Erziehung, Bildung und Betreuung,
Sterben und Tod gehören zum Leben – und zum Berufsalltag vieler Fachpersonen. Karin Stadelmann leitet an der Hochschule Luzern einen Fachkurs, der praxisnah aufzeigt, wie Begleitung und Vernetzung am Lebensende gelingen können – und welche zentrale Schnittstellenfunktion die Soziale Arbeit dabei übernimmt.
1. Karin Stadelmann, weshalb fällt es den meisten von uns schwer, über das Sterben und den Tod zu sprechen?
Wir reden als Gesellschaft gern über alles, was Zukunft verspricht: über das Gesundbleiben, das Gesundwerden, über Optimierung und Entwicklung. Dabei blenden wir oft aus, dass all das irgendwann endet – und der Tod unausweichlich ist. Gerade in der Sozialen Arbeit sind wir jedoch immer wieder mit dem Sterben konfrontiert. Dies etwa bei Suchtthemen, Suizidgedanken oder in der Arbeit mit besonders vulnerablen Gruppen. Der Tod gehört zum Leben – und somit auch zur Sozialen Arbeit. Es ist höchste Zeit, dass dieses Thema in der Aus- und Weiterbildung ankommt.
2. Was bedeutet es für Menschen, mit einer unheilbaren Diagnose zu leben – und welche Rolle kann die Soziale Arbeit in dieser Situation übernehmen?
Betroffene Personen haben oftmals Angst, dass sie aus allem ausgeschlossen werden. Der soziale Tod geht dem physischen oft voraus. Sie werden aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt, lange bevor sichtbare Symptome eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben tatsächlich verunmöglichen. Es passiert schnell und vielfach auch aus Angst, dass Freunde oder Bekannte schlicht überfordert sind, wenn jemand sagt, er oder sie sei in palliativer Behandlung oder habe Krebs. Unser Ziel muss es sein, diesen sozialen Ausschluss zu verhindern. Die Soziale Arbeit kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie hilft, Betroffene möglichst lange in ihrem vertrauten sozialen Umfeld zu halten und dieses zu stärken, bis es irgendwann tatsächlich in die finale Phase geht.
3. Wie kann der Fachkurs Fachpersonen darin unterstützen, Betroffene am Lebensende besser zu begleiten?
Vielfach melden sich Personen für diesen Kurs an, weil sie merken, dass es auf kommunikativer Ebene herausfordernd wird. Menschen kommen zu ihnen mit einer Diagnose oder nach einem Schicksalsschlag und müssen lernen, damit umzugehen. Nicht selten steht das Thema Tod plötzlich von einem Tag auf den anderen im Raum. In solchen Momenten fühlen sich Betroffene oft orientierungslos oder überwältigt. Dann braucht es jemanden, der hilft, wieder Struktur ins Leben zu bringen – etwa indem vorhandene Ressourcen geprüft, finanzielle Fragen geklärt oder Behandlungen koordiniert werden. Nicht alle diese Aufgaben übernimmt die Soziale Arbeit direkt, sie kann aber als Eingangstor fungieren, das es allen anderen Professionen ermöglicht, ihren Job zu machen. Sie klärt Bedürfnisse, vernetzt Fachstellen und trägt dazu bei, dass der Alltag trotz Krise wieder und möglichst lange funktioniert.
4. Der Fachkurs richtet sich nicht ausschliesslich an Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit. Warum?
Der Kurs richtet sich bewusst an alle Berufsgruppen, die im Feld tätig sind. Unser Ziel war ein niederschwelliges Praxisangebot. Der Kurs fördert denn auch gezielt die interprofessionelle Zusammenarbeit. Die Teilnehmenden erhalten einen Einblick in die Begleitung und Betreuung über die gesamte Lebensspanne – vom frühen Tod rund um die Geburt über das Sterben im Jugend- und Erwachsenenalter bis hin zur letzten Lebensphase im Alter. Zum Einstieg vermitteln wir grundlegende Kompetenzen für die Begleitung am Lebensende. Dabei wird auch deutlich, was die Soziale Arbeit an Fachlichkeit und Methoden einbringt – und wovon andere Berufsgruppen im gemeinsamen Arbeiten profitieren können.
5. Der Fachkurs ist noch neu – gab es Rückmeldungen, die Sie besonders überrascht haben?
Die gab es in der Tat. Einige Teilnehmende haben erst im Verlauf des Kurses realisiert, wie wertvoll die Soziale Arbeit für ihre eigene berufliche Praxis sein kann. Gerade in Institutionen wie Pflegeheimen kann eine Fachperson aus der Sozialen Arbeit der Schlüssel sein, um mit Menschen in Kontakt zu treten, bei denen andere nicht weiterkommen. Diese Schnittstellenfunktion war einigen Teilnehmenden so nicht bewusst. Viele Teilnehmende kamen zudem aus der Pflege und mit der Erwartung, im Kurs würden vor allem konkrete Fallbesprechungen stattfinden. Tatsächlich geht es aber stärker darum, wie Netzwerkarbeit funktioniert – und wie man die eigene Rolle so gestaltet, dass Versorgung und Begleitung über Berufsgrenzen hinweg besser gelingen.
Von: Ismail Osman
Veröffentlicht: 5. Juni 2025
Fachkurs Sterben und Tod im professionellen Kontext der Sozialen Arbeit
Der Kurs vermittelt fachliche, methodische und interdisziplinäre Kompetenzen im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer – vom frühen Lebensende bis ins hohe Alter. Er richtet sich an Fachpersonen aus Sozialer Arbeit, Pflege, Bildung, Seelsorge und weiteren Bereichen.
Programmstart: 7. November 2025 (Anmeldeschluss: 7. Oktober)
Mehr Infos: Webseite Fachkurs Sterben und Tod im professionellen Kontext der Sozialen Arbeit
Karin Andrea Stadelmann ist FH-Professorin und CC-Leiterin am Institut für Sozialpädagogik und Sozialpolitik der HSLU – Soziale Arbeit. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Betreuung im Alter, strategische Entwicklung in der Alterspolitik, Gesundheitsförderung mit Fokus auf soziale Unterstützung sowie Bildung und Erziehung über die ganze Lebensspanne. Zudem ist sie Luzerner Kantonsrätin und Präsidentin der «Die Mitte Luzern».
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