Noch auf der Suche nach einer spannenden Kurzlektüre für die bevorstehenden Feiertage? Dann schlagen wir Ihnen den nachfolgenden Beitrag vor. Im Lichte eines neuen Entscheids des Bundesstrafgerichts befasst er sich damit, ob Unternehmen Verbrechen begehen können und schuldfähig sind und was ökonomisch passiert, wenn nicht einzelne Menschen, sondern Organisationen bestraft werden. Zwar keine Weihnachtslektüre, aber ein aktueller Text an der Schnittstelle von Wirtschaft und Recht. Wir wünschen Ihnen erholsame Festtage und freuen uns, Sie auch im nächsten Jahr wieder mit News und Hintergründen aus unserem Tätigkeitsfeld zwischen Management und Law zu versorgen.
Das Schweizer Strafgesetzbuch sieht eigentlich schon seit 2003 vor, dass auch Unternehmen sich einem Vergehen wie der Geldwäscherei schuldig machen können, ohne dass gleichzeitig eine natürliche Person für schuldig befunden wird. Bisher kam der betreffende Art. 102 StGB jedoch kaum zur Anwendung. Nun hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona erstmals in einem prominenten Fall von diesem Artikel Gebrauch gemacht und die Zürcher Privatbank Falcon der qualifizierten Geldwäscherei für schuldig befunden.
Kann denn ein Unternehmen schuldig sein und bestraft werden? Müssten es letztlich nicht immer Menschen sein, die entscheiden und dafür Verantwortung tragen müssten? In meinem letzten Artikel im KMU-Magazin habe ich die Frage diskutiert, ob Maschinen Verantwortung tragen können und müssten. Die Konstellationen von Unternehmensstrafbarkeit und Maschinenhaftung haben vieles gemeinsam: Aus ökonomischer Perspektive geht es in beiden Fällen um das Setzen von Anreizen, die zukünftiges Handeln beeinflussen. Konsequenzen für Fehler sollen nicht zufällig Menschen treffen, denen diese Fehler nicht unmittelbar und ausschliesslich zuzuschreiben sind, sonst kann das nicht zuletzt auch innovationshemmend wirken.
Wenn ein Unternehmen nicht allzu klein und nicht allzu zentralistisch geführt ist, dann sind an Entscheidungsfindungen mehrere, manchmal viele Menschen beteiligt. Die einen liefern Informationsgrundlagen, andere treffen Vorentscheide, weitere beraten die Entscheidungsträger und diese entscheiden in Gremien und in Etappen. So kann es mitunter schwer werden, wer welchen Anteil an einem Entscheid trägt, und wer entsprechend Verantwortung für Fehlentscheide zu tragen hat.
Man wird nun zu Recht einwenden, dass die Führungskräfte dazu da sind, die Verantwortung zu tragen, und entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen sind. Das stimmt grundsätzlich, doch die Frage stellt sich manchmal, wer eigentlich der Boss ist. Die Abteilungsleiterin, der CFO, die CEO oder der Verwaltungsrat? Selbst in hierarchischen Wasserfall-Organisationen kann der schwarze Peter nach oben und unten geschoben werden, und dies vielleicht auch mit gewissem Grund, wenn die Entscheidungen eben im kollektiven System entstehen. Noch ausgeprägter und nachvollziehbarer ist dies bei agileren, netzwerkartigeren Organisationsformen, wie sie aktuell immer verbreiteter vorkommen, und wo Entscheide erklärtermassen noch kollektiver gefällt werden.
Die Möglichkeit, nicht nach den schuldigen Personen suchen zu müssen, sondern das Unternehmen als Ganzes für schuldig befinden zu können, passt somit auch zur Realität von Entscheidungskollektiven. Bleibt aber die Frage, ob man ein Unternehmen überhaupt bestrafen kann. Man kann eine Bank schlecht ins Gefängnis stecken. Eine Geldstrafe oder Busse hingegen ist sehr wohl denkbar.
Eine drohende monetäre Bestrafung eines Unternehmens trifft schlussendlich natürliche Personen. Wen es tatsächlich trifft, das ist nicht unmittelbar klar. Hier kann man sich an die Finanzwissenschaft anlehnen, die unter dem Titel der Inzidenzanalysen untersucht, wer Steuerlasten, die an sich Unternehmen auferlegt werden, im Endeffekt trägt. Steuern wie Mehrwertsteuern oder Unternehmensgewinnsteuern können grundsätzlich auf sehr unterschiedliche Stakeholder überwälzt werden: Die Kunden, die Lieferanten, die Mitarbeitenden oder die Eigentümer eines Unternehmens kommen allesamt infrage. Wer welche Steuerlast überwälzt bekommt, hängt stark von der jeweiligen Marktposition ab. Eine marktmächtige Unternehmung etwa kann Steuerkosten besser in Form eines höheren Preises an die Kundschaft weitergeben als Unternehmen in einem preislich kompetitiven Umfeld, wo Kunden bei einer Preiserhöhung ohne weiteres auf ein alternatives Angebot ausweichen können.
Ist die Voraussetzung des Wettbewerbs gegeben, dann dürfte eine Geldstrafe oder Busse für ein Unternehmen die Eigentümer stark treffen. Sie sind es auch, die wissentlich oder – etwa als Kleinaktionärin oder -aktionär – unwissentlich auch von Geldwäsche und ähnlichen Machenschaften profitieren würden. Aber Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Vor allem aber ist es an den Eigentümern bzw. den von ihnen für die Leitung ihres Unternehmens eingesetzten Verwaltungsräten, die Governance ihres Unternehmens derart auszugestalteen, dass verantwortungsvolle Entscheidungen zu Stande kommen. Dazu gehört, dass Unternehmensstrafen ihre Konsequenzen auch analog der verteilten Verantwortung im Unternehmen haben. Dies in der Unternehmens-Governance ex ante zu implementieren, ist gewiss keine einfache Aufgabe. Aber umso mehr verständlich ist es, dass ein externes Strafgericht ex post Mühe hat, die wirklich schuldigen Personen in Entscheidungskollektiven zu identifizieren und zu isolieren.
Manche mögen fürchten, dass der neue Entscheid des Bundesstrafgerichts uns in amerikanische Verhältnisse mit horrenden Unternehmensstrafen führen könnte. Doch wenn die Strafen verhältnismässig bleiben, dann haben Regeln zu Unternehmensstrafen und -bussen den Vorteil, dass diese von einer immer detaillierteren Regulierung entlasten können. Weniger Regulierung im Detail heisst mehr unternehmerische Freiheit. Freie Unternehmen wählen zunehmend agile Organisationen, die kollektive Entscheide treffen. Wenn diese Kollektive versagen, dann sollen sie auch kollektiv bestraft werden können. Das Urteil des Bundesstrafgerichts im Fall Falcon könnte daher zukunftsweisend sein.
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