16. Dezember 2024
Die Schweiz steht vor einer Wohnraumkrise, die vor allem in städtischen Regionen sichtbar wird. Wer beispielsweise in Zürich, Basel oder Genf eine Wohnung sucht, erlebt das Problem hautnah: Die Nachfrage übersteigt das Angebot, was die Wohnungssuche zu einem frustrierenden und oft endlosen Unterfangen macht. Lange Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen, ständige Absagen und steigende Mietpreise sind Teil des heutigen Wohnungsmarktes. Zielführende Lösungsansätze sind vorhanden, doch für ihre Umsetzung braucht es Entschlossenheit und konsequentes Handeln.
Ein Artikel von Karolina Wojtas und Mirco Wobmann
Die Ursachen sind vielfältig und das Problem ist komplex, doch eines sticht besonders hervor: ein stetes Bevölkerungswachstum trifft auf eine stagnierende Neubautätigkeit, vor allem in den begehrten Städten.
Während der Anstieg der Einwohnerzahl hauptsächlich durch die Zuwanderung getrieben ist (Bundesamt für Statistik, 2024), hat die schleppende Neubautätigkeit mehrere Gründe. Besonders ins Gewicht fallen die gestiegenen Zinsen. Vor der COVID-Pandemie konnten Bauprojekte zu historisch tiefen Zinssätzen finanziert werden. Die inzwischen «normalisierten» Zinsen dämpfen jedoch die Investitionen in den Immobiliensektor, da Immobilienentwicklungen klassischerweise zu einem hohen Anteil fremdfinanziert sind. Zudem haben pandemiebedingte Engpässe die Baupreise in den weltweiten Lieferketten seit 2020 um über 15 % steigen lassen (Bundesamt für Statistik, 2024).
Strenge Bauvorschriften und lange Bewilligungsverfahren verzögern Bauprojekte zusätzlich. Das in der Schweiz oft vorkommende NIMBY-Phänomen («Not In My Backyard», deutsch: «Nicht in meinem Hinterhof») lässt vermuten, dass die meisten Anwohner/-innen die angespannte Wohnsituation ausschliesslich aus einer kurzfristigen Perspektive betrachten. Grundsätzlich ist vielen bewusst, wie wichtig neue Wohnbauten für den Markt sind. Sobald jedoch in unmittelbarer Nähe Bauprofile sichtbar werden, folgt häufig der soziale Widerstand in Form von Einsprachen.
Das Bauen wird ferner durch die restriktive Baulandpolitik erschwert, die mit der Revision des Raumplanungsgesetzes im Jahr 2014 eingeführt wurde. Diese verfolgt das Ziel, Zersiedelung zu verringern und bestehende Siedlungsflächen durch gezielte Verdichtung effizienter zu nutzen (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, 2013). Die beschränkte Ausweisung neuer Bauzonen stellt jedoch für Bauträger eine Herausforderung dar, da das Bauland weiter verknappt und dadurch teurer wird.
Die Wohnraumkrise ist somit das Ergebnis mehrerer Faktoren, die in ihrer Summe einen zunehmend angespannten Wohnungsmarkt geschaffen haben. Im Jahr 2023 ist die Bevölkerung der Schweiz fast doppelt so stark gewachsen wie 2022 (Bundesamt für Statistik, 2024). Gleichzeitig ist die Leerwohnungsziffer 2024 zum vierten Mal in Folge gesunken – von 1,54 % im Juni 2021 auf 1,08 % im Juni 2024 (Bundesamt für Statistik, 2024).
Die Schweiz ist somit nicht weit von der kritischen 1-Prozentmarke entfernt, bei welcher der Bund von einer Wohnungsnot spricht (Aktionsplan Wohnungsknappheit – Bund, 2024).
Die Verknappung des freien Wohnungsbestands bringt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage aus dem Gleichgewicht. Während die Mietpreise für Neuvermietungen stark ansteigen, bleiben die Bestandsmieten infolge der regulatorischen Vorschriften des Mietrechts vergleichsweise beständig.
Diese Preisunterschiede erschweren den Wohnungswechsel und führen zunehmend zu einem Lock-in-Effekt; wobei öfters Familienwohnungen durch Kleinhaushalte mit einer oder zwei Personen unternutzt werden. Von 1970 bis 2023 sank die Anzahl Bewohnender pro Wohnung von 2,9 auf 2,2 (Bundesamt für Statistik, 2024). Der Pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch stieg zeitgleich unablässig, von 34 m2 in den 1980er-Jahren, auf 45 m2 im Jahr 2013 und schliesslich auf 46,5 m2 im Jahr 2023 (Bundesamt für Statistik, 2024). 2023 sind nur noch 9.3 % der Schweizer Wohnbevölkerung umgezogen – der tiefste Wert seit zehn Jahren (Bundesamt für Statistik, 2024). Dadurch gerät der Wohnungsmarkt ins Stocken, und der Trend zu ständig steigenden Mieten nimmt weiter Fahrt auf.
Der hohe Leidensdruck innerhalb der Bevölkerung könnte die Politik veranlassen, mit Regulierungen in den Markt einzugreifen – allerdings besteht die Gefahr, dass dies zu einer sich selbst verstärkenden Problematik führt. Die Kantone Genf und Basel-Stadt zeigen exemplarisch, dass Marktregulierungen die Lust auf Immobilieninvestitionen hemmen und damit dringend benötigter Wohnraum weiter verknappen. Es lässt sich zum Beispiel noch nicht eindeutig sagen, ob die laut diskutierte Wohnschutzinitiative in Basel, die strikte Auflagen zum Schutz der Mieter/-innen vorsieht und spekulative Praktiken eindämmen soll, tatsächlich künftig zur Mietzinsbremse führen wird. Was jedoch bereits heute sichtbar ist, ist eine Abkühlung der Investitionstätigkeit (IMMOBILIEN Business, 11/2024, S. 40).
«Aber das Problem betrifft mich ja doch nicht. Basel ist weit weg, und ich wohne in einer schönen, bezahlbaren Wohnung in einer gut angebundenen Umgebung. Die Baustellen in meinem Quartier machen mir keine grossen Sorgen» – zu Recht? Gentrifizierung ist ein weiterer bedrohlicher Trend, der heutzutage zu beobachten ist. Ursprünglich günstigere Wohnviertel werden durch überteuerte Neubauten und sogenannte «Pinselsanierungen» aufgewertet, wodurch einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen verdrängt werden.
Der eingeschränkte Zugang zu bezahlbarem Wohnraum beeinflusst auch die wirtschaftliche Attraktivität der Schweiz, die 2023 das drittgrösste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit erreicht hat (Bundeszentrale für politische Bildung, 2024). Unternehmen können zunehmend Schwierigkeiten haben, aufgrund der schwierigen Wohnmarktsituation, qualifiziertes Personal zu gewinnen, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährdet. Die Wohnraumknappheit ist somit ein umfassendes Problem, dessen Auswirkungen weit über den Immobiliensektor hinaus spürbar sind.
Das Problem ist klar, die potenziellen Gefahren der Wohnraumknappheit sind vielen bewusst. Was kann also gemacht werden, um der drohenden Krise entgegenzuwirken? Bauland ist und bleibt ein knappes Gut. Der Fokus sollte somit nicht allein auf die Anzahl der Neubauprojekte, sondern verstärkt auf die Nutzungsqualität und Flexibilität des Bauens gelegt werden.
Ein zukunftsorientierter Ansatz ist die Entwicklung und Förderung von architektonischen Massnahmen, die gezielt auf die Bedürfnisse der von der Krise betroffenen Nutzergruppen eingehen – zum Beispiel der Einpersonenhaushalte. Co-Living-Konzepte oder der gezielte Ausbau gemeinschaftlicher Wohnbereiche, kombiniert mit kleinen, privaten Einzimmerwohnungen (Cluster-Wohnungen), bieten Lösungen für die sich verändernden Wohnanforderungen. Wohnraumbörsen oder Wohnungs-Tauschplattformen könnten zusätzlich helfen, bestehende, unterbelegte Räume effizienter zu nutzen.
Auch das Wohnen ausserhalb der Stadt könnte durch attraktive, kompakte Wohnlösungen mit gemeinschaftlich genutzten Flächen wieder an Bedeutung gewinnen. Projekte am Stadtrand, die durch eine effiziente Anbindung an die urbanen Zentren überzeugen, würden die Nachfrage innerhalb der Metropolen deutlich entlasten. Eine gezielte Erweiterung der Verkehrsknotenpunkte wie Bahnhöfe, der Ausbau von Zugverbindungen sowie die Entwicklung eines vielfältigen kommerziellen Angebots könnten Stadtbewohner/-innen dazu bewegen, in nahegelegene Regionen zu ziehen.
Ein weiterer Aspekt, der die Baubranche positiv beeinflussen könnte, ist die Beschleunigung der Bauprozesse. Hier spielen neue Technologien und modulare Bauweisen eine zentrale Rolle. So werden vorgefertigte Elemente, beispielweise aus Holz, direkt auf der Baustelle montiert, wodurch sich die Bauzeiten verkürzen. Die digitale Prozessplanung mit Gebäudedatenmodellierung BIM (Building Information Modeling) ermöglicht eine präzise und effiziente Steuerung des Bauablaufs. Dank der Modularität könnten leerstehende Büro- und Gewerbeflächen, die in den letzten Jahren an Nachfrage verloren haben, effizienter in Wohnraum umgebaut werden.
Bei den langwierigen Bauprozessen sind die Bewilligungszeiten nicht zu unterschätzen. Effizientere und beschleunigte Genehmigungsverfahren könnten hier eine entscheidende Verbesserung bewirken. Durch klare, digitale Abläufe könnten Bauvorhaben rascher umgesetzt werden. Projekte, die auf den Wohnungsmangel reagieren, wie Sozial- und Genossenschaftswohnungen oder Co-Living-Konzepte, sollten bevorzugt behandelt werden. Sie könnten innerhalb des Bewilligungsprozesses Vorrang geniessen oder sogar weniger strenge Auflagen erfüllen müssen, um ihre Realisierung zu beschleunigen.
Letztlich ist der Immobilienmarkt ein grosses Geschäft, bei dem finanzielle Mittel eine zentrale Rolle spielen. Private Investoren könnten durch steuerliche Anreize, Subventionen oder zinsgünstige Kredite motiviert werden, in den Bau bezahlbarer Mietwohnungen zu investieren. Gleichzeitig könnte der Staat gezielte finanzielle Anreize schaffen, um bestimmte Nutzergruppen – wie Senioren oder Paare, deren Kinder bereits ausgezogen sind – dazu zu ermutigen, in kleinere Wohnungen umzuziehen und somit grössere Wohnflächen freizugeben.
Der Blick auf erfolgreiche Modelle in anderen Ländern kann darüber hinaus Inspiration bieten. Wien beispielsweise ist für seinen sozialen Wohnungsbau bekannt, bei dem die Stadt selbst als Bauträger fungiert und Wohnungen langfristig zu erschwinglichen Preisen anbietet (ZDFheute, 2024). In Singapur sichert der staatlich geförderte Wohnungsbau dem Grossteil der Bevölkerung günstigen Wohnraum und dient als Vorbild für viele Grossstädte (ARD-aktuell, 2022).
In der Schweiz bietet die direkte Demokratie einen einzigartigen Vorteil bei der Umsetzung politischer Massnahmen zur Wohnraumversorgung. Bürger/-innen haben die Möglichkeit, durch Initiativen und Referenden direkt Einfluss auf wohnungspolitische Entscheidungen zu nehmen. Die Akzeptanz und Legitimität der Massnahmen werden gestärkt, weil sie auf demokratischer Grundlage basieren und direkt die Bedürfnisse der Bevölkerung widerspiegeln.
Die drohende Wohnraumkrise in der Schweiz zeigt, dass es höchste Zeit ist, gemeinsam aktiv zu werden. Zugang zu lebenswertem Wohnraum ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch die Basis für sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität. Jeder von uns kann dazu beitragen, dass Wohnmöglichkeiten für alle zugänglich und bezahlbar bleiben: durch die Unterstützung sozialer Bauprojekte in der Umgebung, die Förderung nachhaltiger Wohnmodelle, die Teilnahme an gemeinschaftlichen Diskussionen und das aktive Engagement in politischen Entscheidungsprozessen.
Dabei spielen die mediale Darstellung des Problems und die Anregung einer öffentlichen Debatte eine zentrale Rolle. Vertreter/-innen aller Bereiche – von Investitionen, Politik und Raumplanung bis hin zu den Behörden und der Bevölkerung selbst – sind gemeinsam gefordert, Verantwortung im Kampf gegen die Wohnraumkrise zu übernehmen. Es ist entscheidend, dass jeder seine Rolle im Prozess versteht und aktiv dazu beiträgt, die Situation zu verbessern. Nur wenn alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten und ihre spezifischen Stärken und Einflussmöglichkeiten einbringen, kann eine echte Veränderung erreicht werden. Dass das Problem heute „Not In My Backyard“ scheint, bedeutet nicht, dass es in ein paar Jahren nicht alle von uns betreffen könnte. Gemeinsam können Grundlagen für eine Zukunft geschaffen werden, in der ausreichender, bezahlbarer Lebensraum für alle gewährleistet ist.
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