Ob Handyanbieter, Fluggesellschaft oder Onlineshop, alle haben sie: Allgemeine Geschäftsbedingungen oder kurz AGB. Weshalb diese kleingedruckten Standardvertragsbestimmungen wichtig sind und was es bei AGB besonders zu beachten gilt, lesen Sie in diesem Artikel der beiden Juristinnen Michelle Murri, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Luzern, und Isabelle Oehri, Dozentin und Programmleiterin des neuen CAS Vertragsmanagement.
AGB sind aus dem Rechtsverkehr nicht mehr wegzudenken. Obwohl die oft seitenlangen kleingedruckten Bestimmungen von kaum jemandem gelesen werden, vereinfachen sie unseren Alltag und ersparen uns Zeit und Nerven. Die vorformulierten Vertragsbestandteile erleichtern den Rechtsverkehr. Denn genau betrachtet handelt es sich bei AGB um nichts anderes als um einen Vertrag, der von einer Vertragspartei nicht nur für eine einzelne Geschäftsbeziehung, sondern für eine ganze Reihe ähnlicher Geschäfte verwendet wird. In diesem Sinne werden in AGB Vertragsklauseln standardisiert, damit nicht tagein, tagaus Verträge mit weitgehend gleichem Inhalt verhandelt werden müssen. Zudem vermindert die Verwendung von AGB das Risiko, dass wichtige Punkte in einer Vertragsbeziehung vergessen gehen und nicht geregelt werden. Standardverträge lassen sich mit Hilfe von AGB sehr rasch und effizient abschliessen und auch bei komplexeren Vertragsbeziehungen dienen AGB der Rationalisierung.
Allerdings bergen AGB auch Gefahren: Sie sind einseitig von einer Partei vorformuliert und werden vom Kunden, häufig einer Privatperson, in den seltensten Fällen im Detail gelesen. Werden sie tatsächlich gelesen, sind die Bestimmungen regelmässig so kompliziert, dass nicht nur juristische Laien bisweilen Mühe haben, den Inhalt zu verstehen. Und schliesslich hat man als Kunde, selbst wenn man die AGB liest und versteht, in der Regel keine Möglichkeit, über einzelne Klauseln zu verhandeln: Entweder man stimmt dem Geschäft unter Einbezug der AGB zu oder man lässt es bleiben.
In diesem Sinne dominiert derjenige, der AGB hat und sie in den Vertrag einbringt, die Geschäftsbeziehung. Um entsprechendem Missbrauchspotential vorzubeugen und die schwächere Partei, welche zur Übernahme der AGB faktisch gezwungen ist, zu schützen, sind im Zusammenhang mit AGB verglichen mit gewöhnlichen Verträgen gewisse Besonderheiten zu beachten, namentlich bei der Geltung und der Auslegung, aber auch bei der Überprüfung des Inhalts.
Die Tatsache, dass ein Unternehmen AGB hat, bedeutet nicht, dass diese automatisch für all dessen Geschäftsbeziehungen zur Anwendung kommen. AGB gelten nämlich nicht an und für sich, sondern müssen wie alle Vertragsbestimmungen von den Parteien vereinbart werden. Dies bedingt insbesondere, dass sie vor dem Vertragsschluss durch den Vertragspartner zur Kenntnis genommen werden (können). Dafür muss dieser rechtzeitig auf die AGB hingewiesen werden. Als Hinweis genügt gemäss vorherrschender Ansicht in der juristischen Praxis beispielsweise der Abdruck der AGB auf der Rückseite eines Vertragsdokuments, wenn auf der Vorderseite ein deutlicher Verweis angebracht ist, oder im elektronischen Verkehr der direkte Link auf die AGB, die vom Internet heruntergeladen, gespeichert und gedruckt werden könnte. Klar nicht genügend dürfte es demgegenüber sein, wenn man lediglich das Angebot erhält, man könne die AGB bei Bedarf bestellen. Zu spät erfolgt der Einbezug der AGB überdies, wenn sie beispielsweise erst auf einer Quittung abgedruckt sind, die mit der Vertragserfüllung ausgestellt wird.
Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme ist somit Grundvoraussetzung, damit AGB überhaupt zur Anwendung gelangen können. Da aber gemeinhin bekannt ist, dass kaum jemand AGB tatsächlich zur Kenntnis nimmt, sprich liest, selbst wenn er die Möglichkeit dazu hat, bietet der rechtzeitige Hinweis für sich allein noch keinen effektiven Schutz der schwächeren oder unerfahrenen Partei. Daher hat die Rechtsprechung die sog. Ungewöhnlichkeitsregel entwickelt, die dann greift, wenn AGB zwar einbezogen, aber nicht im Einzelnen zur Kenntnis genommen werden (sog. Globalübernahme). Nach dieser Regel sind ungewöhnliche Bestimmungen, d.h. solche, welche die zustimmende Partei vernünftigerweise nicht erwarten muss, nichtig.
So hat das schweizerische Bundesgericht beispielsweise in einem Entscheid zu den AGB einer Versicherung festgehalten, dass «eine Bestimmung, wonach der Versicherer den maximalen zeitlichen Umfang seiner Leistungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalles durch einseitige Willenserklärung beeinflussen kann, […] ungewöhnlich [ist]» (vgl. BGE 135 III 225).
Eine Klausel kann gemäss der Rechtspraxis wie erwähnt nur dann unter die Ungewöhnlichkeitsregel fallen, wenn der Vertragspartner nicht mit ihr rechnen musste. Das bedingt unter anderem, dass er auch nicht besonders auf sie hingewiesen wurde. Vor diesem Hintergrund behelfen sich Unternehmen bisweilen mit besonderen Hervorhebungen im Text. Wird eine (potentiell ungewöhnliche) Bestimmung nämlich z.B. mittels Fettdrucks hervorgehoben, soll dies als besonderer Hinweis verstanden werden. Damit dürfte die betreffende Bestimmung nicht mehr unter die Ungewöhnlichkeitsregel fallen bzw. trotz ihrer allfälligen Ungewöhnlichkeit Geltung erlangen. Weil der Kunde durch die Hervorhebung speziell auf die betreffende Klausel hingewiesen wurde, so die Praxis, kann er nicht mehr unter Berufung auf die Ungewöhnlichkeitsregel behaupten, er habe sie nicht gesehen und auch nicht mit ihr rechnen müssen.
Steht einmal fest, dass die AGB gültig in den Vertrag einbezogen worden sind, stellt sich die Frage nach der Auslegung.
Das Gericht ermittelt bei der Auslegung von Verträgen primär den Willen der Parteien. Dies gilt genauso bei den AGB. Sofern der wirkliche Wille der Parteien unklar ist, stellt es auf den mutmasslichen Willen ab.
Besonders ist bei der Auslegung von AGB allerdings die sog. Unklarheitsregel. Diese kommt zum Zug, wenn eine Bestimmung unklar formuliert ist. Im Zweifelsfall werden AGB zu Ungunsten derjenigen Partei ausgelegt, welche sie verfasst hat (vgl. BGE 115 II 264; 124 III 155). Im B2C-Kontext kommt also bei unklaren AGB-Bestimmungen die für den Konsumenten günstigere Auslegung zum Zuge.
Aufgrund der Vertragsfreiheit ist eine inhaltliche Überprüfung von gültig vereinbarten AGB nur begrenzt möglich.
Kein Verstoss gegen zwingendes Recht
Allerdings dürfen AGB selbstredend nicht gegen zwingendes Recht verstossen. Ein Beispiel hierfür ist folgende Gesetzesbestimmung aus dem Obligationenrecht (OR) für Mietverträge:
Lauterkeitsrechtliche Prüfung auf Missbräuchlichkeit
Zudem können über Art. 8 UWG (Lauterkeitsgesetz) missbräuchliche Geschäftsbedingungen sanktioniert werden. Jedoch sind nur Konsumenten, nicht aber Unternehmen durch diesen Artikel geschützt. Gemäss Art. 8 UWG missbräuchlich sind AGB-Bestimmungen, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil von Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den üblichen Rechten und Pflichten vorsehen. Nicht jede einseitig ausgestaltete AGB-Klausel verstösst jedoch gegen Art. 8 UWG; die beachtliche Hürde des erheblichen, ungerechtfertigten und treuwidrigen Missverhältnisses wir nur in Ausnahmefällen erreicht.
Kompensation und Summierung
In der Praxis lediglich am Rande behandelt werden die sog. Kompensation und Summierung von AGB-Klauseln. Bei beiden geht es darum, dass mehrere AGB-Bestimmungen nicht je einzeln, sondern im Zusammenspiel betrachtet werden. Kompensation und Summierung können bei der inhaltlichen Überprüfung Bedeutung erlangen.
So kann eine nachteilige Klausel in den AGB mit einer konsumentenfreundlichen Klausel kompensiert werden. Die Kompensation kann man als eine Art Rechtfertigungsgrund sehen. Als Beispiel kann hier etwa die Kombination eines einseitigen Preisänderungsrechts des Verkäufers mit einem Rücktrittsrechts des Käufers genannt werden. Hier anerkennt die Rechtsprechung, dass das konsumentenfreundliche Rücktrittsrecht das ansonsten potentiell problematische einseitige Preisänderungsrecht des Verkäufers entschärfen kann.
Auf der anderen Seite können sich die Wirkungen von einzelnen heiklen, aber gerade noch zulässigen Klauseln summieren, sodass diese im Endeffekt missbräuchlich sind. Auch hierzu ein Beispiel: Nach Art. 8 UWG ist es beispielsweise erlaubt, bei einem Kauf in den AGB die Sachgewährleistung (Art. 197 ff. OR) auszuschliessen und durch ein Nachbesserungsrecht zu ersetzen. Ebenfalls zulässig ist die Einräumung eines Reparaturanspruchs gegen Entschädigung. Werden jedoch diese beide Klauseln gemeinsam verwendet, führt dies dazu, dass bei mängelbehafteter Lieferung die Reparatur effektiv nur gegen Entschädigung des Verkäufers beansprucht werden kann. In der Summe wären diese beiden – je für sich genommen zulässigen – AGB-Bestimmungen als Verstoss gegen Art. 8 UWG zu qualifizieren.
Obwohl der Kompensation und der Summierung in der Lehre wenig Beachtung geschenkt wird, sind beide gemäss Gerichtspraxis ausnahmslos zulässig (vgl. weiterführend zu Kompensation und Summierung: Marti, S. (2022). Kompensation und Summierung von AGB-Klauseln. AJP 2022, 218-228).
Die Überprüfung von AGB besteht zusammenfassend aus der Geltungskontrolle, der Auslegungskontrolle und der Inhaltskontrolle. Das nachfolgende Schema bietet anhand der relevanten Fragestellungen einen Orientierungsrahmen für die vorzunehmenden Schritte:
Obwohl es sich bei AGB um Standardklauseln handelt, sollte jedes Unternehmen seine eigenen AGB passgenau entwickeln und sich genau überlegen, welche Punkte darin wie geregelt werden sollen. Eine unbesehene Übernahme einer Vorlage ist nicht zu empfehlen: Denn was zum Beispiel für einen Handyanbieter wichtig ist, mag für einen Online-Shop nicht unbedingt passen. Einen ausgezeichneten ersten Überblick, was Unternehmen bei der Erstellung ihrer AGB inhaltlich beachten sollten, erhalten Sie in diesem Video von Anina Groh, Partnerin bei Lex Futura.
Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass AGB für Unternehmen enorm wichtig sind, um Vertragsbeziehungen effizient und zielführend zu regeln. Das sorgfältige Formulieren und die adäquate Gestaltung der Prozesse rund um den Einsatz der AGB sind dabei entscheidend, um sicherzustellen, dass die AGB dem reibungslosen Geschäftsbetrieb dienen und gleichzeitig rechtssicher und effektiv sind. Diese Aufgaben gehören zum betrieblichen Vertragsmanagement. Das charakteristische Zusammenspiel von rechtlichen sowie administrativ-prozessbezogenen Elementen macht das Vertragsmanagement zu einer ebenso spannenden wie wichtigen und komplexen Funktion im Unternehmen.
Kompetentes Vertragsmanagement erfordert dabei ein ganzes Set an Knowhow und Skills. Die Hochschule Luzern bietet mit dem CAS Vertragsmanagement ab September 2022 ein neues interdisziplinäres Weiterbildungsprogramm, mit dem Fachpersonen aus den verschiedensten Bereichen genau dieses Knowhow und diese Skills vertiefen und ihre Expertise auf den Ebenen Recht und Vertragsgestaltung, Strategie und Verhandeln sowie Tools und Prozesse zu einem integralen Kompetenzprofil im Contract Management ergänzen (Informationen zum CAS Vertragsmanagement in der Box).
In drei praxisorientierten Modulen vermittelt das CAS Vertragsmanagement fundierte Kenntnisse in den Bereichen Recht und Vertragsgestaltung, Strategie und Verhandeln sowie Tools und Prozesse.
Die Weiterbildung startet im September 2022 und dauert bis März 2023.
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