29. Januar 2018

Archiv

Wie Marketing und Verkauf in einer digitalen Welt funktionieren

Wie Marketing und Verkauf in einer digitalen Welt funktionieren

Digitalisierung im Marketing und Verkauf von Immobilien ist nichts Neues. Die meisten Immobilienportale der Schweiz entstanden bereits vor 15 Jahren. Die Art und Weise, wie Kaufentscheide gefällt werden, hat sich in den vergangenen Jahren jedoch massiv verändert. Es stellt sich deshalb die Frage, wie Immobilien heute und in Zukunft verkauft werden sollen.

Nils Hafner

Dieser Artikel zeigt auf, wie das vor sich gegangen ist und welche Implikationen dies für Marketing und Verkauf von Immobilien in einer digitalisierten Welt hat.

Marketing ist eigentlich eine einfache Sache. Man identifiziert Kanäle, auf denen der Kunde erreichbar ist und sendet permanent eine Kaufbotschaft. Irgendwann (so die Theorie) erhört uns der Kunde und kauft tatsächlich. Zumindest wenn wir die vier „P“ des Marketing „Produkt“, „Price“, „Place“ und „Promotion“ in einem stimmigen Marketingkonzept verpackt haben. Doch so einfach ist es seit mehreren Jahren nicht mehr. Denn zum einen trauen Menschen den Marketingbotschaften der Unternehmen immer weniger. Werbung ist in den DACH Ländern so unbeliebt wie nie zu vor. Zum anderen sind seit 2008 die privaten und institutionellen Budgets gefühlt kleiner geworden. Das bedeutet, dass im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise die Menschen zwar nicht real weniger Geld in der Tasche haben, jedoch wesentlich vorsichtiger damit umgehen. Denn die Krise hat viele Unternehmen überrascht. Obwohl sie in den deutschsprachigen Ländern wieder gut verdienen, achten die Unternehmen sehr darauf, ihre Budgets schmal zu halten. Das färbt natürlich auch auf den privaten Käufer ab. Wenn der Job nicht sicher ist, überlegt man sich zweimal, eine neue Liegenschaft zu kaufen. Die Frage, ob sich das Wohnen in den eigenen vier Wänden wirklich auszahlt, beschäftigt immer mehr Menschen. Um diese Frage zu beantworten, ziehen Menschen zunehmend das Internet zu Rate. Das Digitalisierungsbarometer „Immobilien“ der Hochschule Luzern hat beispielsweise festgestellt, dass Kunden heute mehr und häufiger Angebote vergleichen, besser über Konkurrenzangebote informiert sind und insgesamt preissensitiver geworden sind (vgl. Schmidiger & Köchli, 2016). Doch der jeweilige erste Touchpoint für eine Produktsuche, „Google“, gibt nicht immer wirklich die richtigen Antworten. Welches der über tausend Suchergebnisse ist denn das richtige, welches beruht auf Qualität und welcher Eintrag ist gekauft oder über gutes Suchmaschinenmarketing zustande gekommen? Verloren hat bei dieser Fragestellung häufig der Anbieter, der auf den Seiten zwei bis „n“ landet. Oder wie die Werbebranche so schön sagt: „The best place to hide a dead body is on page two on google!”

Die Suchmaschine allein gibt noch keine Antwort, welche Immobilie denn wirklich zu mir passt. Gleiches gilt häufig auch für die Immobilienportale mit ihrer enormen Angebotsvielfalt. Eine rein optische Hervorhebung eines bestimmten Angebots oder eine Anzeige werden umgehend durch den geschulten Konsumenten als Werbung klassifiziert und helfen somit beim Verkauf nicht weiter. Also suchen Konsumenten zunehmend Antworten bei Experten, Fachzeitschriften und seit Jahren immer mehr bei ihren eigenen Netzwerken. Logisch: Was für meine Freunde gut ist, kann für mich ja nicht schlecht sein. Denn: Gleich und gleich gesellt sich gern. Also fragt man als schlauer Käufer nach Empfehlungen, Ideen und Gelegenheiten.

Und das ist so einfach wie nie zuvor. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind die Länder mit einer ausgesprochen hohen Dichte an Smartphones. Dies geht einher mit ständigem Zugriff auf grosse Netzwerke via Social Media. Auf den meisten Smartphones ist beispielsweise ein Facebook Client installiert. Der durchschnittliche Facebook User ist heute Ende 30 und greift auf ein Netzwerk von 200 bis 400 Personen zurück (vgl. Statista, 2014). Genau diese Personen können zu jeder Sekunde, an jedem Ort mit einer Frage nach einer Empfehlung erreicht werden.

Um Empfehlungen geht es zunehmend; und zwar nicht nur für die zum Verkauf stehende Liegenschaft, sondern auch in Bezug auf Wohnquartiere, Arbeitswege und Infrastruktur oder die verkaufende Firma selbst.

So funktioniert erfolgreiches Marketing heute: Der Kunde erlebt etwas, bewertet das für sich als gut oder schlecht und empfiehlt es weiter. Dabei spielen die Produktqualität und die Kundenerlebnisse beim Kauf, der Übergabe und dem Betrieb einer Immobilie eine wichtige Rolle. Gerade über Social Media ist es leicht, dafür eine Bewertung abzugeben. Der „Gefällt mir“-Button auf Facebook ist die Empfehlungswährung der Zukunft. Also müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie solche Empfehlungen entstehen.

Ziele gehen in einer digitalen Welt über den Verkauf hinaus – Es geht um Empfehlungen!

Primär geht es um das Ziel, dass sich Kunden bei unserem Unternehmen langfristig sicher, umsorgt, wertgeschätzt und verstanden fühlen, oder einfach nur glücklich sind, weil sie ihre Traumimmobilie gefunden haben und gerne dort leben. Doch wie bekommt man das hin? Es geht darum, den Kunden zu verstehen, zu erkennen, in welcher Phase seiner Erlebnis- oder Ent- scheidungskette er sich in Bezug auf unsere Marke derzeit befindet. Diese Erlebnis- und Entscheidungskette beginnt häufig schon weit vor dem Kauf, z.B. mit der Realisation des eigenen Bedürfnisses und der Suche nach Optionen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. In dieser Phase kommt es für den Kunden häufig schon über verschiedene Touchpoints zu Fragen. Das Unternehmen, welches die Fragen realisiert und gezielt empathisch beantworten kann, vermittelt dem Kunden das gewünschte Gefühlsspektrum. Er fühlt sich dann sicher, verstanden oder wertgeschätzt. Gleiches gilt auch und vor allem für die Übergabe, Inbetriebnahme der Liegenschaft und den allgemeinen Kundenservice. In Zeiten, in denen es der Kunde nicht mehr toleriert, von einem Unternehmen ohne triftigen Grund angerufen zu werden, muss das Unternehmen genau dann bereit sein, wenn der Kunde eine Frage oder ein Anliegen an das Unternehmen hat. Und bereit sein, bedeutet, dreierlei zu wissen:

  1. Wie ist der Stand der Kundenbeziehung / des Verkaufs oder der Liegenschaft?
  2. Welche Anliegen hat der Kunde, bzw. welche entsprechende Lösung gibt es? Und
  3. Welche Produkte kann der Kunde von uns noch brauchen?

Mit diesem Wissen kann eine konsistente Beziehung zum Kunden entstehen, und wir erhalten die Empfehlungen, die unser Unternehmen so dringend für sein Wachstum braucht.

Die Entscheidungskette des Kunden kennen

Zunächst ist es für die Gestaltung des Marketings wichtig zu verstehen, wie Kunden über den Fortgang und die Entwicklung einer Beziehung bis hin zum Kauf und später zu einer Empfehlung entscheiden. Kundendialoge entstehen in verschiedenen Phasen der Kundenbeziehung. In jeder dieser Phasen stellt sich der Kunde auf Basis des konkreten Erlebnisses zwei Fragen:

  1. Kann die Liegenschaft meine Bedürfnisse abdecken und
  2. Will ich mit diesem Unternehmen zusammenarbeiten?

Diese Entscheidungen werden durch die Episoden einer klassischen Kundenentscheidungskette, Consumer Decision Journey, abgebildet (vgl. Court, Elzinga, Mulder & Vetvik, 2009). Hafner & Winters (2010) haben darauf aufmerksam gemacht, dass nur die genaue Kenntnis dieser Kette zu dem notwendigen Wissen führt, um zu verstehen, welche Episoden von der Bedürfniswahrnehmung des Kunden, über die Evaluation von Alternativen (bspw. unterschiedlicher Anbieter) dazu führen, dass sich ein Kunde dem Unternehmen überhaupt als potentieller Käufer identfiziert. Erst dann können die vollständig kontrollierbaren Phasen der Beratung, des Kaufs, der eventuellen Erstellung, der Übergabe und Inbetriebnahme und der Nutzung der Liegenschaft und der Inanspruchnahme des Kundenservice planerisch in Angriff genommen werden. Nur wenn die Dialoge und Erlebnisse der Kunden in allen Phasen als stimmig bewertet werden, ist der Kunde bereit, sein positives Erlebnis auf Social Media Plattformen oder im Gespräch mit anderen potentiellen Kunden als Empfehlung zu teilen. Das haben inzwischen die meisten Unternehmen verstanden. Die Abbildung zeigt exemplarisch eine „Customer Decision Chain“ für den Verlauf der Kundenbeziehung eines Unternehmens, welches primär Immobilien für Private erstellt und verkauft: Diese Reise des Kunden (Customer Journey) ist jedoch heute im Immobiliensektor weitgehend unbekannt (vgl. Schmidiger & Köchli, 2016).

Daher muss die Abbildung kurz erläutert werden: Sie zeigt aus Sicht des Kunden auf, in welchen Schritten sich der Kauf einer Liegenschaft bis hin zur Weiterempfehlung abspielt. Kunden realisieren, dass sie ein Bedürfnis nach einem Eigenheim entwickeln und beginnen über Google und Immobilien- Portale zu recherchieren. Gegebenenfalls bekommen sie eine Anregung über ihre sozialen Netzwerke (on- oder offline). Sie treten an den Verkäufer heran, besichtigen die Liegenschaft, verhandeln den Kaufpreis und beschaffen sich eine Finanzierung. Nun kommt es zum Kauf und dem entsprechenden Vertragsabschluss. Damit ist das Kundenerlebnis noch nicht vorbei. Denn nun beginnt die Erstellung und Konfiguration der Liegenschaft, der Bezug und die Inbetriebnahme sowie die Nutzung. Erst auf der Basis der damit verbundenen Erlebnisse entscheidet der Kunde, ob es hier zu einer Weiterempfehlung an andere Menschen mit potentiell ähnlichen Bedürfnissen kommt.

Diese Entscheidungskette eines Kunden unterscheidet sich natürlich für die verschiedenen Akteure im Immobilienmarkt stark: So steht bei einem Architekten der Beratungs- und Planungsschritt im Vordergrund der Gestaltung, während für die Kunden eines Immobilienbewirtschafters vor allem die Schritte der Nutzung um einen Schritt „Unterstützung bekommen“ ergänzt werden müssen. In diesem Zusammenhang stellt sich unter Marketinggesichtspunkten die Frage, wie man auf Seiten des Unternehmens derartige Customer Journeys integriert bedienen kann. Dabei ist zur operativen Erlebnisgestaltung wichtig, WO sich der Kunde in den einzelnen Schritten befindet, um zu entscheiden, WAS gemacht werden soll.

Die Touchpoints kennen – von Social Media zur kontrollierten Übergabe

Bevor auf die operativen Aspekte einer Erlebnisgestaltung eingegangen werden kann, stellt sich die Frage nach dem „WO“ der Kommunikation mit dem Kunden. Die Bezeichnung „Kanal“ für den „Ort“ der Kundenkommunikation erscheint aus drei Gründen problematisch:

  1. Kanäle sind in der Natur begradigt und verbinden zwei wichtige Punkte miteinander. In Zeiten einer NzuN-Kommunikation im Kundenservice kann das, u.a. auch aus Kostengründen, nicht die Natur der gewünschten Unternehmenskommunikation sein.
  2. Kanäle haben klar definierte Grenzen. Dies wird in der Unternehmensrealität oft durch Abteilungsgrenzen abgebildet. Wo viele Mitarbeitende im Grunde das Gleiche machen (nämlich Kundenanfragen beantworten und Probleme lösen), sollten Abteilungsgrenzen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgehoben werden. Eine Fokussierung auf klar definierte Skills wie „telefonische Problemlösung“, „schriftliche Problemlösung via Chat“, „schriftliche Problemlösung via Twitter“, „schriftliche Problemlösung via E-mail“ sowie aufeinander aufbauende Produkt- und Dienstleistungskompetenzen tragen zur gezielten Steuerung des Service in grösseren Einheiten bei und sorgen auch für eine attraktive „Kundenservice-Karriere“. So verhindert man bei diesen wichtigen Mitarbeitenden das Bore-Out-Syndrom.
  3. Das Wasser in einem Kanal fliesst lediglich in eine Richtung. Die Kanallogik entstammt einer Zeit, in der man in Theorie und Praxis noch über integrierte Kommunikation geredet hat. Man ging davon aus, die Kommunikation zum Kunden könne hundertprozentig dadurch beeinflusst werden, dass zentral eine Botschaft formuliert („Kauf mich! “), und diese dann durch die gesamte Organisationspyramide zum Kunden getragen wird. Dadurch, dass der Kunde quasi gar nichts anderes mehr wahrnimmt als diese Botschaft, kommt er der Botschaft auch nach und kauft. In einer Zeit mit immer geringerer Werbewirkung und immer höherer Vernetzung, vielen Spontanaktivitäten in Form von Empfehlungen oder Warnungen bezüglich der Leistung von Unternehmen und damit kreisenden Erregungen in on- und offline Netz werken (bspw. in jüngster Zeit dem FIFA Skandal), ist die Kommunikation wesentlich weniger kontrollierbar geworden. Dialoge werden wichtiger und damit auch die Berührungspunkte (Touchpoints), an denen diese Dialoge stattfinden können.

Entscheidend ist aber, diese Sichtweise mit weiteren Perspektiven auf das Touch- pointangebot zu ergänzen:

  • Nicht alles, was technisch machbar ist, wollen Kunden auch nutzen. So gibt es beispielsweise Touchpoints, die für die Kunden im Immobilienumfeld irrelevant sind. Dies gilt insbesondere in B2B-Vertragsbeziehungen. Je weniger Kunden einen Touchpoint nutzen, desto weniger rechnet sich das trotzdem notwendige Monitoring oder der Betrieb dieses Touchpoints. Auch umgekehrt gilt: Will man als Kunde wirklich der zweite Anfragesteller auf Twitter sein, nachdem der erste dort vor fünf Monaten etwas gepostet hat?! Gleiches gilt für Immobilien-Communities. Diese müssen zunächst einen gewissen Grad an Content und Interaktionshäufig- keit aufweisen, damit der Kunde den Touchpoint überhaupt ernst nimmt und nicht direkt zum Telefon greift. In der Immobilienvermarktung gilt dies im verschärften Masse für die Immobilien-Portale wie z. B. Homegate oder ImmoScout24.
  • Nicht alles, was Kunden (noch) nicht nutzen, ist aber deswegen auch sinnlos. Gerade wenn es in der Immobilienvermarktung um Alternativen zu E-Mail geht, kann es sinnvoll sein, Kunden sukzessive auch an den Chat oder den Video-Chat heranzuführen. Dies ist auch eine direkte Folge der Einsicht, dass sich gerade bei komplexen Verkaufs- oder Konfigurations-Sachverhalten oft nicht jeder Touchpoint gleich gut eignet.
  • Nicht alles, was Kunden nutzen wollen, können Unternehmen auch anbieten. Einigen Unternehmen fehlen heute schlicht Kompetenzen, bspw. im Social Media oder Community Bereich. Daraus resultiert häufig ein mittelmässiges oder halbgares Angebot an den Touch-points. Es ist aber gerade für Neukunden oder Prospects wichtig, an jedem zur Verfügung gestellten Touchpoint aktiv Kompetenz zu zeigen. Viele Unternehmen haben im Social Media Bereich darauf reagiert, indem sie den Betrieb der Touchpoints unter Marketing-Gesichtspunkten an Agenturen delegieren. Dies wird dann problematisch, wenn vom Kunden Dialoge angestossen werden und aktiv Verbesserungsvorschläge gemacht werden, für deren Weiterleitung oder Kommentierung der Agentur die internen Schnittstellen fehlen. Customer Experience Management wird daher mehr und mehr zu einer Inhouse-Aufgabe.
  • Nicht alle Touchpoints, die Kunden wollen, sind auch aus Wettbewerbs- gesichtspunkten sinnvoll. Vieles, was derzeit unter dem Begriff „omnichannel“ vermarktet wird, bietet zu wenig Profilierung im Wettbewerb. Hierbei sollte man weniger auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Touchpoints abstellen, sondern sich mehr um ein exzellentes Erlebnis an den bestehenden Berührungspunkten kümmern. Dies gilt insbesondere für den Dialog mit dem bestehenden oder zukünftigen Käufer einer Immobilie.
  • Nicht alles, was Kunden wollen, ist auch bezahlbar. Wichtig ist, für jeden zusätzlichen Touchpoint einen individuellen Business-Case zu erstellen. Dabei ist die Kostenseite, bestehend aus den Dimensionen Mensch, Prozess und Technologie, fast immer der leichter zu bestimmende Teil. Anders sieht es auf der Nutzenseite aus. Was bringt ein neuer Touchpoint wirklich? Wie viele neue Kunden kommen wegen dieses Touchpoints? Wie viel Kommunikation kann über diesen Touchpoint günstiger abgewickelt werden? Inwiefern kann ein digitaler Touchpoint vielleicht auch dazu beitragen, online besser gefunden zu werden? Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind.

Zum Schluss ist es bei all diesen Einwänden jedoch wichtig, was das Buzzword „omnichannel“ eigentlich aussagen will. Es geht im Grunde genommen darum, dass der Kunde zwischen den Touchpoints des Unternehmens frei wählen kann und dass an jedem Touchpoint alle Informationen über den Kunden vorliegen. Also sollte man bspw. bei der Besichtigung der Immobilie wissen, was mit dem Kunden telefonisch besprochen wurde. Die damit verbundene Aufgabe, die Kundenhistorie und alle relevanten Kundendaten an jedem bespielten Touchpoint vorzuhalten, ist eine Grundanforderung an das Kundenbeziehungsmanagement.

Das IMPACT Prinzip zur Auswahl geeigneter Touchpoints

An jedem Kontaktpunkt, besonders in den unkontrollierten / unkontrollierbaren sozialen Netzwerken, muss festgelegt werden, welche Interaktion für den Kunden den grössten Sinn ergibt, um dann zu entscheiden, wie man mit diesen Touchpoints angemessen in den Entscheidungsprozess des Kunden eingreifen kann. Es gibt fünf Möglichkeiten, wie mit einem Touchpoint umgegangen werden kann. Diese werden je nach Einfluss des Unternehmens auf den Kontaktpunkt angewandt. Das Akronym IMPACT hilft, sich die unterschiedlichen Stufen des Engagements zu merken:

  • Ignore: Ignorieren
  • Monitor: Beobachten
  • Participate: Teilnehmen
  • Activate Aktivieren
  • ConTrol: Kontrollieren

Die meisten dieser Stufen können frei kombiniert werden, um das Maximum aus der Kunden-Interaktion herauszuholen.

Im ersten Schritt muss das Unternehmen erkennen, dass ein Kontaktpunkt existiert und dass er relevant sein könnte. In einem nächsten Schritt gilt es, bewusst zu entscheiden, ob man aktiv mit dem Touchpoint umgehen möchte, und wenn ja – wie. Dazu ergeben sich die folgenden Möglichkeiten:

Ignore / Ignorieren. Das ist eine klare „go / no-go“-Entscheidung, die nicht mit anderen Stufen des Engagements kombiniert werden kann. Ein Touchpoint, der derzeit nicht relevant ist und der innerhalb des Zielpublikums kaum Interesse weckt, fordert einen hohen Preis: Wertvolle Ressourcen sollten nicht verschwendet werden. In diesem Fall empfiehlt es sich, definitiv zu entscheiden, den Kontaktpunkt für den Augenblick zu ignorieren. Sollten sich die Rahmenbedingungen später ändern, kann man die Entscheidung zurücknehmen und anders mit dem Touchpoint umgehen.

Monitor / Überwachen. Jeder Kontaktpunkt, der im Entscheidungs- prozess des Kunden eine Rolle spielt, sollte zumindest beobachtet werden. Für die traditionellen Kontaktpunkte sind die Methoden dazu gut bekannt: Der ganze Bereich „Customer Intelligence“ hat sich schon immer damit befasst, Daten aus diesen Kontakten zu erfassen und in fundierte Informationen über den Kunden umzuformen. Monitoring Tools für die sozialen Netzwerke waren fast gleichzeitig mit den Netzwerken auf dem Markt. Manche sind nur für eine einzige Plattform nutzbar: Twitter Monitor, Blog-Suchmaschinen und Nachrichten-Konsolidierungs-Programme sind nur einige Beispiele. Von noch grösserer Bedeutung sind jene neuen Tools und Services, die auf alle sozialen Netzwerke zugreifen und die damit den Unternehmen erlauben, mithilfe eines einzigen Interface Suchkriterien über die relevanten Touchpoints zusammenzustellen (vgl. aktuelle Tools sind etwa: Vico Analytics, Synthe- sio, Radarly, Engagor, Buzzcapture, Brandwatch Analytics, etc.). Als Nächstes muss entschieden werden, ob das Monitoring als isolierte Aktivität betrachtet wird – und zu täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Berichten führt – oder, ob es in die Arbeit der Customer-Intelligence-Abteilung eingebettet wird. Damit entstände ein strukturierter Umgang mit der Datenerfassung und dem Datengebrauch. Die Informationen vom beobachteten Kontaktpunkt müssen zumindest an jene Mitarbeitenden weitergeleitet werden, die im Unternehmen für diesen Touchpoint zuständig sind und die auf die Informationen reagieren dürfen. Will man mehr erreichen, besteht die Möglichkeit, die Erkenntnisse über das Customer Data Warehouse oder die Customer Intelligence Practice zu überführen, um das Prognosemodell für jeden Kunden besser und feiner zu justieren oder gegebenenfalls das Marktsegment genauer zu beschreiben.

Participate / Teilnehmen. Die nächste Stufe des Engagements bedeutet, auf einer öffentlichen Plattform wie einem Immobilenportal oder Facebook mitzumachen. Das heisst, ein Mitarbeitender erklärt sich dafür verantwortlich, zukünftig für das Unternehmen über den ausgesuchten Touchpoint zu kommunizieren. Die aktive Teilnahme an sozialen Netzwerken ist meist das Mittel der Wahl, weil dort die Interaktion nicht kontrolliert werden kann und üblicherweise ein grosses Publikum an einem Dialog zwischen zwei Parteien beteiligt ist. Zur aktiven Teilnahme gehört es, offen den Netz werken beizutreten und sich in Dialoge einzubringen, aber auch auf Kommentare zu antworten. In diesem Zusammenhang wird vor allem der Arbeit mit Videos in der Immobilienvermarktung und der Zugänglichmachung über Youtube viel Bedeutung zugewiesen (vgl. Schmidiger & Köchli, 2016).

Wenn man teilnimmt, muss man jedoch drei fundamentale Regeln beachten:

  • Jede Teilnahme muss echt und authentisch sein. Es gibt weder Ghostwriter noch computergenerierte Antworten, die das so machen können. Viele Unternehmen haben viel Zeit und Geld in ihr Markenversprechen investiert. Auch an diesem Punkt muss dessen Authentizität gewahrt bleiben. Menschen kaufen schliesslich auch von Menschen!
  • Jeder Touchpoint hat seine Besonderheiten, seine eigene Tonalität und die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Interaktion, an die sich die Teilnehmer zumeist halten. Es gilt diese Regeln in Erfahrung zu bringen und zu beherzigen.
  • Teilnahme heisst nicht Kontrolle! Der Verlauf der Interaktionen ist nicht immer vorhersehbar. Auch wenn einem eine Entwicklung nicht gefällt, ist sie kaum mehr aufzuhalten.

Je mehr man sich mit der Interaktionsentscheidung des Partizipierens beschäftigt, desto mehr gleicht sie der Teilnahme an einer Party, auf der man Gast, jedoch nicht Veranstalter ist. Der Veranstalter gestaltet die Regeln, die Gäste tun gut daran, sich erst einmal umzusehen (monitoren!) und sich dann auf interessante, wertstiftende Art und Weise einzubringen. Das gilt übrigens auch für Dialoge auf anderen öffentlichen, jedoch offline gestalteten Plattformen, wie beispielsweise einem Sponsoring einer Sport- oder Kunstveranstaltung.

Activate / Aktivieren. Mitunter kann es für das Unternehmen sinnvoll sein, einen Schritt weiterzugehen und die „Party“ selbst zu veranstalten. Dies bedeutet, eine eigene (oftmals gebrandete) Plattform zu entwickeln und die Kundschaft dort zu aktivieren. Hier sind vor allem selbst veranstaltete Kunden-Events zu nennen, deren Bedeutung laut „Digitalisierungsbarometer“ in den kommenden Jahren stark zunehmen wird (vgl. Schmidiger & Köchli, 2016). Die Digitalisierung bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, die Wirkung eines Events durch Aufzeichnung und zur Verfügungstellung im Internet digital zu „verlängern“.

Control / Steuern. Es gibt Kontaktpunkte, die kontrollier- und steuerbar sind: Ein E-Mail-Service oder Newsletter, eine Website, eine Filiale oder ein Verkäufer sind alles Touchpoints, die ein Unternehmen besitzt und die es deshalb kontrollieren kann (und sollte). Touchpoints, die wir aktiv steuern können, sind deshalb von grösster Bedeutung für den Entscheidungsprozess, weil die Kunden wissen, dass die Kontaktpunkte uns gehören. Dementsprechend erwarten sie dort eine professionelle Kundenbetreuung. Das gilt für alle Stufen des Entscheidungsprozesses. Vor allem liegen jedoch Profilierungsmöglichkeiten bei der Konfiguration und Erstellung der Immobilie sowie bei der Übergabe.

Die fünf Stufen des Engagements sind alle valide und relevant. Jede beliebige Art von Touchpoint kann mehr als eine Art des Engagements erfordern, je nachdem wie wichtig sie für den Kunden ist. Ausserdem kann es sinnvoll sein, einen Touchpoint in der Orientierungsphase des Kunden anders zu behandeln als in der Kaufphase. Die Entscheidung, welche Interaktions-Strategie für welchen Kontaktpunkt die richtige ist, muss im Zusammenhang mit der Art des Kundenerlebnisses und den technischen Möglichkeiten des Unternehmens getroffen werden. Wichtig für ein modernes, digitalisiertes Marketing ist, die Empfehlung des Kunden nachhaltig und integriert zu verfolgen.

Eine Idee für ein differenzierendes Marketing: Der häufig vergessene Schritt „Bezug und Inbetriebnahme“

Schauen wir noch einmal auf die in der Abbildung dargestellte Entscheidungskette. Der Schritt des Bezugs und der Inbetriebnahme einer Liegenschaft durch den neuen Eigentümer wird häufig unterschätzt. Ist zu Beginn eines Verkaufsprozesses noch ein grosses Interesse des Verkäufers am Abschluss vorhanden und überträgt sich diese Energie auch auf die gemeinsame Planung und Erstellung der Liegenschaft, im Falle eines Architekten und/oder Generalunternehmers so liegen in dieser Phase der “Customer Journey“ unterschiedliche Interessen, bzw. Ausgangslagen bei Käufer und Verkäufer der Immobilie vor. Während viele Käufer lediglich einmal im Leben eine Immobilie erwerben, kann es für den Verkäufer nur eine Übergabe von vielen sein. Dementsprechend entsteht ein völlig unterschiedlicher Erfahrungsbackground, der zu unterschiedlichen Prioritäten führt. Der Verkäufer ist daran interessiert, diesen Schritt, der ihm lediglich zusätzliche Kosten verursacht, möglichst schnell hinter sich zu bringen. Der Käufer hingegen weiss, dass sein Wohlbefinden im neuen Haus massgeblich von der richtigen Bedienung von Heizung, Fenstern, Beschattung, Internetzugang etc. abhängt. Insofern wird er daran interessiert sein, so viele Informationen wie möglich zu erhalten. Hier kann es zu Konflikten kommen. Gerade, wenn etwas nicht wie gewünscht auf Anhieb funktioniert, wird erwartet, dass der Verkäufer für Fragen zur Verfügung steht. Auch spielt eine Rolle, dass der private Käufer, im Verhältnis gesehen, die grösste Investition seines Lebens getätigt hat. Dementsprechend hoch sind seine Erwartungen. Wie hier die Diskrepanz zwischen den Ansprüchen der Käufer und den Kostenerwägungen der Verkäufer ausgeglichen werden kann, zeigt die Befragung der Gruppe der „Innovators“ im Digitalisierungsbarometer. Sie stellen fest, dass Kunden für die Nutzung der gesamten Infrastruktur der gekauften Immobilie mehr und mehr Online-Anleitungen erwarten, die sie schnell einsehen, verstehen und anwenden können (vgl. Schmidiger & Köchli, 2016).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in diesem Beispiel für die Erlebnisgestaltung sowohl digitale wie natürlich auch nicht-digitale Touchpoints (das verkaufte Haus selbst, die Geräte und die Infrastruktur sowie die Person, welche die Übergabe macht) eine Rolle spielen. Diese Idee soll demonstrieren, wie in einer digitalisierten Welt unter Marketing- und Vertriebsgesichtspunkten kundenorientiert gehandelt werden muss, um nachhaltig an Empfehlungen zu kommen.

Und das ist die neue Währung des Marketings: Empfehlungen!

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Digitalisierungsbarometers. Die Studie ermittelt anhand einer breit angelegten, repräsentativen Erhebung bei den wichtigsten Akteuren der Immobilienbranche in der Schweiz, wie die Auswirkungen der Digitalisierung wahrgenommen werden und welche Auswirkungen für die kommenden Jahre erwartet werden.

Die gesamte Studie können Sie hier beziehen:

Digitalisierungsbarometer 2016 – Kundenverhalten und Geschäftsmodelle

Digitalisierungsbarometer 2017 – Digitales Planen und Bauen

 

Weiterführende Literatur

  • Armano, D. Homepage. Online (12.04.2016): http://darmano.typepad.com/
  • Court, D., Elzinga, D., Mulder, S. & Vetvik, O.-J. (2009). The consumer decision journey. In McKinsey Quarterly. Online (12.04.2016): http://www.mckinsey.com/business-functions/marketing-and-sa- les/our-insights/the-consumer-decision-journey
  • Hafner, N. & Winter, P. (2010). Customer Impact Agenda. Online (12.04.2016): http://www.mckinsey. com/business-functions/marketing-and-sales/our-insights/the-consumer-decision-journey
  • Schmidiger, M. & Köchli, P. (2016). Digitalisierungsbarometer Schweiz. In Schmidiger, M. (Hrsg.). Digitalisierungsbarometer – Immobilienbranche im digitalen Wandel. Zug: Verlag IFZ – Hoch- schule Luzern.
  • (2014). Branchen. Internet. Social Media. Online (14.04.2016): http://de.statista.com/

Das könnte Sie ebenfalls interessieren:

Entdecken Sie die Welt des Immobilienmanagements und erfahren Sie alles Wissenswerte rund um den MAS Immobilienmanagement sowie andere Angebote zum Thema Immobilien. Gerne beantworten Ihnen Prof. Dr. Markus Schmidiger und Prof. Dr. John Davidson und Prof. Dr. Michael Trübestein vom IFZ Ihre Fragen.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.