24. Januar 2022

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Studentische Beiträge

Preisgünstiger Wohnungsbau: Zwei Volksentscheide und deren Auswirkungen

Preisgünstiger Wohnungsbau: Zwei Volksentscheide und deren Auswirkungen

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Das Volk hat in der Stadt Zürich in den letzten 10 Jahren mit der Annahme von zwei Vorlagen zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum in den Markt eingegriffen. Dies unterstreicht den breiten Wunsch nach einem Leben in urbanen Räumen und nimmt die Politik und Bauwirtschaft in die Pflicht.

Von Lars Bayard und Jonas Keiser

Das Leben in den Städten ist heute beliebter, was sich an den steigenden Einwohnerzahlen zeigt. Die Stadt Zürich rechnet bis 2040 mit einer Steigerung von aktuell 430’000 auf 520’000 Einwohner (Stadtentwicklung Zürich, 2021). Doch das war nicht immer so. Ab den 1960er-Jahren entvölkerten sich die Städte und gerieten in eine sozioökonomische Abwärtsspirale, welche als Suburbanisierung bezeichnet wurde.  Während vor allem Familien und gut Verdienende in die Agglomeration zogen, blieben in den Innenstädten folgende Personengruppen zurück: Alte, Arme, Abhängige, Auszubildende, Arbeitslose und Ausländer. Der Ökonom René Frey benannte diese Entwicklung als „A-Stadt-Bildung“ (Frey, 1996).

Abbildung: Bevölkerungsentwicklung Stadt Zürich 1950-2040

Wiederentdeckung des Städtischen

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde die Suburbanisierung von einem Reurbanisierungsprozess überlagert. Dieser führte zu einer sozialen Aufwertung der Kernstädte und veränderte deren Erscheinungsbild. Besonders ausgeprägt ist in Zürich die Aufwertung und Erneuerung in den innerstadtnahen ehemaligen Arbeiter- und Industriequartieren, was zur Verdrängung bestimmter sozialer Gruppen führte (Gentrifizierung). Das urbane Leben wurde nicht nur für Kulturschaffende und junge urbane Professionelle (Yuppies), sondern auch für die breite Bevölkerung wieder attraktiv. Der starke Anstieg der Bevölkerungszahl seit der Jahrtausendwende, der stetig steigende Wohlstand sowie die zunehmende Finanzialisierung (Theurillat, 2014) der Immobilienmärkte liessen die Mietpreise auf dem städtischen Wohnungsmarkt steigen. Unter diesen Umständen hatten immer mehr Menschen in unteren und mittleren Einkommensschichten Schwierigkeiten eine Wohnung zu finden, die ihren finanziellen Möglichkeiten entsprachen.

Abbildung: Mietpreisentwicklung Stadt Zürich seit 1950

Volksentscheid 2011 „Bezahlbare Wohnungen für Zürich“

Der steigende Druck auf dem städtischen Mietwohnungsmarkt in Zürich hatte zur Folge, dass im Jahr 2010 drei Volksinitiativen eingereicht wurden, die hauptsächlich die städtische Wohnpolitik betrafen. Der Gemeinderat hat anschliessend auf deren Grundlage einen Gegenvorschlag entworfen, welcher im November 2011 zur Abstimmung vorgelegt wurde. 

Das Volk stimmte der Vorlage mit über 75% Ja-Stimmen zu und die Gemeindeordnung der Stadt Zürich wurde mit einem wohnpolitischen Grundsatzartikel (Art. 2quater GO) ergänzt, der unter anderem den aktiven Schutz, die Erhaltung und die Erhöhung des Anteils von preisgünstigen Wohnungen und Gewerberäumen durch die Gemeinde verankert. Der Anteil von gemeinnützigen Wohnungen an den Mietwohnungen in der Stadt Zürich soll bis 2050 auf einen Drittel ansteigen (sog. Drittelziel).

„Revival“ des gemeinnützigen Wohnungsbaus, aber nur absolut gesehen

Der gemeinnützige Wohnungsbau und dessen Förderung durch die Stadt Zürich, durch Vergabe von Baurechten und Darlehen an Genossenschaften oder durch kommunalen Wohnungsbau, hat eine über hundertjährige Tradition. Verursacht durch die Industrialisierung zogen um 1860 viele Arbeiter aus ländlichen Gebieten in die Stadt, was zu massiver Verknappung von Wohnraum führte. Um dem entgegenzuwirken, wurden noch vor der Jahrhundertwende die ersten Baugenossenschaften gegründet, welche bis heute die grösste Trägerschaft von gemeinnützigen Wohnungen in Zürich sind. Weitere gemeinnützige Wohnbauträger sind die Stadt Zürich und private Stiftungen. Als gemeinnützige Wohnungen im engeren Sinn gelten gemäss Gemeindeverordnung Wohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgern, die ohne Gewinnabsichten dem Prinzip kostendeckender Mieten verpflichtet sind.

In den 2000er-Jahren stagnierte die Anzahl von gemeinnützigen Wohnungen bei 48’000- 49’000, was ca. einem Viertel am gesamten Mietwohnungsbestand in Zürich entspricht. Ab 2010 stieg die Anzahl der gemeinnützigen Wohnungen an und lag 2019, gefördert durch den Volksentscheid von 2011, bei 54’100, was einer Zunahme von ca. 10% entspricht. Werden diese absoluten Zahlen in Relation zum gesamten Wohnungsbestand in Zürich gesetzt, sieht die Bilanz jedoch eher ernüchternd aus. Durch die ebenfalls starke Bautätigkeit im privaten Wohnungsbau ab 2010 ist auch der Gesamtwohnungsbestand in der Stadt Zürich um ca. 10% von 208’000 auf 228’000 angestiegen. Dies hat zur Folge, dass es relativ gesehen keinen Zuwachs an gemeinnützigen Wohnungen gegeben hat und deren Anteil immer noch bei rund einem Viertel liegt (Stadt Zürich, 2020).

Abbildung: Entwicklung Gemeinnützige Wohnungen 1995-2019 in der Stadt Zürich

Volksentscheid des Kantons Zürich 2014 für „Festlegung Mindestanteil preisgünstiger Wohnraum“

Im September 2014 kam es zu einer kantonalen Abstimmung über eine Vorlage, die ebenfalls als Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative zu Stande kam. Die Vorlage, welche mit 58% Ja-Stimmen angenommen wurde, erlaubt den Gemeinden, bei Auf- und Einzonungen einen Mindestanteil an preisgünstigen Wohnungen festzulegen. Im neuen Artikel 49b vom Planungs- und Baugesetzes (PBG) und der Verordnung über preisgünstigen Wohnraum (PWV) wurden die Erstellungskosten der preisgünstigen Wohnungen limitiert, Belegungsvorgaben gemacht und festgehalten, dass die Wohnungen zur Kostenmiete vermietet werden müssen.

Die Stadt Zürich hat das kantonale Gesetz inzwischen umgesetzt. Das Gesetz verlangt, dass bei Auf- und Einzonungen auf mindestens 50% der Zusatzfläche preisgünstige Wohnungen entstehen. Die Neuregelung wird auf verschiedenen Wegen eingeführt: Stehen Teilrevisionen der Bau- und Zonenordnung (BZO) oder Sondernutzungsplanungen an, wird das jeweils direkt umgesetzt und in einem Ergänzungsplan zur BZO eingetragen. Zusätzlich wird das Instrument auch bei Arealüberbauungen verpflichtend, wenn die Bauherrschaft von einem Überbauungsbonus profitiert. Dass nun auch private Investoren zum Bau preisgünstiger Wohnungen angehalten werden können, sei „ein weiterer Puzzlestein“ im Bemühen nach mehr preisgünstigen Wohnungen, sagt der Zürcher Bauvorstand André Odermatt (NZZ, 2021). Es gilt zu beachten, dass die so geschaffenen Wohnungen nicht als gemeinnützig im engeren Sinn gelten und somit nicht direkt zur Erreichung des Drittelziels beitragen.

Aktuell gebaute Beispiele

Siedlung Hornbach

Das Zürcher Seefeld zählt zu den beliebtesten Wohnquartieren der Stadt Zürich und zugleich zu den teuersten. Noch vor drei Jahrzehnten bildeten Arbeiterfamilien, Einwanderer, Studenten und Senioren einen beinahe idealtypischen urbanen Mix aus verschiedenen sozialen Schichten und Lebensformen. In den letzten Jahren mussten durch die Gentrifizierung die Bewohnerinnen und Bewohner mit niedrigem Einkommen das Quartier verlassen. Heute leben überwiegend Angehörige der oberen Einkommensklasse im Quartier.

Die im Jahr 2011 angenommene Volksinitiative für mehr gemeinnützigen Wohnraum gab den Anstoss für den Bau einer neuen gemeinnützigen Siedlung im Seefeld. Treu dem Motto „Günstig wohnen trotz teurer Lage“ startete die Stadt Zürich als Bauherrschaft Ende 2017 mit einem Objektkredit von 100.7 Millionen mit dem Bau der Siedlung Hornbach im Seefeldquartier. Die im Februar 2021 fertigerstellten Neubauten bieten Platz für 125 preisgünstige Familienwohnungen, Gewerbeflächen, Ateliers und Einrichtungen für Kinderbetreuung. Für alle Wohnungen gilt das Prinzip der Kostenmiete. Eine 4½-Zimmer-Wohnung kostet zwischen 1580 und 1739 Franken, subventioniert zwischen 1372 und 1465 Franken. Die orts- und quartiersüblichen Marktmietzinsen stehen bei einer durchschnittlichen 4½-Zimmer-Wohnung im Seefeld bei rund 3700 Franken.

Das Beispiel zeigt, wie die Stadt durch den Bau solcher Siedlungen aktiv gegen die Gentrifizierung vorgeht und gezielt soziale Diversität fördert (Espazium, 2021).

Abbildung: Wohnsiedlung Hornbach © Seraina Wirz

Guggach Areal

Das Stadtparlament Zürich hat im September 2021 entschieden, der öffentlich-rechtlichen Stiftung für bezahlbare und ökologische Wohnungen – Einfach Wohnen (SEW) das rund 8’000 Quadratmeter grosse Guggach-Areal im Baurecht zu überlassen. Die Stiftung will bis 2024 für rund 47 Millionen eine Wohnsiedlung realisieren. Auf dem Areal sollen nicht nur 111 bezahlbare und ökologische Wohnungen, Gewerbeflächen und ein Kindergarten entstehen, sondern auch eine Schule mit Doppelturnhalle und ein Quartierpark. Diese Nutzungskombinationen sollen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Quartiers leisten.

Der Wohnungsmix soll vom Studio bis zur 10½-Zimmer-Wohnung für eine Wohngruppe reichen. Durch das Prinzip der Kostenmiete wird eine 4½-Zimmer-Wohnung zwischen 1360 und 1520 Franken kosten. Im Dezember 2021 starten die Bauarbeiten, die ersten Mietenden beziehen voraussichtlich im 2. Quartal 2024 die neue Wohnsiedlung (TA, 2021).

Abbildung: Visualisierung Guggach-Areal © Donet Schäfer Reimer Architekten

Gesellschaft im Umbruch: Auswirkungen von neuen Lebensformen auf die Architektur und den Wohnungsbau

Gesellschaftliche Veränderungen sind nichts Neues. Haushaltsformen, Arbeitsstrukturen, Mobilitätsverhalten und Lebensmuster haben sich schon immer an das jeweilige Zeitalter angepasst. Momentane Prognosen zeigen, dass wir länger leben, relativ gesund alt werden und weniger Kinder haben. Diese gesellschaftlichen Veränderungen werden sich im Wohnungsbau abbilden. Diverse Investoren aus dem In- und Ausland versuchen mittels neuen und kreativen Wohnprojekten den Trend abzubilden. Sie testen neue Wohnformen aus, experimentieren mit Nutzungsprogrammen und Gemeinschaftseinrichtungen, integrieren und durchmischen oder bieten spezifische Wohnlösungen für veränderte Lebensrhythmen oder bestimmte Lebensphasen an (WBG ZH / HSLU, 2018).

Blick in die Zukunft: Herausforderungen und Chancen beim preisgünstigen Wohnungsbau

Die Problematik der steigenden Wohnungspreise ist allgemein bekannt. Die Antworten darauf sind vielseitig: Ausweitung des Wohnungsangebots, Begrenzung der Zuwanderung und Förderung des preisgünstigen Wohnraums. Gemeinden und Kantone können über die raumplanerischen Instrumente, preisgünstigen Wohnraum für Haushalte mit geringem Einkommen schaffen. Die Stadt Zürich ist durch die beiden Volksentscheide von 2011 und 2014 in dieser Hinsicht in einer Vorreiterrolle.  Der geschaffene Wohnraum soll dort entstehen, wo tatsächlich eine Knappheit besteht. Die Wohnungen sollen zudem vielfältig nutzbar und qualitativ hochwertig sein und gleichzeitig ressourcenschonend bereitgestellt werden. Diese hohen Anforderungen an die raumplanerischen Instrumente machen deren Auswahl und Ausgestaltung zu einer besonderen Herausforderung. Die Wirkung hängt stark von den lokalen Gegebenheiten und der konkreten Ausgestaltung ab. Während ein Projekt beispielsweise in einer nachfragestarken Region gut funktionieren kann, kann es in einer anderen Region mit geringerer Nachfrage keine oder nur eine beschränkte Wirkung entfalten. Weiter ist die Verteilung ein Grundproblem des preisgünstigen Wohnbauangebots: Nur mit aufwändigen Belegungsvorschriften und Kontrollmechanismen kann sichergestellt werden, dass die vorgesehenen Haushalte vom Angebot profitieren.

Doch wo liegen die Chancen beim preisgünstigen Wohnungsbau? Die grösste Chance liegt darin, dass überhaupt günstiger Wohnraum geschaffen werden kann. Einige Schweizer Haushalte werden durch die Wohnkosten stark belastet. Die Förderung preisgünstiger Wohnbauten birgt zudem ein „Sparpotenzial“ bei den Sozialleistungen der öffentlichen Hand. Wenn Haushalte mit geringem Einkommen bei den Wohnkosten entlastet werden können, kann beispielsweise die Sozialhilfe reduziert werden. Gleichzeitig ist die lokale Verfügbarkeit von preisgünstigen Wohnungen Voraussetzung für funktionsfähige Gemeinden und wettbewerbsfähige Wirtschaftsräume. Lokal verfügbare Arbeitnehmer mit geringen und mittleren Löhnen sind für die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Gesellschaft notwendig (soziale Durchmischung).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Immobilienentwickler und die öffentliche Hand zusammen preisgünstigen Wohnraum schaffen können. Einerseits kann die öffentliche Hand Bauland zu attraktiven Konditionen im Baurecht abgeben und höhere Ausnützungen zulassen und andererseits müssen die Immobilienentwickler bereit sein, das Prinzip der Kostenmiete strickt anzuwenden und auf einen Teil ihrer Renditen zu verzichten (BWO, 2012).

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