7. April 2025
Die moderne Stadtentwicklung steht vor der Herausforderung, mehr als nur Wohnraum zu schaffen. Quartiere sollen dem Anspruch eines lebendigen, sozialen und ökologischen Lebensraumes gerecht werden. Aus diesem Grund wurde der Begriff „lebendige Quartiere“ zum Leitmotiv für Stadtplaner, Architekten und Investoren.
Ein Artikel von: Ronja Bichsel und Steven Sedleger
Lebendige Quartiere verbinden Wohnen, Arbeiten, Freizeit und soziale Begegnung in einem dynamischen Raum. Sie fördern Vielfalt und Interaktion durch öffentliche Plätze, Grünflächen und nachhaltige Baukonzepte. Mobilitätslösungen wie Fussgängerzonen, Radwege und öffentlicher Nahverkehr stärken die Lebensqualität und verringern den motorisierten Verkehr (Bundesamt für Raumentwicklung, 2024). Während lebendige Quartiere theoretisch klar umrissen sind, zeigt erst die Praxis, wie sich diese Vision in der Realität umsetzen lässt. Es reicht nicht aus, moderne Architektur und grüne Flächen zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, wie diese Elemente zusammenwirken und die Bedürfnisse der Bewohner erfüllen. Die Herausforderungen liegen oft in den Details: Wie gelingt es, soziale Vielfalt zu fördern, sodass das lebendige Quartier tatsächlich seine Bestimmung erfüllt?
Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf verschiedene exemplarische Projekte, die als Pioniere lebendiger Quartiersentwicklung gelten. Das Zürcher Quartier Greencity steht exemplarisch für die Integration von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Vielfalt in der modernen Stadtentwicklung. Auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik im Süden Zürichs entstand das erste zertifizierte 2000-Watt-Areal der Schweiz, das Wohnen, Arbeiten und umweltbewusstes Handeln zu einem neuartigen urbanen Lebensstil vereint. Greencity setzt konsequent auf Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien. Die Gebäude wurden nach höchsten Energiestandards errichtet. Die Energieversorgung basiert auf einer Kombination von Erdwärme und Grundwasser, was eine nachhaltige und flexible Energielösung darstellt (2000watt.swiss, 2024). Um eine heterogene Bewohnerschaft anzuziehen, bietet Greencity Wohnungen für verschiedene Lebensphasen und Bedürfnisse an, darunter Angebote für Alleinstehende, Paare, Familien und Senioren.
Trotz diesen Bemühungen steht Greencity vor der Herausforderung, eine echte soziale Durchmischung zu erreichen. Die hohen Immobilienpreise in Zürich könnten die Vielfalt der Bewohnerschaft einschränken und zu einer Gentrifizierung führen. Um dem entgegenzuwirken, könnten Massnahmen wie die Förderung von Wohnbaugenossenschaften, die Schaffung einer Vielfalt an Wohnformen sowie Anreizsysteme für private Investoren zum Einsatz kommen, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Zudem erfordert die Integration von ökologischen und sozialen Zielen eine kontinuierliche Anpassung und Überprüfung der Konzepte, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden. Insgesamt zeigt das Projekt Greencity, dass die Verbindung von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Vielfalt möglich ist, jedoch ständiger Anstrengungen bedarf, um ein wirklich lebendiges Quartier zu schaffen (Stadt Zürich, 2024).
Das Quartier Erlenmatt Ost in Basel, entwickelt auf einem ehemaligen Güterbahnhof-Areal, verbindet dichte Bebauung mit grosszügigen Grünflächen und nachhaltiger Energieversorgung. Öffentliche Parks und begrünte Fassaden verbessern das Mikroklima und schaffen Raum für Erholung (Erlenmatt Ost, 2024). Ein innovatives Mobilitätskonzept setzt auf Carsharing und den Verzicht von privaten Autos, während die soziale Dimension durch partizipative Planungsprozesse und eine Mischung aus Miet- und Eigentumswohnungen gestärkt wird.
Trotz dieser ambitionierten Ziele wird Erlenmatt Ost für seine abgelegene Lage kritisiert, die den Zugang zu städtischen Angeboten erschwert. Auch die Nutzung gemeinschaftlicher Flächen bleibt hinter den Erwartungen zurück. Dennoch bleibt das Quartier ein Beispiel dafür, wie Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsorientierung in der Stadtentwicklung umgesetzt werden können.
Beide Quartiere verdeutlichen die Schwierigkeit, ökologische und soziale Ziele gleichermassen zu verwirklichen. Während Greencity für seine exklusive Ausrichtung kritisiert wird, kämpft Erlenmatt Ost mit der geringeren Attraktivität aufgrund der Lage und der unterdurchschnittlichen Nutzung gemeinschaftlicher Flächen. Beide Projekte zeigen, dass die Lebendigkeit eines Quartiers nicht allein durch bauliche Massnahmen, sondern durch eine kontinuierliche Anpassung an die Bedürfnisse der Bewohner entsteht.
Wie in der Schweiz gibt es auch im Ausland Bemühungen, um die Lebensqualität in Quartieren zu steigern. Das Konzept der Superblocks, auf Katalanisch „Superilles“ genannt, wurde in Barcelona entwickelt und gilt als Vorreiter moderner Quartiersgestaltung. Mehrere benachbarte Häuserblöcke – typischerweise vier bis neun – werden zu einer Einheit zusammengefasst, innerhalb derer der motorisierte Verkehr stark eingeschränkt wird. Stattdessen wird der gewonnene Raum genutzt, um Begegnungszonen, Fuss- und Radwege sowie Grünflächen zu schaffen. Die Superblocks sollen nicht nur die Lebensqualität steigern, sondern auch die soziale Interaktion fördern.
In Barcelona wurden erste Projekte bereits 2003 im Stadtteil Gràcia realisiert. Spätere Umsetzungen folgten in Poblenou und Sant Antoni, wo das Konzept seitdem weiterentwickelt wird. Ziel ist es, langfristig 503 solcher Superblocks in der Stadt zu etablieren, um die dominierende Rolle des Autos zugunsten eines menschenfreundlicheren Stadtbildes zu reduzieren (Eggimann, 2022).
Die Vorteile der Superblocks sind vielfältig. In den umgestalteten Quartieren hat sich die Aufenthaltsqualität deutlich verbessert. Durch die Neugestaltung entstanden zahlreiche neue Plätze, Spiel- und Begegnungszonen. In Poblenou etwa wurden grosse Bäume gepflanzt, Sitzmöglichkeiten geschaffen und die Flächen für Fussgänger um 67 % erweitert (Wolf, 2021). Diese Massnahmen fördern soziale Kontakte und stärken das Nachbarschaftsleben. Besonders Kinder und Senioren profitieren von den sicheren und einladenden Räumen.
Die Verkehrswende, die durch die Superblocks eingeleitet wurde, führte zu einem deutlichen Rückgang des motorisierten Verkehrs. Innerhalb der Superblocks nahm der Autoverkehr um bis zu 58 % ab, während der Fuss- und Radverkehr signifikant zunahm (Wolf, 2021). Solche Veränderungen schaffen nicht nur neue Bewegungsräume, sondern stärken auch die lokale Wirtschaft durch belebtere Strassen und Plätze (SRF, 2024).
Trotz ihrer Erfolge stehen die Superblocks vor Herausforderungen. Eine der grössten ist die Verkehrsverlagerung: Durch die Einschränkung des Durchgangsverkehrs innerhalb der Superblocks nehmen umliegende Strassen oft eine höhere Verkehrsbelastung auf. Kritiker bemängeln, dass dies zu neuen Staupunkten und Belastungen in angrenzenden Gebieten führen kann. In Poblenou etwa stieg der Verkehr auf einigen Randstrassen um bis zu 30 % (SRF, 2023).
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die sozialen Auswirkungen. Obwohl das Konzept die Lebensqualität vieler Bewohner verbessert, besteht die Gefahr der Gentrifizierung. Höhere Immobilienpreise und steigende Mieten könnten langfristig zu einer Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen führen, wie es bereits teilweise zu beobachten ist (Nanda, 2019).
Die Akzeptanz des Konzepts hängt stark von der Einbindung der Bevölkerung ab. In den Anfangsphasen stiess das Projekt auf erheblichen Widerstand von Anwohnern und Geschäftsleuten, die negative Auswirkungen auf ihre Mobilität oder Umsätze befürchteten. Erst durch intensive Informationskampagnen gelang es, die Skepsis abzubauen und die Vorteile der Superblocks zu verdeutlichen (Wolf, 2021).
Das Konzept der Superblocks bietet wertvolle Erkenntnisse für die Quartiersentwicklung. Auch in Schweizer Städten wie Basel, Zürich, Bern und Luzern gibt es ähnliche Projekte (SRF, 2024). Ein zentraler Lernpunkt ist die Bedeutung einer umfassenden Bürgerbeteiligung. Nur wenn Anwohner frühzeitig einbezogen und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden, kann ein solches Projekt langfristig erfolgreich sein. Temporäre Massnahmen wie taktische Interventionen – etwa provisorische Strassensperrungen und mobile Grünanlagen – haben sich als wirksam erwiesen, um die Akzeptanz zu erhöhen und erste positive Effekte sichtbar zu machen.
Darüber hinaus zeigt das Beispiel Barcelona, dass eine Reduktion des Autoverkehrs erhebliche positive Effekte auf die Lebensqualität haben kann. Der Nutzen der autofreien Zonen innerhalb der Superblocks überwiegt dabei den Mehrverkehr an den Randstrassen. Gleichzeitig betont das Konzept die Notwendigkeit eines integrativen Ansatzes, der soziale, wirtschaftliche und urbane Dynamiken gleichermassen berücksichtigt.
Lebendige Quartiere entstehen durch die harmonische Verbindung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und sozialer Interaktion. Sie fördern Nachhaltigkeit und Vielfalt, indem sie Mobilität neu denken und grüne Flächen integrieren. Beispiele wie Greencity Zürich, Erlenmatt Ost in Basel und die Superblocks in Barcelona verdeutlichen sowohl Potenziale als auch Herausforderungen moderner Quartiersentwicklung. Während ökologische und soziale Ziele oft schwer in Einklang zu bringen sind, zeigen innovative Ansätze, dass durch Bürgerbeteiligung, flexible Anpassung und langfristige Planung lebendige Lebensräume geschaffen werden können. Wichtig bleibt, den Fokus stets auf die Bedürfnisse der Bewohner zu legen, um Quartiere nachhaltig und gesellschaftlich gerecht zu gestalten.
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