26. Juli 2023

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Nachhaltige Immobilien Teil 3/3: Ergebnisse eines einfachen Indikatorensets

Nachhaltige Immobilien Teil 3/3: Ergebnisse eines einfachen Indikatorensets
Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2023

In einer dreiteiligen Blogserie beleuchten wir die Fragen, (1) ob und wie Banken die Nachhaltigkeit von Gebäuden mit Finanzierungskonditionen beeinflussen können, (2) wie nachhaltige Stärken und Schwächen von 1.8 Millionen Schweizer Wohngebäuden verteilt sind und (3) welche Handlungsoptionen bestehen, um die Schwächen zu verbessern. Weitere Ergebnisse und Lösungen präsentieren und diskutieren wir am 15. November 2023 von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr an der Konferenz «Nachhaltige Wohnungswirtschaft 2023».

Ein Artikel von Christian Kraft und Leonard Fister, HSLU

Wichtige nachhaltige Elemente von Immobilien werden bereits in der Bewertung der Immobilie berücksichtigt. Diese sind bereits eingepreist und müssen deshalb in der Finanzierung nicht zusätzlich kalkuliert werden. Der wichtigste Faktor ist in diesem Zusammenhang die Lagequalität der Immobilie. In Schweizer Gemeinden und Städten beträgt der Anteil des Landwertes am Marktwert von Immobilien bis zu 60 Prozent. Damit ist die Lage der Werttreiber Nummer eins und absolut entscheidend für die langfristige Werthaltigkeit einer Immobilie und derer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.

Die Lagequalität (Mikro- und Makrolage) wird von verschiedenen Bewertungsunternehmen in leichten Variationen gemessen. Die Hauptkomponenten gelten dabei jedoch als Branchenstandard. Sie werden beispielsweise vom Kanton Zürich für den Lageklassenplan verwendet. Die fünf Hauptkomponenten der Mikrolagenbeurteilung sind Immissionen, Aussicht und Besonnung, Infrastruktur, Verkehrsanbindung sowie Umfeldqualität zum Beispiel durch Image des Quartiers.

Für die Finanzierung bedeutet das folgendes: Eine wirtschaftlich nachhaltige Lage resultiert automatisch in höheren Belehnungswerten und tieferen Finanzierungsrisiken. Dieser Faktor muss in der Finanzierung nicht als weiterer Nachhaltigkeitsaspekt berücksichtigt werden, weil jedes Bewertungssystem die Kongruenz zwischen ökonomischer und sozial-ökologischer Nachhaltigkeit erkennt und diesen Faktor bereits einpreist.

Andere Nachhaltigkeitsfaktoren finden hingegen keine oder nur teilweise Berücksichtigung in der Bewertung. Dies sind insbesondere CO2-Emissionen und Landverbrauch. Auch die ÖV-Güteklasse spielt als gesonderter Indikator eine wichtige Rolle. Sie dient zwar bereits in der Lagequalitätsmessung als Indikator für die verkehrstechnische Erreichbarkeit, doch eine zusätzliche Berücksichtigung ist sinnvoll und einfach operationalisierbar.

Indikator 1: ÖV-Güteklasse

Das Bundesamt für Raumentwicklung ARE publiziert als ÖV-Güteklasse einen Indikator zur Messung der Erschliessung mittels öffentlichen Verkehrs für einen bestimmten Standort.[1] Die Methodik basiert auf der kombinierten Einstufung gemäss Art des Verkehrsmittels, Kursintervall, Haltestellenkategorie und der Distanz zur Haltestelle.

Die ÖV-Güteklasse erlaubt die kombinierte Abbildung ökologischer und sozial nachhaltiger Dimensionen bezüglich der Lage von Objekten. Insbesondere die Distanz zu Infrastruktur für Freizeit und Arbeit bietet eine zusätzliche Einschätzung, die rein wirtschaftliche Bewertungen des Objekts ergänzt. Die ÖV-Güteklasse, in deren Bereich ein Wohngebäude fällt, beeinflusst den Wert der Immobilie mit. Sie ist jedoch nicht allein verantwortlich für die Lagequalität, weil sie anderen Faktoren wie zum Beispiel Aussicht, Besonnung, Lärmimmissionen oder Nähe zu Naherholungsgebieten widersprechen kann. Deshalb können auch Orte mit schlechter ÖV-Güteklasse werthaltig sein, was im Bewertungsprozess bereits berücksichtigt ist.

Für die Beurteilung der Nachhaltigkeit hat die ÖV-Güteklasse jedoch wichtige Zusatzfunktionen. Erstens korreliert sie stark mit Infrastrukturen, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Kulturangeboten und Arbeitsplatzangeboten. An Orten mit hoher ÖV-Güteklasse sind lebhafte Quartiere und Arbeitsplätze in der Regel nicht weit entfernt und kurze Wege erleichtern den Alltag. Diese Aspekte spielen für die soziale Nachhaltigkeit eines Ortes eine wichtige Rolle. Damit ist die ÖV-Güteklasse ein optimaler Indikator für nachhaltige Mobilität, fussläufige Infrastruktur und, sofern die Lärmbelastung nicht zu hoch ist, für lebhafte Quartiere.

Abbildung 1 zeigt, inwieweit Lagen mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr auch kürzere Distanzen zu Infrastruktur aufweisen. Die Distanz der Haushalte zu Infrastruktur wird anhand der 10 Prozent, 25 Prozent, 50 Prozent, 75 Prozent und 90 Prozent Perzentile der Verteilung dargestellt. Zum Beispiel liegt die Hälfte aller Haushalte mit ÖV-Güteklasse A näher als 382 Meter zum nächsten Supermarkt, während für Haushalte ohne ÖV-Anbindung (keine ÖV-Güteklasse) im Median eine Distanz von bis zu 3’401 Meter zurückgelegt werden muss. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 50 Prozent der Haushalte in Lagen ohne ÖV-Anbindung mehr als 3’401 Meter vom nächsten Supermarkt entfernt sind. Für ÖV-Güteklasse A hingegen haben lediglich 10 Prozent der Haushalte eine längere Distanz als 842 Meter zum nächsten Supermarkt. Ein qualitativ ähnliches Bild ergibt sich für andere Infrastruktureinrichtungen.

Abbildung 1: Durchschnittliche Distanzen der Haushalte zu Infrastruktur, und Anzahl naher Arbeitsplatzangebote. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2021)

Abbildung 2 zeigt die Anzahl der Arbeitsstätten und Beschäftigten auf den vier angrenzenden Quadratkilometern zu den Haushalten einer jeweiligen ÖV-Güteklasse. Während etwa 50 Prozent der Haushalte in Lagen der ÖV-Güteklasse A 17’669 oder mehr Beschäftigte in unmittelbarer Nähe zählen, so haben 50 Prozent der Haushalte ohne ÖV-Güteklasse lediglich 442 Beschäftigte oder weniger in ihrem Gebiet. Ein qualitativ ähnliches Bild zeigt sich für die Anzahl an Arbeitsstätten.

Abbildung 2: Anzahl Arbeitsstätten und Beschäftigte in unmittelbarer Näher der Haushalte nach ÖV-Güteklasse. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2022)

Zweitens schaffen gute ÖV-Güteklassen ein niederschwelliges Mobilitätsangebot. Eine hohe ÖV-Güteklasse beinhaltet schnelle Verbindungen zu den wichtigsten Zentren genauso wie eine hohe Dichte hochfrequenter Nahverkehrsbeziehungen. Das schafft Anreize zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs und zum Verzicht oder zur reduzierten Nutzung des Individualverkehrs mit bekannten negativen Folgen für innerstädtische Qualitäten und Umwelt. Insgesamt wird die induzierte Mobilität reduziert und ein Angebot geschaffen, das die ökologische und soziale Nachhaltigkeit eines Ortes stärkt.

Die Messung der ÖV-Güteklasse jedes Ortes in der Schweiz ist, wie die vorgängigen Indikatoren zeigen, leicht operationalisier- und umsetzbar. In Abbildung 3 zeigt sich, dass vor allem an dicht bebauten städtischen Lagen 58 Prozent der Haushalte von guter bis sehr guter ÖV-Qualität (Klassen A und B) profitieren, während auf dem Land fast 85 Prozent der Haushalte keinen oder sehr schlechten Anschluss (Klasse D) an das ÖV-Netz haben – und damit auch gleichzeitig weite Distanzen zu Angeboten des täglichen Bedarfs in Kauf nehmen müssen.

Abbildung 3: Anteil der Haushalte nach ÖV-Güteklasse und BFS-Gemeindetypologie 2012. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2017)

Menschen in Städten sind im Vergleich zu Haushalten auf dem Land deutlich besser an das Netz des öffentlichen Verkehrs angeschlossen. Zwischen den Städten gibt es jedoch grosse Unterschiede, wie in Abbildung 4 dargestellt. Insbesondere eine höhere Einwohnerzahl und geringere Weitläufigkeit der Stadt sind Einflussfaktoren für eine grössere Dichte des städtischen ÖV-Netzes. Chur hat mit 58 Prozent der Haushalte im Gebiet der ÖV-Güteklassen A und B im Vergleich zum Land eine bereits deutlich bessere ÖV-Anbindung. In Genf verfügen fast alle Haushalte über eine gleich gute Anbindung, in Basel 98 Prozent und Zürich 96 Prozent.

Abbildung 4: Anteil der Haushalte nach ÖV-Güteklasse, Grossstädten und Land. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2017)

Besonders deutlich kommen die Unterschiede bezüglich der Anbindung an das ÖV-Netz bei der Berücksichtigung der Stockwerke zu tragen, siehe Abbildung 5. Häuser kurz unter der Hochhausgrenze liegen im Mittel optimal. Sie bieten besonders vielen Haushalten direkten ÖV-Zugang und beste Infrastruktur. Ab acht Geschossen lässt dieser Zusammenhang wieder nach. Insgesamt haben 40 Prozent der Haushalte in Gebäuden mit sechs bis neun Stockwerken sehr gute oder gute Anbindung an das ÖV-Netz. Lediglich 1 Prozent hat keinen Zugang zum ÖV. Für Haushalte in Gebäuden mit bis zu drei Stockwerken, also in erster Linie Bewohnende von Einfamilienhäusern, sind es hingegen 26 Prozent ohne Zugang, und lediglich 8 Prozent liegen in ÖV-Güteklassen A und B.

Abbildung 5: Anteil der Haushalte nach ÖV-Güteklasse und Gebäudehöhe. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2023)

Indikator 2: Landverbrauch

Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung[2] „schreitet die Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Infrastrukturzwecke in der Schweiz weiterhin – überproportional zum Bevölkerungswachstum – voran. Diese flächenintensive Siedlungsentwicklung führt zu den bekannten unerwünschten ästhetischen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen.“ Angesichts des aktuellen Bevölkerungswachstums mit einer Nettozuwanderung im Jahr 2022 von mehr als 80’000 Menschen erstmals seit 10 Jahren[3] gewinnt die Nutzung innerer Reserven nochmals an Bedeutung. Der Kanton Zürich hat sich 2014 zum Beispiel vorgenommen, 80 Prozent des Bevölkerungswachstums bis 2040 im urbanen Handlungsraum anzusiedeln. 2014 rechnete der Kanton bis 2040 mit einem Zuwachs „um gut 280’000 Einwohnerinnen und Einwohner“[4]. Im Jahr 2022, nach nur 8 Jahren, sind bereits 48 Prozent dieses Wachstums eingetroffen[5]. Wächst der Kanton weiter wie bisher, ist die Prognose 10 Jahre früher Realität als erwartet. In anderen urbanen Regionen schreitet das Wachstum ähnlich schnell voran, ohne die Möglichkeit, Bauzonen signifikant auszudehnen. 

Angesichts dieser Entwicklungen gewinnt der Landverbrauch rasant an Bedeutung. Der Indikator hat deshalb aus ökologischer Perspektive nochmals an Relevanz gewonnen und tangiert auch soziale Aspekte. Dichte und Höhe an zentral und verkehrstechnisch sehr gut erschlossenen Lagen spielen damit eine wichtige Rolle.

Der Landverbrauch korreliert auch mit dem zuvor beschriebenen Indikator der ÖV-Güteklasse. Effizient genutzte Orte befinden sich häufig in Bereichen sehr guter ÖV-Erschliessung. Abbildung 6 zeigt den Trend anhand der Perzentile des Flächenverbrauchs und basiert auf Daten aus dem eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) des Bundesamts für Statistik[6]. Eine Wohnung in ÖV-Güteklasse A verbraucht im Median 42 m2 Land (Gebäudegrundfläche). Eine Wohnung ohne ÖV-Anschluss verbraucht hingegen im Median mit 94 m2 mehr als doppelt so viel Fläche. 10 Prozent der Haushalte ohne ÖV-Anschluss verbrauchen 204 m2 oder mehr Grundfläche pro Wohnung.

Abbildung 6: Gebäudegrundflächenverbrauch nach ÖV-Güteklasse. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023 und BFS, 2023)

Abbildung 7 veranschaulicht die markanten Flächeneinsparungen mit zunehmender Höhe in der Form der Gebäudegrundfläche, die für eine Wohnung benötigt wird. Berücksichtigt werden 1.8 Millionen Gebäude mit Wohnnutzung. Die Prozentzahlen zeigen den Anteil dieser Gebäude am gesamten Gebäudepark der Schweiz. Zweigeschossige Gebäude, wovon 77 Prozent Einfamilienhäuser sind, benötigen im Median 99 m2 Gebäudegrundfläche pro Wohnung. Dreigeschossige und viergeschossige Gebäude sind mit 74 m2 respektive 40 m2 benötigter Grundfläche pro Wohnung bereits um bis zu 60 Prozent flächeneffizienter. Ein zehngeschossiges Hochhaus verbraucht mit 13 m2 gegenüber dem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus nochmals 68 Prozent weniger Grundfläche pro Wohnung. Ab einer Höhe von 14 Stockwerken nimmt die Gebäudegrundfläche nicht weiter ab. Die Effizienzgewinne bezüglich benötigter Grundfläche sind gegenüber konventionellen Wohngebäuden insgesamt enorm. Insbesondere in Hinblick auf Potenziale für gezielte Investitionen: Lediglich 15 Prozent des Gebäudeparks haben 4 oder mehr Stockwerke, also bieten 85 Prozent der Gebäude Möglichkeiten für grosse Effizienzgewinne durch Aufstockung.

Abbildung 7: Gebäudegrundflächenverbrauch pro Wohnung nach Stockwerksanzahl im Gebäude. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2023)

Insgesamt ist es aus Perspektive Nachhaltigkeit also wichtig, höher zu bauen. Dadurch wird der Boden effizient genutzt und Freifläche für ergänzende oder qualitätsstiftende Nutzungen freigelegt. Die grossen Effizienzgewinne liegen dabei eindeutig unterhalb der Hochhausgrenze. Bodammer et al. haben zum Beispiel festgestellt, dass alle schweizweit erstellten Hochhäuser der letzten 20 Jahre nur ein Drittel des letztjährigen Bevölkerungswachstums absorbieren könnten[7]. Der Hochhausbau ist in der jetzigen Form dadurch keine flächendeckende Lösung für die urbane Problematik der Wohnungs- und Landknappheit. Mit einem durchschnittlichen viergeschossigen Wohnhaus lassen sich gegenüber dem Dreigeschosser 47 Prozent Landfläche einsparen. Doch 85 Prozent aller Wohngebäude haben drei oder weniger Geschosse. Das zeigt, wie ineffizient Bauland heute genutzt wird und wie gross die Potenziale mit nur wenigen zusätzlichen Stockwerken sind. Dies gilt nicht nur für Neubauten, denn auch für den aktuellen Bestand wird im Mengengerüst ersichtlich, dass rund 275’000 Wohngebäude in städtischen oder intermediären Lagen maximal 3 Stockwerke haben und damit Möglichkeiten zur Aufstockung und einer effizienteren Landnutzung bieten (Abbildung 7).

Abbildung 8: Ein- und Mehrfamilienhäuser nach Stockwerksanzahl und Region. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2017 und BFS, 2023)

Bezogen auf einzelne Objekte erscheinen die Unterschiede zwischen Stadt und Land gering (Abbildung 9). Im Median verbraucht eine Wohnung im städtischen Gebiet etwa 73 m2, und damit 79 Prozent der Fläche von 93 m2 einer Wohnung auf dem Land. Betrachtet man grosse Städte individuell fallen die Unterschiede im Landverbrauch pro Wohnung stärker aus. So verbraucht etwa eine Wohnung in Genf im Median lediglich 18 m2 Grundfläche.

Abbildung 9: Gebäudegrundflächenverbrauch pro Wohnung nach Region. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2017 und BFS, 2023)

Die enorme Relevanz dieser Betrachtung wird allerdings erst deutlich, wenn die Zahlen der Schweiz aggregiert werden, siehe Abbildung 10. Während in städtischen Gebieten 5.4 Millionen Menschen auf 106 Millionen m2 Gebäudegrundfläche leben, sind es auf dem Land 1.3 Millionen Menschen auf 52 Millionen m2. In der Stadt lebt somit auf einer rund doppelt so grossen verbauten Fläche die vierfache Menge an Menschen.

Abbildung 10: Aggregierte Gebäudegrundfläche und Wohnbevölkerung nach Region. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2017, BFS, 2021a und BFS, 2023)

Indikator 3: CO2-Emissionen und Ressourcenverbrauch im Betrieb

Die Vermeidung von CO2-Emissionen im Gebäudepark ist zentral. Die genaue Berechnung des CO2-Ausstosses ist mit detaillierten Gebäude- und Verbrauchsdaten möglich. Auch das Bundesamt für Umwelt hat mit dem CO2-Rechner eine Grobschätzung für Wohngebäude auf Basis öffentlicher Daten publiziert[8].

Abbildung 11: Anteil der Haushalte nach CO2-Emission und ÖV-Güteklasse. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf ARE, 2023, BAFU, 2023a und BFS 2023)

Der CO2-Rechner erlaubt den Vergleich verschiedener Situationen. Dabei stellt sich die Frage, ob aus Nachhaltigkeitsperspektive der absolute CO2-Ausstoss in Tonnen pro Jahr oder pro Energiebezugsfläche und Jahr die richtigen Bezugseinheiten zur Einschätzung der Nachhaltigkeit sind.

Folgendes Beispiel verdeutlicht die Problematik. An der Zentralstrasse in Luzern wird ein typisches Mehrfamilienhaus mit neun Geschossen und einer Gebäudegrundfläche von 162 m2 mit Gas geheizt. Das Gebäude, im Jahr 1919 erstellt, beinhaltet 16 Wohnungen, für deren Be-heizung im Jahr 59 Tonnen CO2 ausgestossen werden. In der ländlichen Gemeinde Buttisholz, nordwestlich der Stadt Luzern, befindet sich zum Vergleich ein typisches Einfamilienhaus mit zwei Geschossen und einer Gebäudegrundfläche von 110 m2, das mit einer Ölheizung geheizt wird. Das Haus wurde 1985 erstellt und der CO2-Ausstoss wird auf 13.7 Tonnen pro Jahr geschätzt. Pro Energiebezugsfläche kommen beide Häuser auf vergleichbare Emissionswerte. Absolut gesehen emittiert das Einfamilienhaus 77 Prozent weniger CO2. Doch während im Einfamilienhaus ein Haushalt in einer Wohnung lebt, und im Mehrfamilienhaus an der Zentralstrasse 16 Haushalte in 16 Wohnungen, emittiert das Einfamilienhaus pro beheizte Wohneinheit rund 270 Prozent mehr CO2 als das Mehrfamilienhaus an der Zentralstrasse.

In der öffentlichen Wahrnehmung werden beide Häuser als ökologisch nicht nachhaltig eingestuft. Auch der CO2-Rechner des Bundesamtes für Umwelt stuft beide Häuser kategorisch gleich schlecht ein. Beide verbrennen Gas oder Öl, sind nicht saniert und schlecht isoliert. Und doch ist der durch Heizen verursachte CO2-Fussabdruck für die Haushalte an der Zentralstrasse deutlich kleiner als im Buttisholzer Einfamilienhaus. Selbst um die wesentlich kleinere Wohnfläche der Wohnungen im Mehrfamilienhaus bereinigt, liegt der Ausstoss pro Haushalt noch wesentlich tiefer.

Dieser Skaleneffekt relativiert damit den höheren Anteil nicht-fossiler Brennträger in ländlichen Gebieten und das dadurch vermutete höhere Niveau von Nachhaltigkeit auf dem Land: Abbildung 12 veranschaulicht die Anteile an CO2-Emissionen, Bevölkerungszahlen und Flächenverbrauch nach dem Typ der Region. 16 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben in ländlichen Regionen und emittieren 19 Prozent des gesamten CO2-Ausstosses. Das städtische Gebiet beherbergt 63 Prozent der Bevölkerung und verantwortet 58 Prozent der CO2-Emissionen, und weist somit gegenüber ländlichen Regionen ein leicht besseres Verhältnis von CO2-Emissionen pro Kopf auf. In Kombination mit dem geringeren Flächenverbrauch wird die positivere Bilanz der Stadt hinsichtlich Nachhaltigkeit verstärkt. Zugleich bieten städtische Gebiete aufgrund der hohen Anzahl an fossilen Heizträgern grösseres Potenzial, sich nachhaltig zu verbessern.

Abbildung 12: Anteile der Regionentypen an CO2-Emissionen, Gebäudegrundfläche und Wohnbevölkerung. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf BFS, 2021a, BAFU, 2023a und BFS, 2023)

Zwischen den Schweizer Städten bestehen grosse Unterschiede hinsichtlich fossil beheizter Wohnungen. Abbildung 13 zeigt, dass in Basel bereits 63 Prozent der Haushalte nicht-fossil beheizt werden. In Genf hingegen sind es nur 8 Prozent. Insbesondere Grossstädte bieten also viele Möglichkeiten, mit gezielten Investitionen in Erneuerungen von Heizsystemen eine grosse Nachhaltigkeitswirkung zu erzielen.

Abbildung 13: Anteile der Haushalte nach CO2-Ausstoss und Grossstädten. (Quelle: eigene Darstellung
basierend auf BFS, 2017, BAFU, 2023a und BFS, 2023)

Bei den Werten der CO2-Emissionen ist jedoch die Qualität der für die Schätzung verwendeten Daten zu beachten. Die meisten Inputfaktoren des CO2-Rechners werden dem GWR entnommen, dessen Daten aufgrund Qualität und Aktualität keine exakte Schätzung für alle Objekte zulässt. Insbesondere Sanierungen von Gebäuden und Heizsystemen werden nicht vollständig nachgeführt. Da alle nicht-fossilen Heizungen gemäss CO2-Rechner keinen CO2-Ausstoss haben, führt die fehlende Datenaktualität zu einer Verzerrung der Verteilung der CO2-Emissionen, deren Systematik und Richtung nicht akkurat bestimmt werden kann. Eine weitere Einschränkung des CO2-Rechners ist, dass granulare Daten nur für Einzelobjekte öffentlich verfügbar sind. Die Beurteilung des Gebäudeparks der Schweiz oder grosser Portfolios wird dadurch erschwert, dass als Gesamtdatensatz lediglich die kategorische Einteilung der CO2-Emissionen nach kg/m2 bezogen auf die Energiebezugsfläche des Gebäudes verfügbar ist. Die verfügbaren Kategorien können Abbildung 13 entnommen werden. Nicht-fossile Heizungen fallen gesamt in die Kategorie von 0 kg/m2. Alle anderen Kategorien differenzieren fossile Träger, wobei hauptsächlich zwischen Öl und Gas bzw. dem Alter der Anlage unterschieden wird, und der CO2-Ausstoss durch fehlende Information über Sanierungen potenziell überschätzt wird. Zudem ist die höchste Kategorie > 25 kg/m2 im Verhältnis tief angesetzt und erlaubt keine präzise Einordnung.

Trotz dieser Vorbehalte erlauben öffentlich verfügbare Daten des Bundesamts für Umwelt eine flächendeckende Betrachtung des CO2-Ausstosses nach Heizsystemen und schaffen damit Transparenz über die aktuelle Situation in der Schweiz. Besonders für gezielte Investitionen in Einzelobjekte stehen erweiterte Kennzahlen zur Verfügung, die mit dem anwenderfreundlichen CO2-Rechner geschätzt werden können. Die Flexibilität des Rechners erlaubt es, im GWR nicht-nachgeführte oder geplante Sanierungen zu berücksichtigen und damit die Nachhaltigkeitswirkung bezüglich der CO2-Emissionen im Betrieb zu bewerten.

Insgesamt bieten diese Indikatoren eine gute Einordnungsmöglichkeit von Wohngebäuden. Die kombinierten Implikationen aus diesen Indikatoren finden Sie im letzten Blogbeitrag oder im vollständigen Sustainable Lending Monitor. https://hub.hslu.ch/retailbanking/download/sustainable-lending-monitor/

Der zugrundeliegende Datensatz basiert auf öffentlichen Informationen. Wir stellen ihn allen interessierten Institutionen auf Anfrage (leonard.fister@hslu.ch) zur Verfügung.

Sind Sie an weiteren Aspekten dieses Themas interessiert? Dann melden Sie sich für die Konferenz «Nachhaltige Wohnungswirtschaft 2023» am 15. November von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr am IFZ/Campus Zug-Rotkreuz an.

[1] ARE, 2023

[2] ETH, 2012

[3] SEM, 2023

[4] Statistisches Amt des Kantons Zürich, 2014

[5] Statistisches Amt des Kantons Zürich, 2023

[6] BFS, 2023

[7] Bodammer et al., 2023

[8] BAFU, 2023a

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