4. Februar 2025
Dieser Beitrag erschien in ungekürzter Fassung im Dezember 2024 im IFZ Sustainable Lending Monitor. Nach langjähriger Thematisierung der ökologischen Nachhaltigkeit von Immobilieninvestitionen geht es hier um die Frage, wie es mit privatem Kapital in einem wirtschaftlichen Kontext gelingen kann, soziale Aspekte stärker zu berücksichtigen. Angesichts der öffentlichen Kritik an privaten und institutionellen Vermietern einerseits und dringend benötigtem Kapital für städtisches Wachstum andererseits ist dieses Frage dringender denn je. Der Überblick zeigt unter anderem, dass vor allem Wohnungsmärkte im Kontext sozialer Ungleichheit international immer stärker reguliert werden. Soziale Verantwortung gewinnt deshalb weiter an Bedeutung: Aus ethischen Gründen, um regulatorischen Risiken bewusst entgegenzuwirken und um unternehmerische Freiheiten für zukünftige Immobilieninvestitionen zu bewahren.
Ein Artikel von Valentina Maras
In den letzten Jahren hat die Immobilienwirtschaft und die immobilienwirtschaftliche Forschung verstärkt die soziale Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt, um den wachsenden Anforderungen von Investoren, Regierungen und der Gesellschaft gerecht zu werden (Salzberger et al., 2024). Angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen, wie der Alterung der Bevölkerung und der zunehmenden Wohnungsknappheit, wird es immer dringlicher, soziale Nachhaltigkeit auch im Immobiliensektor umfassend zu berücksichtigen. Ältere Menschen haben beispielsweise oft Schwierigkeiten, sich auf dem Wohnungsmarkt zu behaupten, da moderne, digitale und schnelle Vermietungsprozesse für sie eine Hürde darstellen. Viele sind weniger vertraut mit digitalen Plattformen und benötigen längere Planungszeiten, was ihre Chancen auf angemessenen Wohnraum verringert (Althaus und Birrer, 2020; Höpflinger und Van Wezemael, 2014; Zimmerli, 2017). Solche strukturellen Herausforderungen verdeutlichen, warum soziale Kriterien wie Zugänglichkeit und Inklusion stärker in die Gestaltung der Immobilienwirtschaft integriert werden müssen.
Darüber hinaus zeigt sich, dass soziale Nachhaltigkeit nicht nur gesellschaftliche Vorteile bringt, sondern auch die finanzielle Performance von Immobilienprojekten positiv beeinflussen kann. Beispielsweise zeigt die „Social Value Roadmap“ von Patrizia SE (2021), dass die Schaffung und Steigerung des sozialen Wertes von Immobilien eine Win-Win-Situation darstellt: sie fördert (potenziell) sowohl das Gemeinwohl als auch das finanzielle Wachstum. Auch Banken wie BNP Paribas (2022) und UBS (2019) betonen die Bedeutung sozialer Key Performance Indicators (KPIs), die in ESG-Reportings (Environmental, Social, and Governance) integriert werden und langfristig höhere Renditen ermöglichen können (Salzberger et al., 2024).
Trotz der wachsenden Bedeutung sozialer Nachhaltigkeit fehlt bislang ein allgemeiner Konsens darüber, wie diese Dimension in der Immobilienwirtschaft definiert und messbar gemacht werden kann. Dies erschwert die gezielte Umsetzung und Bewertung entsprechender Massnahmen erheblich. Während ökologische Nachhaltigkeit durch klar definierte Indikatoren wie CO₂-Reduktion oder Energieeffizienz vergleichsweise einfach quantifiziert werden kann, bleibt die soziale Dimension weitaus schwieriger zu messen (Adcock & Crowe, 2022; Salzberger et al., 2024).
Menschen verbringen heutzutage den Grossteil ihrer Zeit in geschlossenen Räumen – in Industrieländern etwa 70 % des Tages (WHO, 2018). Dieser Trend wird durch den zunehmenden Einfluss von Technologien und veränderter Lebensstile weiter verstärkt, wodurch Immobilien eine zunehmend wichtige Rolle für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen spielen (Salzberger et al., 2024). Aber auch die gebaute Umwelt hat eine erhebliche Auswirkung auf die Gesellschaft. Doch während in der ESG-Berichterstattung Umwelt- und Governance-Aspekte meist im Vordergrund stehen, wird der soziale Aspekt in der Immobilienwirtschaft oft vernachlässigt. Dies liegt insbesondere an der Komplexität sozialer Fragestellungen (Stuart, 2024).
Der soziale Wert von Immobilien umfasst verschiedene Faktoren, die von Lebensqualität und Gemeinschaftswohl bis hin zu Mieterzufriedenheit und sozialer Inklusion reichen. Dabei geht es sowohl um das physische als auch um das geistige und soziale Wohl der Bewohnenden (Utopi, kein Datum). Stuart (2024) betont, dass eine systematische Bewertung des sozialen Wertes sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen von Immobilienprojekten auf Einzelpersonen, Gemeinschaften und die Gesellschaft insgesamt erfassen muss.
Mit der steigenden Nachfrage von Investoren nach klaren Messgrössen für den sozialen Wert von Immobilien wächst der Druck auf Unternehmen, soziale Effekte nachweisbar zu machen. Die Branche steht dabei vor der Herausforderung, ohne einen einheitlichen Bewertungsrahmen agieren zu müssen (Stuart, 2024). Bislang gibt es keine allgemein anerkannte Definition sozialer Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft. Ein Versuch, eine standardisierte „S-Taxonomie“ analog zur E-Taxonomie für Umweltaspekte zu etablieren, scheiterte an der Komplexität und den Schwierigkeiten bei der Konsensfindung (Lohr, 2022).
Eine der zentralen Herausforderungen besteht darin, die oft schwer fassbaren Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit zu bewerten und zu quantifizieren (Utopi, kein Datum). Während ökologische Faktoren wie CO2-Reduktion oder Energieeffizienz durch objektive Kennzahlen erfasst werden können, ist soziale Nachhaltigkeit oft qualitativ, subjektiv und kulturell geprägt (Salzberger et al., 2024). Bauereis und Latosik (2021) sowie Betz und Harsch (2022) weisen darauf hin, dass soziale Kriterien schwieriger wissenschaftlich zu belegen sind als ökologische. Dies liegt unter anderem daran, dass soziale Nachhaltigkeit viele qualitative und subjektive Aspekte umfasst, die stark von kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden geprägt sein können und zudem schwerer in lineare Zusammenhänge zu fassen sind (Salzberger et al., 2024).
Diese Schwierigkeiten führen schliesslich zu fehlenden oder uneinheitlichen Umsetzungsstrategien in der Immobilienbranche (Salzberger et al., 2024). Ein anschauliches Beispiel ist das Kriterium der Erschwinglichkeit von Wohnraum. Obwohl allgemein anerkannt ist, dass bezahlbarer Wohnraum ein zentrales gesellschaftliches Anliegen ist, gibt es keinen Konsens darüber, wie dieser zu definieren oder zu messen ist. Unterschiedliche methodische Ansätze – etwa der Verhältnisansatz (Miete im Verhältnis zum Einkommen) oder der Residualeinkommensansatz (verbleibendes Einkommen nach Mietzahlungen) – führen zu unterschiedlichen Ergebnissen und erschweren die Vergleichbarkeit (Nachfragemonitor, 2024).
Trotz dieser Herausforderungen herrscht in der Literatur Einigkeit darüber, dass soziale Nachhaltigkeit langfristig positive soziale Effekte für Menschen und Gemeinschaften erzeugen und deren Lebensqualität verbessern soll (Salzberger et al., 2024). Gemäss Salzberger et al. (2024) lassen sich zwei zentrale Ebenen sozialer Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft unterscheiden:
Die Autoren definieren letztlich die soziale Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche wie folgt:
«Soziale Nachhaltigkeit im Immobiliensektor bezieht sich auf die Förderung des sozialen Wohlergehens und der Lebensqualität der Bewohner durch eine bewusste Planung und Gestaltung von Gebäuden und deren Umgebung. Dies umfasst die Sicherstellung von Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, die Unterstützung von sozialer Integration und Kohäsion sowie die Schaffung von sicheren und gesunden Lebensbedingungen. Zudem beinhaltet es die Förderung der Partizipation der Bewohner in Entscheidungsprozessen und die langfristige Sicherung von sozialem Kapital und Gemeinschaftsstrukturen. Solche Maßnahmen zielen darauf ab, stabile und unterstützende Gemeinschaften zu entwickeln, in denen die Bedürfnisse und das Wohlbefinden aller Bewohner berücksichtigt und gefördert werden.» (Salzberger et al., 2024: S.22)
Die zentrale Herausforderung für die Branche bei der Umsetzung sozialer Nachhaltigkeitsziele besteht nun darin, diese vielschichtigen Aspekte messbar und umsetzbar zu machen (Salzberger et al., 2024).
EU-Regulierungen und internationale Instrumente
Die EU treibt den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft mit der EU-Taxonomie und der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) voran. Seit 2022 definiert die EU-Taxonomie Kriterien für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten mit Fokus auf ökologische Aspekte. Ab dem 1. Januar 2024 verpflichtet die CSRD Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsleistung nach ESG-Kriterien offenzulegen. Dies verbessert die Vergleichbarkeit für Investoren und erhöht die Transparenz. Die CSRD ersetzt die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) von 2017, die als unzureichend galt, um den Anforderungen des EU-Aktionsplans „Sustainable Finance“ gerecht zu werden (MLL Legal, 2024; Swissbau, 2024).
Eine zentrale Neuerung ist das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit: Unternehmen müssen sowohl ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft als auch umgekehrt die Nachhaltigkeitsrisiken für ihr Geschäft offenlegen. Die Umsetzung erfolgt mithilfe der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die seit Januar 2024 verbindlich sind. Die ESRS umfassen zwölf Standards, die ein breites Spektrum an Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen abdecken, darunter Themen wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Menschenrechte. Diese Standards sollen die Vergleichbarkeit der Berichte verbessern, indem sie freiwillige, uneinheitliche Berichtsformate ablösen (MLL Legal, 2024).
Die CSRD wird schrittweise von 2024 bis 2028 eingeführt. Ab Januar 2025 (für das Geschäftsjahr 2024) gelten die Vorschriften zunächst für kapitalmarktorientierte Unternehmen und grosse Finanzinstitute, später auch für börsennotierte KMUs und bestimmte nicht-EU-Unternehmen mit EU-Geschäftstätigkeit (MLL Legal, 2024).
Während die neuen EU-Regulierungen eine einheitliche und umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung anstreben, stellt sich insbesondere in der Immobilienbranche die Frage, wie soziale Aspekte innerhalb der ESG-Kriterien erfasst und bewertet werden können. Internationale Instrumente bieten hierbei wertvolle Unterstützung. Ein bekanntes Tool ist das Global Real Estate Sustainability Benchmark (GRESB), das Unternehmen dazu ermutigt, über soziale Themen wie Mieterbindung, Gemeinschaftswohl, Menschenrechte und Arbeitspraktiken zu berichten. Ergänzend wurde im November 2023 der Real Estate Social Value Index (RESVI) von GRESB als erste Zertifizierung zur Messung des sozialen Mehrwerts im ESG-Kontext anerkannt (Stuart, 2024).
Regulatorische Rahmenbedingungen und Berichterstattungspflichten
Die Offenlegungspflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung werden sowohl in der EU als auch in der Schweiz kontinuierlich verschärft. Obwohl die Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ (Konzernverantwortungsinitiative) am 29. November 2020 abgelehnt wurde, trat der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft. Dieser brachte neue Sorgfalts- und Transparenzpflichten im Obligationenrecht, die seit dem 1. Januar 2022 gelten. Zudem verabschiedete der Bundesrat eine Verordnung zur verbindlichen Klimaberichterstattung für grosse Unternehmen, die am 1. Januar 2024 in Kraft trat (MLL Legal, 2024).
Die Schweiz orientierte sich ursprünglich an der EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD). Mit der Einführung der neuen CSRD in der EU im Jahr 2024 kam es jedoch zu einer Diskrepanz zwischen den Schweizer Vorschriften und dem aktuellen EU-Standard. Um diese Lücke zu schliessen, kündigte der Bundesrat im September 2023 eine internationale Harmonisierung der Schweizer Regelungen an. Am 26. Juni 2024 wurde dazu ein Vernehmlassungsverfahren eröffnet, das bis zum 31. Oktober 2024 eine Anpassung an die EU-CSRD prüfen soll (MLL Legal, 2024).
Standards im Bauwesen
Im Schweizer Bauwesen wird soziale Nachhaltigkeit insbesondere durch den „Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz“ (SNBS) gefördert. Dieser berücksichtigt neben ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien auch soziale Faktoren wie Erschwinglichkeit, soziale Durchmischung oder den Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Bauprojekte nicht nur umweltfreundlich, sondern auch sozial nachhaltig gestaltet werden (Salzberger et al., 2024; SNBS, 2024).
Ergänzend dazu dient der Swiss Sustainable Real Estate Index (SSREI) als Bewertungsinstrument für nachhaltige Immobilienprojekte. Der SSREI integriert ökologische, soziale und wirtschaftliche Faktoren und bietet eine Benchmark für nachhaltige Bauprojekte (Salzberger et al., 2024; SSREI, 2024).
Die soziale Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung, bleibt jedoch ein komplexes und herausforderndes Feld, da ihre Definition und Messung stark von kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren abhängen. Nach wie vor fehlt ein allgemeiner Konsens darüber, wie soziale Nachhaltigkeit in der Branche einheitlich definiert und standardisiert gemessen werden sollte. Dies erschwert eine konsistente Umsetzung und Vergleichbarkeit sozialer Kriterien in Immobilienprojekten weltweit.
Im September 2024 wurde die Taskforce on Inequality and Social-related Financial Disclosures (TISFD) ins Leben gerufen. Die Initiative, getragen von einer globalen Koalition aus Unternehmen, Finanzinstitutionen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, soll Unternehmen und Finanzakteure dabei unterstützen, soziale und ungleichheitsbezogene Aspekte stärker in die Unternehmens- und Finanzberichterstattung zu integrieren[1].
Die TISFD könnte künftig dazu beitragen, dass auch die Immobilienbranche detailliertere und transparentere Berichte über die sozialen Auswirkungen ihrer Projekte erstellen muss. Dies würde nicht nur zu strengeren Regulierungen führen, sondern auch Investoren vermehrt dazu bewegen, soziale Aspekte wie den Abbau von Ungleichheiten in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Solche Entwicklungen zeigen, dass die soziale Dimension allgemein und in der Immobilienwirtschaft nicht nur ethisch, sondern auch ökonomisch immer bedeutsamer wird.
Fussnoten:
[1] Siehe hier für weitere Information: https://www.tisfd.org/
Literaturverzeichnis:
Das Literaturverzeichnis ist hier zu finden.
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