Virtuelle Generalversammlung während und post Covid

Virtuelle Generalversammlung während und post Covid

Autorin: Isabelle Oehri

Hochschule Luzern - W Dozentin & Projektleiterin
isabelle.oehri@hslu.ch

Es ist wieder GV-Saison. Auch in diesem Jahr finden viele Generalversammlungen aufgrund der Covid-Vorschriften online statt. Die virtuelle GV ist jedoch nicht nur pandemiebedingt aktuell. Im neuen Aktienrecht ist sie als reguläre Alternative zum physischen Meeting vorgesehen. Was ist bei der «Corona-GV» 2021 zu beachten? Und welche Neuerungen bringt die Aktienrechtsrevision?

Nach den ersten Erfahrungen im vergangenen Jahr müssen auch 2021 die Generalversammlungen von Aktiengesellschaften und GmbH ohne physische Präsenz der Gesellschafter durchgeführt werden. Sie gehören zu den gemäss Art. 6 Covid-19-Verordnung besondere Lage verbotenen Versammlungen. Demgegenüber fallen betriebsinterne Veranstaltungen wie etwa Verwaltungsratssitzungen, die für den normalen Arbeitsablauf im Betrieb erforderlich sind, nicht unter das Veranstaltungsverbot. Hier gilt lediglich eine Empfehlung zur Online-Durchführung und es sind die Vorgaben nach Art. 10 Covid-19-Verordnung besondere Lage einzuhalten.

«Corona-GV» 2021

Die Regeln für die Durchführung der GV 2021 entsprechen im Wesentlichen den letztjährigen Vorschriften. Diese finden sich primär in Art. 27 der Covid-19-Verordnung 3. Das Bundesamt für Justiz hat zudem auf seiner Website ein FAQ publiziert, welches die wichtigsten Fragen zum Themenkreis Coronavirus und Generalversammlung beantwortet.

Bei der Einberufung der GV sind die üblichen gesetzlichen und statutarischen Frist- und Formvorschriften einzuhalten (vgl. bei der AG Art. 699 ff. des Obligationenrechts [OR]). Das heisst insbesondere, dass die GV grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahrs stattfinden und spätestens 20 Tage vorab in der statutarisch vorgeschrieben Form einberufen werden muss.

Sofern nicht bereits mit der Einladung erfolgt, ist zusätzlich spätestens vier Tage vor der GV in einer schriftlichen oder elektronischen Mitteilung darüber zu informieren, in welcher Form die Aktionäre oder Gesellschafter an der GV teilnehmen und ihre Rechte ausüben können.

Diesbezüglich hat der Verwaltungsrat gemäss dem einschlägigen Art. 27 Covid-19-Verordnung 3 die Wahl zwischen folgenden Möglichkeiten:

  • schriftliche Rechtsausübung;
  • Rechtsausübung in elektronischer Form;
  • Rechtsausübung durch einen von der Gesellschaft bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter.

Schriftliche Rechtsausübung bedeutet dabei insbesondere, dass die Gesellschafter ihre Abstimmungen und Wahlen mittels schriftlicher Erklärung vornehmen. Um dem Schriftlichkeitserfordernis zu genügen, muss die Erklärung eigenhändig unterzeichnet oder mit qualifizierter elektronischer Signatur versehen werden; eine Stimmabgabe etwa per E-Mail genügt nicht.

Bei der Durchführung in elektronischer Form stehen Versammlungen per Video- oder Telefonkonferenz im Vordergrund; möglich sind aber auch andere Varianten, z.B. per Chat. In jedem Fall muss hierbei sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden identifiziert und authentifiziert werden und sich an der GV äussern, die Voten anderer Teilnehmender hören und ihre Rechte ausüben können.

Die GV selber wird als «Restversammlung» mit physischer Präsenz eines Vorsitzenden, eines Protokollführers und Stimmenzählers, allenfalls eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters und eines Revisionsstellenvertreters sowie im Falle von beurkundungspflichtigen Beschlüssen eines Notars durchgeführt. Wie üblich ist ein Protokoll der GV zu erstellen. Für die Durchführung der «Restversammlung» ist keine kantonale Bewilligung erforderlich.

Die beschriebenen Sonderregeln für die GV während der Corona-Situation gelten befristet bis zum 31. Dezember 2021.

Die virtuelle GV nach revidiertem Aktienrecht

Die «Corona-GV» mit ihren vorgesehenen virtuellen Teilnahmemöglichkeiten ist eine im Eilverfahren verabschiedete Ersatzlösung für die unmöglich gewordene physische Zusammenkunft der Gesellschafter. Möglichkeiten zur Flexibilisierung und Digitalisierung der Generalversammlung insbesondere durch den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel wurden allerdings bereits vor der Pandemie seit längerem intensiv diskutiert.

Und so bringt die nach jahrelangem Tauziehen im Sommer 2020 endlich verabschiedete «grosse» Aktienrechtsrevision mit Blick auf die virtuelle GV eine Reihe von grundlegenden Neuerungen. Relevant sind insbesondere Art. 699 ff. revOR.

Einen allgemeinen Überblick über die Revision gibt der Beitrag vom 3. Juli 2020 von Michelle Murri hier auf dem Management & Law-Blog.

Das genaue Datum des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen steht noch nicht fest; nach ungenutztem Ablauf der Referendumsfrist erscheint jedoch eine Inkraftsetzung auf Anfang 2022 wahrscheinlich. Danach haben die Gesellschaften zwei Jahren Zeit, um ihre Statuten bei Bedarf anzupassen.

Elektronische Einberufung

Sofern die Statuten dies vorsehen, kann die Einberufung der GV bereits heute auf elektronischem Weg erfolgen. Allerdings ist bislang zwingend eine physische Auflage von Geschäfts- und Revisionsbericht am Gesellschaftssitz und eine diesbezügliche schriftliche Information der Aktionäre vorgeschrieben (Art. 697 OR).

Das neue Recht schafft diese physische Auflage- und schriftliche Informationspflicht ab und lässt eine elektronische Zugänglichmachung mindestens 20 Tage vor der GV genügen (Art. 699a revOR). Damit wird die komplett elektronische Einberufung möglich. Die Einberufung muss Datum, Zeit, Art, und (bei physischer Durchführung) Tagungsort, Verhandlungsgegenstände und Anträge sowie Informationen über einen allfälligen unabhängigen Stimmrechtsvertreter enthalten (Art. 700 revOR).

Flexibilisierung bei der Durchführung der GV

Zumindest implizit beruht das traditionelle System der Generalversammlung auf der Idee einer unmittelbaren Präsenzversammlung. Da das geltende Aktienrecht allerdings keine ausdrücklichen Regeln zu den Durchführungsmodalitäten und insbesondere zum Tagungsort enthält, sind diesbezüglich bislang verschiedene Fragen nicht abschliessend geklärt. Unklar und in der juristischen Lehre teilweise umstritten ist insbesondere, ob unter dem aktuellen OR mehrere Tagungsorte, eine Durchführung im Ausland oder gar eine telefonische oder virtuelle Durchführung zulässig sind.

Hier schafft die Aktienrechtsrevision mit Art. 701a ff revOR ausdrückliche und flexible Möglichkeiten (vgl. dazu im Einzelnen auch die Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, S. 548 ff.): Neben der klassischen Präsenz-GV an einem einzigen Tagungsort in der Schweiz kann die GV auch an einem Tagungsort im Ausland (Art. 701b revOR) oder an mehreren Tagungsorten gleichzeitig (Art. 701a Abs. 3 revOR) durchgeführt werden. Weiter besteht die Variante einer hybriden Versammlung, bei der neben einem oder mehreren physischen Tagungsorten eine Teilnahmemöglichkeit via Internet geboten wird (Art. 701c und Art. 701e f. revOR). Und schliesslich kann die GV auch rein virtuell durchgeführt werden (Art. 701d ff. revOR).

Sofern die Statuten nichts anderes vorsehen, obliegt die Festlegung des Durchführungsmodus› bzw. des Tagungsortes dem Verwaltungsrat. Dabei muss er darauf achten, das für keinen der Aktionäre die Ausübung der Aktionärsrechte in unsachlicher Weise erschwert wird (Art. 701a revOR).

Für eine Durchführung der GV im Ausland ist eine entsprechende Statutenbestimmung erforderlich und der Verwaltungsrat muss grundsätzlich einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter ernennen (Art. 701b revOR). Bei dieser Option ist zu bedenken, dass im Falle beurkundungspflichtiger Beschlüsse Zusatzaufwand generiert wird und je nach Konstellation ein gewisses Risiko der Begründung eines ausländischen Gerichtsstands bestehen kann. Insofern sollten für die Wahl eines ausländischen Tagungsortes gewichtige Gründe sprechen. Soll damit lediglich eine erleichterte Teilnahme für ausländische Aktionäre erreicht werden, dürfte diesem Anliegen häufig einfacher mit einer hybriden oder virtuellen GV gerecht zu werden sein.

Auch für die rein virtuelle GV ist eine entsprechende statutarische Basis erforderlich und es ist grundsätzlich die Ernennung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters erforderlich (Art. 701d revOR).

Das Gesetz sieht bei der Verwendung elektronischer Mittel in hybriden und virtuellen Settings gewisse Mindestvoraussetzungen (Art. 701e revOR) und Sonderbestimmungen für technische Probleme (Art. 701f revOR) vor:

  • Es muss sichergestellt werden, dass die Identität der Anwesenden feststeht.
  • Die Voten müssen in der GV unmittelbar übertragen werden und alle Teilnehmenden müssen Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen können.
  • Eine Verfälschung der Abstimmungsergebnisse, etwa durch Cyberangriffe, muss ausgeschlossen werden. Hierzu hat der Verwaltungsrat die nötigen Sicherheitsmassnahmen zu treffen, die dem Stand der Technik entsprechen.
  • Treten technische Probleme auf, ist dies zu protokollieren. Wird dadurch die ordnungsgemässe Durchführung der GV verunmöglicht, ist diese zu wiederholen. Beschlüsse, die vor dem Auftreten der Probleme gefasst wurden, bleiben allerdings gültig. Nicht unter technische Probleme im Sinne von Art. 701f revOR fallen solche im Verantwortlichkeitsbereich des einzelnen Aktionärs, der beispielsweise Verbindungsprobleme hat.

Hinsichtlich der im Einzelnen nutzbaren Technologien, Dienste oder Softwares enthält das revOR keine Vorgaben. Die beschriebenen Mindestanforderungen dürften mit den gängigen (Video-)Konferenzlösungen in den meisten Konstellationen erfüllbar sein, wobei auf eine Bildübertragung grundsätzlich zumindest bei überschaubaren Verhältnissen auch verzichtet werden kann. Im Einzelfall, insbesondere bei sehr hohen Teilnehmerzahlen, ist besonderes Augenmerk auf die Interaktions- bzw. Mitwirkungsmöglichkeiten und die korrekte und speditive Abstimmungsauszählung zu richten. Solange die beschriebenen Mindestanforderungen erfüllt sind, ist der Verwaltungsrat bei der Wahl der eingesetzten Anwendung frei, muss diese allerdings den Aktionären gratis zur Verfügung stellen.

Zirkularbeschlüsse in Universalversammlungen neu zulässig

Aufgrund des impliziten Unmittelbarkeitsprinzip als unzulässig erachtet wird unter geltendem Recht gemeinhin die Beschlussfassung der Generalversammlung per Zirkularbeschluss.

Auch hier bringt die Aktienrechtsrevision neuen Spielraum: Gemäss Art. 701 Abs. 3 revOR soll es zukünftig im Rahmen einer Universalversammlung (d.h. einer Generalversammlung, an der sämtliche Aktien vertreten sind und die daher, sofern alle damit einverstanden sind, auch ohne Einhaltung der Einberufungsformalitäten abgehalten werden kann) mit Zustimmung aller Aktionäre möglich sein, Beschlüsse auf schriftlichem oder elektronischem Weg zu fällen. Gerade für Aktiengesellschaften mit kleinem Aktionariat dürfte dies eine attraktive und effiziente Option darstellen.

Wichtiger Modernisierungsschritt

Die Modernisierungsschritte bei der Generalversammlung im revidierten Aktienrecht tragen den digitalen Möglichkeiten Rechnung und eröffnen viel Flexibilität und Potential für Effizienzsteigerungen.

Diese Stossrichtung ist zu begrüssen und wäre im Zuge der Aktienrechtsrevision neben der GV auch noch in anderen Bereichen wünschenswert gewesen. Beispielsweise hätte sich die Chance geboten, die nach wie vor bestehenden Medienbrüche im Zusammenhang mit der Unternehmensgründung zu eliminieren (vgl. dazu den am 16. März 2021 eingereichte neue Motion 21.3180 «Vollständig digitale Unternehmensgründung sicherstellen» von Nationalrat Andri Silberschmidt).

Sorgfältige und umsichtige Umsetzung der virtuellen GV post Covid

Dass die Online-Durchführung von Generalversammlungen prinzipiell praktisch und technisch machbar ist, haben die Erfahrungen mit der unter Zeitdruck und mittels Notrecht konzipierten Corona-GV gezeigt. Die Anforderungen an die moderne Ordnung der Generalversammlung gemäss revOR sind allerdings höher als im Corona-Ausnahmezustand und die vorgesehenen Bestimmungen müssen sich im Praxistest erst noch bewähren.

Trotz aller positiven Aspekte, die zukünftig eine flexiblere und digitalere GV ermöglichen: Die neuen Gestaltungsoptionen schaffen auch zusätzliche Risiken, etwa für fehlerhafte Entscheide des Verwaltungsrats, dem bei der Organisation der GV sehr viel Freiraum zukommt, für technische Schwierigkeiten und für in der Folge anfechtbare GV-Beschlüsse. Hier gilt es, die entsprechenden statutarischen und reglementarischen Grundlagen sorgfältig auszuarbeiten.

Ob all der formellen und technischen Aspekte sollte schliesslich auch nicht vergessen werden, dass die Generalversammlung ein Ort der durchaus kritischen Diskussion sein soll. Diese regulierende und kontrollierende Funktion ist mit Blick auf die Corporate Governance absolut zentral. Dem ist auch und gerade dann Rechnung zu tragen, wenn keine Präsenzversammlung stattfindet, an der persönlich anwesende Aktionäre und Verwaltungsräte in einen direkten Dialog treten können, sondern ein virtuelles Meeting, in dem sich der aktive Austausch trotz zunehmender Erfahrung nach wie vor häufig anspruchsvoll gestaltet.


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