27. Januar 2025
Die Wohnungsknappheit in Schweizer Grossstädten spitzt sich weiter zu. Die Umwandlung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum ist ein Weg, um die angespannte Marktlage zu lindern. Gleichzeitig entspricht dies dem politischen Bestreben, die Innenverdichtung voranzutreiben und trägt dem neuen ökologischen Bewusstsein Rechnung, noch nutzbare Strukturen zu erhalten. Das ist leichter gesagt als getan. Denn trotz technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Attraktivität stehen Investoren, Architekten und Projektentwickler vor vielfältigen komplexen Herausforderungen. Mit Durchhaltewillen und kreativen Lösungsansätzen kann es trotzdem gelingen, einen nachhaltigen Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten.
Ein Artikel von: Nicole Di Stefano und Roland Müller
Die städtische Wohnraumknappheit steht im Kontrast zu einem zunehmenden Leerstand von Büroflächen und Industriebrachen. So sinkt die Leerwohnungsziffer im vierten Jahr in Folge und liegt 2024 national bei 1.08% (Bundesamt für Statistik, 2024). In den Grosszentren ist die Quote noch tiefer. Die Stadt Zürich beispielsweise verzeichnet aktuell nur knapp 0.07% Leerwohnungen. (Stadt Zürich, 2024) In den meisten Kantonen liegt die Leerstandsquote deutlich unter dem optimalen Niveau (Wüest Partner, 2024).
Aufgrund struktureller Veränderungen der Arbeitsweise werden seit der Corona-Pandemie vor allem hochwertige Flächen an sehr guten Lagen nachgefragt. Für dezentrale und in die Jahre gekommene Objekte kann zunehmend ein Überangebot beobachtet werden (vgl. Meyer, 2024) Gemäss CBRE steigt der Büro-Leerstand in Zürcher Vororten per Ende 2023 auf 14.6 % an. Ein noch schlimmeres Schicksal ereilt Industrieareale, die durch einen verstärken Konzentrations- und Wandlungsprozess nicht oder nur noch teilweise für ihren ursprünglichen Zweck genutzt werden oder ganz brach liegen.
Diese Situation eröffnet eine Chance: Die Umnutzung leerstehender Flächen zu neuem Wohnraum. Dies trägt nicht nur zur Entschärfung der Wohnungsknappheit bei, sondern schont auch Ressourcen durch die Einsparung von grauer Energie und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit.
Technisch sehen sich Architekten und Ingenieure bei Umnutzungsprojekten mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Machbar ist grundsätzlich vieles, die Frage ist nur, zu welchem Preis. Wüest Partner schätzt die Kosten für Umnutzungen auf 2.500 bis 4.000 Franken pro Quadratmeter (vgl. Blick, 2024)
Besonders die Gebäudetiefe in Bürokomplexen stellt hinsichtlich der Lichtverhältnisse ein Problem dar. Zudem sind die Anforderungen an die Raumaufteilung und die haustechnischen Installationen höher. Es sind zusätzliche Sanitäranlagen und Küchen erforderlich und bestehende Lüftungssysteme müssen angepasst oder neu installiert werden. Eine gründliche Beurteilung der Gebäudestruktur ist unerlässlich, da häufig Deckendurchbrüche notwendig sind, um den höheren Technisierungsgrad von Wohnungen zu ermöglichen. Zudem muss die Erdbebensicherheit und die erhöhten Anforderungen an den Brandschutz geprüft und gegebenenfalls verbessert werden.
Die Realisierung privater Aussenräume wie Balkone oder Loggien muss ebenfalls berücksichtigt werden, da sie ein wichtiges Vermietungskriterium für Wohnungen darstellen. Um den aktuellen Energiestandards zu entsprechen, sind meist umfangreiche energetische Sanierungsmassnahmen erforderlich. Üblicherweise werden die Fassaden mit besseren Fenstern ersetzt und mit neuer Wärmedämmung ausgestattet, um die geforderten Dämmwerte zu erreichen.
Die technischen Grenzen einer Umnutzung werden von Marktakteuren vor allem dort gesehen, wo die Ausnützungsziffer um ein Vielfaches höher ist als der aktuelle Bestand Fläche aufweist. Ein bestehendes Gebäude kann aufgrund der Tragstruktur nicht beliebig aufgestockt werden, ohne dass die Kosten dafür ins Unermessliche steigen. Soll das volle vorhandene Flächenpotenzial ausgeschöpft werden, bleibt fast nur ein Abbruch-Neubau-Szenario (vgl. Blick, 2024)
Die wirtschaftliche Attraktivität wird durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren bestimmt. An erster Stelle steht eine gründliche Standortanalyse, wobei Gebiete mit hoher Wohnraumnachfrage und entsprechender Zahlungsbereitschaft besonders vielversprechend sind, vor allem dann, wenn die Mietpotenziale für Büromieten gleichzeitig sinken.
Eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse, die Umbaukosten gegen potenzielle Mieteinnahmen abwägt und langfristige Wertsteigerungspotenziale berücksichtigt, ist unerlässlich. Zudem kann ein Vergleich der Renditen von Büro- und Wohnimmobilien wertvolle Erkenntnisse über die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit liefern. So sind Umnutzungen vor allem dann finanzierbar, wenn die Miete resp. die Wertschöpfung für eine Wohnnutzung an einem Standort pro Quadratmeter substanziell höher ist als für Büros. Um die Wirtschaftlichkeit weiter zu optimieren, sind kreative und kostengünstige Ansätze gefragt. Der Einsatz modularer Bauelemente oder die geschickte Nutzung bestehender Strukturen können dabei helfen, die Umbaukosten im Rahmen zu halten.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen stellen eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Bauvorschriften, insbesondere Anforderungen an Lärm- und Brandschutz, sind für Wohnraum viel höher als für Gewerbe und Büro. Zonenpläne lassen sich nicht von heute auf morgen ändern, da sie rechtsverbindlich sind und ihnen ein gewisser Ordnungscharakter zukommt. Der Bund hat die Problematik erkannt und hat im Februar 2024 einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Wohnungsnot vorgestellt: «Die Trennung von Arbeits- und Wohnbereichen, die ursprünglich auch dem Schutz vor schädlichen Immissionen diente, hat heute vielerorts einen Teil ihrer Bedeutung verloren, da viele handwerkliche und industrielle Tätigkeiten emissionsarm sind», stellt ein vom Bund veröffentlichtes Dokument fest. Es ist zu vermuten, dass der Bund damit die Kantone, Städte und Gemeinden ermutigen will, Machbarkeitsanalysen durchzuführen (vgl. Blick, 2024)
Neben den rechtlichen Herausforderungen spielen auch politische Faktoren eine wichtige Rolle. Das sogenannte NIMBY-Phänomen («Not In My Back Yard») kann zu erheblichem Widerstand gegen die Verdichtung führen, da Anwohner negative Auswirkungen auf ihre Lebensqualität befürchten. Einsprachen und Rekurse gegen konkrete Bauvorhaben kann jeder einreichen, der ein berechtigtes Interesse hat. Bauprojekt können damit verhindert oder zumindest lange aufhalten werden. Des Weiteren kann sich die Bevölkerung auch auf übergeordneter Ebene einbringen. Die Revision einer kommunalen Bau- und Zonenordnung muss in der Schweiz in der Regel durch eine Volksabstimmung bestätigt werden Mit einem „Nein“ an der Urne kann das Stimmvolk Versuche zur Schaffung von mehr Wohnraum somit ebenfalls verhindern (vgl. Zulliger, 2023).
Transparente Kommunikation und partizipative Ansätze können dazu beitragen, Vorbehalte der Bevölkerung abzubauen und die Unterstützung der Gemeinschaft zu gewinnen. Letztendlich erfordert die erfolgreiche Umsetzung von solchen Projekten nicht nur technisches und wirtschaftliches Know-how, sondern auch politisches Geschick und ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse und Bedenken der lokalen Bevölkerung.
Die Komplexität und Dauer von Bewilligungsprozessen werden von Investoren und Entwicklern in den letzten Jahren vielfach als Hauptgrund für die zu geringe Bautätigkeit genannt. Dies liegt u.a. daran, dass bei grösseren Bauvorhaben viele Ämter involviert sind, die Vorschriften komplex und detailliert sind, aber auch die Qualität der Baugesuche mangelhaft ist. Die Anzahl bewilligter Bauprojekte ist seit mehreren Jahren rückläufig. Aufgrund der erwähnten rechtlichen Rahmenbedingungen fällt die Bewilligungsquote für Umnutzungsprojekte nochmals tiefer aus (vgl. Kubli & Rappl, 2021)
Als erfolgsversprechender „Tipp“ für jegliche Entwicklungsvorhaben gilt, die verschiedenen Ämter und Behörden frühzeitig ins Boot zu holen und auch immer wieder mit Zwischeninformationen zu versorgen. Dies ist zwar noch keine Garantie dafür, dass ein Projekt bewilligt wird, aber immerhin lassen sich dadurch Tendenzen erkennen und schafft Wohlwollen und gegenseitiges Vertrauen.
Um die genannten Herausforderungen zu bewältigen, lohnt es sich, im Vorfeld mehr Zeit für die Projektanalyse und -vorbereitung zu investieren und eine gewisse Offenheit für kreative Vorschläge zu haben.
Ob sich ein Objekt zur Umnutzung eignen könnte, kann beispielsweise anhand eines Kriterienkatalogs für die Standortwahl bestimmt werden. Innovative Konzepte wie Co-Living oder Micro-Apartments können neue Möglichkeiten eröffnen, um mit der bestehenden Gebäudesubstanz umzugehen und auf veränderte Wohnbedürfnisse zu reagieren. Wichtig ist, die Zielgruppe sauber zu definieren und ein auf die Bedürfnisse ausgerichtetes Angebot zu schaffen. Ein gutes Produkt am falschen Ort ist nur schwerlich rentabel.
Ein anschauliches Beispiel für eine gelungene Umnutzung ist die ehemalige Rennbahnklinik in Muttenz (vgl. Kurz, 2015). Das Projekt zeigt deutlich auf, welche Möglichkeiten sich durch Flexibilität, Kreativität und guter Zusammenarbeit aller Beteiligten ergeben können.
Nach Auszug der Klinik stand das Objekt leer – eine Wiedervermietung erachtete der Eigentümer Swissinvest als nahezu unmöglich. Durch die Nähe zur Fachhochschule Nordwestschweiz kam die Idee zur Umnutzung in Wohnraum für Studenten. Dies klingt simpel, brachte aber viele Hürden mit sich, denn die durch den Quartierplan stark eingeschränkte Nutzung sah kein Wohnen vor. Die Behörden zeigten sich kulant und erteilten diverse Ausnahmebewilligungen unter der Bedingung, dass die Flächen ausschliesslich für studentisches Wohnen genutzt werden und die Dauer auf 10 Jahre beschränkt wird.
Um das Projekt dennoch rentabel zu machen, brauchte es seitens Salathé Architekten einen pragmatischen und radikalen Ansatz: So wurden beispielsweise rohe Betondecken und Unterlagsböden belassen, auch unverkleidete Stützen sind sichtbar. Die Küchen sind als einfache Küchenzeilen ausgeführt, die das Nötigste bieten und sich nahtlos in den Wohnraum einfügen. Die Kosten pro Quadratmeter konnten so auf CHF 1000 pro Quadratmeter minimiert werden. Die Mietpreise sind mit 550 – 800 Franken pro Einheit und Monat zwar eher am oberen Limit, durch die für Studenten günstige Lage stellt die Vermietung jedoch kein Problem dar.
Und der Umweg über die Zwischennutzung hat sich gelohnt. Inzwischen wurden die Quartierplanvorschriften «Rennbahn» beschlossen. Darin sind Wohnnutzungen zulässig mit dem Zweck, die Verdichtung voranzutreiben und ein hochwertiges und vielfältiges Angebot an Wohnraum zu schaffen. Die Eigentümerin stellt nun Überlegungen an, wie es mit der ehemaligen Rennbahnklinik weiter geht.
Dass es hilfreich sein kann, über den Tellerrand hinaus zu denken, zeigt auch das Beispiel eines geplanten Pilot-Projektes der Anlagestiftung Turidomus auf dem ehemaligen Industrieareal ZWHATT in Regensdorf. Im Verlauf der fortschreitenden Gesamtarealentwicklung stellte die Eigentümerin Überlegungen an, wie sie mit einem ehemaligen Büro- und Verwaltungsgebäude umgehen soll. Aus umwelttechnischen Überlegungen und aufgrund der soliden Substanz des Gebäudes erschien ein Abbruch nicht mehr zeitgemäss. Für die Wiedervermietung als Büro aufgrund des Objektzustands ungeeignet, entstand die Idee, zwei Pilot-Umnutzungsprojekte auf zwei verschiedenen Stockwerken zu realisieren. Ziel ist es, möglichst viele Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Die Investitionskosten sollen dabei auf einem moderaten Niveau gehalten werden. So wird beispielsweise die Fassade nicht vollständig saniert, sondern versucht, mit minimalinvasiven Eingriffen die Kosten im Rahmen zu halten und vorrangig erneuerbare Energien zu nutzen: der Einsatz von Photovoltaikanlagen und einer Grundwasser-Wärmepumpe sorgt in Zukunft für das emissionsfreie Beheizen des Gebäudes.
Noch weiter gehen die Überlegungen betreffend Innenraum. Eines der beiden Umnutzungen wird durch ein Wohnforschungsprojekt der ETH begleitet und soll untersuchen, wie eine Raumaufteilung mit unterschiedlichen Temperaturzonen von Mietern angenommen wird. Das Konzept richtet sich vor allem an ein jüngeres Publikum, welches durch die gute Erreichbarkeit der ETH Hönggerberg auch gegeben sein dürfte.
Die Wohnungen werden loftartig gestaltet und mit Küchen- und Badmodulen versehen, die als „Kachelöfen“ funktionieren. Je näher man diesen thermoaktiven Elementen kommt, desto wärmer wird es. Das Prinzip ist einfach: Anstatt den Raum aufzuheizen und viel Wärme über die Fassade zu verlieren, heizt man mittels Strahlungswärme nur unmittelbare Umgebung auf. Die beachtlichen Raumtiefen werden von den Architekten (EMI Architekten) durch Verglasungen zu den Erschliessungsflächen gelöst (vgl. EMI). Das Innenraumklima soll mittels spezieller Vorhangstoffe und -systemen in Temperaturzonen eingeteilt und je nach Bedürfnis variiert werden können. Aufgrund der durch das Areal angebotenen grosszügigen und vielseitig nutzbaren öffentlichen Aussenräume, sieht die Eigentümerin den Verzicht auf private Aussenflächen als vertretbar.
Die Nutzugsdauer ist zwar unbestimmt, durch die modulare Bauweise und die wenigen baulichen Eingriffe lässt sich ein Rückbau aber vergleichsweise leicht bewerkstelligen. Somit wird eine grosse Flexibilität bewahrt und lässt der Eigentümerschaft einen gewissen Handlungsraum.
Die Umnutzung von Gewerbe- und Büroflächen zu Wohnraum bietet enorme Chancen für die Innenverdichtung, birgt aber auch vielfältige Herausforderungen. Mit innovativen Lösungsansätzen, einem konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten und der Bereitschaft zu flexiblen Regelwerken kann dieses Potenzial genutzt werden. Es liegt an Investoren, Behörden, Mietern und Nachbarn gleichermassen, sich aktiv für solche Projekte einzusetzen und damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung zu leisten. Nicht zuletzt dank der gesellschaftlichen Debatte über den nachhaltigen Umgang mit Bestandsbauten wird das Thema einer klimagerechten Umnutzung weiter an Bedeutung gewinnen. Kostenoptimierte und nutzungsorientierte Umnutzungskonzepte leisten einen entscheidenden Beitrag für die Zukunftsfähigkeit von nachhaltig ausgerichteten Immobilienportfolios.
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