschaft sowie allgemein die Folgen des eigenen Handelns. Staat, Kunden, Stakeholder und auch Mitarbeiter fordern dies zunehmend konsequent von Unternehmen ein. Werden diese Ansprüche ignoriert, folgen entsprechende Konsequenzen, von Imageverlust bis hin zu finanziellen Schäden.

Suffizienz – Weniger ist mehr: Die Konsumgesellschaft mit ihren zahlreichen Auswüchsen hat sich in den entwickelten Staaten gegen Ende des letzten Jahrhunderts selbst an ihre Grenzen gebracht. Zunehmend hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass „mehr“ nicht immer „besser“ ist und dass das dauernde Streben nach mehr zu einem Dauerlauf im Hamsterrad ausgeartet ist, verbunden mit negativen Folgen, die in keiner Relation zum Erreichten stehen. Eine „neue Bescheidenheit“ ersetzt das bisherige Streben nach mehr, verbunden mit höheren Ansprüchen an die Qualität von Produkten, Dienstleistungen und Erfahrungen, die sich an neuen Werten messen.

Natürlichkeit und Authentizität: Nach Plastik und virtuellen Welten sehnen sich die Menschen wieder nach Natürlichkeit und Authentizität. Im Tourismus hat sich das bereits zu einem wichtigen Erfolgsfaktor entwickelt. Aber auch im Baugewerbe erleben Holz und natürliche Materialien wieder einen Aufschwung. Produkte, Firmen, Führungskräfte und Einzelpersonen erlangen und besitzen Autorität und Anerkennung, wenn sie natürlich und authentisch sind.

Viele dieser sozialen, gesellschaftlichen und ethischen Entwicklungen verlaufen teilweise scheinbar gegenläufig zu den digitalen Veränderungen und Trends. Auch zwischen den verschiedenen Generationen unterscheidet sich ihre Ausprägung.

Eine der Herausforderungen in der Immobilienbranche, wie in vielen anderen etablierten Wirtschaftszweigen, besteht darin, dass die Mehrzahl der heutigen Entscheidungsträger und Führungskräfte noch der Generation der Babyboomer angehört und damit mit einem anderen Wertesystem aufgewachsen ist und diesem auch heute noch zu einem grossen Teil nachlebt. Die digitale Revolution geht jedoch von den jüngeren Generationen aus: Diese verfügen über das notwendige Know-how und sind in einem Alter, in dem sie den Status quo in Frage stellen und verändern wollen. Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, dafür zu sorgen, sich selbst und die Kultur ihrer Unternehmung so weiterzuentwickeln, dass sich die innovativen Ideen und Kräfte derjenigen, für welche die digitale Revolution weniger eine „Revolution“ als vielmehr ein selbstverständlicher Teil ihrer Lebens und Arbeitswelt ist, produktiv einbringen und entwickeln können.

Folgen für die Immobilienbranche

Wenn die Folgen der digitalen Revolution tatsächlich mit den letzten industriellen Revolutionen vergleichbar sind, wird dies Auswirkungen auf alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche haben und zweifellos zu massiven Veränderungen führen. In der breiten Diskussion werden zur Zeit vor allem die Gefahren für bestehende Jobprofile, Arbeitsplätze und Prozesse thematisiert. Für innovative, offene und zukunftsorientiert denkende und agierende Personen und Firmen eröffnen diese Entwicklungen und Veränderungen aber auch sehr viele neue Möglichkeiten und Chancen.

Unbestritten für die Immobilienbranche ist:

  • Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Standortattraktivitäten werden sich verändern
  • Sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch sämtliche Akteure über den Lebenszyklus der Immobilien werden von diesen Veränderungen beeinflusst werden
  • Konventionelles strategisches Denken wird keine Lösung sein, da Trendbrüche darin kaum integrierbar sind und viele neue Entwicklungen in politischen, sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Fragen nicht vorausgesagt werden können.

Die Immobilienbranche in der Schweiz hat einen Superzyklus von über 20 Jahren Aufschwung hinter sich und ist gewohnt, in Zeithorizonten von Jahren bis Jahrzenten zu denken und zu planen. Für sie stellt diese Situation deshalb eine besondere Herausforderung dar.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Digitalisierungsbarometers. Die Studie ermittelt anhand einer breit angelegten, repräsentativen Erhebung bei den wichtigsten Akteuren der Immobilienbranche in der Schweiz, wie die Auswirkungen der Digitalisierung wahrgenommen werden und welche Auswirkungen für die kommenden Jahre erwartet werden.

Die gesamte Studie können Sie hier beziehen:

Digitalisierungsbarometer 2016 – Kundenverhalten und Geschäftsmodelle

Digitalisierungsbarometer 2017 – Digitales Planen und Bauen

Weiterführende Literatur:

  • Chui, M., Manyika J., & Miremadi, M. (2015). Four fundamentals of workplace Automation. McKinsey Quarterly, November 2015.
  • Gondring, H. (2012): Handbuch Zukunft der Immobilie. Köln: Immobilien Manager Verlag.
  • Höpflinger, F., Van Wezemael, J. (2014): Age Report III: Wohnen im höheren Lebensalter. Zürich: Seismo Verlag.
  • Mayer, Johannes M. et.al. (2015): Current and Future Cost of Photovoltaics. Stuttgart, Fraunhofer Institut
  • Naam, R. (2015): How cheap can Solar get? Very cheap indeed. http://rameznaam.com/2015/08/10/howcheapcansolargetverycheapindeed/ Posted 10.8.2015
  • PwC (2014): Real Estate 2020: Building the Future. London: PwC.
  • PwC (2015): Emerging Trends in Real Estate – The global outlook for 2015. London: PwC.
  • Rifkin, J. (2014): The Zero Marginal Cost Society: The Internet of Things, Collaborative Commons, and the Eclipse of Capitalism. Basingstoke: Palgrave McMillan
  • Roos, G. et.al. (2011): Wertewandel in der Schweiz 2030. Zürich: swissfuture.
  • Zimmerli, J., Schmidiger, M. (2016): Demografie und Wohnungswirtschaft – Pensionierte auf dem Wohnungsmarkt. Zug: IFZVerlag.

 

Kommentare

2 Kommentare

Marcel

1. September 2017

Hier bin ich geteilter Meinung...denn mit Ihrer Aussage werfen sie alle Makler in einen Top (die guten und die schlechten, die ausgebildeten und die anderen). Ein gutes Objekt an guter Lage in einem guten Markt lässt sich aktuell durchaus auch durch den interessierten Laien (mit entsprechendem Aufwand/ Zeit) veräussern. Was hierbei jedoch meist vergessen geht, sind die nebst der Vermarktung anfallenden Arbeiten (Vertragsinitialisierung und -Verhandlung mit der Gegenpartei, Unterstützung bei Vorbereitung Abrechnung Grundstückgewinnsteuer, sonstige administrative Angelegenheiten, etc.), welche durchaus Zeit und Wissen benötigen. Aaaaaber ja.... wenn der Markt dreht (zu Gunsten Käufermarkt) und weniger gut ist, das Objekt nicht Standard, die Lage suboptimal, oder der Käufer anspruchsvoll(er) wird, dann zeichnet sich ein guter Vermarkter aus. Da viele Vermarkter nicht über das Zeug verfügen, in schlechten Zeiten die Qualität zu liefern wird sich dann meines Erachtens die Anzahl reduzieren. Und nein... ich bin nicht in der Branche, lediglich interessiert und differenziert.

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Iten

10. August 2017

Das Internet wird auch Makler mehr und mehr überflüssig machen, dank Homegate.ch & Comparis.ch etc kann man seine Immobilie selber am Markt anbieten und mit den neuen Plattformen wie HomeDossier.ch auch gleich das Immobiliendossier selber gestalten und als PFF gratis abrufen... Ich bin gespannt wie lange es geht bis die hohen Verkaufskommissionen der Makler sich reduzieren....

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