17. September 2024
Dieser Beitrag basiert auf einem Referat des Autors beim Zug Estates Nachhaltigkeitsforum 2024. Auf Basis verschiedener Datenquellen wird aufgezeigt, wie in der Verdichtung eine Breitenwirkung erzielt werden könnte, warum dafür mehr Rechtssicherheit in Baugesetzen notwendig ist, warum die Rechtssicherheit kostenrelevant ist und warum sich neue Wohnungen im Gegensatz zum Altbestand weniger für preisgünstige Wohnungen eignen, wenn sie zu Marktkonditionen entwickelt, erstellt und unterhalten werden müssen. Wie im Falle der Verdichtung und der grünen Transformation liegt auch der Schlüssel für mehr günstige Wohnungen im Bestand.
Ein Artikel von Christian Kraft
Die Neubauplanung zieht an, die Leerstandsquote sinkt dieses Jahr langsamer. Diese zwei aktuellen Entwicklungen sind ein Silberstreif am Horizont der knappen städtischen Wohnungsmärkte. Eine positive strukturelle Veränderung ist, dass sich bei Weitem nicht alle neuen Wohnungen, die in den letzten Jahren tatsächlich entstanden sind, mit reinen Neubauprojekten erklären lassen: 20% der neuen Wohnungen entstehen bereits durch Aufstockungen, Erweiterungen oder Grundrissanpassungen im Bestand. Zu einem gewissen Teil gelingt somit bereits die Mobilisierung des Bestandes. Ebenso sank gemäss Bundesamt für Raumentwicklung ARE der Bauzonenverbrauch pro Kopf von 2012 bis 2022 um 8.7% von 309 m² auf 282 m².
Theoretisch sind noch grosse Landreserven vorhanden. Praktisch und kritisch betrachtet eignet sich aber nur ein kleiner Teil davon für neue Entwicklungen, wenn die Zersiedelung ernsthaft gestoppt und die Innenentwicklung gefördert werden soll. Die Reserven liegen am falschen Ort, sind überwiegend schlecht erschlossen und schwierig entwickelbar hinsichtlich Topographie oder Grössenstrukturen (siehe auch «Warum unüberbaute Bauzonen das Bevölkerungswachstum nicht bewältigen können»). Viele Parzellen befinden sich im Privateigentum. Ihre Entwicklung birgt Risiken und erfordert grosse Investitionen. Die inneren Reserven sind zudem das Ergebnis einer technischen Schätzung, die nicht auf die gültigen Baugesetze und auf vorhandene Nutzungsformen abgestimmt sind. Sie werden markant überschätzt. Das sind die schlechten Nachrichten.
Abbildung 1 zeigt diese Reserveflächen (Wohn- und Arbeitszonen), wie sie vom ARE publiziert sind, am Beispiel von Zug und Nachbargemeinden. Zug, Baar und Steinhausen verfügen trotz des starken Wachstums noch über beachtliche Annahme-1-Reserven (rot), also solche Bauzonen, die verhältnismässig einfach entwickelbar wären bezüglich Parzellengrösse und Lage. Aufgrund der langjährigen Verdichtungsstrategie sind die Innenentwicklungspotenziale (grün) hingegen zum einen limitiert, zum anderen auch unrealistisch, weil sie teilweise auf bestehende Nutzungen projiziert werden.
Weil sich, vor allem in Regionen mit stark wachsender Bevölkerung, somit nur ein kleiner Teil der Reserven kurz- bis mittelfristig realistisch entwickeln lässt, müssen die bisherigen Erfolge der Verdichtung in Zukunft deutlich beschleunigt werden. Die Analyse der Gebäudestruktur zeigt hier enorme Potenziale auf. 85% aller Wohngebäude haben drei Geschosse oder weniger und verbrauchen im Median 75 m² bis 105 m² Gebäudegrundfläche pro realisierter Wohnung. Bei viergeschossigen Gebäuden liegt der Median des Grundflächenverbrauchs pro Wohnung rund bei der Hälfte, doch nur noch 9% der Gebäude fallen noch in diese Kategorie (Abbildung 2).
Mit systematischen, flächendeckenden und in Regelbauweise rechtlich geltenden Regeln könnte graduell eine höhere Dichte erreicht werden, als dies durch einzelne Hochhäuser und Grossüberbauungen mit Sondernutzungsplanung gelingt – und dabei zugleich weniger abschrecken. Besonders die architektonisch geschickte Umsetzung von vier oder fünf Geschossen anstatt den weitverbreiteten drei Geschossen bietet viel Flächen- und Verdichtungspotenzial und liesse sich als Regelbauweise mit hoher Planungssicherheit schneller umsetzen als einzeln und partizipativ ausgehandelte Gestaltungspläne für Grossüberbauungen.
Dabei geht es jedoch nicht um eine kategorische Entscheidung, Grossprojekte und Hochhäuser sind und bleiben wichtige Elemente des städtischen Wachstums. Sie alleine können das Wachstum aber nicht auffangen, Hochhäuser sind gar ein Tropfen auf den heissen Stein: Alle seit 2000 landesweit errichteten Hochhäuser bieten gerade mal Platz für ¼ des letztjährigen Bevölkerungswachstums. Anders ausgedrückt: Um einmalig ein Jahr Zuwanderung in Hochhäusern aufzunehmen, müssten viermal mehr Hochhäuser gebaut werden als in den letzten 20 Jahren.
Ausserdem ziehen Grossprojekte schnell die Aufmerksamkeit auf sich, spielen in ihrer Singularität aber oft eine untergeordnete Rolle. Ein Blick in die Mengenstruktur reicht aus, um die wirklichen Potenziale zu identifizieren: Die mittlere Projektgrösse neuer Mehrfamilienhäuser liegt seit 10 Jahren in urbanen Gebieten konstant bei rund 18 Wohnungen. Insgesamt schafft das mittlere Mehrfamilienhausprojekt über alle Räume hinweg knapp 15 neue Wohnungen. Ein Anstieg des Mittelwertes von 15 auf 20 Wohnungen würde bei konstanter Anzahl an Projekten 14’500 zusätzliche Wohnungen pro Jahr generieren. Zum Vergleich: In den letzten 12 Monaten wurden rund 10’000 neue Wohnungen in 61 Grossprojekten mit 100 Wohnungen oder mehr geplant. Die Anzahl der jährlich geplanten Grossüberbauungen müsste weit mehr als verdoppelt werden, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen. Aufgrund der grossen Widerstände gegen grossmassstäbliche Entwicklungen, aufgrund der langen Partizipations- und Planungsprozesse und aufgrund der schnell schrumpfenden Landreserven ist das die falsche Strategie für zukünftiges Wachstum. Der Schlüssel liegt in der graduellen, aber grossflächigen Verdichtung in Regelbauweise – zusätzlich zu den Grossprojekten. Wie auch bei der Realisierung von Grossprojekten, muss dabei auch in der Breite auf die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur geachtet werden.
Dichte in Regelbauweise hat neben der Breitenwirkung gegenüber Sondernutzungsplanungen einen entscheidenden weiteren Vorteil: Sie ist im Baugesetz zonenspezifisch rechtlich verankert. Das erhöht die Investitions- und Planungssicherheit und reduziert Planungs- und Bewilligungskosten. Damit entsteht in der Breite nicht nur mehr Kapazität durch Verdichtung, sondern auch in kürzerer Zeit. Klare Regeln wären auch für die Baulandmobilisierung unbebauter Grundstücke in der bestehenden Bauzone (Art. 15a RPG) wichtig. Die einzelnen kantonalen Regelungen werden hier von EspaceSuisse zusammengefasst. Für lange Gestaltungsplanverfahren dürften viele der gesetzten Fristen bis zur Sanktion kaum ausreichen.
Rechtssicherheit ist zudem eine entscheidende Grösse für Planungskosten und Bewilligungsrisiken und beeinflusst damit die Kostenstruktur von Neu- und Umbauten. Die Kostenstruktur hat sich seit 2019 markant verändert. Bis 2019 wurden neu geplante Wohnungen bei der Baueingabe im Mittel mit Stückkosten von knapp 500’000 Franken kalkuliert. 2019 wurden die Veränderungen schnell eingepreist und heute wird mit einem um 21% höheren Niveau von knapp 600’000 Franken pro Wohnung kalkuliert. Mit einer fast zweijährigen Verzögerung bestätigt der Baupreisindex diese Entwicklung (Abbildung 3).
Durch die Kostenanstiege resultieren weniger Wohnungen aus der Bausumme. Die Jahressumme der geschätzten Baukosten in Baueingaben liegt aktuell 4% über dem Niveau von 2019. Dennoch resultieren 14% weniger neugeplante Wohnungen (Abbildung 4). Ein Teil der gegenwärtig tiefen Bautätigkeit ist somit nicht schwachem Investitionswillen anzulasten, sondern steigenden Kosten. Material, Löhne und Honorare sind eindeutige direkte Treiber. Gestiegene Zinsen erhöhen zusätzlich die Finanzierungskosten und verteuern Bauverzögerungen. Unklare Prozesse verteuern die Planung und diese Rechtsunsicherheit muss als Risikofaktor einkalkuliert werden.
Das Bauland ist in Abbildung 3 nicht berücksichtigt, lässt sich jedoch einfach zusätzlich schätzen: Je nach Lagequalität liegen die Landwertanteile einer Wohnung zwischen 30% bis 50%. Werden also 600’000 Franken für die Planung und Erstellung einer «mittleren» Wohnung fällig, gesellen sich mit (zum Beispiel) 40% Landwertanteil nochmal 400’000 Franken für das Bauland hinzu. Ohne Risikozuschläge oder eigentümerseitige Gewinne kostet eine derzeit geplante mittlere Wohnung somit ca. 1 Mio. Franken. Mit einer kostendeckenden Eigenkapitalrendite von 3% (Verzinsung und Deckung Risiken und laufender Kosten) muss diese aktuell geplante mittlere Wohnung für 30’000 Franken pro Jahr oder für 2’500 Franken pro Monat vermietet werden. Bis 2019 konnte diese Wohnung im gleichen kostendeckenden Modell mit tieferen Erstellungskosten und ansonsten identischen Parametern hingegen für 10% weniger und somit für 2’250 Franken monatlich vermietet werden.
Im kostendeckenden Modell lässt sich grundsätzlich jeder Franken, der zusätzlich investiert werden muss, als Zusatzfranken in der Monatsmiete zeigen. Dazu gehören auch Zusatzfranken aus Verzögerungen, Einsprachen, Baustandards, aus der Internalisierung externer Umweltkosten oder eben aus der Unsicherheit darüber, wieviel Dichte, Fläche und Auflagen ein Gestaltungsplan nach langen Verhandlungen vorsieht. Bauen in Regelbauweise ist deshalb schneller, zuverlässiger und günstiger. Deshalb muss eine höhere Dichte neben Sondernutzungsplanungen dringend auch in der Regelbauweise verankert werden.
Derartige Kostenwahrheit ist auch deshalb besonders wichtig, weil im Neubau immer öfter preisgünstige Wohnungen gefordert werden, obwohl die Projekte mit Baulanderwerb und oben beschriebenen Einflüssen sehr kostenintensiv sind. Die wirtschaftlichen und bauökonomischen Widersprüche sind in dieser Forderung gross, zugleich das Potenzial klein, weil der Wohnungsbestand um nur rund 1% pro Jahr wächst. Viel grösser ist das Potenzial für günstige Wohnungen im Bestand.
Ältere Häuser, günstiger mit tieferen Baulandpreisen erstellt, bieten diesbezüglich mehr Möglichkeiten, wenn bei der Wiedervermietung nicht blind die Orts- und Quartiersüblichkeit angewendet wird. Stattdessen muss vermehrt darauf geachtet werden, dass sich die Mieten auch im Altbestand bei Wiedervermietungen an den faktischen Kostenstrukturen der Wohnungen und an den Einkommensstrukturen der Menschen orientieren, denn ob eine Miete günstig oder tragbar ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Einkommen der Mietenden beurteilen.
Dieser Aspekt findet jedoch weniger Beachtung, da häufig die wenigen Neubauten mit hohen Mieten im Fokus des öffentlichen Interesses stehen und pauschal dem Verdacht übermässiger Rendite unterliegen. Dabei bietet der unzureichend bewirtschaftete Altbestand mit Investitionsstau deutlich grösseren Spielraum für hohe Renditen – aufgrund der Knappheit auf dem Markt bei geringem Risiko und vermeintlich fairen Mieten. Betrachtet man diese Mieten jedoch im Verhältnis zum baulichen Zustand der Objekte, zeigt sich, dass sie gerade dort oftmals überhöht sind.
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