Covid und Geschäftsmiete – Erste Schweizer Gerichtsurteile

Covid und Geschäftsmiete – Erste Schweizer Gerichtsurteile

Autorin: Isabelle Oehri

Hochschule Luzern - W Dozentin & Projektleiterin
isabelle.oehri@hslu.ch

Weltweit wird nach wie vor kontrovers diskutiert, ob Geschäftsmieter für die Zeit der covid-bedingten Betriebsschliessungen die volle Miete schulden. Das Bezirksgericht Zürich hat sich als erstes Schweizer Gericht zur Thematik geäussert. Präjudizcharakter haben die zwei Urteile allerdings (noch) nicht.

«Gericht stoppt Vermieterin» – So titelte gestern der Beobachter online unter Verweis auf zwei Entscheide des Bezirksgerichts Zürich vom 23. April 2021. Tatsächlich hatte die Zürcher Erstinstanz mit den beiden Urteilen EB201184-L und EB201177-L (beide abrufbar von der Webseite des Beobachters) als erstes Gericht in der Schweiz über Mietzinsforderungen für Geschäftsräumlichkeiten während der Zeit der behördlich angeordneten Schliessung bzw. des stark eingeschränkten Betriebs zu befinden. Allerdings sind die Urteile mit Vorsicht zu geniessen. Präjudizwirkung kommt ihnen nämlich (noch) nicht zu.

Keine Forderungsdurchsetzung im summarischen Eiltempo

Bei den beiden Entscheiden handelt es sich um Urteile des Einzelgerichts in Summarsachen. Gegenstand waren provisorische Rechtsöffnungsbegehren, mit denen die jeweilige Vermieterin eines Restaurants den Mietzins von monatlich gut CHF 40’000.00 plus Nebenkosten für die Monate April bis Juli 2020 bzw. August bis September 2020 verlangte. Nachdem die Mietzahlungen ausgeblieben waren und der Mieter die daraufhin von der Vermieterin angestrengten Betreibungsverfahren durch Rechtsvorschlag zum Stillstand gebracht hatte, verlangte diese vom Einzelrichter unter Berufung auf den zugrunde liegenden Mietvertrag die provisorische Rechtsöffnung für die ausstehenden Mietzinse.

Dieses Begehren wurde vom Gericht abgewiesen. Das bedeutet allerdings – nur, aber immer-
hin – , dass die Vermieterin die Forderung für die ausstehenden Geschäftsmieten während der covid-bedingten Betriebsschliessung und der Zeit der einschränkenden Massnahmen nicht im Eiltempo des Summarverfahrens durchsetzen kann. Vielmehr muss sie die Ausstände im ordentlichen Verfahren geltend machen.

Voraussetzungen und Einwendungen im Rechtsöffnungsverfahren bei Mietverträgen

Im summarischen Rechtsöffnungsverfahren musste und durfte sich das Gericht einzig mit der Frage befassen, ob der Mietvertrag für die Dauer der behördlichen Anordnungen einen hinreichenden Rechtsöffnungstitel verkörpert.

Bei Mietverträgen wird die provisorische Rechtsöffnung nach Art. 82 SchKG für ausstehende Mietzinse und Nebenkosten gestützt auf das unterschriebene Vertragsdokument als Schuldanerkennung gewährt, es sei denn, dem Mieter gelinge es, durch glaubhafte Einwendungen die Schuldanerkennung zu entkräften. Solche Einwendungen können im Mietverhältnis unter anderem darin bestehen, dass der Mieter substantiiert dartut und beziffert, dass am Mietobjekt Mängel bestanden, die ihn zur Herabsetzung des Mietzinses berechtigten, welche er rechtzeitigt geltend gemacht habe (vgl. Art. 259a Abs. 1 lit. b und Art. 259d OR).

In den beiden Verfahren hatte der Mieter als Einwendung vorgebracht, dass der gemäss Mietvertrag vereinbarte Benutzungszweck, die Führung eines Restaurants, durch die behördlichen Anordnungen teilweise ganz verunmöglicht und teilweise stark erschwert worden sei. Diese Beeinträchtigung des Gebrauchs der Mietsache habe er als Mangel geltend gemacht und gestützt darauf die Herabsetzung verlangt.

Das Gericht führt unter Bezugnahme auf den Ablauf der Pandemie und das Ausmass der behördlichen Massnahmen aus, dass der Vermieterin zwar in der vorliegenden Konstellation nicht vorgeworfen werden könne, ihre Vertragsleistung nicht hinreichend erbracht zu haben. Es stehe aber ausser Frage, dass die Leistung beim Mieter nicht in der Art und Weise angekommen sei, wie es aufgrund des abgeschlossenen Mietvertrages zu erwarten gewesen und wie dies auch gerügt worden sei. Gestützt auf eine analoge Anwendung der sog. Basler Rechtsöffnungspraxis kommt das Gericht zum Schluss, dass der Mietvertrag aufgrund dieser Störung des Synallagmas aus vollstreckungsrechtlicher Sicht keinen tauglichen Rechtsöffnungstitel für die verlangten Mietzinse mehr darstellen könne.

Im Sinne einer Eventualargumentation nimmt der Einzelrichter sodann auf die clausula rebus sic stantibus Bezug, die es einem Gericht erlaubt, einen Vertrag unter bestimmten Umständen an stark veränderte Verhältnisse anzupassen. Es erscheine, so das Gericht, in jedem Fall nicht ausgeschlossen, dass dem Mieter gestützt darauf ein Anspruch auf Mietzinsreduktion zustehen könnte. Dazu verweist es auf den Bundesgerichtsentscheid BGE 48 II 249 aus dem Jahr 1922, in dem einem Pächter eines Schiffsrestaurantbetriebs auf dem Vierwaldstättersee aufgrund der kriegsbedingt drastisch veränderten Umstände eine entsprechende Pachtzinsreduktion gewährt worden war.

Materiellrechtliche Klärung im ordentlichen Verfahren weiterhin ausstehend

Das Gericht kommt somit zum Schluss, die Einwendungen des Mieters seien zumindest so glaubhaft gemacht, dass die Ansprüche der Vermieterin nicht einfach ohne Weiteres im Summarverfahren durchgewunken werden können. Vielmehr müsse für eine abschliessende Beurteilung der Sachlage eine vertiefte Analyse im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens erfolgen. Entsprechend wird dem Mietvertrag unter den gegebenen Covid-Restriktionen in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation die Qualität als Rechtsöffnungstitel abgesprochen.

Wie die umstrittenen mietrechtlichen Fragen aber in einem ordentlichen Verfahren zu beurteilen wären, wo die Glaubhaftmachung von Einwendungen nicht mehr genügt, dazu äussern sich die Summarurteile zu Recht nicht. Auch bei einem Weiterzug der erstinstanzlichen Zürcher Urteile, der gemäss Information des Beobachters zu erwarten ist, würde sich an dieser lediglich auf die Rechtsöffnung bezogenen summarischen Entscheidnatur überdies nichts ändern.

Nachdem das Parlament Ende 2020 dem geplanten Covid-19-Geschäftsmietegesetz eine Absage erteilte und damit von einer gesetzgeberischen Klarstellung der materiellen Rechtslage absah, steht also auch die gerichtliche Klärung namentlich der Frage, ob eine angeordnete Betriebsschliessung oder -einschränkung mietrechtlich als Mangel des Mietobjekts im Sinne von Art. 259a Abs. 1 lit. b und Art. 259d OR zu qualifizieren ist, der den Mieter folglich zu einer Mietzinsherabsetzung berechtigt (und in welchem Ausmass), für die Schweiz weiterhin aus.

Unklare Rechtslage auch in anderen Ländern

Ebenfalls grossteils noch unklar präsentiert sich übrigens die Situation in anderen Ländern: Während in Österreich erste Urteile vorliegen, in denen Mietzinsreduktionen im Einzelfall gutgeheissen wurden (vgl. etwa Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien 39R27/21s vom 17. Februar 2021), deuten etwa in Grossbritannien die ersten Entscheide auf eine tendenziell vermieterfreundliche Praxis hin (vgl. etwa Judgment of the England and Wales High Court Queen’s Bench Division [2021] EWHC 1013 (QB) of 22 April 2021). In Deutschland wiederum beurteilen verschiedene Gerichte die Rechtslage unterschiedlich (vgl. etwa das mieterfreundliche Urteil des Oberlandesgerichts Dresden 5 U 1782/20 vom 24. Februar 2021 und das vermieterfreundliche Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe 7 U 109/20 ebenfalls vom 24. Februar 2021).

Die kontroversen ersten Entscheide machen deutlich: Die mietrechtlichen Fragen rund um Covid-19 und die Geschäftsraummiete dürften die Gerichte in der Schweiz und im Ausland noch länger beschäftigen.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.