23. September 2024
Die Schweizer Immobilienbranche ist für einen Drittel der nationalen CO2-Emissionen verantwortlich und setzt zeitgleich ehrgeizige Reduktionsziele. Die Notwendigkeit und der Handlungsbedarf zur Dekarbonisierung wurde erkannt, wobei die Digitalisierung eine Schlüsselrolle bei der Datenerfassung und Effizienzsteigerung einnimmt.
Wie ist der Stand der Digitalisierung und deren Impact auf ESG und wohin geht die Reise?
Ein Artikel von Pascal Felder und Roman Fehr
Immobilieneigentümer sind gefordert. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich im Immobilienbereich als strategisch wichtiger Eckpfeiler etabliert. Dies aus gutem Grund; der Gebäudepark in der Schweiz verbraucht rund 40% der gesamten Energie und ist für rund einen Drittel der inländischen CO2 Emissionen verantwortlich. Damit weist die Immobilienwirtschaft im Branchenvergleich die höchsten absoluten CO2-Emissionen auf und ist bei der Erreichung der CO2-Reduktionsziele bis 2050 besonders gefordert (Bundesamt für Energie, 2023), (BAFU, 2020).
Es benötigt ein rasches und konsequentes Handeln. Hierbei spielt auch das Voranschreiten der Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Gemäss einer Umfrage der Immobilienwirtschaft ZIA und Ernst & Young wurden rund 250 Mitarbeiter/-innen aus der deutschen Immobilienbranche zur Digitalisierung befragt. Hierbei kam es zur Kernaussage, dass es ohne Digitalisierung auch kein ESG gibt, denn durch digitale Technologien wird eine Reduktion des Energie- und Ressourceneinsatzes erwartet. Rund 93 Prozent der befragten Unternehmen sind sich zudem einig, dass Datentransparenz die Chancen für eine erfolgreiche Integration von ESG-Kriterien massgebend erhöhen werden (ZIA und EY Real Estate, Kein Datum, S. 3).
Diese Aussagen stützen sich auf den umfassenden Datenbedarf, welche beispielsweise bei der Teilnahme an Benchmarks wie GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark), bei der standardisierten Umsetzung von Nachhaltigkeitsberichten oder zur Zertifizierung von Immobilien notwendig sind. So wird zum Beispiel bei GRESB neben der Erfassung des Energieverbrauchs auch die Erfassung vom Abfallverbrauch je Liegenschaft gefordert. Bei der Nachhaltigkeitsberichtserstattung müssen die CO2 Emissionen nach drei verschiedenen Scopes publiziert werden. Im Rahmen der BREEAM In-Use Zertifizierung muss der Wasserdurchfluss der WC- und Pissoir-Spülungen angegeben werden. Es zeigt sich, überall benötigt es eine umfassende Datenverfügbarkeit der Gebäude und Managementsysteme.
Doch wo steht der Immobilienbereich in Zusammenhang mit der Digitalisierung und Datenqualität heute?
Eine Immobilie ist standortgebunden, was den Eindruck erwecken könnte, dass die Daten jederzeit in guter Qualität schnell verfügbar sind. In der Praxis zeigt sich jedoch oft ein anderes Bild bezüglich Datenqualität und -verfügbarkeit.
Pom+ führt seit 2016 jährlich eine Umfrage mit rund 180 Führungs- und Fachkräften aus der Bau- und Immobilienbranche durch. Anhand von 25 Indikatoren wird der digitale Reifegrad am «Digital Index Real Estate» gemessen. Wie die folgende Abbildung 1 eindrucksvoll zeigt, ist der Wert seit 2019 praktisch unverändert und stagniert damit nach Einschätzung der Befragten seither im Immobilienbereich (Pom+, 2024):
Abbildung 1: Digital Index Real Estate Immobilienbranche (Pom+, 2024, S. 6).
Die Umfrage EY Real Estate Asset Management mit Schwerpunkt «ESG im Asset Management» gibt an, dass rund 89% der Befragten zustimmt, dass die Datenverfügbarkeit auf Objektebene eine massgebende Herausforderung ist (EY, 2020).
Daten entstehen entlang vom gesamten Lebenszyklus der Immobilie. In der Erstellungsphase gibt es eine Vielzahl von Applikationen wie BIM, Software für Kostenmanagement, Ingenieurapplikationen, Bewirtschaftungstools etc. Dies führt zu einer hohen Datenredundanz und Inkonsistenz. Diese Herausforderung wird im Verlauf der Nutzungsphase nicht besser. Geprägt von Mitarbeiterfluktuationen, Immobilientransaktionen, Umbauarbeiten und unterschiedlich beteiligter Unternehmen, liegt eine strukturelle Herausforderung vor, welche bislang noch nicht gelöst ist (Pom+, 2022, S. 9).
Die Immobilienbranche ist im Vergleich zu anderen Branchen deutlich heterogener und in der Ausübung der verschiedenen Dienstleistungen rund um die Immobilie gibt es diverse Beteiligte, welche wiederum mit unterschiedlichen Systemen arbeiten. Wie in der untenstehenden Abbildung 2 visualisiert, ist der Facility Manager am nächsten an der Objektebene dran und kennt das Geschehen auf dieser Ebene am besten. Auch aufgrund der entsprechenden Auftragserteilung sind die FM-Mitarbeiter noch immer «Hands-On» unterwegs und können die Relevanz der Daten in keinen übergeordneten Kontext bringen (Pom+, 2024), (Senn, 2022).
Abbildung 2: Visualisierung der Abgrenzung innerhalb des mehrstufigen Ansatzes im Real Estate Invest-ment Management (Teichmann, 2009, S. 63).
Sei es zur Steuerung auf Managementebene oder für das Vorantreiben der Energieeinsparungen auf Objektebene, die Datenverfügbarkeit ist entscheidend. Für das nachhaltige Managen braucht es neue Denkansätze und Modelle, die eine fundierte Planung und Umsetzung von Massnahmen ermöglichen. (Pom+, 2022).
Im Gegensatz zu den institutionellen Anlegern ist die Datenbasis bei den privaten Anlegern tendenziell etwas breiter. Für Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit spielen auch bei den Privaten die politische Meinung und die eigene Einstellung zum Thema eine grössere Rolle als eine fundierte Datengrundlage.
«Um Immobilien(-portfolios) intelligent und nachhaltig zu managen, führt kein Weg daran vorbei, die Vielzahl von Datenquellen, Systemen und globalen Gebäudestandards auf einer Plattform zu vereinheitlichen» (Müller, 2018, S. 19).
Entlang des gesamten Lebenszyklus einer Immobilie fallen relevante Daten an, welche kontinuierlich erfasst und verarbeitet werden müssen. Es ist unabdingbar, dass in jedem Prozessschritt der gegenseitige Wissenstransfer über aktuelle und sich wandelnde Zustände – von der Planungs- und Umsetzungsphase bis hin zur Nutzung und dem Abriss – sichergestellt wird. Diese Bestrebungen setzen somit voraus, dass die heutigen Insellösungen auch anderen Beteiligten oder Systemen zugänglich gemacht werden.
Dies erfordert Schnittstellen, die die Nutzung gemeinsamer Daten aus verschiedenen Anwendungen oder die Integration dieser Daten über datenbasierte Plattformen ermöglichen. Während der gemeinsame Datenpool für alle Anwendungen zugänglich ist, kann jede Anwendung darüber hinaus ihre eigenen Daten für den internen Gebrauch eigenständig verwalten.
Gerade im Nachhaltigkeitsbereich ist eine strukturierte Erfassung und automatisierte Plausibilisierung dieser Datengrundlagen eine grosse Herausforderung. Gleichzeitig steigen die Regulatorien im Rahmen der Reporting-Anforderungen an ESG-Kennzahlen. Unternehmen müssen immer detailliertere Daten zur Förderung der Transparenz offenlegen. Diese Entwicklung zeigte sich auch durch die Einführung der EU-Taxonomie der europäischen Union 2020. Hierbei werden die unternehmerischen Tätigkeiten hinsichtlich Nachhaltigkeit bewertet. Die Anforderungen sind enorm komplex und für die künftigen Berichterstattungen müssen weitere KPIs erarbeitet werden (Jurt, 2023).
Die Abbildung 3 zeigt ein Marktbeispiel einer ESG-Plattform auf, wo die komplexen Anforderungen an die Nachhaltigkeitsdaten/-kennzahlen und strukturiert werden können. Diese Plattform hat unter anderem Wincasa AG kürzlich als Pilot für einen grösseren Schweizer Immobilieneigentümer realisiert. Die Plattform ermöglicht eine strukturierte Informationsbeschaffung durch verschiedene Schnittstellen und wertet die Daten automatisiert nach den gegebenen Standards und Regulatorien aus.
Abbildung 3: ESG-Plattform Novalytica (Novalytica, 2024).
Ein Grossteil der Immobilieneigentümer hat sich klar für die Nachhaltigkeit ausgesprochen und verfolgt seit mehreren Jahren entsprechende Zielsetzungen. So haben verschiedene institutionelle Immobilieneigentümer sich klar dafür ausgesprochen, keine fossilen Heizenergieträger mehr zu verbauen, PV-Anlagen zu installieren und Energieoptimierungsmassnahmen im Portfolio zu fördern.
Zusätzliche Regulatorien und erhöhte Betriebskosten infolge von CO2-Abgaben fordern auch die privaten Haushalte auf, nachhaltiger zu werden. Die Digitalisierung unterstützt hier zunehmend mit Smart-Home-Systemen und Echtzeitdarstellung des Energie- und Wasserverbrauchs und der Energieeffizienz. Im Vergleich zu institutionellen Immobilieneigentümern ist der private Eigentümer deutlich näher beim Objekt und der hohe Aufwand zur Datenkonsolidierung für Reportings und Benchmarks fallen weg.
Insgesamt zeigt sich, dass Digitalisierung unabhängig ob privat oder institutionell gehalten, einen Impact auf die Nachhaltigkeit haben. Die eingangs erläuterten Ausführungen verdeutlichen, dass bereits heute umfassende und sinnvolle Massnahmen zur Dekarbonisierungen umgesetzt wurden. Dennoch sind die gesetzten Zielsetzungen zur CO2 Reduktion sehr ambitioniert und anspruchsvoll zu erreichen. Damit das definierte Ziel von netto Null bis 2050 erreicht werden kann, bedarf es somit der Umsetzung aller vorhandenen Massnahmen.
Die Digitalisierung dient dabei als grundlegendes Instrument, um einerseits die Energieeffizienz und andererseits die Transparenz vom Portfolio bis zum einzelnen Objekt zu fördern. Insbesondere institutionelle Immobilieneigentümer können auf dieser Basis Strategien entwickeln und Entscheidungen treffen.
Der Einfluss der Digitalisierung wird immer grösser und rund um das Thema Nachhaltigkeit drängt die Zeit. Der Markt bewegt sich in Richtung ESG-Datenplattformen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese integralen Lösungen zur Datenerhebung möglichst rasch flächendeckend etablieren, um weitere Schritte in Richtung CO2 Netto Null zu gehen.
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