24. Oktober 2022

Studentische Beiträge,

Unternehmen

Ökosysteme im Real Estate Management

Ökosysteme im Real Estate Management
Quelle: pom+ Consulting AG, 2022

Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement

Die Digitalisierung hat im Immobilienbereich, insbesondere in der Bewirtschaftung und im Facility Management, lange geschlafen. Themen wie Corona, ESG, steigende Zinsen, Energieknappheit und neue Gesetze zwingen nun die Branche zum Umdenken. Eine Vielzahl an neuen Ideen und Lösungen sind in den letzten Jahren entstanden. Für die grosse Effizienzsteigerung ist es jedoch notwendig, dass Einzelsysteme und Insellösungen der unterschiedlichen Stakeholder zusammengeschlossen werden. So entstehen Ökosysteme, die nicht nur Prozesse vereinfachen, sondern auch neue Geschäftsfelder ermöglichen.

Ein Artikel von Benjamin Bischofberger und Thomas Gerster

Digitale Ökosysteme als Trend der Digitalisierung

Digitale Ökosysteme sind gemäss Sommerer und Billiger (2021) von Swiss Proptech sogenannte All-in-One-Lösungen. Dabei handelt es sich um flexible Systeme, welche mit offenen Programmierschnittstellen, sogenannten API-Schnittstellen, einen Datenaustausch mit weiteren Systemen ermöglichen (talend, ohne Datum). Durch diesen Datenaustausch können mehrere Systeme miteinander kombiniert werden, damit Prozesse und Problemstellungen besser bewältigt werden können. Die Branche hat die Vorteile der Ökosysteme erkannt und ihre Strategie so ausgelegt, dass sich ihre Systeme an andere Systeme anbinden lassen. Durch diese Zusammenarbeit entstehen digitale Ökosysteme, welche den Nutzern und Immobilieninvestoren neue Lösungen im Bereich des Immobilienmanagements bieten.

Ein Ökosystem bietet eine unbegrenzte Quelle für Geschäftsmöglichkeiten, da das Ökosystem mittels Plattformen und weiteren Anwendungen beliebig erweitert und skaliert werden kann. So kann der digitale Zugang zu privaten Kunden oder Eigentümern mittels digitalen Touchpoints ermöglicht werden. Ein Ökosystem, welches auf die Bedürfnisse der Firma abgestimmt ist, schafft Mehrwerte, die in den kommenden fünf bis zehn Jahren einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen. Die Prozesse können automatisiert und verkürzt werden, was den Firmen Potenziale für Beratungen und Serviceleistungen zur Verfügung stellt (Schärer & Cohen, 2022).

Die Ökosysteme kombinieren unterschiedliche Technologien, welche der Immobilienbranche Mehrwerte bringen sollen. In der Abbildung 1 von der pom+ Consulting AG (2022) sind die wichtigsten Rollen in der Immobilienwirtschaft sowie die aktuell relevanten technischen Lösungen aufgeführt.

Abbildung 1: Nutzerübersicht der Technologien pro Branche (pom+ Consulting AG, Zürich, 2022, S. 19)

Die vier Technologien «Plattform & Portale», «Data Science», «BIM» und «Sensors & Actuators» bringen allen Akteuren in der Immobilienwirtschaft einen wichtigen Nutzen. Der individuelle Nutzen der Technologien für die Umfrageteilnehmer wurde in Prozent angegeben. Vor allem in der Branche der Bewirtschaftung wurde die Technologie «Plattform & Portale» mit 94% mit Abstand am stärksten gewichtet. Mit diesem System stellen die Bewirtschaftungsfirmen den Nutzern und Eigentümern die relevanten Informationen zur Verfügung. Im Bereich Facility Management gibt es eine grössere Palette an wichtigen Systemen. Mit jeweils rund 70 – 80% sind «Plattform & Portale», «Data Science», «BIM» und «Sensors & Actuators» die wichtigsten vier Technologien.

Das Zusammenspiel der Ökosysteme kann anhand eines einfachen Beispiels aufgezeigt und veranschaulicht werden. Die interne Vermietung wird bei Betriebsliegenschaften von der Finanzabteilung koordiniert. Für die Reinigung wird ein externer FM-Provider beauftragt und für den technischen Unterhalt ist ein interner Hauswart verantwortlich. Liegenschaftsverantwortliche möchten die relevanten liegenschaftsbezogenen Informationen allen Beteiligten verfügbar machen. Um dies zu ermöglichen, braucht es flexible Softwarelösungen mit einem durchdachten Rollenkonzept, aber auch definierte Arbeitsabläufe und Abgrenzungen zwischen den Aufgabengebieten. Im Idealfall werden alle Tätigkeiten auf derselben Plattform abgewickelt und die relevanten Informationen den jeweiligen Parteien zur Verfügung gestellt.

Die Realität ist aber eine andere. Die Mehrheit der Beteiligten arbeitet mit geschlossenen Insellösungen, um ihre Aufgaben abzuarbeiten. Mit einem Ökosystem können Plattformen aufgebaut und laufend mit offenen Lösungen erweitert werden, um den Usern sämtliche notwendige Daten aufbereitet zur Verfügung zu stellen (Kellerhans, 2021).

Digitale Ausrichtung der Bewirtschaftungsfirmen

Diverse Immobiliendienstleister beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dem Thema Digitalisierung und sind in Zusammenarbeit mit Proptechs und IT-Firmen an der Erarbeitung von Ökosystemen und Portalen. Dabei zeigt sich, dass besonders die grossen Player gezielt digitale Ökosysteme aufbauen. Dies soll hauptsächlich der Digitalisierung der Prozesse und Dienstleistungen dienen.

Bei Livit steht das Ökosystem im Mittelpunkt der Digitalisierungsstrategie. Dieses Ökosystem kann flexibel auf die Bedürfnisse der Nutzer angewendet werden, indem dem jeweiligen Stakeholder die passenden Systeme zur Verfügung gestellt werden. So ist Livit in der Lage den internen und externen Stakeholdern die passenden Funktionalitäten als Mehrwert zur Verfügung zu stellen. Das Ökosystem von Livit wächst stetig, um allen Bedürfnissen der Partner und Lieferanten gerecht zu werden. Als Mehrwerte für Livit sind kürzere Leerstände, zufriedenere Mitarbeitende, Mietende, Partner sowie Lieferanten zu nennen. Mit der Mieterapp myLivit wurde beispielsweise der Wiedervermietungsprozess digitalisiert und von 21 Tagen auf fünf Tage verkürzt. Das Ziel ist, dass die Anliegen der Mietenden so schnell wie möglich bearbeitet und abgeschlossen werden können. Das Highlight von myLivit ist die digitale Mietunterschrift via Swipe (Neue Zürcher Zeitung, 2021).

Die Bewirtschaftungsfirma Wincasa (2018) richtet ihre Strategie auf «Plattformen» aus. Auf Basis des Ökosystems werden den Stakeholdern verschiedene Plattformen zur Verfügung gestellt, um die Bewirtschaftungsprozesse digitalisiert zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutet für die Zukunft, dass Wincasa als etablierter Player mit gezielten Systemen hochwertige und umfassende Beratungen und Lösungen anbieten kann. Wincasa verfolgt mit MyWincasa eine Portalstrategie zur Digitalisierung der Unternehmensprozesse. Damit sollen Nutzer-, Eigentümer- und Lieferantenportale für jeweiligen Prozesse als Mehrwert digital zur Verfügung stehen. Dazu werden neue Arbeitsformen implementiert, um diese ortsunabhängig den Kunden zur Verfügung stellen zu können.

VERIT Immobilien (2022) hat zusammen mit dem Proptech Flatfox eine digitale Lösung entwickelt, um schnelle und einfache Wiedervermietungen zu erreichen. Sämtliche Prozesse werden digital und innerhalb kürzester Zeit abgewickelt, was die Chance auf eine Anschlussvermietung für Eigentümer erhöht. Die Dauer vom Gesamtprozess kann so um bis zu 90% reduziert werden. Mit dieser Prozessentwicklung ist VERIT Immobilien in der Lage den Bewerbungsprozess von Anfang bis zum Ende digital abzuwickeln. Dazu gehört beispielsweise der Bewerbungsprozess, die Abwicklung der Mietkaution wie auch die Bestellung der Namensschilder. Zudem haben VERIT Immobilien und Flatfox weitere Partner an Bord geholt, um das digitale Ökosystem zu ergänzen. Dabei sind unter anderem Partner wie ELCA Informatik, Skribble sowie Helvetia Versicherungen aufzuführen.

Fokus im Facility Management

Im Vergleich zur Bewirtschaftung gewichtet der Bereich Facility Management «Sensors & Actuators» und «Data Science» höher als «Plattform & Portale» (pom+ Consulting AG, 2022). Der Grund ist darin zu finden, dass das Thema der Plattformen vor allem im Bereich der Bewirtschaftung angesiedelt ist, die Systeme des Facility Management aber per Schnittstelle für optimale End-to-End-Prozesse an Plattformen der Bewirtschaftung angeschlossen werden können.

Die Facility-Management-Branche sieht in erster Linie Technologien als zukunftsträchtig, die ihnen helfen Gebäude zu verstehen, ihre Leistungen zu planen und massgeschneidert zum Einsatz zu bringen.

Einen grossen Nutzen stiftet auf der einen Seite das Building Information Modeling kurz BIM, welches als digitaler Zwilling des Gebäudes sämtliche geometrischen Informationen sowie Daten zu Bauteilen, Anlagen, inklusive Spezifikationen wie Material-, Hersteller- und Betriebsinformationen verwaltet (Pfeiffer, 2021). Auf der anderen Seite erachten sie das «Internet of Thing» (IOT) und deren Sensoren als eine der zukunftweisenden Technologien. Diese Sensoren liefern in Echtzeit Daten aus dem Gebäude, sind die Augen und Ohren der FM-Dienstleistern und helfen die Qualität der Leistungen kontinuierlich zu steigern.

Dank der gesamtheitlichen Betrachtung des Lebenszyklus einer Immobilie begleiten heute FM-Spezialisten schon in der Phase der Vorstudie die Bauplanung und sichern frühzeitig den einwandfreien Betrieb. Schon vor dem Übergang von der Erstellungsphase zur Bewirtschaftung stehen den Facility Managern die im BIM-Modell vorhandenen Daten und Informationen zur Verfügung (Sigg, ohne Datum).

Mit Hilfe dieser Daten können FM-Spezialisten frühzeitig Betriebskonzepte und -prozesse erarbeiten, definieren sowie Ausschreibungen mit hoher Datenqualität erstellen. Die FM-Dienstleister können ihrerseits effizienter ihre Leistungserbringung planen, haben kürzere Reaktionszeiten bei Ausfällen von Anlagen oder Reparaturen von Bauteilen. Das Modell ermöglicht unter anderem Simulationen für Flächenmanagement, Evakuierung und Personenströme, Parkplatzmanagement sowie detaillierte Lebenszyklusplanung (Wills, N. Fauth, J. & Smarsly, K., 2020).

Für den optimalen Betrieb und Unterhalt einer Immobilie sind aber nicht nur Gebäudedaten, wie sie BIM liefern, relevant, sondern auch die Nutzungsdaten, wie sie beispielsweise IOT und Big Data liefern können. Es gibt heute Gebäude, die mittels internetfähiger Sensoren und dem Gebäudeleitsystem in einer Stunde mehr Daten generieren als ein ganzes Gebäudeportfolio vor wenigen Jahren.

Bereits heute gibt es eine Vielzahl innovativer Sensoren, die in Echtzeit Energieverbrauch, Lichtverhältnisse, Füllstände und Gewichte, Co2 und Luftfeuchtigkeit, Personenpräsenz, Vibrationen und Erschütterung sowie Raumtemperatur erfassen können. Diese Sensoren können beispielsweise dem FM-Dienstleister wichtige Hinweise liefern, wann Verbrauchsmaterial aufgefüllt, eine Reinigungsdienstleistung benötigt wird oder welche Anlage nicht mehr ordnungsgemäss funktioniert und eine Wartung benötigt (Fuhrich, 2017).

Durch die stringente Analyse der Sensor- und Gebäudedaten verbessern Facility Manager und Gebäudespezialisten ihr Verständnis über das Nutzerverhalten und das Gebäude selbst. Werden die einzelnen Akteure, Sensoren und das Gebäudeleitsystem über eine intelligente Steuerungsplattform (BOS-System) verbunden, können diese Daten sogar in Echtzeit ihren Einfluss auf die Steuerung der Beleuchtung, Frischluftverteilung, Heizung und Kühlung von einzelnen Räumen bis zum Gesamtobjekt haben. So kann gleichzeitig die Nutzerzufriedenheit gesteigert werden, während der Ressourcen- und Energieverbrauch reduziert wird. Die Daten, insbesondere die Verknüpfung von Echtzeitdaten, verbessern nicht nur den Energieverbrauch und Komfort von Gebäuden. Intelligent angewendet verbessern sie auch die Sicherheit in Gebäuden, optimieren Personenströme (Liftkoordination, Parkleitsystem, etc.), ermöglichen Vorhersagen über den Mahlzeitenbedarf, reduzieren den Flächenbedarf und vieles mehr (Alcatel-Lucent Enterprise, 2021).

Technologien von morgen

Durch die immer grösser werdenden Einsatzmöglichkeiten der unterschiedlichen Technologien und die Vernetzung in Ökosystemen entstehen laufend neue Geschäftsfelder. Gemäss der Digital Real Estate Umfrage 2022 wurden durch die Befragten fünf Technologien identifiziert, welche aktuell in den Fokus der Immobilienbranche gelangt sind und in näherer Zukunft einen prägenden Einfluss haben werden.

Abbildung 2: Top-5-Technologien in Planung (pom+ Consulting AG, Zürich, 2022, S. 20)

Dabei handelt es sich um «Artificial Intelligence & Machine Learning», «Navigation & Location Based Services», «Data Science», «BIM» sowie «Virtual & Augmented Reality». Wie in der Abbildung 2 ersichtlich wird, kann davon ausgegangen werden, dass die geplanten Systeme in naher Zukunft einen wichtigen Teil in der Digitalisierung des Real Estate Management übernehmen werden. Bei näherer Betrachtung wird dabei ersichtlich, dass «BIM» und «Data Science» bei der Konzipierung und Ausrichtung der neuen Systeme, Programme und Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen werden (pom+ Consulting AG, Zürich, 2022).

Der Immobiliendienstleister von morgen wird sich dem ganzheitlichen Management von Flächen und Gebäuden widmen. Dabei werden diese Technologien und Ökosysteme von grossem Nutzen sein, um die heutigen Immobilienverwalter zu Performancemanager mit hochproduktiven Flächen, Dienstleistungen und Nutzern zu transformieren (Deloitte, ohne Datum).

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