4. Juli 2022

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Plusenergiehäuser: Schweiz knapp hinter Spitzenreiter Schweden

Plusenergiehäuser: Schweiz knapp hinter Spitzenreiter Schweden

Das Plusenergiehaus ist die Immobilie der Zukunft: Das Kostenargument und die Nachhaltigkeit sind Gründe für ein steiles Wachstum. Gemäss diverser Benchmark hinkt die Schweiz dem Leader Schweden im Thema Nachhaltigkeit allgemein nur noch leicht hinterher.

Von Janine Görlich und Talana Hefti

Ein Plusenergiegebäude hat einen entscheidenden Vorteil: Es produziert mehr Energie als es braucht, wie im Namen bereits angedeutet. Der Ertrag aus erneuerbaren Energien muss höher sein als für Heizung, Warmwasser, Lüftung, Klima (HWLK) verbraucht wird. Die folgende Abbildung zeigt die Berechnung anhand eines Beispielfalles:

Beispiel für die Bilanzierung eines Plusenergiegebäudes (eigene Darstellung in Anlehnung an die Netto-Jahresbilanz von Null- und Plusenergiegebäuden der Fachhochschule Nordwestschweiz)

Im Beispielfall ist der Bedarf/Verbrauch (linke Säule) kleiner als die Energiebereitstellung (rechte Säule). Der Ertrag stammt aus der Photovoltaik und der thermischen Solaranlage. Durch die Bauweise reduziert sich der Heizbedarf, der im Vergleich zum Bedarf für Geräte/Beleuchtung, Lüftung und Warmwasser viel geringer ist als bei herkömmlichen Gebäuden. Die Energieeinsparung wird vor allem durch eine durchdachte Gebäudehülle möglich. Schweizer Plusenergiehäuser erfüllen seit 2011 mindestens den Minergie-Standard-A, der Häuser mit einer energetischen Null-Bilanz auszeichnet; d.h. sie verbrauchen höchstens so viel Energie wie sie selber erzeugen. Die folgende Abbildung zeigt den Energiehaushalt eines Minergie-A-Hauses:

Die Anforderungen eines Minergie-A Hauses anhand eines Neubaus

Ein Minergie-A-Haus hat einen ausgeklügelten Energiekreislauf. Wichtig ist die Gebäudehülle mit einer optimalen Belüftung/Luftdichtheit und Dämmung, effizienter Beleuchtung und fossilfreier Energie für Heizung und Kühlung (Wärmepumpe, Solarthermieanlagen, etc.). Die Energiekennzahl eines Minergie-A-Hauses muss unter 35kWh pro Quadratmeter und Jahr liegen. Dann hat ein Haus, abhängig von den unterschiedlichen kantonalen Regelungen, Anspruch auf Fördergeld.

Für Plusenergiehäuser besteht noch kein Label. Sie erfüllen mindestens den Minergie-A-Standard und produzieren zusätzlich Energie, die ins öffentliche Netz eingespeist werden kann. Oder die Energie wird gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt für das eigene Gebäude genutzt.

Die für die Null- bzw. Plusbilanz benötigte Energie wird häufig durch eine Photovoltaikanlage (PV) gewonnen. Je mehr dezentrale PV-Anlagen vorhanden sind, desto mehr sollte der Eigenverbrauch des PV-Ertrags in Betracht gezogen werden, um den Austausch mit dem öffentlichen Stromnetz zu reduzieren.

Der Bau von Plusenergiegebäuden ist verhältnismässig teuer.  Die hohen Baukosten werden im Laufe der Jahre durch die reduzierten Energiekosten und Förderprogramme wieder ausgeglichen. Es sind die tiefen Nebenkosten, die den Spareffekt erzeugen und Plusenergiegebäude langfristig finanziell attraktiv machen.

Status Quo Schweden im Vergleich zur Schweiz

Schweden gilt als das ehrgeizigste Land beim Ausbau regenerativer Energien. Das Land ist an der Spitze des EU-Rankings für Bruttoendenergieverbrauch sowie Leader des Energy Transition Index (ETI) 2021. Die folgende Grafik zeigt das Ranking der 115 Länder im Rahmen des ETI 2021, der den Bruttoendenergieverbrauch pro Land abbildet. Die Schweiz liegt auf Platz 4 hinter Spitzenreiter Schweden.

Energy Transition Index 2021 zum Bruttoendenergieverbrauch von 115 Ländern

Der Spitzenplatz von Schweden im ETI-Ranking hat seine Gründe: Aufgrund der geografischen Lange von Schweden, einem Waldanteil von 63% sowie viel fliessendem Wasser stammen 54% aus erneuerbaren

Energiequellen wie Wasserkraft und Biomasse. Besonders in einem kalten Land wie Schweden ist die Heizung sehr wichtig.

Schweden ist mit seinem topplatzierten Bruttoendenergieverbrauch ein Musterland für die EU. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2019 im Rahmen des European Green Deals verbindliche Nachhaltigkeitsziele beschlossen: Bis 2030 sollen fast ein Drittel und bis 2050 100-prozent der in der Europäischen Union verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Schweden hat die eigenen Ziele noch höher angesetzt und strebt bis 2040 eine 100-prozentige Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie an.

Mit einer geringen Bevölkerungsdichte von bloss 25.4 Einwohner pro Quadratkilometer ist es für das schwedische Land unter anderem wichtig, dass die Häuser den grössten Teil ihrer Energie selber erzeugen und verbrauchen können. Das erübrigt eine Infrastruktur für den Transport von Energieträgern über weite Strecken zu abgelegenen Gebäuden. Die Schweiz ist im Vergleich zu Schweden mit 215 Einwohner pro Quadratkilometer sehr dicht besiedelt; hier ist die Verteilung der Energie im Vergleich weniger aufwändig.

Da die Steuern auf Heizöl in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, haben die schwedischen Energieversorger auf erneuerbare Energien umgestellt, um in dicht besiedelten Gebieten lokale Fernheizwerke zu betreiben. Heute gibt es landesweit etwa 500 Fernwärmesysteme, von Großstädten bis zu kleinen Dörfern, die Haushalte und Unternehmen mit Wärme versorgen. Im Jahre 1948, 12 Jahre vor der Schweiz entstand bereits das erste «Fernheizwerk» in Schweden. Die folgende Abbildung zeigt den Verbrauch erneuerbarer Energie in Schweden im Vergleich mit der EU, den USA und der Welt insgesamt.

Verbrauch von erneuerbarer Energie im Vergleich

Ein wichtiger Grund für die Spitzenplatzierung Schwedens liegt in einer bewussten politischen Weichenstellung. Sie führte dazu, dass Schweden heute die weltweit höchsten Kohlenstoffsteuern hat und gleichzeitig relativ günstige Preise für Elektrizität und weitere Energieformen. Schweden nimmt daher eine ökologische Führungsrolle in einer Zeit ein, in der ein «Great Reset» (Initiative des Weltwirtschaftsforums) noch nie so notwendig war.

In Schweden liegen die Kosten für Elektrizität bei 18.26 Cent/kWh. Haushaltsstromkunden in der Schweiz bezahlen deutlich mehr als in Schweden. Im Jahr 2021 waren es durchschnittlich 21.2 Rappen pro Kilowattstunde Strom. Die durchschnittliche Stromrechnung eines Privathalthauses für das Jahr 2021 beträgt in der Schweiz bei einem Verbrauch von 4.500 Kilowattstunden pro Jahr insgesamt 954 Schweizer Franken. In Schweden sind es bei gleichem Verbrauch pro Jahr 821.70 Schweizer Franken (Wechselkurs Stand 05.11.2021).  

Die CO2-Steuer zeigt ein gegenteiliges Bild: Die in Schweden bereits in den 1990er Jahren eingeführte CO2-Steuer ist mit 137,24 Dollar/Tonne wie erwähnt die höchste der Welt, gefolgt von der Schweiz mit 101,47 Dollar/Tonne. Das erste Plusenergiehaus des Landes wurde sowohl in der Schweiz sowie in Schweden das erste Mal im Jahre 2009 gebaut.

Die Nachhaltigkeitsexpertin des Schweizer Immobilienunternehmens Privera, Yolanda Roma, kommentiert. «In der Schweiz gibt es für Plusenergiehäuser klare Voraussetzungen der Minergiestandards, welche durch Fördergelder unterstützt werden.» Recherchen zeigen, dass die Höhe der Fördergelder in der Schweiz kantonal unterschiedlich geregelt sind. In Schweden gibt es anders als in der Schweiz keine speziellen Normvorgaben, alle Gebäude werden gemäss den EU-Richtlinien über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden EPBD (engl: a Energy performance of buildings directive) zertifiziert. Der EPBD ist eines der wichtigsten Rechtsinstrumente der Europäischen Union zur Förderung der Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Wer in Schweden ein neues Gebäude verkaufen oder vermieten will, muss den Ausweis über die Gesamtenergieeffizienz erstellen lassen. Dieser informiert über den Energieverbrauch des ganzen Gebäudes.

Der Ausweis muss von einem zertifizierten Energieexperten wie dem schwedischen Unternehmen Boverket erstellt werden. Die Energieklasse A steht für einen niedrigen Energieverbrauch, hingegen G für einen sehr hohen. Ein neu erstelltes Gebäude in Schweden muss mindestens der Energieeffizienzklasse C entsprechen.

Die Energieeffizienzklassen des schwedischen Energieausweises geben an, wie viel Energie für Heizung, Klimatisierung, Warmwasser und den Stromverbrauch des Gebäudes verbraucht wird. Die gesamte in einem Jahr dafür verbrauchte Energie wird addiert und durch die beheizte Fläche des Gebäudes geteilt. Das Ergebnis ist die Anzahl der verbrauchten Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter (m2) Energieeffizienzklasse). Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die schwedischen Energieeffizienzklassen für Neubauten.

Ein Überblick der Energieeffizienzklassen für schwedische Neubauten mit den Energieanforderungen

Zufolge der EU-Taxonomie ist Schweden jedoch nicht nur bei der Regulierung führend. Um die EU-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, hat Schweden auch die Investitionen in die Forschung und Innovation im Energiesektor verstärkt.

Gemäss diversen Benchmarks hinkt die Schweiz dem Leader Schweden im Segment der Nachhaltigkeit nur leicht hinterher. Schweden hat eine längere und proaktivere Einstellung zum Umweltschutz. «Unter anderem lancierten die Behörden und verschiedene Interessengruppen diverse Informationskampagnen wie zum Beispiel die «Keep Sweden clean-campaign» während der 60er und 70er Jahre», so der Energieexperte Herrn Hans-Olf Karlsson Hjorth von Boverket, dem schwedischen Zentralamt für Wohnungswesen, Bau und Planung.

Das Thema der Nachhaltigkeit ist in der schwedischen Bevölkerung stärker verankert als bei den Schweizern.  Durch Frühinvestitionen von Forschung und Innovationen im Energiesektor des Staats wurde das Thema dem schwedischen Volk quasi in die Wiege gelegt. Das Ziel einer nachhaltigen und ressourceneffizienten Energieversorgung mit null Nettoemissionen von Treibhausgasen bis 2050 wird vom schwedischen Volk unterstützt sowie vom Staat durch hohe Subventionen und diverse Preissenkungen oder Preissteigerungen gefördert.

Im Jahre 2016 investierte Schweden über 1 Mrd. Franken zur Eindämmung des Klimawandels, um den Anteil erneuerbarer Energie zu erhöhen und die Entwicklung innovativer, umweltfreundlicher Lösungen zu fördern. Hingegen kämpft die Schweiz immer noch damit, erfolgsorientierte Klimagesetze, Förderprogramme und Subventionen zu etablieren.

Wie von Energieexperten Herrn Hans-Olf Karlsson Hjorth Boverket geschildert, steht die Nutzung von Gebäuden zur Beherbergung von Energieerzeugungssystemen sowie effizienten Gebäudehüllen klar im Fokus der schwedischen Politik.

Frau Jenny Nyström vom schwedischen Architekten-Büro Kaminsky der Arkitektur AG genauso wie die Nachhaltigkeitsexpertin Frau Yolanda Roma von der Privera AG, sehen das Plusenergiehaus als klare zukünftige Voraussetzung, um die gegenwärtigen Nachhaltigkeitsziele in Schweden sowie in der Schweiz zu erreichen.

Fazit

Das Wissen sowie die technischen Voraussetzungen zur Erstellung von Plusenergiehäusern sind in der Schweiz sowie in Schweden quasi ebenbürtig. Schweden ist jedoch in der Umsetzung weiter; das gilt auch insgesamt für das Bewusstsein zur Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Politik. Das schwedische Nachhaltigkeitsgesetze, die innovativen Entwicklungen, Umsetzungsmöglichkeiten, die vielschichtigen Förderprogramme sowie grosszügigen Fördergelder und zielbewusste Preisanpassungen sind im Vergleich zu Schweiz besser und breiter aufgegleist. Definitiv besteht hier in der Schweiz noch Potenzial für Entwicklung. Es ist zu erwarten, dass Schweden auch Vorreiter von Plusenergie-Städten sein wird.

Um das Ranking von Schweden zu erreichen, muss der Bund vermehrt in innovative Förderprogramme und Forschung investieren, damit das Erstellen von Plusenergiehäusern günstiger, einfacher und transparenter wird. Ebenfalls müssten die Vorschriften für Neubauten verschärft, Preisanpassungen beim Einkauf von Energie und CO2-Steuern erfolgen sowie die Hauseigentümer und zukünftigen Bauherren über ihre Möglichkeiten intensiver aufgeklärt werden. Sei es durch Interessengruppen oder Informationskampagnen, wie es Schweden seit langem macht.

Wie die folgende Abbildung zeigt, sind Gebäude in der Schweiz für etwa 40% des Energieverbrauchs und für über ein Viertel aller Emissionen verantwortlich.

Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz nach Sektoren

Um die Netto-Null Treibhausgasemissionen 2050 der langfristigen Klimastrategie der Schweiz zu erreichen, sind Plusenergiehäuser unumgänglich. Aufgrund der genannten Aspekte wird das Plusenergiehaus wahrlich als “Immobilie der Zukunft” angesehen.

Die Zukunft beginnt jetzt – daher müssen wir unsere Ressourcen nachhaltig nutzen und können nicht auf morgen warten!

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