20. September 2021

Studentische Beiträge,

Unternehmen

Büroarbeit der Zukunft: Mit Perspektivenwechsel Grenzen versetzen

Büroarbeit der Zukunft: Mit Perspektivenwechsel Grenzen versetzen<strong></strong>

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Der moderne und heute geforderte Arbeitsplatz ist hybrid, sprich teils in der Firmenzentrale und seit der COVID-19 Pandemie umso mehr auch remote und dezentral. Die Arbeit findet an dem Ort statt, wo es für den Arbeitenden und die Arbeit selbst am sinnvollsten ist – sogenanntes «Activity Based Working» (Shift Collective, 2021). Doch die Gebäude und Räume sowie deren Eigentümer sind noch in alten Produkt- und Angebotsstrukturen gefangen. Wer den Blickwinkel jedoch ändert, erkennt neue Chancen für Mehrwerte oder sogar neue Geschäftsmodelle – für Nutzer, Betreiber und Investoren (Kirmaci, 2021).

Von Beat Furrer und Mario Birrer

Die letzten Jahre waren geprägt vom stark aufkommenden Bedarf nach mehr Flexibilität in Bezug auf Raum und Zeit sowie Kollaboration und Vernetzung. Coworking-Spaces deckten diese Bedürfnisse ab und positionierten sich in verschiedensten Formaten. Sie sind zwischenzeitlich nicht mehr länger Trendsetter und Nischenanbieter. Vielmehr haben sie mit dem Aufkommen der Telearbeit in der letzten Dekade ein rasantes Wachstum hingelegt (Hediger, 2021). Dann kam die COVID-19 Pandemie. Sie hat die Arbeitswelt komplett durchgeschüttelt und tut dies auch aktuell noch. Mit der durch den Bund veranlassten Home-Office-Pflicht merkten Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, dass das Telearbeitsmodell funktioniert – oder mehr noch, sogar Vorteile und Qualitäten für beide Seiten mit sich bringt (Hogarty, 2021). Auch die ICT-Infrastruktur und die virtuellen Kommunikationswerkzeuge haben sich während der COVID-19 Pandemie rasant angepasst. Remote-Work wird sich verstärkt etablieren. So schätzen knapp drei von zehn Unternehmen, dass 70% bis 100% ihrer Belegschaft nach der COVID-19 Pandemie remote arbeiten werden (Capgemini Research Institute, 2020).

Abbildung: Einschätzung zukünftiger Anteil von Remote-Work
 (Capgemini Research Institute, 2020)

Das vergangene Jahr hat ebenfalls gezeigt, dass Werkzeuge, Software und Fähigkeiten vorhanden sind oder auch kurzfristig implementiert werden konnten, um komplett standortunabhängig und dennoch effizient arbeiten zu können (Hogarty, 2021). Verschiedenste Umfragen zeigen jedoch einen klaren Rückgang der anfänglichen Home-Office-Euphorie. Insbesondere die wegfallenden physischen Begegnungen und der ausbleibende soziale Austausch sind Gründe dafür. Zudem nennen Arbeitnehmer vor allem die fehlende Struktur und Arbeitgeber den Verlust von Kreativität und Innovation als Mängel der Heimarbeit (Rief, 2021). Das beste Büroarbeitsplatzmodell ist also auch abhängig vom Mensch- und Arbeitstyp. Fest steht, dass die Hybridität bleiben wird (McKinsey Global Institute, 2021).

Mehrweg nur durch Mehrwert

Es ist aber nicht nur der Arbeitsplatz jedes Einzelnen, der an Hybridität gewinnen wird – auch für die Unternehmen und ihre Firmenstandorte selbst wird sich viel ändern. Seit jeher gehen Unternehmen dahin, wo ihr Markt stattfindet, wo Kapital- und Personalquellen vorhanden sind. Durch die Globalisierung und Digitalisierung wurde die Standortgebundenheit von Unternehmen jedoch innert kurzer Zeit stark aufgebrochen. Die allgemeine Wahrnehmung heutzutage ist, dass alles überall vorhanden ist, entsteht oder stattfindet.

Doch der Mensch bleibt Mensch, ein soziales und neugieriges Wesen, das die physische Nähe seinesgleichen und den Austausch und Wettbewerb mit anderen sucht. Deshalb widerspiegelt sich dieses fundamentale Grundbedürfnis nach wie vor auch in der Arbeitswelt sowie bei Unternehmen und Organisationen – unabhängig von ihrer Grösse (Volini, Hatfield, & Scoble-Williams, 2021).

Der Besuch des Arbeitsorts wird zukünftig stark davon abhängig sein, ob sich der Weg dorthin auch tatsächlich lohnt  (Rief, 2021). Dieser Aspekt wird durch die Möglichkeit der alternativen Telearbeit verstärkt. Daraus kann gefolgert werden, dass Arbeits- und Unternehmensstandorte vor allem aufgrund von standort- und umgebungsbezogenen Mehrwerten, Synergien oder Potentialen für das Business selbst, aber auch für die Mitarbeitenden, ausgewählt werden. Diesbezüglich sind die Arbeitgeber gefordert, für ihre Angestellten und damit ihr Unternehmen die Weichen richtig zu stellen. Aber auch Anbieter von Büroräumlichkeiten sowie Gebäudeeigentümer und -betreiber werden dadurch mit Veränderungen konfrontiert (Könnecke, 2021).

Um diesem Wandel gerecht zu werden, bauen sich Unternehmen eigene Ökosysteme mit dem Ziel, sich durch Vernetzung und Kollaboration Wettbewerbsvorteile zu verschaffen (NZZ Content Solutions, 2019). Viele der Coworking-Anbieter verfolgen diese Aspekte bereits seit Jahren und decken die Bedürfnisse nach Flexibilität bzw. Hybridität sowie sozialem und geschäftlichem Austausch ab. Dabei schaffen sie gleichzeitig eine Welt, in der sich Mensch und Arbeit mit ihren Grundbedürfnissen wohl und geborgen fühlen, aber ergänzend auch ein wirtschaftlicher Nutzen resultiert (Spreitzer, Bacevice, & Lyndon, 2015).

Grenzen der heutigen Ökosysteme

Die Anbieter von flexiblen Arbeitsplätzen haben bereits ein Stück des Büromarktkuchens für sich gewinnen können. Wie in so vielen Branchen und Produkten wird es wohl auch bei den Coworking-Anbietern in der Phase der Marktsättigung zu einer Bereinigung kommen. Davon ist auch Coworking-Berater Daniel Hediger überzeugt: «50% der Coworking-Spaces sind nicht profitabel» (Hediger, 2021). Dennoch gibt es einige grosse überaus professionelle Coworking-Betreiber wie etwa die Marktpionierin IWG International Workspace Group mit etablierten Produkten (u.a. Regus und Spaces), die enormen Wachstumshunger haben (Gürtler, 2021).

Mit der Vernetzung, dem wertvollen Austausch, der Community-Zugehörigkeit sowie dem Schaffen von Synergien in Ökosystemen heterogener Gruppen haben Coworking-Spaces ein in sich funktionierendes Geschäftsmodell geschaffen. Garry Gürtler, Country Manager Schweiz bei IWG, verrät im Gespräch: «Wir erhalten viele Anfragen von Projektentwicklern und Gebäudeeigentümern, welche auf einer Teilfläche ihrer Gebäude einen sogenannten Flex-Space realisieren wollen» (Gürtler, 2021). Das Konzept des Geschäftsmodells: Kleine Mieter können wachsen und sich hoffentlich unter dem gleichen Dach festigen, grosse Fix-Mieter können flexibel Räume hinzumieten, Meetingräume nach Bedarf buchen oder ganze Teams auslagern. Dazu wird durch ein hauseigenes Fitnesscenter, Verpflegungsmöglichkeiten, Business-Appartements, Wäsche-Service und vieles anderes zusätzlicher Anreiz geschaffen. Ein in sich geschlossenes Ökosystem also, welches den Campus-Ansatz der grossen Corporates aufnimmt, die wiederum versuchen, ihre Mitarbeitenden mit attraktiven Arbeitsplätzen zu binden oder zu gewinnen.

Räumlich sind den Flex-Spaces jedoch vielfach Grenzen gesetzt, weil sie meistens nur eine Teilfläche eines Gebäudes einnehmen – vom EG in den 1. Stock oder vom Treppenhaus A zum Treppenhaus B. Synergien mit den übrigen Mietern im Gebäude werden zudem selten ausgeschöpft. Diese freuen sich zwar über die Belebung im Hause durch den Flex-Space und nutzen gelegentlich auch die öffentliche Kaffeebar oder buchen sporadisch Meeting- und Teamräume. Letztendlich bleiben sie aber wohlig in ihrem eigenen «Business-Garten», während sich der Flex-Space ebenfalls auf sein eigenes Geschäftsmodell konzentriert (Kirmaci, 2021).

Perspektivenwechsel – vom Gebäude zum Produkt

Die heutigen Geschäftsgebäude und -räume sind dafür konzipiert, einem beliebigen Interessenten eine möglichst flexible Einteilung seiner Mietfläche anzubieten. Die Vermieter bieten zudem verschiedenste Anreize u.a. in Form von Ausbaufinanzierungen und mietzinsfreier Zeit mit dem Ziel, den Mieter möglichst lange mit einer festen Vertragsdauer zu binden. Diese Haltung widerspiegelt sich meistens auch bei der Einmietung von Coworking-Betreibern. Zwar werden Revenue-Share-Modelle vereinbart, letztendlich möchten die Eigentümer ihre Räume aber mit möglichst stetigen und sicheren Einnahmen vermietet wissen, um die Performance entsprechend zu halten.

Genauso vielfältig wie die Nachfrager nach Arbeitsräumen sind, werden auch die Anbieter heterogen bleiben. Weiterhin wird es einen bunten Mix brauchen – flexible und starre Angebote, kurze und lange Mietdauern, für Gross und Klein. Doch die Luft wird in Zeiten der hybriden Arbeitswelt dünner. Mit tendenziell schrumpfenden stationären Arbeitsplätzen, kürzeren Vertragslaufzeiten und infolge des Baubooms zunehmendem Verdrängungskampf steuern die Investoren unsicheren Zeiten entgegen. Die Eigentümer der Bürogebäude sehen den stattfindenden Paradigmenwechsel, sind aber nicht mutig genug oder zu bequem, um darauf zu reagieren (Oberndorfer, 2017).

Es gibt jedoch Ansätze, welche die heutigen Grenzen aufbrechen. Dazu ist ein Umdenken auf Seiten der Investoren erforderlich. Es reicht nicht mehr, im heutigen kompetitiven Marktumfeld schöne Gebäude und flexible Räume und Flächen anzubieten. Das machen alle. Gebäude sind ganzheitlich als ein Produkt zu konzipieren und zu vermarkten (Kirmaci, 2021).

Innovationsökosysteme

Oezkan Kirmaci, Gründer von weXelerate, hat diese Grenzen gesprengt. Menschen und Firmen werden seit jeher von Kräften angezogen. Wo Neues entsteht und wo Leben ist, da ist auch Anziehungskraft. Wo beide Welten zusammentreffen, nicht nur remote, sondern physisch unter einem Dach, da entstehen Mehrwerte und dort befindet sich auch der Ursprung für den Arbeitsplatz von morgen (Kirmaci, 2021). Die Corporates wollen ausbrechen aus ihren Konzern-Korsetts und sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Sie suchen nach Innovationen sowie nach neuen Ideen und setzen dabei auf agile und quirlige Startups. Letztere suchen umgekehrt ebenfalls die Nähe zu den Corporates, um ihre Ideen und Produkte vorzustellen, Kapital zu gewinnen oder ihr Geschäft irgendwann sogar zu verkaufen. Wer beide Welten zusammenbringt, schafft eine immense Anziehungskraft, von welcher alle Stakeholder profitieren  (Oberndorfer, 2017).

Arbeitsplatz und Business Impact unter einem Dach

Investoren müssen sich lösen von Flächenangeboten, Ausbaufinanzierungen und Vermarktungen auf breiter Front. Hingegen sollten sie den Geldtopf, den sie für Mieterausbaufinanzierungen und mietzinsfreie Zeiten ausgeben, in das Marketing und den Markenaufbau sowie in die Anziehung von Branchen-Clustern stecken (Hosemann & Schlomberg, 2019). Das Geschäftsmodell hinter dem Ansatz erklärt sich folgendermassen: Gewähre einerseits den Startups anfängliche Gratisarbeitsplätze und stelle ihnen eine gewisse Infrastruktur aus Mobiliar und Kollaborationsräumen zur Verfügung – anstelle von üblichen Mietincentives. Gewinne anderseits Corporates, Consulting- und Marketingunternehmen, die sich für eine gewisse Zeit im Sinne eines Sponsorings am Projekt beteiligen – anstelle eines konventionellen Mietzinses und als Gegenleistung für die Vermittlung der Startups. Schaffe so ein ganzheitliches Ökosystem, einen Hot-Spot, welcher sich im Laufe der Zeit gegenseitig befruchtet und zum Innovations-Hub eines bestimmten Clusters oder einer ganzen Branche wird. Von der Strahlkraft und der Anziehung eines solchen Hot-Spot profitieren letztendlich alle Stakeholder – insbesondere durch Business Impact für die Mieter (Startups und Corporates), immenses Umsatzpotential für die Betreiber und Wertsteigerung der Immobilie für die Eigentümer (Kirmaci, 2021).

Nachbarn machen es vor

Abbildung: weXelerate Innovation Hub Vienna
 (Bieniek, 2018)

Mitten in Wien wollte ein Investor ein verlassenes Shoppingcenter verkaufen. Um einen besseren Verkaufspreis zu erzielen, sollten vorgängig ein paar Mietverträge abgeschlossen werden. Unter dieser Prämisse hatte Oezkan Kirmaci einen Vermarktungsauftrag angenommen (Kirmaci, 2021). Heute pulsiert in der gleichen Gebäudehülle ein erfolgreicher «Corporate Innovation Hub» – das Gebäude selbst hat zwischenzeitlich den doppelten Marktwert und wurde nicht verkauft. Als Weiterentwicklung des anfänglichen «Startup-Hubs» bietet weXelerate als Betreiber heute passgenaue Services für Corporates durch Vermittlung von Startups an (Steinschaden, 2020).

Die «Station F» in Paris ist Europas grösster Startup-Hub. Die Hallen eines einstigen Güterbahnhofs sind heute die Heimat von rund tausend Startups – aber auch von sehr vielen Innovationsabteilungen und Corporates. Es ist von einem «No-Brainer» die Rede. Lange Wartelisten für einen Einzug in den Hub und hohe Preise, die dafür bezahlt werden. Erklärbar ist dies einzig mit der unglaublichen Entwicklung schlichtweg zum «Place to Be» (Steinschaden, 2019).

Die beiden Beispiele haben eines gemeinsam: Der Weg dorthin lohnt sich immer und für alle! Insofern können solche Innovations-Hubs erfolgsversprechend für die Stakeholder und wegweisend für die Büroarbeit der Zukunft sein.

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