31. August 2023

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Regulatorisches Informationssystem: Neues Forschungsprojekt zur Navigation im Dschungel der Baugesetze

Regulatorisches Informationssystem: Neues Forschungsprojekt zur Navigation im Dschungel der Baugesetze

pom+ und HSLU starten Projekt zur maschinellen Gewinnung von Neubau- und Verdichtungspotenzialen aus lokalen Baugesetzen.

Ein Artikel von Christian Kraft & Daniel Steffen (HSLU); Peter StaubMartin Cremosnik (pom+)

Bund, Kantone und Gemeinden stimmen raumwirksame Tätigkeiten aufeinander ab. Dabei achten die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden darauf, „… den ihnen nachgeordneten Behörden den zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötigen Ermessensspielraum zu lassen.“ So regelt das Schweizer Raumplanungsgesetzt die Zusammenarbeit der Instanzen. Am Ende der Planungskette stehen rund 2000 Städte und Gemeinden mit Ermessensspielraum innerhalb der kantonalen Richtplanung. Doch wer plant und baut weiss, dass der Teufel im Detail steckt. Die Konkretisierung der Ermessenspielräume entscheidet häufig über den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Erfolg der resultierenden Gebäude.

Eine aus der Komplexität bereits sichtbare Konsequenz ist die zunehmende Dauer des Bewilligungsprozesses. Sowohl die Bewilligungsdauer im Median als auch die Streuung der Zeiten liegt sowohl im Neubau als auch bei Sanierungen heute markant höher als noch vor zehn Jahren (siehe Abbildungen). Das bedeutet, dass sowohl die Dauer insgesamt zunimmt als auch die Anzahl an Sonderfällen, bei denen vieles unklar ist. So betrug die Bewilligungsdauer der Wohnneubauten in der Schweiz im Jahr 2022 34 Tage länger als 2016. Das ist eine Steigerung von 32% gegenüber 2016 und 57% gegenüber 2011. Bei Umbauten hat sich die mittlere Bewilligungsdauermit zwischen 2013 und 2018 auf den Tag konstant gehalten, ist seither aber um 14 Tage oder 17% angestiegen. Die Spannbreite der mittleren 50% der Gemeinden (Interquartilsbreite) hat seit 2011 um über 52% zugenommen. Dies deutet auf eine zunehmende Unsicherheit bezüglich der Bewilligungsdauer hin.

Abbildung 1: Verteilung der Medianbewilligungsdauer (Tage) von Wohnneubauten auf Gemeindeebene (eigene Darstellung, Datenquelle: DocuMedia)
Bemerkung: Einzelne Bauprojekte wurden zunächst auf Gemeindeebene aggregiert (Median); Beobachtungen mit weniger als 5 Neubauprojekten in ein einem Jahr werden ausgeschlossen; aufgrund der Lesefreundlichkeit werden Ausreisser nicht abgebildet. Box entspricht IQR (mittlere 50% der Gemeinden); Whiskers 1.5 x IQR.
Abbildung 2: Verteilung der Medianbewilligungsdauer (Tage) von Umbauten (inkl. Anbauten) auf Gemeindeebene (eigene Darstellung, Datenquelle: DocuMedia)
Bemerkung: Einzelne Bauprojekte wurden zunächst auf Gemeindeebene aggregiert (Median); Beobachtungen mit weniger als 5 Neubauprojekten in ein einem Jahr werden ausgeschlossen; aufgrund der Lesefreundlichkeit werden Ausreisser nicht abgebildet. Box entspricht IQR (mittlere 50% der Gemeinden); Whiskers 1.5 x IQR.

Ein Projekt von pom+ und der Hochschule Luzern (HSLU) geht jetzt der Frage nach, wie konkret Gemeinden die Regeln auf ihrem Gebiet definieren und formulieren. Was ist klar geregelt, was nicht, und wer entscheidet über Ausnahmen, Interpretationsspielräume, Ästhetik, über den gesellschaftlichen Nutzen und die ökologischen Auswirkungen?

Mittels maschineller Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing – NLP) werden alle Baugesetze nach inhaltlichen und sprachlichen Komplexitäten strukturiert. Klar geregelte Bereiche, die textlich oder tabellarisch eindeutig formuliert sind, werden kodiert und damit für teilautomatisierte Planungsprozesse nutzbar gemacht.

So ist zum Beispiel die Aussage «Die Firsthöhe, wie oben definiert, darf nie mehr als 20 m betragen“ eine klare Regel (Firsthöhe ≤ 20m). Sind jedoch zunächst vermeintlich klare Regeln mit Ausnahmen gekennzeichnet, ist Vorsicht geboten. So ist häufig vermerkt, dass zum Beispiel der Stadtrat die beschriebenen Regeln „unter Beachtung der Planungsgrundsätze und unter Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen im Einzelfall festlegt.“ In diesem Fall ist auf die geschriebenen Regeln kein Verlass. Der Stadtrat kann über Abweichungen, positiv oder negativ, entscheiden. In diesem Falle ist für planende Grundeigentümer die schnelle Kontaktaufnahme mit den zuständigen Instanzen unumgänglich.

Auch im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung ist die Klarheit textlich formulierter Regeln wichtig. So werden für die Genehmigung von Solaranlagen in vielen der bisher manuell gesichteten Baugesetze „gute Gestaltung“ und/oder „sorgfältige Einordnung in Dach- und allenfalls Fassadenflächen sowie in die Umgebung“ gefordert. Dies, obwohl gute Gestaltung und sorgfältige Einordnung im Auge des Betrachters liegen und das übergeordnete Raumplanungsgesetz vorsieht, dass „die Interessen an der Nutzung der Solarenergie auf bestehenden oder neuen Bauten den ästhetischen Anliegen grundsätzlich vorgehen.“

In einigen Fällen beginnt die Suche nach planerischer Klarheit aber noch viel früher. Denn es ist nicht immer einfach, das aktuell gültige Baugesetz oder die im Revisionsprozess befindliche aktuelle Dokumentenversion zu finden. Von 1400 Deutschschweizer Baugesetzen wurden bereits 600 Texte manuell gesammelt und verifiziert. Dabei stellte sich in einigen Fällen heraus, dass die Gesetze auf den öffentlichen Gemeindeseiten nicht aktuell sind. In Einzelfällen waren auch die im ÖREB-Kataster (öffentliche-rechtliche Eigentumsbeschränkungen) verlinkten Gemeindedokumente nicht aktuell oder Gemeinden präsentieren mehre Dokumente unterschiedlicher Aktualität.

 

Mit dieser Ausgangslage verfolgt das Projekt vier Ziele:

  1. Erstens werden eindeutige Aussagen und Regeln maschinell so verarbeitet, dass sie kodiert in teilautomatisierte Planungstools einfliessen können und damit vor allem die Sicherheit und Effizienz der strategischen Planungsphasen steigern.
  2. Zweitens werden unischere Aussagen nach Komplexität strukturiert und das nötige Vorgehen daraus abgeleitet. So entsteht ein Leitfaden, welche Instanzen in Abhängigkeit der formulierten Ermessensspielräume und Ausnahmeregeln zu kontaktieren sind.
  3. Drittens ist die Baugesetzgebung ein dynamischer und basisdemokratischer Prozess. Deshalb werden die Texte nicht einmalig erhoben, sondern kontinuierlich überwacht. Erkennt das System Veränderungen der verlinkten Dokumentenquellen, erfolgt ein Abgleich mit automatischer Identifikation der Veränderungen.
  4. Viertens wird das Projekt mit kausalanalytischen Arbeiten abgeschlossen. So wird herausgefunden, ob und wenn ja welche spezifischen Charakteristiken lokaler Baugesetzte die faktische bauliche Entwicklung systematisch beeinflussen.

Das Projekt erfüllt damit einen doppelten Zweck. Erstens werden die Outputs direkt zur Effizienzsteigerung und Risikoreduktion im Planungsprozess eingesetzt. Denn die von Planungsunsicherheiten verursachten Risiken müssen in der Projektkalkulation als Kosten abgebildet werden. Sie verteuern somit Wohn- und Arbeitsräume. Höhere Planungssicherheit reduziert damit direkt die Erstellungskosten von Gebäuden.

Zweitens unterstützen die kausalanalytischen Forschungsarbeiten den Diskurs zum Einfluss der lokalen Baugesetzgebung auf Herausforderungen für Planer, Bauherren und Gemeinden in der städtischen Entwicklung. Es kann z.B. aufgezeigt werden, welche Paragrafen einen hemmenden bzw. fördernden Effekt auf Verdichtung oder nachhaltige Bauweise haben.

Das Projekt wird finanziell von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung und pom+ Consulting AG getragen. Das Forschungsteam der HSLU besteht zu jeweils 50% aus Spezialisten des Departementes Informatik und des Departementes Wirtschaft (Kompetenzzentrum Immobilien). Docu Media Schweiz AG unterstützt das Projekt mit detaillierten Daten zu Baueingaben und Baubewilligungen.

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an Daniel Steffen (Projektleiter, dani.steffen@hslu.ch), Christian Kraft (Leiter Kompetenzzentrum, christian.kraft@hslu.ch), Peter Staub (Verwaltungsratspräsident pom+, peter.staub@pom.ch) oder Martin Cremosnik (Partner pom+, martin.cremosnik@pom.ch).

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