13. Oktober 2025
Ende September 2025 fand in Zagreb eine internationale Konferenz zur Wohnraumerschwinglichkeit statt. Forschende und Fachleute aus Europa diskutierten aktuelle Erkenntnisse, Herausforderungen und politische Lösungsansätze. Ich, Valentina Maras vom IFZ CC Real Estate, durfte mit dabei sein und meine Forschung zu „Lock-in-Effekten“ auf dem Schweizer Mietwohnungsmarkt vorstellten.
Ein Artikel von: Valentina Maras
Ende September fand in Zagreb die internationale Konferenz Public Sector Economics 2025 – Housing Affordability: What is New? statt. Organisiert vom Institute of Public Finance brachte die Konferenz Forschende, Fachleute und politische Entscheidungsträgerinnen aus ganz Europa zusammen, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, internationale Erfahrungen und politische Initiativen zur Wohnraumerschwinglichkeit zu diskutieren. Schon zu Beginn wurde klar: Bezahlbarer Wohnraum ist längst nicht mehr nur ein soziales, sondern auch ein zentrales wirtschaftliches Thema mit Auswirkungen auf Arbeitsmärkte, Standortattraktivität und gesellschaftliche Stabilität.
Die Eröffnung markierte zugleich das zehnjährige Bestehen der Konferenzreihe – ein emotionaler Moment. Vjekoslav Bratić, Direktor des Institute of Public Finance, betonte die Schwere der aktuellen Wohnkrise, die nicht nur Kroatien, sondern ganz Europa betrifft. Ursachen wie beschleunigte Urbanisierung, demografische Veränderungen und steigende Nachfrage treffen auf ein stagnierendes oder zu langsames Wohnungsangebot. Die Folgen sind unter anderem ein wachsender Druck auf Haushalte und zunehmende Ungleichheit.
Hana Huzjak von der Europäischen Kommission sprach von einer „tiefen sozialen Herausforderung“: Während die Hauspreise inflationsbereinigt um 20 % gestiegen seien, sei der Wohnungsbau in den letzten fünf Jahren um 20 % zurückgegangen. Sie hob hervor, dass hinter den Statistiken reale Menschen stehen, die täglich mit der Frage kämpfen, wo und wie sie leben können.
Ivan Puh von der Friedrich-Ebert-Stiftung erinnerte daran, dass laut einer Umfrage in Kroatien fast die Hälfte der jungen Menschen nicht wisse, wo sie künftig wohnen werde. Ein Befund, der auch in anderen europäischen Ländern zutrifft. Er betonte, dass gute Lösungen für Wohnungsprobleme von Wissenschaft und Expertise kommen.
Dubravko Mihaljek, Co-Editor der Zeitschrift Public Sector Economics (und von der Kroatischen Nationalbank und früher Bank for International Settlements, BIS), zeigte in seinem Überblick den europäischen Wohnungsmarkt in beeindruckender Breite. Eine der spannendsten Informationen gleich zu Beginn: Die Bevölkerung in der EU liegt derzeit bei rund 450 Millionen (2025) und wird voraussichtlich 2026 mit 453 Millionen ihren Höchststand erreichen, ab dann ist ein Rückgang zu erwarten. In der EU gibt es rund 202 Millionen Haushalte, davon 24 % mit und 76 % ohne Kinder, und Einpersonenhaushalte wachsen am schnellsten – eine Entwicklung, die auch in der Schweiz beobachtet werden kann.
Mihaljek zeigte weiter, dass es in der EU rund 238 Millionen Wohnungen gibt (OECD 2022), also etwa 1,2 Wohnungen pro Haushalt. Die Zahl der Wohnungen steigt zwar schneller als die Bevölkerung (basierend auf dem Vergleich Anzahl Wohnungen pro 1’000 EinwohnerInnen 2011 vs. 2022), doch der Neubau ist rückläufig: 2022 wurden 1.2 Millionen neue Wohnungen gebaut – im Jahr 2011 waren es noch 1.5 Millionen. Bei dieser Geschwindigkeit würde es 56 Jahre dauern, bis die Hälfte des Wohnungsbestands ersetzt wäre (zum Vergleich: 20 Jahre in Deutschland, 30 Jahre in Kroatien nach dem Zweiten Weltkrieg). Der Anteil der Haushalte, die in Mietwohnungen leben, steigt, was die zunehmende Bedeutung des Mietmarkts verdeutlicht – ein Trend, der in der Schweiz schon länger erkennbar ist. Mihaljek zeigte ausserdem, dass Mieterinnen und Mieter, die zu Marktpreisen mieten, in vielen Ländern zu kämpfen haben, während sozialer Wohnungsbau vielerorts in den Hintergrund getreten ist. Er machte darauf aufmerksam, dass Wohnraum zunehmend zu einem „international handelbaren Gut“ wird, ein Phänomen, das neue Herausforderungen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik mit sich bringt.
Nach der ersten Kaffeepause folgten die ersten zwei parallelen Sessions. Ein breites Angebot, das bedeutete, dass man sich entscheiden musste, welche Themen man vertieft hören wollte. Ich selbst präsentierte im Block Measurement challenges and macro linkages meine Studie „Housing affordability beyond rent burden: indications of lock-in effects in the Swiss rental market“, in der ich zeigte, dass Erschwinglichkeit nicht nur eine Frage des Mietpreises, sondern auch der Wohnmobilität ist.
Ebenfalls in diesem Block sprach Gerald Koessl von der Austrian Federation of Limited-Profit Housing Associations über „Housing Affordability in Austria: Measures, Challenges and Policy Relevance“. Er zeigte auf, dass im Median rund 26 % der privaten Mieterinnen und Mieter in Österreich überlastet sind (Overburden Rate). Ein zentrales Ergebnis kurz zusammengefasst: Ein kostenbasierter Mietansatz in Kombination mit moderater Subventionierung hat das Potenzial, eine nachhaltige Lösung für bezahlbaren Wohnraum zu sein.
Anschliessend stellte Aristotelis Margaris von der Universität Padua die Studie „Aggregate shocks, housing affordability and a tale for the surge of inflation“ vor, die in Zusammenarbeit mit Marta Rodríguez-Vives von der Europäischen Zentralbank entstanden ist. Mithilfe eines sign-restricted VAR-Modells zeigt die Studie, dass die Hauspreissteigerungen während und nach der COVID-19-Pandemie vor allem auf sogenannte „Housing Shocks“ zurückzuführen sind, also auf veränderte Präferenzen und eine höhere Nachfrage nach Wohnraum, und dass diese Dynamik wesentlich zum jüngsten Inflationsanstieg in der Eurozone beigetragen hat.
Nach dieser ersten Parallelsession fand ein Steh-Lunch statt. Ich nutzte die Pause für ein Gespräch, unter anderem mit Dr. Konstantin Kholodilin von der DIW Berlin und Gerald Koessl von der Austrian Federation of Limited-Profit Housing Associations, über die Situation in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Schnell wurde klar, dass die Herausforderungen ähnlich sind, doch die institutionellen Rahmenbedingungen und politischen Antworten stark variieren.
Nach der Mittagspause folgte eine zweite Parallelsession mit zwei thematischen Schwerpunkten: Interdisciplinary approaches und Policy experiments. Im ersten Schwerpunkt reichten die Beiträge von der Rolle der Wohnraumfrage in parlamentarischen Debatten (Maja Sabol und Ronny Mazzocchi, European Parliament Belgium sowie Leonardo Antonini, European Central Bank Germany) über die Analyse der Schweizer Franken-Hypothekenkrise (Cecilia Bonefačić Mihaljek, University College London) bis hin zu Fragen der Energieeffizienz und grünen Sanierung in kroatischen Grosssiedlungen (Institute for Social Research Croatia). In der zweiten parallelen Session wurden aktuelle Politikexperimente vorgestellt, etwa zur Erschwinglichkeitslücke in Europa (Dr. Konstantin Kholodilin, DIW Berlin), zu steuerlichen Reformen und Leerstandsabgaben in Nordmazedonien (Elena Neshovska Kjoseva) sowie zu regionalen Erfahrungen aus Südeuropa (Ioannis Radin, Universität Thessaly).
Die vielfältigen Perspektiven dieser Beiträge bildeten einen idealen Übergang zur ersten Paneldiskussion im zweiten Teil des Nachmittags, in der die europäische und internationale Dimension der Wohnraumerschwinglichkeit im Mittelpunkt stand. Im ersten Panel (Affordable Housing Initiatives: EU and International Perspectives) diskutierten Matthew Baldwin, Chiara Fratto, Georg Niedermühlbichler und weitere Expertinnen und Experten über die Frage, wie Erschwinglichkeit politisch adressiert werden kann. Chiara Fratto von der Europäischen Investitionsbank (EIB) hob hervor, dass kein einziger Indikator ausreiche, um die komplexe Realität abzubilden. Zudem betonten die Diskutierenden, dass die Wohnungsfrage weit über den sozialen Bereich hinausgeht: Sie beeinflusst Arbeitsmärkte, Mobilität und letztlich auch wirtschaftliche Ungleichheit.
In der zweiten Paneldiskussion (Bridging Affordable Housing Policy and Practice in Croatia: EIB Engagement) stand die Umsetzung konkreter Politikmodelle im Vordergrund. Vertreterinnen und Vertreter der Städte Osijek, Split und Zagreb stellten vor, wie sie gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank an nachhaltigen Modellen für leistbares Wohnen arbeiten.
Nach den Panels folgten Closing Remarks von Dubravko Mihaljek, der die Konferenz gegen 17.30 Uhr offiziell beendete. Anschliessend luden die Organisatorinnen und Organisatoren zu einem gemeinsamen Drink ein. Etwa 20 Teilnehmende trafen sich anschliessend im nahegelegenen Harat’s Irish Pub. In entspannter Atmosphäre bot sich noch einmal die Gelegenheit, sich zu vernetzen und die intensiven Diskussionen des Tages weiterzuführen. Mit vielen positiven Eindrücken liess ich den Abend ausklingen.
Die Konferenz hat gezeigt, wie vielschichtig und drängend die Frage nach bezahlbarem Wohnraum geworden ist, global, aber auch regional und lokal. Für mich war die Teilnahme eine bereichernde Erfahrung: Der Austausch mit Forschenden und Praktikerinnen aus Europa hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, das Thema ganzheitlich und interdisziplinär zu betrachten.
Gerade deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ), Kompetenzzentrum Real Estate, intensiv mit Fragen der Erschwinglichkeit, der Wohnmobilität sowie der sozialen und ökonomischen Wirkungen des Wohnens auseinandersetzen. Denn die Herausforderungen mögen international sein, doch die Lösungen beginnen vor Ort.
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