1. Dezember 2025

AI in Real Estate

„Anleitung zum Nicht-Coden“ – Warum die Immobilienwelt jetzt eine neue Schlüsselkompetenz braucht

„Anleitung zum Nicht-Coden“ – Warum die Immobilienwelt jetzt eine neue Schlüsselkompetenz braucht
Quelle: GettyImages

Die Immobilienwirtschaft steht vor dem grössten Kompetenzwandel seit der Einführung digitaler Geschäftsprozesse. Aufgaben, die heute noch hohe manuelle Aufwände verursachen oder spezialisiertes Fachwissen und Tools erfordern, können künftig durch Agentische AI-Systeme unterstützt oder teilweise übernommen werden – schneller, nachvollziehbarer und mit stetig wachsender Qualität.

Autoren:
Dr. Marc Gille-Sepehri, Projektleiter „AI in Real Estate“
Prof. Dr. Markus Schmidiger, Studienleiter MAS Immobilienmanagement

Die zentrale Frage lautet nicht länger, ob Künstliche Intelligenz die Branche verändert.
Sondern: Wer wird in der Lage sein, sie verantwortungsvoll und wirksam einzusetzen und wer verliert den Anschluss?

AI in Real Estate

Mit dem neuen Kompetenzbereich „AI in Real Estate“ schafft das Kompetenzzentrum Immobilien am IFZ einen strategischen Entwicklungsschwerpunkt: Die Fähigkeit, AI nicht nur zu nutzen, sondern fachlich fundiert zu gestalten, kritisch zu evaluieren und in die Praxis zu überführen. Denn die Zukunft gehört nicht jenen, die AI konsumieren sondern jenen, die sie verstehen, steuern und sinnvoll einbetten können.

Warum „Nicht-Coden“ zur Schlüsselkompetenz wird

Die Immobilienbranche gehört zu den informationsintensivsten Sektoren überhaupt. Verträge, Reports, Bewertungen, regulatorische Vorgaben, ESG-Dokumentationen oder technische Gebäudedaten bilden die Grundlage vieler Entscheidungen. Gleichzeitig sind viele Geschäftsprozesse fragmentiert, abhängig von Einzelsekundenwissen und stark manuell geprägt.

Durch Agentische AI entstehen neue Möglichkeiten, diese Wissens- und Datenarbeit zu transformieren. Agentische Systeme können heute:

  • Aufgabenstellungen verstehen und strukturieren
  • Arbeitsschritte planen und priorisieren
  • Informationen sammeln, verarbeiten und verknüpfen
  • Ergebnisse prüfen und iterativ verbessern

Und dies ohne klassische Softwareentwicklung.

Damit wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet: Immobilienprofis benötigen künftig weniger Programmierkenntnisse, sondern ein tiefes Verständnis dafür, wie AI sinnvoll eingesetzt, gesteuert und mit Fachlogik gefüttert werden kann – also eine Art „Anleitung zum Nicht-Coden“.

Der nächste Entwicklungssprung: Reasoning und Wissensmodelle

Während AI lange Zeit vor allem als Werkzeug zur Textgenerierung wahrgenommen wurde, liegt die eigentliche Disruption in einer neuen Fähigkeit: Reasoning. Gemeint ist die Fähigkeit eines Modells, analytisch zu schlussfolgern, Sachverhalte zu vergleichen, Zusammenhänge zu erkennen und Entscheidungen vorzubereiten.

Was bedeutet das konkret für die Immobilienpraxis?

  • Numerische Interpretation: AI kann Cashflows, Mieten, Indexierungen, Renditen und Risiken einordnen.
  • Semantische Interpretation: AI kann Inhalte aus Verträgen, Protokollen oder ESG-Berichten nicht nur „lesen“, sondern inhaltlich verstehen.
  • Wissensvernetzung: AI kann Informationen aus unterschiedlichen Quellen logisch miteinander verbinden – und daraus Konsequenzen ableiten.

Damit entsteht eine neue Art der dynamischen Wissensmodelle:
Systeme, die nicht nur Daten speichern, sondern Wissen aufbauen, aktualisieren und angewendet bereitstellen können. Für Organisationen bedeutet das: Wissen wird weniger personenabhängig, zugänglicher und skalierbarer.

Mini-Beispiel:
Ein Wissensmodell zu Mietvertragsmanagement kann lernen, welche Klauseln Risiken enthalten, wie Indexierungsregeln funktionieren, welche Nebenkostenarten marktüblich sind und welche Fristen regulatorisch relevant werden. Dieses Wissen kann ein Agent künftig nutzen, um Verträge zu prüfen, Auffälligkeiten zu markieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Konkrete Einsatzfelder: dort, wo heute viel Zeit gebunden wird

Agentische AI ist kein Zukunftskonzept – erste Anwendungen sind bereits heute produktiv einsetzbar. Besonders relevant ist der Nutzen überall dort, wo viel Lese-, Analyse- und Dokumentationsarbeit anfällt.

Beispiele mit direktem Branchenbezug:

Due Diligence
Ein Agent kann Dokumente analysieren, Risiken kategorisieren, ESG-Checklisten prüfen, Standortdaten integrieren und die Ergebnisse in eine strukturierte DD-Vorlage überführen.
Ergebnis: >70 % Zeitersparnis in der Voranalysephase.

Bewertung und Finanzierung
Der AI-Agent kann Marktdaten einordnen, Mietniveaus vergleichen, Objektinformationen zusammenführen und einen ersten Bewertungsvorschlag samt Begründung liefern.
Ergebnis: schnellere Entscheidungsfähigkeit, bessere Unterlagen für Banken und Investoren.

ESG-Reporting
Ein Agent kann Daten aus verschiedenen Systemen zusammenführen, Textbausteine entwickeln, regulatorische Anforderungen abgleichen und ein auditfähiges Reporting vorbereiten.
Ergebnis: entlastete Teams und bessere Datenqualität.

Beispiel: Agentischer Workflow zur Due Diligence bei Data Center-Projekten; Quelle: Eigene Darstellung

Vom Wissensnutzer zum Wissensgestalter

Mit der Verfügbarkeit agentischer AI und No-Code-/Low-Code-Lösungen verschiebt sich die Grenze zwischen Fachlichkeit und IT. Fachspezialistinnen und -spezialisten werden künftig nicht nur Nutzende von Software sein, sondern aktive Architektinnen und Architekten digitaler Lösungslogiken.

Im Zentrum stehen drei Fähigkeiten:

  1. Workflows gestalten
    Fachleute strukturieren Aufgaben so, dass ein AI-Agent sie ausführen kann.
  2. Wissensbasen kuratieren
    Nicht Datenmenge ist entscheidend, sondern Relevanz und Struktur des Wissens, das dem Agenten zur Verfügung steht.
  3. Fachlogik in präzise Prompts übersetzen
    Prompting wird zur Ausdrucksform von Geschäftslogik – vergleichbar mit einem Fachkonzept.

Agentische No Code/Low Code-Werkzeuge; Quelle: Eigene Darstellung

Human in the Loop: kritisches Denken ist und bleibt Pflicht

Trotz wachsender Automatisierung bleibt die Verantwortung beim Menschen. AI kann Inhalte formulieren, Entscheidungen vorbereiten und Vorschläge generieren – doch sie ist nicht fehlerfrei, nicht haftbar und nicht kontextsensibel genug, um ohne Fachurteil zu agieren. Und wenn sie etwas nicht weiss, fabuliert sie häufig einfach drauf los.

Die Fähigkeit der Evaluation wird damit zur Schlüsselkompetenz. Evaluation meint die Fähigkeit, AI-Ergebnisse nicht nur formal zu prüfen, sondern in ihren Entstehungskontext einzuordnen, Abweichungen zu erkennen und fachlich zu bewerten.

Ein kurzer Orientierungsrahmen für die Praxis:

Worauf bei AI-Ergebnissen zu achten ist:

  • Transparenz – ist nachvollziehbar, wie das Ergebnis zustande kam?
  • Plausibilität – passt das Ergebnis zur Marktlage, zu Daten und Erfahrungswerten?
  • Vollständigkeit – wurden alle relevanten Dimensionen berücksichtigt?
  • Kontextbezug – wurden besondere Fälle, Ausnahmen oder regulatorische Besonderheiten erkannt?

„Wie beim E-Fahrzeug: Man muss nicht wissen, wie die Batterie gebaut wird. Aber man muss verstehen, wie man sicher, effizient und verantwortungsvoll fährt. Genau so verhält es sich mit AI.“
Dr. Marc Gille-Sepehri

IT bleibt unverzichtbar, aber mit verändertem Auftrag

Auch wenn Fachabteilungen künftig selbstständig AI-gestützte Workflows konfigurieren können, bleibt die Rolle der IT zentral. Sie verschiebt sich jedoch von einer primär entwickelnden hin zu einer ermöglichenden, integrierenden und sicherheitsverantwortlichen Funktion.

Wesentliche Aufgaben der IT werden sein:

  • Datenzugang & Architektur: sichere, qualitätsgesicherte Datenbereitstellung
  • Governance & Compliance: Schutz sensibler Informationen, Datenschutz, Regulatorik
  • Integration: Anbindung von AI an bestehende Systemlandschaften (ERP, CRM, CAFM, DMS, BI)
  • Betrieb & Monitoring: Stabilität, Kostenkontrolle, Qualitätssicherung, Risikomanagement

Gerade vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, wachsender Compliance-Anforderungen und komplexer Datenschutzregelungen gewinnt diese Partnerschaft an Bedeutung. Innovation benötigt technische Stabilität, und Stabilität benötigt innovative Weiterentwicklung – beides entsteht nur im Zusammenspiel von Fachlichkeit und IT.

Dr. Marc Gille-Sepehri: Impulsgeber für eine neue Kompetenzära am IFZ

Dr. Marc Gille-Sepehri

Um diese Entwicklung aktiv mitzugestalten, verstärkt Dr. Marc Gille-Sepehri das IFZ mit einer seltenen Kombination aus technologischer Expertise, Branchenkenntnis und wissenschaftlicher Lehr- und Forschungserfahrung.

Er bringt mit:

  • über 35 Jahre Berufserfahrung an der Schnittstelle von Unternehmenssoftware, Immobilienwirtschaft und Geschäftsprozessmanagement
  • Gründung mehrerer Softwareunternehmen, unter anderem mit Fokus auf digitale Wissenssysteme und Prozessintelligenz
  • Führungserfahrung in internationalen Organisationen, wo er Digitalisierungs- und Transformationsinitiativen verantwortete
  • umfangreiche Hochschullehre, u. a. an:
    • Stevens Institute of Technology, New York
    • Technische Hochschule Mittelhessen
    • Technische Hochschule Aschaffenburg
    • Duale Hochschule Baden-Württemberg

Seine Schwerpunkte umfassen:

  • Geschäftsprozessmanagement und Business Engineering
  • Wirtschaftsinformatik und digitale Wissenssysteme
  • Gebäudedigitalisierung und Smart Building
  • Artificial Intelligence im Real Estate- und FM-Kontext

Neben seiner fachlichen Expertise ist eine persönliche Überzeugung prägend für seine Arbeit: Wissen, Technologie und menschliche Urteilskraft gehören zusammen. AI soll Fachlichkeit nicht ersetzen, sondern stärken, skalieren und zugänglich machen.

„AI ist nicht der Ersatz für Fachlichkeit – sie ist die nächste Evolutionsstufe fachlicher Arbeit. Die entscheidende Kompetenz wird sein, AI-Systeme mit Wissen zu füttern, sinnvoll zu steuern und verantwortungsvoll zu nutzen.“
Dr. Marc Gille-Sepehri

Wie das IFZ die Branche auf die AI-Ära vorbereitet

Der Kompetenzbereich „AI in Real Estate“ ist kein Trendprojekt, sondern ein strategisches Entwicklungsfeld, mit dem das IFZ seine Rolle als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Praxis weiter stärkt.

Die Ausrichtung erfolgt entlang von drei ineinandergreifenden Säulen:

1. Lehre und Weiterbildung – Kompetenzaufbau von Grund auf

Die Inhalte werden schrittweise in Bachelor-, Master- und Weiterbildungsprogramme (CAS, MAS) integriert. Ziel ist es, nicht nur Wissen über AI zu vermitteln, sondern Praxisfähigkeit zu entwickeln durch Fallstudien, agentische AI-Workshops, Reflexionsformate und „Learning by Doing“.

Fokusbereiche in der Lehre sind u. a.:

  • Funktionsweise und Möglichkeiten agentischer AI
  • Gestaltung von Workflows und Wissensbasen
  • Evaluation und verantwortungsvoller Einsatz
  • Co-Creation zwischen Fachbereich und IT

Studierende sollen befähigt werden, in Zukunft aktiv an der Gestaltung digitaler Lösungen mitzuwirken.

2. Forschung und Wissenstransfer – Erkenntnisse mit Praxisnutzen

Parallel entstehen anwendungsorientierte Forschungsprojekte und Studien. Im Fokus stehen Fragen wie:

  • Wie verändert agentische AI die Wertschöpfung in Immobilienunternehmen?
  • Welche Kompetenzen benötigen Fachkräfte in Zukunft wirklich?
  • Wie lassen sich Wissensmodelle im Real Estate-Kontext effizient aufbauen und pflegen?
  • Welche Governance- und Qualitätsmechanismen sind für verantwortungsvollen AI-Einsatz erforderlich?

Die Forschung soll nicht nur analysieren, sondern konkrete Methoden, Frameworks und Best Practices entwickeln.

3. Kooperationen mit der Praxis: Lösungen gemeinsam erproben

Das IFZ setzt bewusst auf Co-Creation mit Unternehmen, um AI nicht theoretisch zu diskutieren, sondern unter realen Bedingungen zu testen, weiterzuentwickeln und skalierbar zu machen.

Dies umfasst:

  • Pilotanwendungen in Unternehmen
  • Co-Innovation-Labs
  • Austauschformate mit Branchenvertreterinnen und -vertretern
  • Publikation von Erfahrungen und Empfehlungen

Ausblick: Die neue professionelle Identität im Real Estate

Die „Anleitung zum Nicht-Coden“ steht nicht nur für eine neue Methode, sondern für eine neue professionelle Identität in der Immobilienwirtschaft:

  • Fachlich fundiert – Wissen bleibt Kernkompetenz
  • Technologisch befähigt – AI wird Arbeitsinstrument
  • Kritisch reflektierend – Verantwortung bleibt beim Menschen
  • Gestaltend statt verwaltend – die Zukunft wird aktiv mitentwickelt

Wer diese Dimensionen verbindet, wird zu den Gestaltenden der nächsten Entwicklungsstufe der Branche gehören. Wer sie ignoriert, läuft Gefahr, an Relevanz zu verlieren.

Das IFZ nimmt in diesem Wandel bewusst eine aktive Rolle ein als Bildungsinstitution, Forschungspartner und Innovationsmotor. Ziel ist es, Fach- und Führungskräfte darauf vorzubereiten, AI nicht nur einzusetzen, sondern den Umgang damit kompetent, kritisch und kreativ mitzugestalten.

Wir laden alle Interessierten ein, diese Entwicklung über unseren Blog und unsere Veranstaltungen zu verfolgen – und gemeinsam an der Zukunft einer intelligenten, agentengestützten Immobilienwirtschaft mitzuwirken.

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