17. April 2023

Studentische Beiträge

Implementierung des Kreislaufgedankens – Utopie oder Wirklichkeit?

<strong>Implementierung des Kreislaufgedankens – Utopie oder Wirklichkeit?</strong>
Bild: Martin Zeller (Empa, 2021)

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

In der Schweiz werden auf verschiedenen Ebenen Anstrengungen unternommen, den Begriff der Kreislaufwirtschaft gesetzlich zu verankern. Und schon länger beschäftigen sich die Akteure im Immobiliensektor mit der Implementierung des Kreislaufgedankens. Unter der Voraussetzung, dass der Sektor vom Silodenken abkommt und die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, bieten zirkuläre Geschäftsmodelle attraktive Renditen.

Ein Artikel von Matthias Vogel und Hannes Pichler

Materialien im Kreislauf behalten

Die Kreislaufwirtschaft ist ein alternatives Wirtschaftssystem, das sich vom gängigen linearen System unterscheidet. In einem linearen System werden Rohstoffe gewonnen, aufbereitet und daraus Produkte hergestellt. Diese werden genutzt und schlussendlich verbrannt oder auf einer Deponie entsorgt.

Das System der Kreislaufwirtschaft zielt einerseits darauf ab, Produkte so lange wie möglich durch Wiederverwendung, Reparatur etc. im Nutzungskreislauf zu behalten. Anderseits sollen organische Materialien durch Vergärung im Kreislauf bleiben. Die dadurch gewonnenen Nährstoffe werden der Landwirtschaft zugeführt und sorgen für das Nachwachsen neuer Rohstoffe. Andere Materialien werden rezykliert, wodurch Sekundärrohstoffe wie PET oder Aluminium gewonnen werden (BAFU, 2022).

Dies schont Primärressourcen und senkt die CO2-Emissionen. Und während die Umwelt geschont wird, kann zugleich mittels neuer Geschäftsmodelle die Volkswirtschaft gestärkt werden. Voraussetzung ist, dass die Akteure umdenken.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Kreislaufwirtschaft (© BAFU, 2022)

Hoher Ressourcenverbrauch in Gebäuden

Der weltweite Ressourcenverbrauch beträgt derzeit rund 100 Mia. Tonnen pro Jahr, wovon im Jahr 2020 nur 8.6 % in den Kreislauf zurückgeführt wurden. Gerade der Gebäudesektor zeichnet sich dabei durch einen enorm hohen Ressourcenverbrauch aus. So verwendet dieser weltweit 40 Mia. Tonnen Rohstoffe, also rund 40 % der Rohstoffe, und produziert 60 % der Abfälle. Zudem sind Gebäude für 40 % des Energieverbrauchs und für rund einen Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich (Circle Economy, 2022)

Die Schweiz ist im Vergleich mit dem Ausland in einigen Bereichen der Kreislaufwirtschaft, wie dem Recycling, vorbildlich. Dennoch ist es ein sehr weiter Weg, soll bis 2050 das Netto-Null-Emissionsziel erreicht werden. Dieses international vereinbarte Ziel ist Basis für die Begrenzung der Klimaerwärmung um maximal 1.5°C gegenüber der vorindustriellen Zeit.

Politische Initiativen in der Schweiz

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen in der Schweiz auf allen Ebenen Anstrengungen unternommen werden. Und tatsächlich ist in den letzten Jahren Bewegung in diese Thematik gekommen. Mit der parlamentarischen Initiative «Kreislaufwirtschaft stärken» (Schweizerische Eidgenossenschaft, 2021) sollen Grundbegriffe wie Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft im revidierten Umweltschutzgesetz festgehalten werden.

Auf Kantonsebene wurde kürzlich in Zürich die «Kreislauf-Initiative» angenommen. Der Kanton und die Gemeinden erhalten neu die Aufgabe, günstige Rahmenbedingungen für die Kreislaufwirtschaft zu schaffen (Kanton Zürich, 2022).

Die Voraussetzungen, die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz einzuführen, sind grundsätzlich gut. Unser Land verfügt über wenig Rohstoffe, aber gleichzeitig über eine hohe Innovationskraft. Dennoch beschäftigen sich nur rund 10 % der Schweizer Unternehmen substanziell mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Die Unternehmen steigen dabei hauptsächlich über Effizienzaktivitäten, wie Reduktion von Verpackungsmaterial bei Produktionsprozessen, in die Thematik ein. Diese Anstrengungen bilden die Grundlage für eine Ausweitung der Aktivitäten auf andere Produktionsstufen, wie die Schliessung der Kreisläufe durch Wiederaufbereitung und Steigerung der Lebensdauer der Produkte (Stucki und Wörter, 2021).

Nicht alle Industrien sind bei der Transformation gleich weit fortgeschritten. Der Bau- und Immobiliensektor schneidet im Statusbericht der Schweizer Kreislaufwirtschaft im Vergleich durchschnittlich ab. In diesem Bericht wird das Transformationsniveau am Innovations- und Diffusionsgrad gemessen. Dabei zeigt sich, dass die Branche sowohl vor einer Diffusions- als auch vor einer Innovations-Challenge steht (Stucki und Wörter, 2021).

Vor diesem Hintergrund ist die Implementierung der Kreislaufwirtschaft anspruchsvoll und derzeit noch nicht weit fortgeschritten, aber keine Utopie.

Von zentraler Bedeutung sind verschiedene Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit Pilotprojekte wie das NEST der Empa nicht singuläre Vorhaben bleiben (Cieslick, 2021).

1. Zusammenhang Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft verstehen

Neben der Kreislaufwirtschaft ist die Digitalisierung einer der Megatrends des 21 Jahrhunderts. Die Digitalisierung muss als Katalysator für die Kreislaufwirtschaft verstanden werden. Damit Kreislaufwirtschaftsmodelle funktionieren, sind Daten, Informationen und Wissen über Materialflüsse erforderlich. Dies beinhaltet Informationen, wie Produkte aufgebaut sind, woher sie kommen und in welcher Qualität sie produziert wurden (Moussu, Rapp, Tauber, Panek & Holenweger, 2022).

2. Neue Zusammenarbeitsmodelle in der Bauprojektabwicklung

Analog zu den seriellen Prozessen der Linearwirtschaft ist weiterhin die fragmentierte Bauprojektabwicklung gemäss dem SIA-Leistungsmodell in weiten Teilen der Bauindustrie Standard. Projekte werden dabei zuerst produktneutral geplant und dann gebaut. Die ausführenden Unternehmungen bzw. die effektiv eingesetzten Produkte sind erst zu einem sehr späten Zeitpunkt im Prozess bekannt. Diese Abwicklungsmethode ist kritisch zu überdenken, denn sie führt zu folgenden Problemstellungen:

  • Der digitale Zwilling ist über einen sehr langen Zeitraum unreif und kann in den relevanten, frühen Phasen nicht als Prüf‐ oder Entscheidungsgrundlage für die Kreislauffähigkeit herangezogen werden (weder für energetische Simulationen noch für Kostenschätzungen).
  • Die Möglichkeiten zur Vorfabrikation und industriellen Fertigung bzw. zum modularen Bauen als Grundlage für kreislauffähiges Bauen sind massiv eingeschränkt.

Um die Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung zu meistern, braucht es ein Umdenken in der Branche. Die fragmentierte Projektabwicklung muss einer integralen Abwicklung weichen, unter Einbezug sämtlicher Stakeholder (auch der Betreiber) (Bauen digital Schweiz, 2022).

Abbildung 2: links: Fragmentiertes Projektabwicklungsmodell / rechts: integrierte Projektabwicklung im optimierten Phasenmodell (Bauen digital Schweiz, 2022)

Damit steigt der Diffusionsgrad, weil sich Best-Practices in der Unternehmenslandschaft verbreiten. Zudem entstehen die besten und innovativsten Lösungen im integralen Zusammenspiel der verschiedenen Player.

3. Chancen im bestehenden Gebäudepark nutzen

Der Immobilien-Bestand ist gleichzeitig ein gigantischer Emittent von CO2 sowie ein riesiger Speicher von Baumaterialien. Ein richtiger Umgang mit dem bestehenden Gebäude-Portfolio und dessen angemessene Weiterentwicklung bietet Chancen zur Beschleunigung der Kreislaufwirtschaft. Wüest & Partner hat im Auftrag des BAFU Normstrategien für den Umgang mit Bestandsgebäuden evaluiert (Meier & Schläpfer, 2020).

Bei Neubauten erzeugen die Materialien mehr Treibhausgase als der auf erneuerbarer Energie basierende Betrieb. Ein potenzieller Einsatz von Re-Use-Materialien führt zur Schliessung von Stoffkreisläufen und reduziert die durch graue Energie erzeugten Treibhausgase. Bei Bestandsgebäuden ist der Betrieb der Emissionstreiber, verursacht durch den Einsatz von fossiler Energie und schlechter Isolierung.

Daraus lässt sich schliessen, dass beim Zielkonflikt zwischen Verdichtung und Nachhaltigkeit dort verdichtet werden sollte, wo grosses Potenzial vorhanden ist. Durch einen behutsamen Umgang mit dem Bestand, mit Fokus auf kleine energetische Sanierungen, und eine minimierte Neubautätigkeit, mit Fokus auf Verdichtung, bleiben viele Materialien im Kreislauf und der entstehende Abfall kann reduziert werden.

Zirkuläre Geschäftsmodelle, die Wachstumspotentiale bieten

Das Potenzial der Kreislaufwirtschaft ist enorm. Im Lead sind dabei in erster Linie die Bauherren und Projektentwickler, die den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft verstehen, auf neue Zusammenarbeitsmodelle setzen und ihre Portfolios geeignet weiterentwickeln.

Davon profitieren die Eigentümer. Ihre Immobilien und die darin verwendeten Baumaterialien verfügen über eine Identität, die ihnen neuartige Tools wie z.B. Madaster verleiht. Sie sorgen für Datentransparenz und analysieren ressourcenrelevante Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg (Saxer, 2022).

Aber nicht nur die Eigentümer profitieren. Für Planer und Unternehmer bieten zirkuläre Geschäftsmodelle Potenziale für Wachstum und attraktive Ergebnismargen. Global wird bis 2025 ein zusätzlicher Umsatz von 600 Mrd. Euro erwartet, an welchem Europa mit einem Marktanteil von 240 Mrd. Euro überproportional partizipieren kann (Schober, 2021).

Entlang der Wertschöpfungskette konnten 10 innovative Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft des Bauwesens ausgemacht werden. Diese werden die nachhaltige Entwicklung und das Wachstum der Branche vorantreiben.

Abbildung 3: Attraktive Ergebnismargen für zirkuläre Geschäftsmodelle im Bauwesen (Roland Berger, 2022)

Mit dem Wachstum der Kreislaufwirtschaft steigen auch die Ergebnismargen innerhalb der einzelnen Geschäftsmodelle, wenngleich die Raten dabei unterschiedlich ausfallen.

Heute bereits verbreitete Geschäftsmodelle wie das Recycling von Baumaterialien führen zu eher geringen Gewinnmargen von 5 – 9 %. Innovative neuartige Geschäftsideen, wie ressourcenschonendes Bauen oder Upcycling in der Verwertungsphase, ermöglichen hingegen weit höhere Gewinne (Schober, 2021).

Sämtliche Akteure profitieren von der Kreislaufwirtschaft. Die Implementierung des Kreislaufgedankens im Bau- und Immobiliensektor ist also keinesfalls eine Utopie, wenn alle Beteiligten diese Vision konsequent weiterverfolgen.

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