9. September 2024

Studentische Beiträge

Smart Cities: Der Spagat zwischen digital und sozial

Smart Cities: Der Spagat zwischen digital und sozial
Abbildung: Smart City (Eigene Darstellung - KI Dall E)

Die Smart Cities werden als Nachhaltigkeitslösungen für unsere Städte beworben, doch weisen sie nebst den Chancen wie der Infrastrukturverbesserungen, Senkung der CO2-Emissionen und Versorgungssicherheit grosse Gefahren auf. Die verschiedenen Smart-City-Konzepte entscheiden nun, wie weit die Überwachung der Bevölkerung und der Eingriff in die Politik gewährt werden.

Ein Artikel von Stefania Russo und Denise Wyler

Bereits heute leben über 50% der Menschen weltweit in Städten, wodurch die Herausforderung des Klimawandels und des demografischen Wandels besonders die Städte betreffen. Es ist wichtig, die passenden Ressourcen zur passenden Zeit in der Stadt bereitzustellen, ob es sich um Lebensmittel, Energie oder Konsumgüter handelt. Energie- und Wasserversorgung, Verkehrsmöglichkeiten und Kommunikationstechnologien werden zunehmend miteinander verbunden. Es wird immer wichtiger, die richtigen Ressourcen wie Nahrungsmittel, Energie und Konsumprodukte zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Dafür werden Energie- und Wasserversorgung, Mobilität und Kommunikationstechniken immer mehr vernetzt. Unsere Systeme müssen in Echtzeit verstehen, wie Milliarden von Vorgängen zustande kommen, wie sie zusammenspielen und was wo getan werden muss, damit alles funktioniert. Echte Smart-City-Systeme müssen lernen, was Menschen brauchen, mögen, tun und wie sie sich fortbewegen.

Definition Smart Cities

Auch wenn Smart Cities, wie wir Sie aus TV-Dokumentationen aus Asien kennen, noch weit entfernt scheinen, sind die Konzepte in vielen Schweizer Städten bereits in Anwendung und die Städte in einzelnen Bereichen smarter, als man denkt. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, beinhaltet eine Smart City verschiedene Aspekte, die verschiedene Lebensbereiche tangieren.

Abbildung 1: Aspekte der Smart Cities (Swiss Smart Cities, kein Datum).

Viele Strassenbeleuchtungen sind bereits multifunktional: Strassenlaternen sind mit Sensoren bestückt und melden freie Parkplätze, haben integrierte Ladesäulen für Elektroautos und Notrufeinrichtungen oder es wird freies Internet zur Verfügung gestellt. Auch Umweltdaten wie Schadstoffbelastung, Temperatur und Lärmpegel können sie für alle anzeigen. Diese Werte können auch über eine spezielle Steuerung dazu verwendet werden, den Verkehr dem Belastungsgrad entsprechend zu steuern (Energie Baden-Württemberg, kein Datum).

Smart-City-Konzepte und -Visionen

In allen grösseren Städten der Schweiz wurden bereits Smart-City-Konzepte und -Visionen erarbeitet. Der Grossteil der Visionen umfassen grüne Technologien, Verkehrsmanagement, intelligente Beleuchtungssteuerung, Wasser-/Abwassermanagement, Sicherheit und Notfallhilfe. Das Hauptanliegen für diese Entwicklungen ist, eine bessere Erfahrung für die BürgerInnen zu schaffen und deren Leben zu verbessern. Gleichzeitig wird aber auch ein Fokus auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gelegt (Locke, 2023).

Der Fokus unterscheidet sich dabei teilweise stark. So wird beispielsweise bei der Stadt Basel das Bedürfnis der Bevölkerung erst im zweiten Satz genannt. Wichtig ist dort den staatlichen Handlungsspielraum mit einem gesunden Finanzhaushalt sowie einer dynamischen Verwaltung zu erhalten.

St. Gallen hingegen setzt den Fokus auf die Bedürfnisse der BürgerInnen in Bezug auf Lebensqualität, das Leben in der Stadt, bürgernahen Zugang zu digitalen angeboten, Mobilität und nachhaltige Energien.

Die Hochschule St. Gallen hat das Smart Government Lab gegründet, um den Einsatz von Technologien in der Politik und in öffentlichen Verwaltungen zu prüfen. Dabei werden beispielsweise Coachings über das Mobiltelefon in chronischen Situationen (z.B. bei chronischer Krankheit oder Langzeitarbeitslosigkeit) eingesetzt, um die BürgerInnen zu unterstützen. Um diese Technologien umsetzen zu können, muss jedoch die aktive Partizipation durch Aufzeichnen von Handydaten gefordert werden. Das künftige System soll sehr viel über die BürgerInnen wissen und auch den Kontakt zwischen BewohnerInnen und Stadtverwaltung durch Algorithmen unterstützen, was viele Risiken birgt (Keller & Englert, 2019).

Die Stadt Vancouver in Kanada nennt Ihre Smart City Vision “Happy City” und setzt somit den Fokus klar auf die Zufriedenheit der Bevölkerung und den Ausbau von Grünflächen, Fahrradwegen und Verkürzung von Arbeitswegen. Ein Beispiel dafür bildet auch das Happy Citizen Hexagon in Abbildung 2.

Abbildung 2: Vergleich zwischen “Happy Citizen” und Überwachung (HAPPY CITIZENS, kein Datum).

Mendrisio in der Schweiz und Orvieto in Italien nennen Ihr Konzept “Slow City” und definieren dies durch biologische Vielfalt, Pflege von Traditionen, Förderung von regionalen Produkten und kurzen Versorgungswegen aber auch Innovation zur Bekämpfung von Armut in späteren Generationen.

Hamburg setzt auf die “Zero City” durch die Vermeidung von Emissionen, Unfällen, Schulden Sicherheitsrisiken, etc. und die Förderung gemeinnütziger Arbeit und lokaler Lebensmittel- und Energieproduktion (Carabias-Hütter & Musiolik, kein Datum).

Herausforderungen und Risiken: Zwischen Vernetzung und Vulnerabilität

Die Smart City ist durch die Abhängigkeit der Vernetzung verschiedener Technologien in allen Bereichen und Dimensionen vulnerabel. Dies bietet Cyber-Kriminellen unzählige Methoden, Dienstleistungen und Infrastrukturen zu missbrauchen, zu manipulieren oder zu unterbinden.

Eines der grössten und meistdiskutierten Risiken der Smart-City-Idee ist der Missbrauch der umfangreich gesammelten Daten. Das gilt sowohl für die teils begründeten und teils übertriebenen Forderungen aus den Reihen von Institutionen wie der Polizei oder den Geheimdiensten für die Nutzung in der Terrorabwehr (Tissler, 2020).

Durch vermehrte Überwachungstechnologien sollen Vorhersagen gemacht und entsprechende Massnahmen getroffen werden können. Microsoft beispielsweise forscht an einer Technik, die dank Sensoren Epidemien mit der gleichen Zuverlässigkeit vorhersagen soll wie das Wetter. Die Stadt soll zu einem Organismus werden, in dem alles miteinander verknüpft ist und sich durch Lenkungssysteme automatisch an verändernde Bedingungen (Marktentwicklungen, Verkehrsaufkommen, Temperatur) anpasst. Schnellere Informationsflüsse, effektivere Verwaltung und das datengetriebene Mobilitätsmanagement helfen dem Algorithmus, die nötigen Schalter zu betätigen noch bevor eine Sachbearbeiterin zum Bleistift greifen würde. Es müssen nur die Sollwerte und Probleme definiert werden und welche Massnahmen bzw. Lösungen dazugehören, damit alles automatisch erledigt wird. Müllprobleme, vertrocknete Rasen in den Parkanlagen, Parkplatzprobleme und Staus gehören der Vergangenheit an. Einsatzfahrzeuge sind innert Sekunden zur Stelle, weil sie von einer Predictive-Policing-Software dorthin geschickt wurden.

PolitikerInnen entscheiden nicht mehr anhand von Annahmen, sondern handeln als AnalytikerInnen, KonstrukteurInnen, Planende und Verwirklichende. Es muss nicht mehr regiert, sondern nur der Algorithmus eingestellt werden. Die Hochleistungsrechner berechnen anhand von Gewohnheiten und Verhalten der Bevölkerung deren Bedürfnisse und befriedigen diese direkt, ohne dass noch darüber verhandelt oder entschieden werden muss. Die Bevölkerung wird nicht mehr befragt, da die gesammelten Daten für sie sprechen und dadurch sind auch langwierige Verhandlungen hinfällig. Die Politik wird berechnet, denn je besser die Algorithmen und Messung der Gewohnheiten der Bevölkerung, desto präziser lässt sich der Wählerwille abbilden. Es gibt keine Einsprachen und Abstimmungen mehr, da das System genau das vorhersagt und ausführt, was sich der Grossteil der Bevölkerung wünscht. Individuelle Meinungen sind hier nicht gefragt, es wird der grossen Masse gefolgt, denn es zählen nur Sensorendaten und Messwerte. Das Entscheidungsspektrum könnte eingeschränkt werden, denn die Bildung einer eigenen Meinung und die Konfrontation mit anderen Meinungen ist kaum mehr vorhanden (Lobe, 2021).

Folgende Dilemmas entstehen aus der Einführung von Smart Cities weltweit:

  • Die Smart City ist eine Datenmaschine, von welcher wir datengestützte Verwaltungsentscheidungen und neue Geschäftsmodelle erwarten. Wir müssen aber gleichzeitig dem Gebot zur Datensparsamkeit folgen und nur das notwendige Minimum an Daten erzeugen.
  • Die Energiebilanz der Städte muss massiv verbessert werden, jedoch ergibt sich durch die Digitalisierung der Städte ein weiterer enormer Energieverbrauch.
  • Durch die erhöhte Lebensqualität in den Städten ziehen diese immer mehr Menschen an, was die Infrastrukturen und den Lebensraum innerhalb der Städte weiter überlastet und ländlichere Regionen längerfristig entvölkert. (Slembrouck, kein Datum)

Chancen für die soziale Nachhaltigkeit

Technologie allein kann keine sozialen Probleme lösen und sogar zur Folge haben, dass die weniger digital bewanderten Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden oder durch Algorithmen eine automatisierte Diskriminierung entsteht. Vielen Städte sind aktuell dabei die Smart-City-Ziele zu definieren und Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Dies ist nun der richtige Zeitpunkt, um die soziale Nachhaltigkeit im Smart City-Kontext genauer zu erforschen und erproben. Die Stadtbevölkerung sollte frühzeitig in den Gestaltungsprozess einbezogen werden und sich aktiv daran beteiligen. So kann das Projekt Smart City bereits früher erfolgreich und mit mehr Akzeptanz umgesetzt werden (von Schwichow, 2023).

In Japan konnte beispielsweise das Krankenhaus der Tohoku Fukushi Universität durch die Smart-Micro-Grid-Technologie, während dem Fukushima-Erdbeben 2011 ohne Versorgungsengpässe weiterbetrieben werden. Diese Micro Grids können unabhängig vom übergeordneten Netz eine kontinuierliche Stromversorgung wichtiger Infrastrukturen aufrechterhalten. Auch massive Störungen haben demnach keinen Einfluss, da die Energie aus unterschiedlichen dezentralen Quellen gespiesen wird (Ottenburger & Ufer, 2018).

Stadtstaaten wie Singapur nutzen ausserdem das planerische Konzept der Smart City, um Transport- und Energieflüsse im Rahmen von 3-D-Modellen in ihren stadträumlichen Auswirkungen überprüfen. Dieses könnte sogar die stadtweite Ausbreitung des Coronavirus nachträglich rekonstruieren und somit auch antizipierende Eingriffe vornehmen (Kaltenbrunner, 2021).

Fazit

Die Entwicklung in Richtung Smart City wurde bereits ein unaufhaltsamer Prozess. Globale Technologieunternehmen wie Google, Microsoft, Airbnb oder Uber haben bereits begonnen, in Immobilien und Land zu investieren und die Städte der Zukunft zu planen. Ihr Fokus liegt dabei vermutlich bei der Förderung des technischen Fortschritts und nicht im sozialen Bereich (Kaltenbrunner, 2021).

Wichtig ist jedoch, dass sich dieser auch sozialverträglich entwickelt. EinwohnerInnen wollen aktiv und kritisch an der Entwicklung ihrer Stadt teilhaben, denn die Smart City wird sich auch mit aktuellen Fragen wie Chancengerechtigkeit, Bildungsangeboten, Integration und den Problemen der Gentrifizierung auseinandersetzen müssen (Ottenburger & Ufer, 2018).

Der durch die Politik geführte, kontinuierliche Verständigungsprozess, über die fundamentale Auseinandersetzung, wie wir heute und in Zukunft leben wollen, muss weitergeführt werden. Auch sind die Städte angehalten, den Dialog untereinander zu suchen, um die Erfahrungen auszutauschen und so eine Harmonisierung herbeizuführen (Slembrouck, kein Datum).

Die Datenbeschaffung sollte so sinnvoll wie möglich erfolgen, um übermässige Datenmengen zu vermeiden und die Anzahl personenspezifischer Daten zu reduzieren. So können beispielsweise Sensoren anstelle von Überwachungskameras installiert werden (Keller & Englert, 2019).

Die immensen Auswahlmöglichkeiten und Freiheiten stellen in der aktuellen Gesellschaft vielleicht eine Belastung dar. Jeder muss sich informieren, vergleichen und Entscheidungen treffen. Doch wenn Entscheidungen der Einfachheit halber an ein System abgetreten werden, wird das System den Rahmen der eigenen Agilität und Selbstbestimmung vorgeben. Es ist wichtig, das Digitale in den Dienst der Menschen zu stellen und nicht umgekehrt (Lobe, 2021).

Stellen Sie sich somit die Frage wie frei und selbstbestimmt, aber gleichzeitig überfordert vom Entscheidungsmass Sie in Zukunft leben wollen. Welche Aura soll die künftige Stadt ausstrahlen – clean und unpersönlich oder selbstbestimmt, ein wenig unordentlich und doch lebhaft? (Pines, 2020)

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