24. April 2023
Studentischer Beitrag aus dem MAS Immobilienmanagement
Die Immobilienwirtschaft wird vom Geschäftsmodell der Plattform tiefgreifend verändert. Bis die Voraussetzungen für eine integrierte, den Lebenszyklus übergreifende digitale Plattform erfüllt sind, ist jedoch noch ein weiter Weg zu gehen. Die Wichtigkeit der Digitalisierung und das Denken in kompletten Lebenszyklen muss in der Branche noch überall ankommen. Erst dann können sich Ökosysteme bilden und es entsteht die Möglichkeit, aus der Immobilienwirtschaft ein neues, wertvollstes Unternehmen zu bilden.
Ein Artikel von Sebastian Offergeld und Luca Treff
Die Weltwirtschaft lässt sich kaum in einem Wort beschreiben. Mit Blick auf die vier wertvollsten Unternehmen (Apple, Microsoft, Google, Amazon) wird schnell klar, die Geschäftsmodelle basieren durchwegs auf Plattformen. Die Frage liegt nahe, ob auch die Immobilienwirtschaft durch das Geschäftsmodell der Plattform fundamental verändert wird und dabei ein weiteres «wertvollstes» Unternehmen entstehen kann (Noelling, 2022). Eine Plattform charakterisiert sich im weitesten Sinne als einen meist digitalen Ort, wo Nachfrage und Angebot aufeinandertreffen. Der Anbieter der Plattform orchestriert dabei das Zusammentreffen von Anbietenden und Nutzenden und schafft damit für beide Seiten einen signifikanten Mehrwert (McAfee & Brynjolfsson, 2018, S. 163-167). Der Wert einer Plattform steigt mit der Anzahl Nutzenden, was als Netzwerkeffekt bekannt ist.
Das Geschäftsmodell der Plattform zeichnet sich durch eine Vielzahl von ökonomischen Prinzipien aus. Der Netzwerkeffekt sorgt dafür, dass Güter wertvoller werden, je mehr Menschen sie nutzen. In einer reinen Online-Umgebung ist die Replizierbarkeit des Produkts resp. der Bits und Bytes «kostenlos, perfekt und sofort» (McAfee & Brynjolfsson, 2018, S. 175). Anschauliches Beispiel ist Spotify als Musikstreaming-Plattform. Je mehr Künstler ihre Musik anbieten, desto mehr Nutzende hat die Plattform und umgekehrt. Von diesem Effekt kann insbesondere profitiert werden, wenn der Plattformanbieter einen «First Mover Advantage» hat und die kritische Masse an Nutzenden erreicht. Um diese zu erreichen, liegt es nahe, eine «offene» Plattform anzubieten. Bei der offenen Plattform können sich weitere Anbieter im Markt über Schnittstellen anschliessen, um von dem Netzwerk resp. dem Pool an bereits vorhandenen Nachfragenden zu profitieren. Bei einer geschlossenen Plattform, so wie sie etwa Apple anbietet, kann von einem «Lock-in-Effekt» aufgrund hoher Wechselkosten profitiert werden (McAfee & Brynjolfsson, 2018, S. 260). Diesem Plattformtyp wird jedoch keine prosperierende Zukunft vorhergesagt, insbesondere nicht in der Immobilienwirtschaft (Noelling, 2022) (Dr. Staub, Staub, & Staub, 2022, S. 6).
Die offene Plattform führt zur Bildung von Ökosystemen und schafft damit Mehrwert durch Komplementärgüter für die Beteiligten. Als anschauliches Beispiel für eine offene Plattform resp. ein neu entstehendes Ökosystem dient nachfolgende Grafik:
Dem Geschäftsmodell der Plattform wird nachgesagt, komplette Industrien vollständig zu disruptieren. In einigen Industrien (Musikindustrie – Spotify; Beherbergungsindustrie – Airbnb, booking.com etc.) wurden die Art und Weise, wie Wert generiert wird, vollständig neu angeordnet und die Wertschöpfung neu verteilt. Der Immobilienwirtschaft wird das Potenzial nachgesagt, ebenfalls von dieser Entwicklung zur Bildung von Ökosystemen betroffen zu sein (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 9). Eine solche Neuordnung von Industriegrenzen mit einer Plattform als zentralem Orchestrator ist nachstehend visualisiert:
Die Immobilienwirtschaft ist aktuell noch sehr fragmentiert und in Silos aufgeteilt. Es besteht eine Vielzahl an eher kleinen spezifischen Ökosystemen resp. gemäss obiger Grafik «Product systems» (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 10) (Dr. Staub, Staub, & Staub, 2022, S. 30). Ob die Immobilienwirtschaft es vom Stadium 4 zum Stadium 5 «System of systems» schafft und damit die gesamte Immobilienindustrie disruptieren kann, wird von verschiedenen Seiten kritisch hinterfragt.
Die Immobilienwirtschaft ist bereit für die Digitalisierung und insbesondere für Plattformen. Der Technologietrend der Plattform ist als erster im Begriff dazu, im Hype-Cycle das Plateau der Produktivität zu erreichen (Baldegger & Isabel, 2022, S. 6). Aktuell sind die Top-100 Plattformen zwar auf Branchen ausserhalb der Immobilienwirtschaft verteilt, wie z.B. Fintech mit 41 % (Platformeconomy, 2022), dies kann jedoch als ein noch ungenutztes Potenzial verstanden werden. Dabei ist zu beachten, dass die Immobilienwirtschaft mit verschiedenen Branchen, wie z.B. Hypothekenplattformen und damit Fintech, in Verbindung gebracht werden kann.
Treiber der Plattformisierung sind insbesondere Prop Techs (Unternehmen – oft Startups – die mithilfe digitalen Technologien Geschäftsmodelle in der Immobilienwirtschaft realisieren), deren Empfänglichkeit in der Immobilienbranche zunehmend ist, wie nachstehende Grafik zeigt. (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 6)
Der Lebenszyklus einer Immobilie umfasst viele Phasen und diese sind damit unterschiedlich anfällig, von der Plattformisierung disrupiert zu werden. Dies hängt zum einen mit den Prozessen in den Lebensphasen zusammen und zum anderen mit der Dauer der Phasen. Entwicklung und Bau sind traditionellerweise analoge Prozesse, welche auf die Gesamtlebensdauer einer Immobilie nur einen kleinen Teil ausmachen.
Die blauen Phasen sind aktuell weniger empfänglich für tiefgreifende Veränderungen, wohingegen bei den roten Phasen schon diverse Ansätze zur Bildung von Plattformen und Ökosystemen existieren (Dr. Staub, Staub, & Staub, 2022, S. 30).
Ein aktuelles Beispiel für die roten Phasen (Maintenance, Us und Management) ist das Unternehmen «WeMaintain», welches den Unterhalt von Aufzügen revolutionieren will. Aufzugshersteller erwirtschaften einen Grossteil ihrer Marge durch Aftersales-, sprich Service & Wartung. Da im Kontext des Gesamtunterhaltes einer Immobilie auch die Wartung von bspw. Rolltreppen, Schiebetüren und Feuermeldern eine wichtige Rolle spielt, hat «WeMaintain» es sich zur Aufgabe gemacht, die IoT-Silos der Hersteller über eine Plattform zu harmonisieren: Ein «agnostisches» IoT, welches mittels eingesetzter Sensorik das Gebäudemanagement erheblich vereinfacht. Ersatzteilversorgung und Wartung erfolgen durch Mitarbeiter von «WeMaintain». Darüber hinaus möchte «WeMaintain» den Kunden über die Sensorik gesammelte Daten liefern, welche bspw. Auskunft über das Verkehrsaufkommen auf unterschiedlichen Stockwerken liefern, oder die Lebensdauer und damit die Abschreibungszeit einer Anlage durch predictive maintenance (vorausschauende, datengestützte Wartung) erhöhen (Debrunner, 2022).
Als konkurrierendes Beispiel investiert der etablierte Lifthersteller «Schindler» seit vier Jahren über CHF 100 Mio. in den Aufbau der branchenübergreifenden Plattform «BulidingMinds». Die Lösung ist aktuell jedoch noch weit von einer verbreiteten Lösung entfernt und ebnet damit noch Raum für Startups wie «WeMaintain» (Interview Peter Staub: VRP pom+; Lars Sommerer: CEO SwissPropTech).
In einzelnen Lebenszyklusbereichen existieren marktbeherrschende Plattformen. In den roten Bereichen Rental & Sale dominiert die Swiss Market Group (SMG). Andere Plattformen haben es schwer, sich in den zwei Lebenszyklusphasen zu etablieren, da diese Teilbranchen bereits so stark konsolidiert sind, dass sich die Erfolgsfaktoren der Plattform durchgesetzt haben. Die Brancheninitiative «New Home» wollte gegen die Dominanz von der zu SMG gehörenden Plattform «Homegate.ch» antreten und musste eine Niederlage verzeichnen. Sogar bei Facebook wurde der Immobilienmarktplatz von der Plattform verbannt, damit nicht mit der Immobilienwirtschaft konkurriert wird. Die Immobilienwirtschaft ist schliesslich ein finanzstarker Werbekunde. In anderen Teilbranchen gibt es noch keine erwähnenswerten Ökosysteme und die Zukunft ist noch offen (Interview Lars Sommerer; Peter Staub).
Die grossen Player übernehmen die erfolgversprechenden Prop Techs und die KMUs binden sich in plattformbasierte Ökosysteme ein oder entwickeln eigene Nischenprodukte. Die «Mobiliar» kauft das digitale Vermietungsprozess-Unternehmen «Flatfox» und damit den direkten Zugang zu deren Plattform und Ökosystem. Hingegen sind KMUs zu beobachten, die ihre spezifischen (Nischen-)Kompetenzen in eine digitale Teilplattform-Lösung überführen und sich damit in Stellung bringen, ihre intelligente Lösung in ein Ökosystem einzubringen. Das Verständnis wächst, Prozesse nicht nur digital abzubilden, sondern neu zu denken und der Fokus verschiebt sich auf neue Geschäftsmodelle statt «nur» auf die interne Prozessoptimierung (Schmidiger, 2017, S. 44).
In den Bereichen, wo es noch keine etablierten Ökosystem gibt, gilt es als sinnvoll, eigene Lösungen zu entwickeln. In den Bereichen, wo schon dominante Branchenplattformen existieren, lohnt es sich für finanzstarke Player, diese «einzukaufen» und für kleinere sich dem Ökosystem anzubinden resp. anzupassen. Zuerst muss in der Branche jedoch ein lebenszyklusübergreifendes digitales Verständnis in den entscheidungstragenden Positionen ankommen (Interview Lars Sommerer; Peter Staub).
Die Branche benötigt ein gesteigertes Bewusstsein für digitale Ökosysteme. Die Immobilienwirtschaft und Immobilienwerte haben in den letzten 20 Jahren nur eine Richtung gekannt, nach oben. Durch die Zinswende und getrübte Konjunkturaussichten dreht nun der Wind in die andere Richtung. Zudem hat die Pandemie und das gesteigerte Bedürfnis nach Nachhaltigkeit der Wichtigkeit von Daten und deren wertgenerierenden Einsatz einen Schub verliehen (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 6) (Niklowitz, 2022) (Buchschacher, 2022).
Die Wichtigkeit von Gesamtlösungen in der Form von Ökosystemen ist den Akteuren der Branche bekannt und stellt ein dringendes Bedürfnis dar. Voraussetzung für den Erfolg und die Funktionalität dieser Plattformen sind u.a. ein dringend benötigter technischer Standard oder weniger unterschiedliche Standards. Damit wäre die Interoperabilität sichergestellt und den PropTechs würde es ermöglicht werden, sich in breitere Wertschöpfungsketten zu integrieren (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 7). Daher gilt der Appell an die Branche mehr Kooperation und Partnerschaften zu suchen und zu ermöglichen, damit die Voraussetzungen für Plattformen gegeben sind (u.a. Datenstandard) und die Chancen in der Branche bleiben.
Ohne das Bewusstsein läuft die Branche Gefahr von einem «Big-Tech»-Unternehmen wie Amazon oder Google überholt zu werden. Die Ökonomie der Plattform mit ihren Netzwerkeffekten, «First Mover Advantage» und dazugehörige Komplementärgüter führen ansonsten dazu, dass sich die Branche dem (Preis-) Diktat des Plattformanbieters unterwerfen muss und die Oberhand über «ihre» Daten verliert (Hasenmaile & Mendelin, 2022, S. 12) (Pfnür & Eberhardt, 2022, S. 581).
Peter Staub und Lars Sommerer sind der gleichen Meinung: Eine umfassende Plattform bleibt eine Vision. Die Dominanz einer Plattform über den gesamten Lebenszyklus und die Bildung eines Ökosystem im Sinne eines «System of systems» ist in der Immobilienwirtschaft also eher unwahrscheinlich.
Tendenzen zur Etablierung einer dominanten Plattform sind jedoch bereits ersichtlich. Zum einen werden immer mehr Prop Techs von grossen etablierten Firmen (Versicherungen, Banken etc.) aufgekauft (Niklowitz, 2022), zum anderen findet sich ein vielversprechender Ansatz den gesamten Lebenszyklus über eine Plattform zu dominieren. Das Unternehmen «Allthings» verfolgt die Vision über eine offene Orchestrierungsplattform alle Phasen des Lebenszyklus mit digitalen Lösungen zu bedienen (Allthings Technologies AG, 2022). Dieser Ansatz zielt auf ein «System of systems» hin.
Abschliessend lässt sich feststellen, dass die Branche noch nicht reif genug ist und vorerst kein neues wertvollstes Unternehmen aus der Immobilienbranche entstehen wird. Vielmehr werden sich integrierte Plattformen als «Winner» in einzelnen Teilsegmenten etablieren.
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