Der Vergleich, also die vertragliche Beilegung von Streitigkeiten, ist in der Praxis extrem bedeutsam. Deshalb und weil der Vergleich etwas sehr Weihnachtliches ist, widmen wir ihm hier auf dem Management & Law-Blog die zwei letzten vorweihnachtlichen Beiträge des Jahres 2022.
Im ersten Teil wurde der Vergleich eingeführt und aus juristischer Optik beleuchtet (und natürlich wurde auch erklärt, was er mit Weihnachten zu tun hat). Auf dieser Basis befasst sich nun der zweite Teil vertieft mit der praktisch wichtigsten, aber auch gefährlichsten Klausel in Vergleichsverträgen, der Saldoklausel. Und schliesslich verlassen wir die rechtliche Seite des Vergleichs ganz und tauchen ein in spannende Fragen der Vergleichsverhandlungstaktik und -psychologie.
Mit einem Vergleich wird die endgültige Beilegung einer Streitigkeit bezweckt: Die zwischen den Parteien strittigen Ansprüche sollen ein für alle Mal geregelt werden. Um diesen Zweck zu erreichen, muss ein Wiederaufrollen ebendieser Ansprüche möglichst ausgeschlossen werden. Hierzu dienen sogenannte Saldoklauseln. Sie legen fest, dass der Vergleich die betreffenden Ansprüche der Parteien abschliessend regelt und nach dessen Erfüllung keine weiteren Forderungen mehr bestehen bzw. auf solche verzichtet wird.
Saldoklauseln ersparen allenfalls aufwändige Berechnungen (etwa im Arbeitsrecht oder im Versicherungsbereich) und schaffen Klarheit und Rechtssicherheit. Sie stellen also das mit dem Vergleich bezweckte Ziel des Friedens sicher.
Allerdings können Saldoklauseln je nach Situation äusserst gefährlich sein. Dies sei anhand folgender Musterklausel illustriert:
Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sind die Parteien per Saldo aller gegenseitigen Ansprüche auseinandergesetzt.
Alle strittigen Punkte gelten mit der Erfüllung dieser Vereinbarung als erledigt.
Diese Saldoklausel gilt auch für Ansprüche, deren Bestand ungewiss ist, sowie für Ansprüche, die den Parteien im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags unbekannt sind.
Eine derart generell gehaltene, breit formulierte Saldoklausel bedeutet einen definitiven Verzicht auf jegliche zukünftigen Forderungen, und dies auch dann, wenn später Ansprüche auftauchen sollten, von denen eine Vergleichspartei nichts wusste und auf die sie nicht hätte verzichten wollen, wenn sie sie gekannt hätte. Solche Blankoverzichte sind heikel und riskant. Daher empfiehlt es sich, den Geltungsbereich einer Saldoklausel präzis zu definieren: Was für Ansprüche aus welchem Rechtsverhältnis sind von der Saldoklausel erfasst (objektive Tragweite)? Und wer genau ist an die Saldoklausel gebunden und soll später entsprechend keine Ansprüche mehr geltend machen können (subjektive Tragweite)?
Neben der sachlichen Einschränkung der von der Saldoklausel erfassten Ansprüche (durch Definition des Rechtsverhältnisses, der Art der Ansprüche, etc.) kann die objektive Tragweite je nach Konstellation zum Beispiel auch zeitlich eingeschränkt werden, indem sich die Parteien nur per Saldo all jener Ansprüche für auseinandergesetzt erklären, die in einem bestimmten Zeitraum entstanden sind. Oder es können gewisse noch offene Ansprüche oder bestimmte Arten von Ansprüchen, deren Geltendmachung man sich trotz Vergleichs noch vorbehalten möchte, explizit ausgenommen werden.
Jedenfalls ist bei jeder Saldoklausel darauf zu achten, dass sie erst mit Erfüllung des Vergleichs wirksam wird. Denn für den Fall, dass der Vergleichsvertrag gar nicht oder mangelhaft erfüllt wird, soll die Geltendmachung der ursprünglichen Forderung natürlich weiterhin möglich sein.
Bereits in den Ausführungen im ersten Teil wurde deutlich, dass rund um den Vergleich nicht nur rechtliche, sondern insbesondere auch verhandlungstaktische Aspekte eine entscheidende Rolle spielen. Die ideale Besetzung für das Führen von Vergleichsgesprächen bringt neben dem notwendigen juristischen Know-how für die solide Abfassung und Umsetzung eines Vergleichsvertrags und umfassender Dossierkenntnis des Streitfalls gleichzeitig vertiefte Verhandlungsexpertise mit.
Entscheidend für den Erfolg von Vergleichsverhandlungen ist eine sorgfältige Planung und Vorbereitung. Mit einer umfassenden Analyse von Risiken, Chancen und Zielen der eigenen und der Gegenseite wird die Verhandlungsbasis abgesteckt. Diese Analyse liefert wichtige Impulse für die Definition von Rahmenbedingungen und Ablauf. Dabei sind insbesondere folgende W-Fragen aus rechtlicher und taktischer Optik zu adressieren:
Auf der Basis einer differenzierten Vorbereitung und Planung ist während der Vergleichsverhandlungen häufig taktische Flexibilität gefragt. Es geht darum, der Gegenseite zuzuhören und Verhandlungsspielräume auszuloten, Offenheit und Interesse an einer einvernehmlichen Lösung zu signalisieren. Aber gleichzeitig soll nicht der Eindruck einer zu raschen oder zu einfachen Einigung vermittelt werden.
Besonders entscheidend ist dabei das erste Angebot. Ob man selbst in Vergleichsverhandlungen das erste Angebot auf den Tisch legen oder dies der Gegenseite überlassen möchte, kann von verschiedenen Faktoren abhängen und ist nicht pauschal zu beantworten. Allerdings dürfte nicht zuletzt der aus der kognitiven Psychologie bekannte Ankereffekt dazu führen, dass es regelmässig vorteilhaft ist, selbst «die erste Zahl» zu nennen (vgl. zum Ankereffekt/Anchoring, auch mit juristischen Bezügen: Schweizer (2005). Kognitive Täuschungen vor Gericht: eine empirische Studie, N 191 ff.). Der Ankereffekt beschreibt ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen, wonach sich Menschen, gerade wenn es um numerische Aussagen geht, unbewusst von vorgegebenen Referenzen («Ankern») leiten lassen, und dies unabhängig davon, wie passend oder unrealistisch diese Referenzen sind. In Vergleichsverhandlungen kann man sich den Ankereffekt zunutze machen, wenn man das erste Angebot zur Diskussion stellt und dabei den Anker bewusst zum eigenen Vorteil setzt. In der Folge werden sich die Gespräche um diesen Anker bewegen. Bringt demgegenüber die Gegenseite das erste Angebot ein, wirkt der Ankereffekt potentiell in die Richtung eines Ergebnisses zu ihren Gunsten. Daher ist es wichtig, einen durch die andere Partei gesetzten Anker zu erkennen, explizit anzusprechen und argumentativ zu neutralisieren.
Und schliesslich sollte man auch bei positiv verlaufenden Gesprächen die allfällige Notwendigkeit, einen bereits laufenden oder später anzuhebenden Gerichtsprozesses (weiter) zu führen, nie ganz ausblenden. Im Hinblick darauf ist die Sicherstellung der Vertraulichkeit der Vergleichsverhandlungen zentral. Und in jedem Fall ist Zurückhaltung geboten bei der Preisgabe von Informationen und der Offenlegung der eigenen Strategie.
Der Vergleich – Die 10 wichtigsten Punkte:
Mit dieser zweiteiligen Tour d’Horizon zum Thema Vergleich schliessen wir hier auf dem Management & Law-Blog das Jahr 2022 ab. Wir wünschen Ihnen schöne, friedvolle Weihnachtstage und freuen uns, Sie auch im nächsten Jahr wieder mit News und Hintergründen aus unserem Tätigkeitsfeld zwischen Management und Recht zu versorgen.
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