19. Mai 2025

Studentische Beiträge

Innenstädte im Umbruch: Wege zu mehr Resilienz und Vielfalt

Innenstädte im Umbruch: Wege zu mehr Resilienz und Vielfalt
Titelbild: Vielfalt auf engem Raum – so lebt die Innenstadt; Quelle: Visit Copenhagen

Innenstädte stehen unter zunehmendem Transformationsdruck, bedingt durch ökonomische und gesellschaftliche Umbrüche sowie klimatische Herausforderungen. Die monofunktionale Ausrichtung vergangener Jahrzehnte hat sich dabei als krisenanfällig erwiesen und macht eine strategische Neuausrichtung der Innenstädte erforderlich. Zukunftsfähige Stadtentwicklung beruht auf resilienten, nutzungsoffenen und klimagerechten Strukturen, die räumliche Qualität mit sozialer Funktionalität verbinden.

Ein Artikel von: Jolanda Knuchel und Janis Jones 

Wirtschaftlicher Druck und gesellschaftlicher Wandel

Unsere Innenstädte befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Wo früher geschäftiges Treiben herrschte, prägen heute zunehmend leere Schaufenster und eine abnehmende Vielfalt das Stadtbild. Die Ursachen sind vielschichtig: Wirtschaftliche, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen greifen ineinander und setzen den stationären Handel sowie lokale Betriebe unter Druck (Stadt Zürich, 2017).

Doch dieser Wandel betrifft nicht nur den Einzelhandel. Städte stehen zunehmend vor globalen Herausforderungen, die weit über wirtschaftliche Veränderungen hinausgehen. Als zentrale Orte des gesellschaftlichen Lebens sind sie auch mit den Folgen des Klimawandels, technologischer Innovationen und geopolitischer Entwicklungen konfrontiert (Deutscher Städtetag, 2025). Besonders die Hybridisierung urbaner Räume – das Ineinandergreifen digitaler und physischer Strukturen – verändert, wie Menschen konsumieren, arbeiten und sich fortbewegen. Diese Entwicklung eröffnet neue Möglichkeiten für multifunktionale Stadtstrukturen, erfordert aber auch ein Umdenken in der Stadtplanung. (CUREM, 2025).

Parallel dazu wandeln sich die Nutzungen in den Innenstädten selbst. Der wachsende Onlinehandel entzieht dem Fachhandel wichtige Umsätze. Kundinnen und Kunden erwarten heute flexible Einkaufserlebnisse, die digitale und physische Angebote miteinander verknüpfen. Gleichzeitig gewinnen Gastronomie, Co-Working-Spaces und Freizeitangebote an Bedeutung, während klassische Verkaufsflächen verschwinden (Diefenbach, 2021). Hinzu kommen steigende Mieten, die es kleinen Betrieben erschweren, sich in zentralen Lagen zu halten. 

Kleinere Schweizer Städte sind von dieser Entwicklung stärker betroffen als die grossen Zentren. So hat die Leerstandsquote im Stadtzentrum von Yverdon-les-Bains kürzlich die symbolische Schwelle von 10 % überschritten (SRF-Redaktion, 2025). Parallel dazu sinkt die Besucherfrequenz, da Homeoffice und verändertes Mobilitätsverhalten die Zahl der Laufkundschaft verringern (Ruess et al., 2021).

Multifunktionalität als historisches Merkmal der Innenstädte 

Innenstädte und Zentren werden in Forschung und Praxis historisch über räumliche, funktionale, ökonomische und politische Gegebenheiten definiert. Die begriffliche Spannbreite in Literatur und Alltag reicht hier von Stadtmitte, Zentrum, Stadtkern, innere Stadt über Altstadt bis hin zu City. Es gibt jedoch keine allgemeingültige, verbindliche Definition von Innenstadt mit einheitlicher räumlicher Abgrenzung. Auf kommunaler Ebene entsteht jedoch meist ein gemeinsames Verständnis, das sich an örtlichen Nutzungsgewohnheiten und politischen Rahmenbedingungen orientiert. Trotz dieser Unterschiede ist ein gemeinsames Merkmal aller Innenstädte ihre multifunktionale Prägung (Zerche et al., 2024).

Die Debatte über „sterbende Innenstädte“ vermittelt oft das Bild, dass der Einzelhandel die zentrale Funktion einer Innenstadt sei und dessen Niedergang unweigerlich zu deren Verfall führe. Tatsächlich sind Innenstädte nach wie vor multifunktionale Orte. Allerdings waren die Entwicklungsstrategien in den vergangenen Jahrzehnten stark auf den Einzelhandel ausgerichtet, da dieser als Frequenzbringer erfolgreich funktionierte. Diese monofunktionale Prägung hat sich jedoch als krisenanfällig erwiesen (Market et al., 2024).

Nicht nur einzelne Krisenereignisse sind dabei von Bedeutung, sondern auch die Gleichzeitigkeit und Überlagerung sozialer, ökonomischer und ökologischer Umbrüche. Diese treten als multiple Krisen auf und können sich gegenseitig verstärken. Solche Einflüsse erhöhen die Komplexität und erschweren Prognosen zur zukünftigen Entwicklung. Infolgedessen steigen die Unsicherheiten in der Stadtplanung, was höhere Anforderungen an die Steuerung und Governance urbaner Systeme stellt (Kötter & Weiss, 2018).

Derartige Umbrüche und Prozesse haben im Verlauf der Stadtentwicklung nicht nur zu Verwerfungen oder temporären Niedergängen einzelner Städte geführt, sondern zugleich als Katalysatoren für Transformation und Innovation gewirkt. Sie haben nachhaltige Impulse für die Entwicklung resilienter Stadtstrukturen, die Weiterentwicklung städtebaulicher Konzepte und institutioneller Rahmenbedingungen gegeben. Städte und ihre Gesellschaften erweisen sich dabei nicht nur als reaktionsfähig, sondern auch als lernfähig (Kötter & Weiss, 2018)

Urbane Resilienz basiert auf Robustheit und Anpassungsfähigkeit

Die Widerstandsfähigkeit von Städten hängt davon ab, wie stabil ihre Strukturen sind und wie gut sie sich an veränderte Bedingungen anpassen können. Externe Stressfaktoren wie wirtschaftliche Krisen, Umweltveränderungen, demografischer Wandel oder innerstädtische Gegebenheiten wie Wohnraumversorgung und Infrastruktur spielen dabei eine zentrale Rolle (Steenstra et al., 2024).

Das von der Universität Bonn entwickelte Modell «Stresstest Stadt» bewertet die urbane Resilienz anhand sogenannter Deskriptoren, die typische städtische Strukturen wie Bevölkerungsstruktur, soziale Infrastruktur und Wohnungsmarkt beschreiben. Diese sind in jeder Stadt unterschiedlich ausgeprägt und beeinflussen deren Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren. Die Resilienzmatrix verknüpft die beiden Hauptdimensionen Robustheit und Anpassungsfähigkeit. Während Robustheit durch messbare Indikatoren wie Mietpreise oder Bevölkerungsdichte erfasst wird, erfolgt die Einschätzung der Anpassungsfähigkeit durch qualitative Bewertungen kommunaler Strategien. Die linke Matrix zeigt Stressszenarien wie Branchenwandel oder wirtschaftliche Schrumpfung, während die rechte urbane Funktionsbereiche wie den Wohnungsmarkt oder die soziale Infrastruktur betrachtet. Dadurch wird sichtbar, welche Bereiche stabil sind und wo gezielte Massnahmen erforderlich sind. Da es keine absoluten Resilienz-Skalen gibt, bietet der Stresstest relative Bewertungen, die Städte vergleichbar machen und Schwachstellen aufzeigen. Dies ermöglicht eine vorausschauende Stadtplanung, die Risiken frühzeitig erkennt und urbane Strukturen resilient macht (Kötter & Weiss, 2018).

Abb. 1: Beispielhafte Resilienzmatrizen für die Stressszenarien (links) und für Deskriptoren (rechts); Quelle: Kötter & Weiss, 2018, S. 38

Belebte Innenstädte durch vielfältige Nutzungskonzepte 

Lebendige Innenstädte entstehen nicht allein durch bauliche Verdichtung, sondern durch eine intelligente und flexible Nutzung des vorhandenen Raums. Um die Innenstadt langfristig attraktiv und funktional zu gestalten, müssen monofunktionale Strukturen aufgebrochen und durch vielseitige Nutzungen ersetzt werden. Dies bedeutet, dass Bereiche wie Wohnen, Mobilität, Logistik und Freizeit etc. ineinandergreifende Innovationskonzepte benötigen, sodass eine durchmischte und resiliente Stadtstruktur entsteht (Vrhovac et al., 2021). Entscheidend für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist die Qualität der gebauten Umwelt. Räume müssen nicht nur effizient genutzt, sondern auch gestalterisch ansprechend und sozial durchdacht sein. Öffentliche und halböffentliche Räume spielen hierbei eine zentrale Rolle – sie fungieren nicht nur als Verkehrsflächen, sondern auch als Orte der Begegnung und Erholung (Market et al., 2024).

Die Covid-19-Pandemie hat die Wahrnehmung von urbanen Räumen nachhaltig verändert. Während des Lockdowns verlagerten sich soziale Interaktionen auf den privaten Wohnraum, was zu einer unerwarteten Verdichtung des Alltags führte. Diese Erfahrung stellt etablierte stadtplanerische Leitbilder infrage und verdeutlicht, dass bauliche Verdichtung immer mit qualitativ hochwertigen Freiräumen ergänzt werden muss (Schwehr & Richard, 2021). Aus Nutzungsperspektive sind Freiräume nie fertig. Sie verfügen über ein starkes Raumgerüst, das immer wieder neu interpretiert und angepasst werden kann (Kemper & Roggo, o. J.). Eine intelligente Innenentwicklung sollte daher nicht nur räumlich, sondern auch funktional und zeitlich auf die Bedürfnisse einer vielfältigen Stadtgesellschaft eingehen. Die Qualität von Dichte zeigt sich dabei nicht nur in Quadratmetern oder Bebauungsziffern, sondern in der Gestaltung lebenswerter Räume (Schwehr & Richard, 2021).

Städtische Dichte – Mehr als nur eine Zahl

Die Verdichtung des städtischen Raums ist unausweichlich – sei es zur Schonung der Landschaft oder zur Sicherstellung einer funktionierenden Stadtstruktur. Allerdings ist Dichte als reine Kennzahl wenig aussagekräftig, wenn sie nicht mit Raumtypologien, Stadträumen und Aufenthaltsqualitäten verknüpft wird. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass definierte Dichtewerte oftmals von Entwicklern vollständig ausgeschöpft werden, wodurch notwendige Spielräume für eine qualitätsvolle Stadtentwicklung verloren geht (Flury et al., 2022).

Das Miteinander in einer historischen Altstadt ist ein anderes als in einem Neubaugebiet, indem es erst noch entstehen und wachsen muss. Dichte darf daher nicht allein als bauliches Wachstum verstanden werden (Schwehr & Solt, 2022). Vielmehr zeigt sie sich in ihrer Vielschichtigkeit – als atmosphärische-, Ereignis oder Nutzungsdichte. Entscheidend ist die gezielte Intensivierung von Nutzungsmöglichkeiten, nicht nur in der Fläche, sondern auch in der zeitlichen Dimension. Eine hohe städtebauliche Qualität entsteht nicht durch standardisierte Verdichtungsmassnahmen, sondern durch die Schaffung vielfältiger und gestaltbarer urbaner Räume. Statt gleichförmige Aussenbereiche sind differenzierte, gut durchdachte Freiräume erforderlich, die sowohl Rückzug als auch Interaktion ermöglichen. Erst die gelungene Verbindung zwischen baulicher Verdichtung und qualitativ hochwertigen Freiräumen macht eine Stadt lebenswert (Schwehr & Richard, 2021).

Ein aktuelles Beispiel ist die geplante Neugestaltung des Bären- und Waisenhausplatzes im Zentrum der Berner Innenstadt. Versiegelte Asphaltflächen werden zurückgebaut, 33 neue Bäume gepflanzt und ein Brunnen installiert. Eine ungebundene Pflästerung verbessert die Versickerungsfähigkeit und unterstützt das Schwammstadt-Prinzip. Das Gestaltungskonzept verfolgt einen nutzungsneutralen Ansatz, da der polyzentrisch organisierte Raum unterschiedlichsten Anforderungen gerecht werden muss. Sie dienen als Arbeits- und Marktplatz, als Ort für Festivitäten, kulturelle Veranstaltungen und politische Manifestationen. Diese Nutzungsmischung erfordert eine Infrastruktur, die flexible, parallele und sich wandelnde Nutzungen ermöglicht.
Die Kombination aus baulicher Aufwertung, klimabewusster Gestaltung und funktionaler Offenheit würde den Platz zu einem zukunftsfähigen Stadtraum mit hoher sozialer und stadträumlicher Relevanz transformieren. Die Volksabstimmung findet am 18. Mai 2025 statt (Stadt Bern, 2024).

Abb. 2: Aufenthaltsflächen ohne Konsumzwang, Neugestaltung Bären- und Waisenhausplatz Bern; Quelle: Stadt Bern, 2024 / © Nightnurse Images Zürich

Akteure in der Pflicht

Die Gestaltung lebendiger Innenstädte ist eine Aufgabe, die engagiertes Handeln verschiedener Akteure erfordert – von Immobilieneigentümern und Gewerbetreibenden über Bürgerinnen und Bürger bis hin zur öffentlichen Verwaltung. Die Transformation der Innenstädte scheitert nicht an den fehlenden Ideen, sondern an strukturellen Hemmnissen wie fehlendem Zugriff auf Flächen, rechtlichen Barrieren oder einer unzureichenden Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten (Market et al., 2024).

Ein zukunftsfähiges Stadtzentrum muss weit mehr sein als ein Ort des Konsums. Entscheidend ist die Schaffung hochwertiger öffentlicher Räume, die als soziale Treffpunkte fungieren und verschiedene Nutzungen miteinander verknüpfen. Eine Stadt, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, stärkt nicht nur ihre Attraktivität, sondern auch ihre wirtschaftliche Stabilität (Gehl, 2015).

Baukultur bedeutet Verantwortung – für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine nachhaltige Stadtentwicklung kann nur gelingen, wenn alle Akteure langfristige Strategien verfolgen, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte gleichermassen berücksichtigen (Stiftung Baukultur, 2023). Doch der Wandel kann nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Pilotprojekte und Reallabore bieten die Möglichkeit, neue Konzepte frühzeitig zu testen und Anpassungen vorzunehmen, bevor umfassende Massnahmen umgesetzt werden. (Vrhovac et al., 2021). Die Verantwortung für lebendige Innenstädte kann nicht allein einer Institution oder Branche überlassen werden. Nur durch gemeinsames Handeln entstehen vielseitige und lebenswerte Stadtzentren, die den Herausforderungen der Zukunft standhalten. 

Das Literaturverzeichnis finden Sie hier.

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