Wie sehen Sie perfekte Mitarbeitende? Welche Eigenschaften sollten sie verkörpern? In einem interaktiven, lebhaften Workshop, geleitet von Corinne Häggi (Jörg Lienert AG) und Bettina Hübscher (Hochschule Luzern – Wirtschaft), haben im Rahmen des Zuger Innovationstages 2019 am 18. September 2019 verschiedene Vertreter*innen aus Wirtschaft und Bildung die gewagte These diskutiert: Perfektion wird durch die Verschmelzung mit Artificial Substitutes erreicht. Lesen Sie mehr dazu im Beitrag der beiden Workshop-Leiterinnen.
Vorweg: Was bedeutet der Begriff Artificial Substitutes überhaupt? Wörtlich übersetzt heisst «Artificial Substitutes» künstlicher Ersatz. Der Begriff Ersatz löst aufgrund seiner oft negativen Verwendung jedoch eher Angst und Ablehnung aus, weswegen wir vom Standpunkt einer künstlichen Ergänzung starten möchten. Die Begriffswahl ist insofern wichtig, da die Zusammenarbeit zwischen Technologie und Mensch schon länger aktiv verfolgt wird. Die weiter voranschreitende Automatisierung von gewissen Verhaltensweisen durch die Technik darf als Chance gesehen werden und doch soll, Schritt für Schritt, immer wieder reflexiv auf das Verhältnis zwischen Technologie und Mensch zurückgeschaut werden, in unserem Fall aus der Perspektive der Personalberatung.
Technologiegestützte Datenaufbereitung und technologische Unterstützung werden in Rekrutierungsprozessen zunehmend eine Rolle spielen – und tun dies schon heute. Die Synergie zwischen Technologie und Mensch ermöglicht eine Entlastung bei Routine-Aufgaben und bietet die Chance, den Menschen noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Da Roboter im Gegensatz zu Menschen mehr Datenvolumen verarbeiten können und dies auch noch schneller und effizienter, können Profilabgleichungen und Übereinstimmungen genauer erfasst werden – und der Berater/die Beraterin kann sich auf die feinstoffliche Ebene konzentrieren.
Rekrutierungsverfahren, welche technologiegestützte Tools einbeziehen, haben das Potenzial passiv-suchende Kandidatinnen und Kandidaten gezielter anzusprechen, da anhand der digitalen Spuren Auskünfte über die Interessen, Wertvorstellungen und Gewohnheiten einer Person gewonnen werden können. Möglicherweise wird diese Entwicklung einst sogar den klassischen CV ablösen.
Die Workshop-Teilnehmer*innen sind sich jedoch einig: der Mensch soll bei diesen Entwicklungen weiterhin auf dem Fahrersitz Platz nehmen, denn Datenmengen sind vorerst eine Ansammlung von Zahlen und Buchstaben, die Interpretationsfähigkeit des Menschen machen sie zu einem aussagekräftigen Statement. Auch wenn Algorithmen beliebig programmiert werden können – sogar nach Kriterien wie Geschlecht, Alter, Religion oder Hautfarbe – sollte von Anfang an klare und reflektierte Grenzen gesetzt werden. Auch wenn ein Individuum in die Bestandteile seiner Daten aufgelöst wird – wir finden, dass ein Mensch mehr als die Summe seiner Daten ist.
Unternehmen werden immer wieder damit konfrontiert, wie und ob überhaupt neue Technologien in den Berufsalltag integriert werden sollen. Wie sich auch im Gespräch mit Michel Fornasier, Keynote Speaker am diesjährigen Zuger Innovationstag, herauskristallisiert hat, empfehlen wir den Fokus auf das «Miteinander» anstatt das «Gegeneinander» zu richten. Wenn eine Synergie zwischen der Technologie und den Organisationsmitgliedern erreicht wird, können viele Aufgaben erleichtert werden, Mitarbeitende werden durch Automatisierung von Routinearbeiten entlastet und können sich auf kreativere und innovative Tätigkeiten konzentrieren. Die neuen technologischen Strukturen sollten Mitarbeitenden im richtigen Moment abholen anstatt überfordern und sie sollten zur Unternehmung, zu dessen Kultur sowie deren Wertevorstellungen und zu den Mitgliedern passen – und sich dabei nicht wie ein Fremdkörper anfühlen.
Am letzten Zuger Innovationstag im 2018 stellte Siemens verschiedene Smart Space-Konzepte vor. Wenn die Infrastruktur die Mitarbeitenden unterstützt – zum Beispiel durch die optimale Raumtemperatur und passende Lichteinstrahlung, durch Reminder zu einer kurzen Pause oder mit neuen Einschätzungen der Persönlichkeit (z.B. ausgerichtet auf die persönliche Leistungsfähigkeit), dann können künstliche Ergänzungen motivierend eingesetzt werden. Die Gratwanderung ist jedoch auch hier eine heikle – ein Unternehmen möchte schliesslich nicht kontrollieren, sondern unterstützen, nicht Angst und Unsicherheit auslösen, sondern ein Aufblühen ermöglichen und Potenzial fördern.
Höchstleistungen müssen sich nicht nur auf die Technologie beziehen. Wie alle Errungenschaften, stehen auch die technologischen auf den «Schultern von Riesen» wie man so schön sagt. Wenn ein Algorithmus programmiert wird, fliessen Erkenntnisse aus der Soziologie, der Psychologie, der Medizin, der Technik und vielen anderen Bereichen mit ein. Höchstleistung ist kulturabhängig – was ist für uns erstrebenswert? Nach welchen Werten möchten wir uns ausrichten? Bedeutet «Höchstleistung» fokussierter und schneller zu arbeiten und dafür mehr Freizeit zu geniessen? Oder längere Arbeitstage, welche aufgrund der künstlichen Ergänzung machbar gemacht werden?
«Höchstleistung» kann auch damit zusammenhängen, dass technologiegestützte Tools eine Filterung der richtigen Informationen ermöglichen. Aber auch hier stellt sich die Frage: Welche Informationen sind denn nun richtig und wichtig? Worauf legen wir den Fokus?
Bei vielen Inputs fällt auf, dass besonders ein Schwerpunkt auf Höchstleistungen ausgelegt wird, welche einen offensichtlichen, gesellschaftlichen Nutzen mit sich bringen: zum Beispiel, wenn in der Medizin durch Datenabgleich Krankheitsbilder automatisch erkannt werden oder unser Verkehrsnetz durch selbstfahrende Fahrzeuge entlastet wird. Aber auch wenn der Ausblick auf Höchstleistungen besteht, hängen auch hier – laut Podiumsdiskussion – die Entscheidungen von Vertrauen und der Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft ab.
Wie bei jeder neuen Erkenntnis stellt sich die Frage, ob nun die technologischen Errungenschaften sich als Segen oder Fluch herausstellen werden und wie bei jeder neuen Errungenschaft werden die Meinungen und Einschätzungen sowie Zukunftsprognosen so vielfältig und individuell wie irgendwie denkbar ausfallen. Schon frühe technologische Erfindungen wurden dazu verwendet, den Menschen Arbeit abzunehmen: Fliessbänder sollen schnelleres Arbeiten ermöglichen, Roboter verpacken Produkte, Druckerpressen produzieren Unmengen von Zeitungen. Der Computer und das Internet schalten ganz neue Welten an Informationszugängen und schnellere Kommunikationswege frei. Ob daraus eine Erfolgsgeschichte oder ein Horror-Szenario entsteht, entscheidet schlussendlich der Mensch selbst – natürlich in Kombination mit unserer Kultur, unseren Ein- und Vorstellungen sowie unseren Werten. «Artificial Substitutes» haben – wie all die gerade erwähnten Beispiele – Potenzial in beide Richtungen. Unsere Erkenntnis: ein Schritt zur Erfolgsgeschichte liegt in der Annahme, dass «Artificial Substitutes» eben keinen Ersatz darstellen sollen – sondern eine Ergänzung, welche die Synergie zwischen Mensch und Technologie weiter voranschreiten lässt.
Unsere ursprüngliche These hat sich mit Perfektion auseinandergesetzt und wie diese mit künstlicher Ergänzung erreicht werden kann. Während den intensiven Diskussionen am Zuger Innovationstag 2019 kristallisiert sich jedoch nicht ganz überraschend folgendes heraus: alle Fäden laufen zurück zum Menschen. Die fünf wichtigsten Eigenschaften, welche die Kursteilnehmer*innen für den perfekten Mitarbeitenden aufgeführt haben – zuverlässig, kreativ, kommunikativ, loyal und teamfähig – lassen uns erneut betonen, wie wichtig und auch einzigartig der Mensch ist. Ein Sprichwort sagt «the only thing constant in life is change», diesen Veränderungen möchten wir mit Offenheit begegnen – aber in Kombination mit Qualitäten wie Empathie und Vertrauen sowie einer gesunden Portion kritischer Reflexion… Und der Unvollkommenheit des Menschseins.
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