16. März 2022

Studentische Beiträge,

Unternehmen

Nachhaltige Quartiere im Kampf gegen den Strommangel

Nachhaltige Quartiere im Kampf gegen den Strommangel
Visualisierung Projekt Baufeld F, Niederwangen bei Köniz (Mobimo Management, online) Bildrechte gegeben durch RendeRisch Architekturvisualisierungen

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Im Jahr 2021 hat der Bundesrat entschieden, die Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen zu beenden. Das Stromabkommen kommt dadurch nicht zustande. Ohne Stromabkommen ist ein bedarfsgerechter Import nicht mehr möglich, was die Netzstabilität in der Schweiz gefährdet. Die Schweiz muss nun den Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion im Inland vorantreiben, damit insbesondere in den Wintermonaten keine Engpässe entstehen. Plusenergiequartiere mit der Unterstützung eines Energie-Contractings könnten eine mögliche Lösung darstellen, wie es das nachhaltige Leuchturmprojekt in Köniz zeigt.

Ein Artikel von Moritz Angelsberger und Andrina Jacomet

Schweiz schwimmt gegen den Strom

Im Jahr 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen abgebrochen. Der Vertrag, welcher den Zugang zum europäischen Strommarkt sichert und den grenzüberschreitenden Strommangel regelt, wurde nicht unterzeichnet. Ohne Stromabkommen ist ein bedarfsgerechter Import und somit die Netzstabilität in der Schweiz gefährdet. So untermauert Yves Zumwald, Chef von Swissgrid: „Unsere Netzelemente sind häufig überlastet und wir müssen immer mehr in den Systembetrieb eingreifen, um das Netz stabil zu halten” (SRF, 2021, Abs. 4). Die Folgen sind verheerend und greifen von inländischen Vermögensverlusten bis hin zur Beeinträchtigung der Landesversorgung. Um diesen negativen Auswirkungen des fehlenden Strom-Rahmenabkommens entgegenzuwirken, steht die Schweizer Netzgesellschaft Swissgrid mit europäischen Übertragungsnetzbetreibern in Verhandlung und prüft alternative Lösungsansätze. Solche Kontrakte ersetzen jedoch kein Stromabkommen, was erklärtes Ziel des Bundesrates ist (BfE, 2021; Stalder, 2019; UVEK, online).

Abbildung 1: Stromproduktion und Stromverbrauch in der Schweiz (Gewerbeunion, online)
Bildrechte gegeben durch Nuklearforum Schweiz

Die Abbildung 1 illustriert die Stromproduktion und den Stromverbrauch der Schweiz über drei Jahre. Die violette Linie zeigt den Stromverbrauch (inkl. Speicherpumpen) und die Säulen zeigen die produzierten Milliarden Kilowattstunden pro Monat. Vor allem in den Wintermonaten bezieht die Schweiz einen beachtlichen Teil der Elektrizität aus dem Ausland. Eine Risikoanalyse des Bundes zeigt, dass die Schweiz in Zukunft viel mehr Strom benötigen wird. Gleichzeitig wird mit den noch bestehenden vier Kernkraftwerken bis im Jahr 2030 ein wichtiger Energieproduzent wegfallen. Dies hat zur Folge, dass die Schweiz nach dem Jahr 2030 auf mehr Stromimporte angewiesen sein wird (Fluri, 2021; Gewerbeunion, online).

Energietrategie 2050 setzt Immobilieneigentümer unter Strom

Die Energiestrategie 2050 sieht vor, die Energieeffizienz zu steigern, die erneuerbaren Energien auszubauen, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen und das Stromnetz umzubauen bzw. zu erneuern. Konkret: Bis ins Jahr 2035 soll im Vergleich zum Jahr 2018 rund dreimal so viel erneuerbare Energie (ohne Wasserkraft) produziert werden. In den Bereichen Gebäude, Mobilität, Industrie und Geräte besteht noch ein grosser Aufholbedarf, die Energieeffizienz zu steigern. Und: Der Bau neuer oder der Ersatz bestehender Kernkraftwerke ist verboten (Köppel, 2018; UVEK, online).

Die Eigentümer von Immobilien sind nun auf mehreren Ebenen gefordert, denn die Gebäude in der Schweiz verbrauchen 45% der Primärenergie und sind für 24% der CO2-Emissionen verantwortlich. Entsprechend müssen sich die Eigentümer vermehrt Richtung nachhaltiger Bauweise und Sanierung bewegen. Kantone haben beispielsweise im Energiebereich Mustervorschriften (MuKEn) erlassen, dass Elektroheizungen innert 15 Jahren ungeachtet des Zustandes zu ersetzen sind (HEV Schweiz, online; Properti, 2022; Schweizerische Energie-Stiftung, online; Swissinfo, 2019).

Das «Plus» verhilft zur Schliessung der Stromlücke

Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Umbau des Stromnetzes kann nicht von heute auf morgen erfolgen. Bis der wachsende Bedarf gedeckt ist, droht der Schweiz eine Stromlücke. Die Schweizer Stromproduktion muss durch erneuerbare Energien zeitnah weiterentwickelt werden. An dieser Stelle setzen Plusenergiequartiere (nachfolgend PEQ) an. „Um die Energiestrategie 2050 umzusetzen, gibt es nicht die Lösung, sondern viele Puzzlesteine, die einen positiven Beitrag leisten! PEQ sind ein Lösungsansatz.” (Gerber, 2021, S. 3). PEQ sind, wie es bereits der Begriff verdeutlicht, Quartiere, welche pro Jahr mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Wie in der Abbildung 2 illustriert, wird die gesamte Energieproduktion aus Photovoltaik, Solarthermie etc. dargestellt. Davon abgezogen wird der gesamte Energiebedarf für Strom, Warmwasser und Raumklima. Die Differenz ergibt das sogenannte «Plus» bzw. der Produktionsüberschuss auf dem Areal. Dieser überschüssige Strom kann in das öffentliche Netz zurückgespeist und anderweitig verwendet werden (geo7 AG, online; Hauptstadtregion Schweiz, 2018; SRF, 2022; SRF, 2019; VSE, online). Auf die Frage, ob PEQ ein möglicher Lösungsansatz zur Schliessung der Schweizer Stromlücke ist, antwortet Markus Widmer (Interview, 02. Februar 2022), Teamleiter Energiekonzepte bei EK Energiekonzepte AG wie folgt: „Grundsätzlich ja. Jede zusätzliche Produktion trägt dazu bei. Durch eine systemdienliche Bewirtschaftung der vorhandenen und künftig noch möglichen Saisonspeicher sind auch die Überschüsse der PV-Anlage im Sommer verwertbar”.

Abbildung 2: Berechnung eines PEQ (Hauptstadtregion Schweiz, online)
Bildrechte gegeben durch Hauptstadtregion Schweiz

Nicht nur nachhaltig, sondern auch profitabel

Durch die Umsetzung eines PEQ wird nicht nur ein Beitrag zur Schweizer Energieautarkie geleistet, auch Vermieter und Mieter profitieren von tieferen Betriebs- und Nutzungskosten (geo7 AG, online; Gerber, 2021; Hauptstadtregion Schweiz, 2018; Mobimo Management, 2021). Dieser Auffassung ist auch Clemens Högger (Interview, 04. Februar 2022), Leiter Marktbearbeitung bei Energie 360° AG: „[…] der benötigte Strom [kann] auch gleich selbst produziert werden und dies erst noch profitabel […]. Was also gut ist für den Geldbeutel, hilft auch gegen die Stromlücke, eine echte Win-Win Situation”.

Contracting macht Energieeffizienz zum Geschäftsmodell

Schon vor über 200 Jahren lieferte der schottische Erfinder «James Watt» (1736 – 1819) die Grundidee für das Contracting. Von der Energie- und Kosteneffizienz seiner revolutionären Dampfmaschine überzeugt, überliess James Watt seine Erfindung inklusive Kundendienst kostenlos seinen Kunden. Er garantierte, dass die Kohle für die Dampfmaschine kostengünstiger sei als das Pferdefutter, welches die Kunden ohne die Maschine hätten kaufen müssen. Im Gegenzug verlangte er lediglich einen Drittel der Einsparungen (BFE, 2016; Gergey, 2005; NWG Power, online).

Unter Energie-Contracting (Kurzform: Contracting) wird das Outsourcing der Planung, Finanzierung, Erstellung oder Betrieb einer Energieversorgungsanlage durch einen Dritten, dem sogenannten Contractor verstanden. Üblicherweise sind Contractoren hochspezialisierte Energieunternehmen, welche über die notwendigen Fachkompetenzen verfügen. Dabei möchten Contractoren eine möglichst effiziente Energieversorgungsanlage betreiben mit dem Ziel, die Energieeffizienzen zu steigern und die Energiekosten zu senken. Der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (2019) hält diesbezüglich fest: „Contracting macht Energieeffizienz zum Geschäftsmodell. So können vorhandene Energieeffizienzpotenziale ausgeschöpft werden” (S. 3). Gegenwärtig liefert das Contracting einen wichtigen Beitrag in der Schweizer Klimapolitik, da es die Energieeffizienz der Immobilien und Energieanlagen steigert sowie den Energieverbrauch bzw. die Energiekosten und den CO2-Ausstoss senkt. Contracting eignet sich grundsätzlich für alle, welche Energie konsumieren. So können Contracting-Nehmer beispielsweise Haushalte, Immobiliengesellschaften oder öffentliche Institutionen sein. (BDEW, 2019; Berkel, online; BFE, 2016; Gergey, 2005).

Energiegeladenes Vertragsverhältnis

Abbildung 3: Vertragsverhältnis zwischen Contractor und Contracting-Nehmer (BDEW, 2019)
Bildrechte gegeben durch BDEW

Beim Contracting wird zwischen dem Contractor und Contracting-Nehmer (Bauherrschaft) ein Energieliefervertrag abgeschlossen, wie in Abbildung 3 dargestellt. Darin werden die wichtigsten Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Energiemenge, Schnittstellen, Vertragslaufzeiten oder Kosten geregelt. Für die Dienstleistung des Contractors bezahlt der Bauherr im Gegenzug eine sogenannte Contracting-Rate, welche sich aus dem Grund- und Energiepreis zusammensetzt (BDEW, 2019; ENGIE Services, online; Gergey, 2005).

Ein nachhaltiges Leuchtturmprojekt vor den Toren der Stadt Bern

In Niederwangen bei Köniz entsteht ein nachhaltiges Wohnbauprojekt auf dem Papillon Areal. Auf einer Gesamtfläche von 324’000 m2 werden auf acht Baufeldern über 1’000 Miet- und Eigentumswohnungen für 2’000 Menschen realisiert. Im Papillon Areal wird Nachhaltigkeit grossgeschrieben. So werden die Prinzipien des nachhaltigen Bauens eingehalten und es dürfen keine fossilen Brennstoffe verwendet werden (Baumann, 2021; Gemeinde Köniz, 2014; Papillon Köniz, online).

Diesem Anspruch an die Nachhaltigkeit zeigt eines der Baufelder nachdrücklich: Die Mobimo AG als Gesamtprojektentwicklerin und Investorin realisiert zusammen mit der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft Logis Suisse AG und der Lycaena AG bis 2025 ein sozial durchmischtes Wohnbauprojekt mit 240 Wohnungen auf einer Grundstücksfläche von ca. 26’750 m2. Einen Beitrag zur Nachhaltigkeit liefert die Investorengruppe unter anderem mit der Zertifizierung eines 2000-Watt-Areals, Holzfassade, Elektromobilität und Wärmeerzeugung durch Erdsonden. Damit aber noch nicht genug: Für die Stromerzeugung auf dem Areal setzt die Investorengruppe auf eine extensive Photovoltaikanlage auf den Dächern und schafft somit die Voraussetzung für ein PEQ. Die Bauherren möchten mit dem PEQ ein nachhaltiges Zeichen setzen, damit ein Beitrag zur Energiestrategie 2050 geleistet werden kann. Aufgrund der Projekt- und Nachhaltigkeitskomplexität haben die Investoren bewusst auf eine strategische Partnerschaft mit einem Contractor gesetzt. So unterstützt der Contractor die Investoren in der Planungs- und Realisierungsphase und übernimmt den Betrieb für die fertiggestellten Energieanlagen. Die Investoren erhoffen sich durch das Contracting die Energieeffizienz optimal ausschöpfen zu können (Baumann, 2021; Mobimo Management, 2021; Papillon Köniz, online). Marianne Dutli Derron (Interview, 04. Februar 2022) Investorenvertreterin bei Logis Suisse AG, sieht folgenden Vorteil im Contracting-Modell: „Wir suchen für unsere Projekte integrale Energielösungen. Dafür ist ein grosses Knowhow in der Planung aber auch im Betrieb erforderlich, welches im Moment vor allem Contractor-Anbieter haben”. Ebenfalls ist sie davon überzeugt, dass ein Energie-Contracting positiv zur Energiestrategie 2050 beitragen kann.

PEQ und Energie-Contracting auf einer Wellenlänge Richtung Zukunft

Die Schweizer Strommangelkrise wirft in der Politik kritische Fragen auf und setzt die Bevölkerung sowie Unternehmen unter Zugzwang. Dabei ist klar „am teuersten ist jedenfalls, jetzt nichts zu tun und sehenden Auges auf eine Mangellage zuzugehen” (Stalder, 2019, Abs. 24). In einer Sache sind sich die Energiepolitiker des Ständerats jedoch einig, nämlich, dass die Photovoltaikanlagen eine wichtige Rolle in der Schweizer Stromversorgung einnehmen werden. So trifft es sich gut, dass die Hauptstadtregion Schweiz das Konzept PEQ ins Leben gerufen hat, denn solche Quartiere weisen den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Dank dem autonomen Charakter sind PEQ weniger auf Stromimporte angewiesen, können gleichzeitig durch den Beizug eines Energie-Contractors die Energieeffizienz verbessern und den Energieverbrauch optimieren (BDEW, 2019; Forster, 2022; Gerber, 2021; Gergey, 2005; Hauptstadtregion Schweiz, online).

Gemeinsam auf einer Wellenlänge können PEQ und Energie-Contracting somit einen möglichen Beitrag zur Schliessung der Schweizer Stromlücke leisten, wie es das Projekt in Köniz vormacht.

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