27. Februar 2023
Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement
Seit längerer Zeit prägt im Zusammenhang mit fortschrittlichen Bautechnologien das Akronym «BIM» Fachtreffen und Fachzeitschriften der Bauwirtschaft. Die Digitalisierung auf der Baustelle umfasst aber eine weit grössere Bandbreite an innovativen Technologien als nur BIM. Ein vertiefter Blick in die Entwicklung der Innovationen zeigt, welche Technologien das Potenzial haben, die Arbeit auf der Baustelle zu revolutionieren. Auf dem Weg zur Revolution sind aber viele Hürden zu überwinden.
Ein Artikel von Ciara Ba Bosshard und Madrit Tushi
Berechtigterweise steht BIM im Fokus, da es unter den aufstrebenden Bautechnologien die höchste Einführungsrate aufweist (Jones, 2019). Es ist aber nur eine unter der Vielzahl neuer, digitaler Technologien, die beginnt, sich auf die Arbeit auf der Baustelle auszuwirken. Was auf der Baustelle bereits heute zum Alltag gehört, ist der Einsatz von Smartphones und Tablet-Apps. Damit kann sehr einfach und überall auf Baudokumentationen, Bau- und Zeitpläne zugegriffen werden oder man kann den Baufortschritt oder die Mängel festhalten. Mit der Technologie der erweiterten Realität (Augmented Reality, AR) kann jedoch ein noch weit grösserer Nutzen aus den Tablets und Smartphones geschöpft werden.
Bei der erweiterten Realität werden computergenerierte Bilder und reale Bildinformationen überlagert. AR kann den Arbeitern auf der Baustelle virtuelles Feedback zu den Fortschritten in der realen Welt geben (UK Connect, 2021). So verbindet die Software des ETH Spin-offs Incon.ai digitale Gebäudemodelle mit intuitiven 3D-Bauanleitungen. Das Endgerät kann so beispielsweise den Maurern auf der Baustelle anzeigen, wie sie die Bausteine exakt ausrichten müssen. Dafür müsste der Maurer aber bestenfalls beide Hände frei haben. Dies bringt uns zur tragbaren Technologie der AR-Brillen. Viele grosse Firmen wie Google, Meta oder Microsoft arbeiten an einer praktikablen und leicht zu tragenden AR-Brille. Die Marktreife ist noch nicht erlangt, aber nur noch eine Frage der Zeit. Und dann wird auch die erweiterte Realität, ob nun via Brille oder sogar via Bauhelmvisier, auf den Baustellen Einzug halten.
Im gleichen Atemzug mit der Augmented Reality wird oft die Virtual Reality (VR) genannt. VR bezieht sich auf die Schaffung einer vollständig simulierten Umgebung. Die VR-Technologie wird aber eher abseits der Baustellen anzutreffen sein zu Schulungszwecken oder für virtuelle Begehungen von Bauwerken (Vivian M, 2022).
Weitere Potenziale unter den tragbaren Technologien für die Baustelle bergen Exoskelette. Exoskelette sind mechanische Stützstrukturen, die man am Körper trägt. Auf der Baustelle ermöglichte dies dem Benutzer, mehr Arbeit zu verrichten, als es menschlich möglich wäre. Diese künstlichen Hebe- und Tragehilfen stärken und entlasten das Skelett und die Muskeln. Die Belastung und Verletzungsgefahr spezifischer Körperregionen könnten minimiert werden (UK Connect, 2021).
Exoskelette sind somit eine vielversprechende Entwicklung in der Robotik. Wenn man aber im Bereich der Entwicklungen in der Robotik weiter schaut, könnte eines Tages in der Bauausführung vermehrt auf den Menschen verzichtet werden. Ein menschlicher Maurer kann normalerweise 300 bis 500 Steine pro Tag verlegen. Bereits 2016 sorgte der Mauerroboter Hadrian X für Schlagzeilen, indem er 1000 Mauersteine in einer Stunde verlegte (Thielemann, 2021). Ein weiteres Beispiel ist der humanoide Roboter HRP-5P, der in der Lage ist, grundlegende physische Aufgaben wie die Installation von Trockenbauwänden oder Maurerarbeiten selbstständig auszuführen (UK Connect, 2021). Diese zwei Beispiele zeigen, dass die Automatisierung durch Robotik eines Tages auf der Baustelle Einzug halten könnte (Thielemann, 2021). Wenn man die technologische Entwicklung von Robotik-Unternehmen wie z.B. Boston Dynamics verfolgt, liegt diese Vorstellung womöglich gar nicht mehr so fern in der Zukunft.
Bevor aber humanoide Roboter auf den Baustellen anzutreffend sind, wird man dort autonome Baumaschinen, Baugeräte und Bauroboter begegnen. Ein gutes Beispiel dafür ist der semi-autonome Baustellenroboter für Deckenbohrungen von Hilti, genannt «Jaibot». BIM-gestützt führt er die Arbeiten deutlich produktiver aus (Storz, 2022). In Kombination mit weiteren Technologien wie Internet of Things (IoT) oder der Künstlichen Intelligenz können Bauroboter Daten zu den Aktivitäten und den Bedingungen auf der Baustelle aufnehmen und an eine zentrale Stelle senden. Dies bietet der Bauindustrie die Möglichkeit, die Bauausführung auch Daten getrieben zu beschleunigen und effizienter zu gestalten (UK Connect, 2021).
Wie wir sehen, ist die Bandbreite an Innovationen für die Baubranche gross. Doch welche Potenziale bergen die digitalen und technologischen Innovationen? Einige optimieren den Baualltag nur gering, andere haben das Potenzial, die Arbeit auf der Baustelle zu revolutionieren.
Technologische Entwicklungen sollen stets Optimierungen bezwecken. In der Wirtschaft zielt eine Optimierung nahezu immer auf eine Kostenreduktion ab, so auch im Bauwesen (Fürthauer, 2021). Der schweizerische Baupreisindex zur Preisentwicklung im Bausektor zeigt, dass die Baupreise seit Oktober 2020 deutlich gestiegen sind. Die Branche steht unter Druck, die Ausgaben zu senken. Die Baubranche könnte Milliarden sparen (Meyer, 2021), indem die Kosten von Bauprojekten durch den Einsatz digitaler Technologien gesenkt werden (Edmondson & Earnest, 2021).
Zudem hinkt die Produktivität der Bauindustrie seit Jahren anderen Branchen hinterher. Die Digitalisierung bietet Chancen, dies zu kompensieren. Es sind noch nicht alle der erwähnten Technologien heute markttauglich, werden es früher oder später aber auf jeden Fall sein. Es wird aber generell erwartet, dass diese Technologien die Produktivität und Qualität erheblich steigern können (Edmondson & Earnest, 2021).
Diese Technologien haben das Potenzial die Anzahl der Nacharbeiten und Fehlplanungen bei Bauprojekten erheblich zu reduzieren. Das frühzeitige Erkennen von , die kann dazu beitragen, kostspielige Verzögerungen und Änderungsaufträge zu vermeiden. Neue Technologien tragen zudem zu höherer Genauigkeit, mehr Sicherheit, Flexibilität und Effizienz im gesamten Bauprozess bei (Vivian M, 2022).
Ein Treiber kann auch die Bequemlichkeit der Menschen sein, wie Fadri Furrer, CEO und Co-Founder von Incon.ai erklärt: «Wir erhoffen uns, dass durch den technologischen Fortschritt, Arbeiten, die vom Menschen nicht gern gemacht werden, von Maschinen und maschineller Intelligenz übernommen werden können.»
Die Technologien helfen grundsätzlich bei der Lösung von grossen Herausforderungen, mit denen die Bauindustrie zu kämpfen hat. Trotz vielversprechenden Aussichten hat die Branche in den letzten 20 Jahren aufgrund mangelnder Digitalisierung nur 1% an Produktivität gewonnen (Jones, 2019). Weil neue Technologien noch spärlich eingesetzt werden, wird das mögliche Einsparungspotential nicht voll ausgeschöpft (Meyer, 2021). Ein Grund dafür könnte sein, dass jede Einführung neuer technologischen Lösungen einen hohen Initialaufwand verursacht. Der Preiskampf in der Baubranche ist hart und der Margendruck hoch, weshalb solche Initialaufwendungen oft gemieden werden, auch wenn diese in der langfristigen Betrachtung in Kostenersparnissen resultieren würden.
Des Weiteren ist die Kultur und Offenheit gegenüber Innovationen essenziell für den Erfolg neuer Anwendung. Die Einführung von digitalen Technologien erfordert Technologieaffinität seitens Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Bauunternehmen zögern mit der Einführung, was zum Teil auf den Mangel an Wissen über diese Technologien zurückzuführen ist. Es besteht auch die Befürchtung, dass der technologische Fortschritt die Arbeitskräfte aus dem Arbeitsleben verdrängen und den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft verringern könnte (UK Connect, 2021). Der Nutzen der neuen Technologien kann auch mit einem potenziellen Risiko verbunden sein. Es kann zu Verletzungen kommen, wenn die Bediener nicht mit den Technologien vertraut sind (Edmondson & Earnest, 2021). Eine weitere Hürde kann schlichtweg die Praktikabilität bei der Anwendung sein.
Baustellen sind komplexe Orte für Roboter. Die Robotik für die Baustelle steckt noch in den Kinderschuhen und benötigt einen enormen Entwicklungsschub, bevor hochentwickelte Roboter baustellentauglich sein werden. Dies bedingt auch die Klärung rechtlicher Fragen im Falle von Unfällen auf der Baustelle in Zusammenhang mit Robotern.
Bei vielen Bauunternehmen ist die Einführungsrate von Schlüsseltechnologien gering oder sogar inexistent (Jones, 2019). Dies beginnt sich jedoch zu ändern, da immer mehr Unternehmen das Potenzial neuer Technologien erkennen (Vivian M, 2022). Auch wenn es unmöglich ist, die Entwicklungen der Zukunft genau vorherzusagen, muss man doch versuchen, sich auf die Zukunft vorzubereiten (Edmondson & Earnest, 2021). Die Bauunternehmen haben keine andere Wahl, als Schritt zu halten. Früher oder später werden sie sich in einem Wettlauf um die Digitalisierung und technologische Entwicklung befinden, in der Hoffnung, dass sich die Rentabilität erhöht und gleichzeitig die Konkurrenz abwehrt (Jones, 2019). Für die langfristige Marktfähigkeit ist es demnach unabdingbar, dass Bauunternehmen in Innovationen investieren.
Trotz der Hindernisse werden einige der genannten Technologien in den nächsten Jahren alltäglich sein (Jones, 2019). Und auch wenn humanoide Roboter auf der Baustelle zu weit hergeholt scheinen, ist die Frage nicht, ob uns in Zukunft Roboter auf den Baustellen begegnen, sondern, wann es so weit sein wird (Thielemann, 2021).
Die Infografik aus einer Umfrage von Raconteur zeigt, wie die Technologie die Bauindustrie transformiert. Sie gibt einen Überblick über die Einführung neuer Technologien, die einen grossen Einfluss auf die Prozesse und den Gewinn der Branche haben werden. Die Technologien helfen bei der Lösung von vier grossen Herausforderungen, mit denen die Bauindustrie zu kämpfen hat: Produktivität, Sicherheit und Schulung, Arbeitskräftemangel und Zusammenarbeit.
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