3. Mai 2021

Studentische Beiträge

Die Schweiz hat den Mehrwert im nachhaltigen Wohnungsbau erkannt

Die Schweiz hat den Mehrwert im nachhaltigen Wohnungsbau erkannt

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Der Gebäudesektor in der Schweiz ist für über 40% des Energieverbrauchs verantwortlich. Private und institutionelle Investoren wie zum Beispiel die BVK (Personalvorsorge des Kantons Zürich), die grösste Pensionskasse der Schweiz, scheinen im nachhaltigen Wohnungsbau einen Mehrwert zu sehen und richten ihre Portfolio diesbezüglich aus.

Von Ramon Gehrig und Beat Keller

Der Weltklimarat (IPCC) hat 2018 dargelegt, dass bereits ab einer globalen Klimaerwärmung um 1,5 Grad mit einschneidenden Veränderungen der Ökosysteme gerechnet werden muss. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken sind mit der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt und Entwicklung von 1992, dem Kyoto-Protokoll von 2005 und dem Pariser Klimaabkommen von 2015 internationale Klimaziele heute verbindlich definiert.

Die Vision 2’000-Watt-Gesellschaft, in den Neunzigerjahren an der ETH Zürich entwickelt, vereint Energie- und Klimaziele, integriert politische Zielsetzungen und wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Energieeffizienzvorgaben der Energiestrategie 2050 des Bundesamts für Energie. Mittels Absenkpfad soll das Energieziel von 2’000 Watt Dauerleistung sowie das CO2-Ziel von 1 Tonne CO2-Ausstoss pro Person und Jahr bis 2100 erreicht werden. Das Zwischenziel bis 2050 lautet 3’500 Watt und 2 Tonnen CO2. Dies bedeutet gegenüber heute eine Dauerleistungsreduktion um den Faktor 3 und eine CO2-Ausstossreduktion um den Faktor 6.

Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft

Energiegemeinden und -städte der Schweiz nehmen eine Schlüsselrolle in der Energiestrategie 2050 und somit in der Umsetzung der 2’000-Watt-Gesellschaft ein. Diese Gemeinden oder Städte setzen sich für Energieeffizienz, Klimaschutz, erneuerbare Energien und umweltverträgliche Mobilität anhand eines vorgegebenen Massnahmenkatalogs mit Zielwerten ein. Vom Verein European Energy Award, der Dachorganisation aller nationalen und regionalen European-Energy-Award-Programm-Trägerschaften in Europa, welchem zurzeit 11 Länder angehören, werden die Bemühungen der Energiestädte honoriert. In der Schweiz gibt es 449 mit dem European Energy Award Energiestadt ausgezeichnete Gemeinden und Städte, wovon 55 mit dem Label Energiestadt Gold, der höchsten Auszeichnung für Energiestädte (Stand März 2020) versehen worden sind. Zusätzlich wird mit aktuell 24 Energie-Regionen und 207 involvierten Gemeinden die interkommunale Zusammenarbeit zur Erreichung der energiepolitischen Ziele gestärkt (Energie Schweiz, 2019).

Der Gebäudesektor in der Schweiz ist für über 40% des Energieverbrauchs verantwortlich. Wohngebäude alleine verursachen jedes Jahr 11,2 Millionen Tonnen CO2 (The World News, 2020). Auf Ebene Gesetz sind mit den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) der Energiedirektorenkonferenz EnDK die Voraussetzungen zur Harmonisierung der kantonalen Energiegesetze geschaffen.

Im Hochbau werden mit den Schweizer-Labels wie GEAK (Gebäudeenergienachweis der Kantone), MINERGIE, SNBS (Standard nachhaltiges Bauen Schweiz) und 2000-Watt-Areal sowie mit dem Merkblatt 2040 SIA-Effizienzpfad Energie die Anforderungen im Hinblick auf die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft im Hochbau definiert.

Statistiken bestätigen den positiven Trend

Der Druck, sich im Hochbau nicht auf das Minimum der kantonalen Energiegesetze zu beschränken, wächst. Dies nicht zuletzt auch als Folge der Forderung der Schweizer Bevölkerung nach mehr Nachhaltigkeit, was auf kommunaler Ebene mit der Zunahme der Energiestädte von 449 im Jahr 2020 gegenüber 385 im Jahr 2015 deutlich ersichtlich ist und zu deren Imagegewinn beiträgt.

Die Statistiken der 2000-Watt-Areale und Plusenergie-Quartiere bestätigen diesen positiven Trend. Insbesondere beschränken sich diese Areale nicht nur auf energieeffiziente Gebäude, sondern berücksichtigen die Aspekte Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt umfassend.

Tabelle 1: Statistik 2000-Watt Areale (www.2000watt.swiss)

Ende 2020 sind insgesamt 39 Areale zertifiziert. Davon befinden sich 26 in der Entwicklung zu 2000-Watt- Arealen, 8 Areale sind bereits vollumfänglich in Betrieb und 5 Areale befinden sich im Übergang zur Betriebsphase (2000-Watt-Areal, ohne Datum).

Zusätzlich zu den bereits in Betrieb oder in Entwicklung stehenden 2000-Watt-Arealen hat sich der Kanton Bern zur Förderung von Plusenergie-Quartieren verpflichtet. Diese Quartiere produzieren über das Jahr hinweg mehr Energie, als sie verbrauchen. Aktuell sind 4 Plusenergie-Quartiere in Entwicklung (Plusenergie-Quartier, ohne Datum)

Tabelle 2: Statistik Plusenergie-Quartiere (www.plusenergiequartier.ch)

Insgesamt mögen diese zwei Statistiken in der Gesamtbilanz der Tätigkeiten im Hochbau als mager erscheinen. Sie zeigen jedoch einen klaren Trend in der nachhaltigen Stadtentwicklung auf.

Mit dem MINERGIE-Label, das seit 1998 existiert, wird die Energieeffizienz von Gebäuden gefördert. Die Anzahl an zertifizierten MINERGIE-Gebäuden (Minergie, ohne Datum) nimmt im Vergleich mit den insgesamt gemäss Bundesamt für Statistik BFS (Bundesamt für Statistik, 2019) erstellten Neubauten von Mehrfamilienhäusern stetig zu.

Tabelle 3: Statistik MINERGIE Mehrfamilienhäuser Neubau (Minergie Gebäudeliste)

Dieser Neubauanteil an MINERGIE-Mehrfamilienhäuser, die einen höheren Energiestandard als das Minimum der kantonalen Energiegesetzte aufweisen, ist innerhalb von 15 Jahren von 5.5% auf 58.8% im 2015 gestiegen. Rechnet man die Jahre ab 2016 bis 2020 linear hoch, so ergäbe sich im Vergleich mit der BFS Statistik ein prozentualer Anteil an MINERGIE Mehrfamilienhäuser von 58.8%. Somit wäre keine Steigerung mehr zu verzeichnen, was sich wahrscheinlich mit der Verschärfung der kantonalen Energiegesetze in den letzten Jahren erklären lässt. Mehrfamilienhäuser werden aber auch nach dem höheren Energiestandard MINERGIE saniert.

Tabelle 4: Statistik MINERGIE Mehrfamilienhäuser Modernisierung (Minergie Gebäudeliste)

Auch hier ist eine stetige Zunahme im Vergleich zur Periode 2001/2005 bis 2015 zu verzeichnen. Rechnet man die Jahre ab 2016 bis 2020 linear hoch, so ergäbe sich in dieser Periode eine Steigerung, was den positiven Trend bestätigen würde.

Zusammenspiel von Investition, Mietzins und Nebenkosten im nachhaltigen Wohnungsbau

Die Investitionskosten in energieeffiziente Gebäude sind anhand von Fachexperten um rund 10% höher. Genaue Zahlen werden aus Konkurrenzgründen nicht kommuniziert. Anhand eines Interviews mit Fahrländer Partner AG (FPRE) sind nach ihren Statistiken die Nettomietzinse trotz dieser höheren Investitionen im Durchschnitt nur um 1% bis 1.5% gestiegen, was mit tieferen Betriebs- und Nebenkosten kompensiert wird und den Bruttomietzins wieder ausgleicht oder gar reduziert.

Wie sich dieses Zusammenspiel von Investition, Mietzins und Nebenkosten auswirkt, zeigt dieses Beispiel einer im 2020 erstellten energieautarken Wohnüberbauung für 16 Familien in Männedorf mit Solarfassaden und Solardach deutlich. Diese Photovoltaikanlagen erzeugen genügend elektrische Energie, um den gesamten Energiebedarf des Gebäudes und seiner Bewohner während eines ganzen Jahres ohne externe Energiezufuhr abzudecken.

Abbildung 1: CO2-neutrale Wohnüberbauung, Männedorf, 2020 (René Schmid Architekten AG)

Die Nettomietzinse für die 16 Wohnungen mit 3.5 bis 4.5 Zimmer kosten zwischen CHF 2’750 und CHF 3’450 pro Monat. Die Wärme und den Strom erhalten die Mieter gratis und sie können damit 15% der Mietkosten sparen. Dazu tragen auch eine energieeffiziente Dusche mit Wärmetauscher, eine Smart-Home-Steuerung und ein Aufzug mit tiefen Standby-Verbrauch bei (The World News, 2020)

Institutionelle Investoren wie die Pensionskasse BVK investieren nachhaltig

Die BVK misst dem Thema Corporate Responsibility einen grossen Stellenwert bei. Sie versteht nachhaltiges Bauen als treuhänderische Sorgfaltspflicht, als Vorwegnahme von zukünftigen Entwicklungen und als umsichtiges Risiko-Management. Aufgrund der langen Lebensdauer einer Immobilie sind bereits heute bei Neubauten und Sanierungen höhere Standards als gesetzlich vorgeschrieben, anzustreben. Die BVK zielt darauf ab, finanzielle Wertverluste in der Zukunft, die beispielsweise aus Marktveränderungen und nicht oder schlecht vermietbaren Liegenschaften entstehen können, zu vermeiden.  Die BVK erhofft sich zudem eine bessere Marktposition bei vorweg genommener Zielerreichung. Nachhaltige Immobilien sollen natürlich auch eine nachhaltige Rendite abwerfen.

«Die BVK berücksichtigt bei der Nachhaltigkeit die Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Wird dies weitsichtig gemacht, sind nachhaltige Immobilien der einzige Weg für die langfristige Sicherstellung der Rendite.»

Ansgar Adamczyk, Leiter Projektmanagement und Stephanie Monnier, Fachverantwortliche Verantwortungsbewusste Anlagen bei der BVK, 2020

Höhere Mietzinse lassen sich momentan noch nicht oder nur unmerklich erzielen, was sich mit den Erkenntnissen aus den oben erwähnten Statistiken von Fahrländer Partner AG deckt. Es gibt eine Vielzahl von Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen dem Nachhaltigkeitsprofil einer Liegenschaft und dem Mietzins aufzeigen. Wüst Partner zeigt in der «Drei-Gewinner Studie» auf, dass sich Investitionen in die Nachhaltigkeit einer Liegenschaft rechnerisch lohnen, wenn beispielsweise auch erhaltene Fördergelder, Rückspeisevergütungen, Kosteneinsparungen in den Bereichen Nebenkosten (einhergehend mit einer Erhöhung der Nettomieten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben) mit kalkuliert werden (Wüest Partner, 2020).

«Nachhaltigkeitslabels helfen bei der Aussenwahrnehmung und dem Benchmarking.»

Ansgar Adamczyk, Leiter Projektmanagement und Stephanie Monnier, Fachverantwortliche Verantwortungsbewusste Anlagen bei der BVK, 2020

Auf dem Büromarkt fordern Firmen bereits heute mit ihren Corporate Compliance grüne Mietflächen. Wir gehen davon aus, dass diese Nachfrage weiter zunehmen wird. Die BVK arbeitet zusätzlich mit Tools, um das CO2-Absenkziel und den CO2-Fussabdruck zu messen und systematisch weiterzuentwickeln. Weiter ist das Immobilien-Nachhaltigkeitsrating ESI fester Bestandteil des periodischen Reportings.

Kein Weg führt in Zukunft am nachhaltigen Bauen vorbei

Wenn heute nicht nachhaltig gebaut wird, werden wir in Zukunft mit einer verschärften Gesetzgebung voraussichtlich dazu gezwungen werden. Nachhaltiger Wohnungsbau umfasst nicht nur Energieeffizienz, sondern umfassende gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Bereiche. Nur so können nachhaltige Renditen erzielt, Wertverluste infolge ungeplanter Modernisierungen und Leerstände vermieden werden. Die richtige Positionierung im Hinblick auf die zukünftigen Herausforderungen hat für Investoren und Bauherren bereits begonnen.

Dieser Beitrag ist während eines Projektes der Studierenden des MAS Immobilienmanagement entstanden.

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Quellenverzeichnis

Bundesamt für Statistik (2019). Gebäude nach Gebäudekategorie, Kantonen und Bauperiode. Abgerufen am 15.10.2020 von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/gebaeude.assetdetail.9767640.html

Energie Schweiz (2019). Facts & Figures 2019 Energiestädte Schweiz. Abgerufen am 15.10.2020 von https://www.local-energy.swiss/dam/jcr:ea75b6ef-4e4e-4bae-afec-715014d2c6cd/200302_Energiestadt_Facts_Figures_DE_WEB.pdf

Minergie (ohne Datum). Minergie Gebäudeliste. Abgerufen am 15.10.2020 von https://www.minergie.ch/de/gebaeude/gebaeudeliste/

Plusenergie-Quartier (ohne Datum). Plusenergie-Quartiere in Realisierung und Planung. Abgerufen am 15.10.2020 von https://plusenergiequartier.ch/

Raiffeisen. (2016). Veralteter Gebäudepark: Wie hoch ist der Sanierungsbedarf bei Schweizer Immobilien wirklich?Abgerufen am 28.12.2020 von https://www.raiffeisen.ch/casa/de/immobilien-sanieren/sanierungsplanung/sanierungsstau.html

The World News (2020). CO2-neutrale Wohnsiedlung in Männedorf ZH: Hier zahlen Mieter keinen Strom und keine Heizkosten. Abgerufen am 04.10.2020 von https://twnews.ch/ch-news/co2-neutrale-wohnsiedlung-in-mannedorf-zh-hier-zahlen-mieter-keinen-strom-und-keine-heizkosten

Wüest Partner (2020). Energetische Sanierungen. Eigentümer, Mieter und Umwelt als Gewinner. Abgerufen am 15.10.2020 von https://blog.wuestpartner.com/wp-content/uploads/2020/06/Sanierungen_mit_3_Gewinnern_Schlussbericht.pdf

2000-Watt-Areal. (ohne Datum). 2000-Watt-Areale finden. Abgerufen am 15.10.2020 von https://www.2000watt.swiss/2000-watt-areale-finden.html

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