22. November 2021
Verdichtetes urbanes Wachstum, Umsetzung erneuerbarer Energieträger im Bestand, zukünftige Klimaresilienz von Arealen und Quartieren und schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen durch die Kreislaufwirtschaft sind die vier grossen Herausforderungen der nachhaltigen Schweizer Immobilienwirtschaft. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die wirtschaftliche Prosperität zentral. Die vergangenen 20 Jahre waren geprägt von wirtschaftlichem Wachstum in einem investitionsfreundlichen Umfeld. Die anstehenden Herkulesaufgaben werden sich ebenfalls nur in einem volkswirtschaftlich gesunden Umfeld mit starken Investitionsanreizen bewältigen lassen. Vier grossen Herausforderungen setzt der der Schweizer Immobilien- und Investitionsmarkt vier strukturelle Stärken entgegen.
Von Christian Kraft, HSLU
Erstens zeigt die Analyse der vergangenen Markttreiber, dass die wesentlichen Marktimpulse aus Veränderungen der wichtigen Einflussfaktoren resultieren, nicht aus deren Niveau. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die dauerhaft tiefen Zinsen kritisch einzustufen. Fehlende Wirtschaftsleistung kann kaum mit günstigeren Finanzierungskonditionen kompensiert wer-den. Die Varianz einer der wichtigsten Variablen, der Zinsen, ist damit stark eingeschränkt. Abwärtsrisiken sind in diesem Bereich zweifelsfrei höher als Chancen.
Zweitens besteht ein Risiko in einer aussergewöhnlich langen Reaktionszeit des Angebotes, quantitativ und qualitativ. Quantitativ droht besonders durch die hohe Nachfrage nach Wohnimmobilien als Kapitalanlage ein Überschiessen des Angebotes, das weit über normale Reaktionsschwankungen hinaus geht. Spätestens seit der Salonfähigkeit von Negativzinsen haben sich Wohnimmobilen in der Form von Betongold als sehr interessante Alternative zu Staatsanleihen und anderen Anlageformen mit tiefen Risiken entwickelt. Diese Anlageinteressen blockieren zu einem gewissen Grad eine schnelle und stabilisierende Reaktion von Planung und Produktion auf eine geringere Nachfrage. Die weltweit expansive Geldpolitik zur kurzfristigen Stabilisierung von Volkswirtschaften und Staatshaushalten baut damit langfristig hohe Risiken im Bau- und Immobilienmarkt auf.
Drittens wird das quantitative Überschiessen durch disruptive qualitative Nachfrageveränderungen verschärft. So stellt die momentane Covid19-Pandemie viele gängige Markt- und Produktmeinungen in Frage. Dazu gehören grosse räumliche Fragen der städtischen Verdichtung versus ländliche Dezentralisierung genauso wie objekt- und woh-nungsspezifische Ausgestaltungen von Grössen, Grundrissen, Aussenräumen und letztlich Preisen. Eine Entkopplung der faktischen Nachfragebedürfnisse von übergeordneten Anlagezielen stellt auch hier eine Bedrohung für einen ausgeglichenen und nutzerorientierten Wohnimmobilienmarkt dar.
Viertens fördern 20 Jahre Wachstum und Stabilität eine Marktpsychologie, die Robert Shiller (2008) als «infectious exuberance» oder «ansteckenden Überschwang» bezeichnet. Durch die gegenseitige positive Bestätigung individueller positiver Markteinschätzungen entsteht eine kollektive Marktpsychologie, die steigende Preise als normal einstuft. Mit jedem weiteren Jahr Wachstum schwindet zudem die Anzahl aktiver Marktteilnehmer, die kritische Meinungen mit eigenen Erfahrungen aus Immobilien-, Finanz- und Wirtschaftskrisen untermauern und einbringen. Das Ergebnis ist die systematische Unterschätzung immobilien- und marktspezifischer Risiken, tiefe Risikozuschläge und eine starke Verbreitung von Immobilieninvestitionen bei Privathaushalten und unerfahrenen Kleininvestoren. In der Praxis äussert sich dies zum Beispiel in dem hohen Anteil kleiner Eigentumswohnungen, die mit dem Ziel der Einzelvermietung gekauft werden. Bei neuen städtischen Immobilienprojekten, die vordergründig selbstgenutztes Wohneigentum anbieten, sind Vermietungsquoten von 20% bis 40% keine Seltenheit. Dies in einem Markt, der momentan hinsichtlich der Nachfrage nach mittleren bis grösseren Eigentumswohnungen im urbanen Raum unterversorgt ist.
Erstens diversifizieren die vielfältigen Akteure die oben beschriebene Risiken stark. Gemäss BfS (2020) halten Privateigentümer 47% des gesamten Mietwohnungsbestandes im privaten Vermögen. Professionelle Aktiengesellschaften und institutionelle Investoren sind mit 34% aller Mietwohnungen ebenfalls stark vertreten. Sie sind mit 46% aller nach 2000 erstellten Mietwohnungen besonders im Neubau aktiv, während städtischer Altbestand, der vor 1949 erstellt wurde, zu 65% im Eigentum von Privatvermögen liegt. 12% der Mietwohnungen werden von gemeinnützigen (Wohnbaugenossenschaften) und sozialen (Städte und Gemeinden) Institutionen angeboten. Auch das selbstgenutzte Wohneigentum, dessen Marktanteil im internationalen Vergleich mit 40% gering ausfällt, ist breit über alle gesellschaftlichen Schichten gestreut und trotz hoher Preise solide finanziert.
Zweitens ist der Markt vergleichsweise klein und vernetzt. Akteure sind im Austausch und physisch nahe, was ein effizientes und direktes Asset Management ermöglicht. Chancen und Risiken werden schnell augenscheinlich und können gesteuert werden.
Drittens ist der Markt für Wohnimmobilien auf Basis der Lex Koller vor zusätzlichem ausländischem Kapital mit stark spekulativen Intentionen weitestgehend geschützt. Das Risiko von Übertreibungen durch hohen Anlagedruck wird dadurch etwas entschärft. In ungeschützten Bereichen stehen für ausländische Anbieter die hohen Markteintrittskosten zudem häufig in ungünstiger Relation zum geringen Marktvolumen.
Viertens kann das wirtschaftliche Umfeld im europäischen Vergleich als investitionsfreundlich eingestuft werden. Trotz einzelner Aspekte, zum Beispiel im Bereich des Mietrechts, erscheinen grossmassstäbliche regulatorische Forderungen und Eingriffe, die Enteignungen gleichkommen und starke lokale Ungleichgewichte fördern, gesellschaftlich nicht tragbar.
Die Stärken sorgen für hohe Resilienz mit Schutz vor einzelnen Fehlentwicklungen. Kombinatorische Effekte können dennoch gefährlich werden – mit hohem Verlustpotenzial nach 20 Jahren Wachstum.
Diese Stärken sorgen für eine hohe Resilienz. Einzelne Fehlentwicklungen und fehlerhafte Einschätzung einzelner Akteure bedrohen nicht die Gesamtstabilität. Entscheidend ist die Ausrichtung an der Flächennachfrage und das Einpreisen von Markt- und Zinsrisiken. Unter diesen Bedingungen hat der Schweizer Wohnimmobilienmarkt das Potenzial, auch in schwächeren Zeiten stabil zu bleiben. Anfällig wird der Markt jedoch dann, wenn Investoren und private Anleger mit hohem Anlagedruck die Flächennachfrage derart aus dem Auge verlieren, dass wenig marktgerechte Wohnungen entstehen, deren Leerstandsrisiko unterschätzt und deren Mietzinspotenzial dauerhaft überschätzt wird. Unter diesen Bedingungen könnten weitere konjunkturelle oder geldpolitische Schocks selbst die stabilen Schweizer Wohnimmobiliensegmente zu Fall bringen und eine weitere nachhaltige Entwicklung gefährden.
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