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Agilität in Nonprofit-Organisationen: 4 Beispiele, wie es gelingt

Agilität in Nonprofit-Organisationen: 4 Beispiele, wie es gelingt

Wie können gemeinnützige Organisationen agiler werden – ohne ihre Werte und Stabilität zu gefährden? Dieser Frage gehen Elina Lehmann und Nina Prochazka in ihrem Beitrag für die Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management nach. Anhand von vier Beispielen zeigen sie, wie Agilität in der Praxis funktionieren kann.

In der Welt der Sozialen Arbeit stehen nicht nur klassische Organisationsmodelle, sondern auch Nonprofit-Organisationen (NPOs) zunehmend unter Druck: steigende Komplexität, knappe Ressourcen und sich rasch wandelnde gesellschaftliche Bedürfnisse fordern ein Umdenken in Führung und Organisation. In diesem Spannungsfeld gewinnt der Begriff Agilität auch im NPO-Sektor an Bedeutung. Doch was bedeutet Agilität eigentlich – und wie lässt sie sich in Organisationen mit gemeinnützigem Auftrag konkret umsetzen?

Was ist Agilität?

Der Begriff stammt aus der Softwareentwicklung und beschreibt ein flexibles, lernorientiertes Arbeiten in selbstorganisierten Teams. Im Zentrum stehen nicht die Hierarchie und Prozesse, sondern die Fähigkeit, schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren – mit dem Fokus auf den Nutzen für die Zielgruppen.

Lehmann und Prochazka betonen, dass Agilität nicht primär eine Methode, sondern eine Haltung ist. Diese Haltung basiert auf Vertrauen, Transparenz, Offenheit für Veränderung und einem kontinuierlichen Lernprozess. Wer Agilität lediglich als neues «Werkzeug» einführt, verfehlt den Kern: Es geht um eine tiefgreifende Veränderung der Organisationskultur – und damit auch um die Frage, wie Macht, Verantwortung und Zusammenarbeit neu gedacht werden können.

Die 4 Handlungsfelder der Agilität
Die vier Handlungsfelder der Agilität

Anhand von vier Praxisbeispielen – der Fachstelle Kinderbetreuung Luzern, Seneca Care, dem Töpferhaus Aarau und der Stiftung IdéeSport – zeigen Lehmann und Prochazka auf, wie Agilität in Nonprofit-Organisationen konkret gelebt werden kann. Grundlage ihrer Analyse sind Gespräche mit Fachpersonen aus den jeweiligen Organisationen, die Einblicke in Chancen, Herausforderungen und gelebte Praxis geben.

1. Transparenz und Vertrauen: Fachstelle Kinderbetreuung Luzern

Die Fachstelle Kinderbetreuung Luzern arbeitet nach den vier Basisprinzipien der soziokratischen Kreisorganisations-Methode und den sieben Prinzipien von Soziokratie 3.0. Transparenz ist ein zentraler Wert für die Organisation. Er bedeutet Informationstransparenz und das Entscheidungsprozesse nach den soziokratischen Prinzipien nachvollziehbar und offen gestaltet werden. Sie geben allen Organisationsmitgliedern einen Vertrauensvorschuss. Die Grundhaltung ist, dass jede Person in der Organisation nach bestem Wissen und Gewissen agiert. Agilität zeigt sich hier als bewusste Haltung: Kontrolle wird losgelassen, um Raum für Vertrauen, Professionalität und eigenverantwortliches Handeln zu schaffen.

2. Zielgruppenorientierung: Seneca Care

Bei Seneca Care steht die Zielgruppe, Menschen mit Pflegebedarf, konsequent im Zentrum. Im Zentrum ihres Handelns wie auch in dem von ihnen entwickelten SENECA MODELL steht die Zielgruppe. Dazu gehören die Prinzipien von Community Care, ein attraktives Arbeitsmodell mit flexiblen, selbstorganisierten Pflegeteams mit Gestaltungsspielraum, einer eigenen Pflegesoftware und einem unterstützenden Backoffice für die Administration. Diese Nutzerzentrierung ist ein zentrales agiles Prinzip: Lösungen entstehen im Dialog mit den Menschen, für die sie gedacht sind. Agilität wird hier zur gelebten Haltung der Responsivität und Einbindung.

Das Pflegemodell von Seneca Care
Das Pflegemodell Seneca Care

3. Selbstorganisation und Zusammenarbeit: Stiftung Töpferhaus

Die Stiftung Töpferhaus wurde agiler, um mehr Flexibilität und Innovationskraft zu gewinnen. Sie arbeiten in einer flachen Hierarchie und bilden für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten Arbeitsgruppen. Dies sind selbstorganisierte Teams und arbeiten hierarchieunabhängig zusammen, treffen eigenständige Entscheidungen und übernehmen die Verantwortung für ihre Bereiche. Die Zusammenarbeit ist geprägt von Vertrauen, Offenheit und geteiltem Gestaltungswillen, ein konkretes Beispiel dafür, wie Agilität Verantwortung verteilt statt bündelt.

Organigramm der Stiftung Töpferhaus: Im Zentrum steht der Gestaltungsraum für Menschen

Organigramm der Stiftung Töpferhaus
Organigramm der Stiftung Töpferhaus

4. Kontinuierliches Lernen: IdéeSport

Bei der Stiftung IdéeSport setzt vor allem auf Agilität als kontinuierlichen Lernprozess. Neue Angebote entstehen durch einen Innovationsprozess. Ideen werden von Mitarbeitenden in der Organisation vorangetrieben. Dazu kommen weitere Formate, wie beispielsweise regelmässige Retrospektiven in den Projektteams, wie auch in der gesamten Organisation. Das Vorgehen ist stets iterativ: Ideen werden in kleinen Schritten getestet, Erfahrungen gesammelt, angepasst. Rückmeldeschlaufen, Reflexion und der bewusste Umgang mit Fehlern gehören zum Alltag. Agilität zeigt sich hier als Fähigkeit aus Veränderungen zu lernen.

Fazit: Agilität ist eine Haltung, kein Patentrezept

Die vier Praxisbeispiele zeigen: Agilität hat im NPO-Bereich viele Gesichter. Es geht nicht um eine vordefinierte Methode, sondern um zentrale Prinzipien wie Transparenz, Nutzerzentrierung, Selbstorganisation und kontinuierliches Lernen. Diese gilt es an die eigene Organisation und deren Wirkungsfeld anzupassen.

Agilität ist also kein Werkzeug aus dem Baukasten, sondern eine Haltung und ein langfristiger Veränderungsprozess. Wer beginnt, Verantwortung zu teilen, Zielgruppen aktiv einzubeziehen und gewohnte Routinen zu hinterfragen, schafft Raum für neue Lösungen und mehr Wirkung. Gerade in der Sozialen Arbeit eröffnet diese Haltung die Chance, mit Komplexität besser umzugehen und dabei den Menschen konsequent ins Zentrum zu stellen.

Von: Roger Ettlin
Bild: Adobe Stock
Veröffentlicht: 22. Juli 2025

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Mehr Infos: Webseite CAS Projektmanagement

Elina Lehmann

Elina Lehmann ist seit 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit tätig. Die Arbeits- und Organisationspsychologin beschäftigt sich in ihrer Forschung mit den Themen Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit, betriebliche Gesundheitsförderung sowie Selbstorganisation. Zuvor war sie als HR-Managerin in der Industrie sowie als Sachbearbeiterin in verschiedenen Branchen tätig und sammelte dabei vielseitige Praxiserfahrungen.

Nina Prochazka

Nina Prochazka ist als Beraterin und Coach in den Bereichen Organisationsentwicklung, New Work und Job Sharing tätig. Zuvor war sie unter anderem Co-Lehrgangsleiterin des Intensivlehrgangs «Agilität für NPO» an der Universität Freiburg. Ihre beruflichen Erfahrungen sammelte sie zuvor in verschiedenen Sektoren, insbesondere in der Organisationsentwicklung und im Management.

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