9. Oktober 2025
Habe ich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ein Recht auf einen ergonomischen und sauberen Arbeitsplatz? Erfahren Sie die Antwort auf diese Frage in nachfolgendem Blogbeitrag mit Blick auf Desksharing-Büros in der Schweiz.
„Setz dich einfach irgendwo hin, hauptsache du bist online.“ So oder ähnlich klingt der Alltag vieler Arbeitnehmenden in modernen Büros, in denen kein fester Arbeitsplatz mehr existiert. Desksharing oder Hot-Desking gilt schon seit längerer Zeit als flexibel, effizient und kostensparend. Während sich Arbeitgeber freuen, dass Flächen besser genutzt werden, gibt es Mitarbeitende, die weniger Freude an der neu gewonnenen Flexibilität haben. Von Nackenverspannungen über Rückenschmerzen bis zu hygienischen Bedenken beim Teilen von Tastaturen und Mäusen: Hot-Desking ist nicht jedermanns Sache.
Die Frage, die sich nun stellt, ist: habe ich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer in der Schweiz ein Recht auf einen ergonomischen und sauberen Arbeitsplatz, auch wenn ich jeden Tag an einem anderen Tisch sitze? In diesem Beitrag beleuchten wir die rechtliche Situation, mit Fokus auf Büroarbeitsplätze mit wechselnden Plätzen, und werfen einen umfassenden Blick auf Ergonomie und Hygiene.
Rechtlicher Rahmen in der Schweiz
Arbeitsgesetz (ArG)
Das zentrale Fundament bildet das Arbeitsgesetz (ArG). Nach Art. 6 ArG muss der Arbeitgeber alle Massnahmen treffen, die zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden notwendig sind. Das betrifft sowohl physische als auch psychische Gesundheit.
Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3)
Noch konkreter wird es in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3):
Damit ist klar: Ergonomie und Sauberkeit sind keine freiwilligen Extras, sondern gesetzliche Pflichten.
Die Wegleitung zur ArGV 3 konkretisiert diese Pflichten. Sie legt zum Beispiel fest, wie gross ein Tisch sein muss, welche Einstellmöglichkeiten ein Stuhl haben sollte und dass Mitarbeitende geschult werden müssen, wie sie ihre Arbeitsplätze ergonomisch einrichten.
Die Wegleitung stellt insbesondere klar, dass Arbeitsplätze bereits dann ergonomisch gestaltet sein müssen, wenn sie mehr als zwei Stunden pro Tag genutzt werden, unabhängig davon, ob immer dieselbe Person dort arbeitet (Art. 24, ArGV 3). Dann gilt ein Arbeitsplatz nämlich als «ständig», auch wenn er durch wechselnde Personen genutzt wird. Zudem müssen Möbel so gewählt werden, dass sie für rund 95 % der Beschäftigten geeignet sind. Arbeitgeber müssen zudem bei gesundheitlichen Beschwerden prüfen, ob zusätzliche Anpassungen erforderlich sind (Art. 23, ArGV 3).
Ergonomie im Kontext von Desksharing
Wenn Arbeitsplätze als «ständig» gelten, auch bei Desksharing, müssen also gemäss den oben erwähnten Artikeln der ArGV folgende Anforderungen erfüllt sein:
Wenn solche Standards fehlen, liegt also ein Verstoss gegen ArGV 3 vor.
Herausforderungen in Desk-Sharing Situationen
Desksharing klingt in der Theorie effizient, in der Praxis können jedoch zahlreiche Probleme auftreten:
Diese Probleme sind nicht nur ärgerlich, sondern können langfristig die Gesundheit gefährden. Genau hier greifen die gesetzlichen Pflichten.
Hygiene und Sauberkeit: geteilte Geräte im Fokus
Neben der Ergonomie ist Sauberkeit ein zentrales Thema. Wer schon einmal eine Tastatur mit Krümeln vom Vorgänger oder eine staubige Maus benutzt hat, weiss: das ist mehr als unangenehm, es ist unhygienisch.
Das bedeutet: Arbeitgeber können die Verantwortung für Reinigung nicht ausschliesslich den Mitarbeitenden übergeben. Selbst wenn Desinfektionsutensilien bereitgestellt werden, bleibt die Pflicht, Arbeitsplätze regelmässig fachgerecht reinigen zu lassen.
Risiken gemeinsamer Nutzung
Das Teilen von Tastaturen und Mäusen birgt gesundheitliche Risiken: Keimübertragungen, Hautirritationen oder Allergien sind mögliche Folgen. Hier greift erneut die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: er muss verhindern, dass Mitarbeitende durch unzureichende Hygiene gefährdet werden.
Hygiene ist nicht nur eine Frage der Keime. Auch das Wohlbefinden leidet, wenn man sich an einen verschmutzten Platz setzen muss. Wer sich ekelt oder unwohl fühlt, ist weniger konzentriert und produktiv. Damit wird Hygiene zu einem Faktor der Arbeitsqualität und somit indirekt zu einer Frage des Gesundheitsschutzes.
Handhabung in der Praxis
In dem vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) veröffentlichten Prüfmittel „Gesundheitsrisiken Bewegungsapparat“, mithilfe wessen Arbeitgeber systematisch analysieren können, ob Arbeitsplätze ergonomisch ausreichend gestaltet sind. Insbesondere bei repetitiven Bewegungen oder Zwangshaltungen soll geprüft werden, ob Anpassungen nötig sind.
Selbst die Schweizer Bundesverwaltung hat Desksharing als Arbeitsform eingeführt. 2020 wurde ein Konzept beschlossen, das Desksharing in der Bundesverwaltung vorsieht: allerdings unter strengen Vorgaben zu Ausstattung und Gesundheitsschutz. Dies zeigt, dass Desksharing rechtlich zulässig und insbesondere in Zeiten von remote flexibler Arbeit sinnvoll sein kann, solange Ergonomie und Hygiene beachtet werden.
Trotz der Zweckmässigkeit von Desksharing, zeig der Bericht der Arbeitsinspektion 2024, dass in Betrieben regelmässig Verstösse gegen das Arbeitsgesetz festgestellt werden. Auch wenn Hot-Desking nicht explizit erwähnt wird, ist klar: Arbeitsbedingungen und deren Mängel stehen im Fokus der Kontrollen. Arbeitgeber müssen nachbessern, wenn Inspektorate Mängel feststellen.
Grenzen des Anspruchs
Arbeitnehmende fragen sich jetzt vielleicht, was das ganze konkret für sie bedeutet. Natürlich garantiert das Gesetz keine perfekte Anpassung an individuelle Vorlieben. Mindeststandards wie verstellbare Stühle oder saubere Arbeitsflächen sind Pflicht, eine spezielle ergonomische Maus für jede Person ist es jedoch nicht. Ausnahmen bestehen dann, wenn medizinische Befunde eine besondere Ausstattung notwendig machen. Auch die Verhältnismässigkeit spielt hier eine Rolle: Arbeitgeber müssen Massnahmen umsetzen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Kosten zumutbar sind. Ein multinationaler Konzern hat andere Mittel als ein kleines Start-up, wobei die Mindeststandards aber für alle gelten.
Wenn die Standards nicht erfüllt sind, empfiehlt sich für Arbeitnehmende folgendes Vorgehen:
Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
Damit Desksharing nicht zur Gesundheitsfalle wird, sollten Arbeitgeber folgende Punkte umsetzen:
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmende
Fazit
Die Antwort ist also klar: ja, Arbeitnehmende haben ein Recht auf einen ergonomischen und sauberen Arbeitsplatz; auch bei Desksharing.
Ergonomie und Hygiene sind gesetzlich verankerte Pflichten, nicht „nice to have“. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass Arbeitsplätze flexibel, verstellbar und regelmässig gereinigt sind. Hot-Desking entbindet nicht von dieser Pflicht. Für Arbeitnehmende gilt: Missstände ansprechen, dokumentieren, auf die gesetzlichen Grundlagen verweisen und notfalls offizielle Stellen einschalten.
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