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«First place, then train»: Warum echte Jobs die beste Integration sind

«First place, then train»: Warum echte Jobs die beste Integration sind

Supported Employment zeigt, dass Arbeitsintegration auch ohne Umwege über Programme und Zwischenlösungen funktioniert. Arbeitsintegrationsexperte Daniel Schaufelberger und Jurist Peter Mösch Payot erklären, wie der Ansatz Menschen mit Unterstützungsbedarf den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert – und warum er dabei auch Arbeitgeber:innen entlastet.

Daniel Schaufelberger, was versteht man unter «Supported Employment»?
Daniel Schaufelberger: Supported Employment basiert auf der Idee, dass grundsätzlich alle Menschen – auch solche mit Unterstützungsbedarf – im allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können, eine Leistung erbringen und zum Wohlstand beitragen können. Entscheidend ist, dass man die passende Arbeitssituation und die richtige Unterstützung findet. Das ist der Kern der Idee – und der grosse Unterschied zu unserem gewohnten Verständnis von Arbeitsintegration.

Wer profitiert besonders von dieser Art der Unterstützung?
Daniel Schaufelberger: In der Praxis sind es vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen, die im Anschluss an traditionellen Programmen Mühe haben, den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Aber auch Personen nach einem Unfall, junge Erwachsene ohne Anschluss oder Langzeitarbeitslose können von Supported Employment profitieren. Entscheidend ist nicht, ob jemand schon «bereit» ist, sondern ob er oder sie arbeiten will – das ist der gemeinsame Nenner.

Das läuft gegen die gängige Praxis, Betroffene zuerst in Sondersettings «fit» für den Arbeitsmarkt zu machen.
Daniel Schaufelberger: Genau. Supported Employment geht davon aus, dass jede Person arbeiten kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Viele psychische Erkrankungen lassen sich zum Beispiel gar nicht «wegtrainieren». Lernen und Entwicklung finden in der Arbeit selbst statt, nicht davor. Darum gilt der Grundsatz: First place, then train. Man braucht zuerst einen Arbeitsplatz – und dort kann man sich weiterentwickeln. Wichtig ist auch: Diese Arbeit soll bezahlt sein. Sie schafft Leistung und Wertschöpfung und soll als solche anerkannt werden. Es geht also nicht um Beschäftigung, sondern um richtige Jobs mit einem Arbeitsvertrag, Lohn und Verantwortung.

Peter Mösch, ab wann gilt eine Tätigkeit rechtlich als Arbeitsverhältnis?
Peter Mösch: Juristisch ist entscheidend, ob eine Tätigkeit für einen Betrieb untergeordnet erfolgt, und ob dabei für den Betrieb eine Wertschöpfung stattfindet – also, ob der Betrieb von der Arbeit profitiert. Sobald jemand etwas produziert, das dem Betrieb zugutekommt, liegt ein Arbeitsvertrag vor, mit allen Rechten und Pflichten. Natürlich gibt es Grauzonen: Arbeit wird manchmal zu Trainingszwecken eingesetzt oder dient der Abklärung der Leistungsfähigkeit. Aber rechtlich bleibt das Kriterium klar: Sobald eine Person in die Arbeitsorganisation subordiniert eingebunden ist, weisungsgebunden arbeitet und Wert schafft, sprechen wir von einem Arbeitsverhältnis.

Wie funktioniert ein solcher Prozess des Supported Employments konkret?
Daniel Schaufelberger:  Supported Employment ist ein personenzentrierter Ansatz. Ausgangspunkt ist immer die Person selbst – mit all ihren Fähigkeiten, Wünschen und Möglichkeiten. Der Prozess beginnt mit Fragen wie: Wer bist du, was möchtest du, was kannst du? Gemeinsam mit dem Jobcoach entsteht daraus ein Weg, der zu einer passenden Arbeitssituation führt. Man probiert etwas aus, schaut, wie es funktioniert, und entwickelt sich Schritt für Schritt weiter. Die Unterstützung endet nicht, wenn jemand eine Stelle gefunden hat – sie beginnt dann erst richtig.

Jobcoaches sind also mehr als Berater:innen.
Daniel Schaufelberger: Genau. Die Jobcoaches sitzen nicht im Sessel und stellen Fragen, sondern krempeln die Ärmel hoch. Sie beteiligen sich aktiv an der Stellensuche, tätigen Anrufe und begleiten Klient:innen  zu potenziellen Arbeitgeber:innen. Gerade Menschen, die lange ohne Arbeit waren, brauchen selten weiteren Tipps – die kennen sie längst. Sie brauchen jemanden, der mitzieht und Türen öffnet. Dieser «Hands-on»-Ansatz ist zentral und unterscheidet Supported Employment vom klassischen Coaching.

Und gleichzeitig spielt auch die Arbeitgeber:in eine wichtige Rolle.
Daniel Schaufelberger: Absolut. Der Jobcoach ist nicht Anwalt der Klient:innen, sondern eigentlich Anwalt für das Arbeitsverhältnis. Wenn sich Schwierigkeiten ergeben, muss man hinschauen, das Gespräch suchen und Lösungen finden. Die Arbeitgeber:innen  dürfen nie das Gefühl haben, dass man ihnen «die Katze im Sack» verkauft. Ihre Fragen zu Fürsorgepflicht, Sicherheit oder Krisenplänen müssen frühzeitig erkannt und ernst genommen werden – das schafft Vertrauen.

Peter Mösch, wo sehen Sie rechtliche Stolpersteine bei der Umsetzung des «Supported Employment»-Ansatzes?
Peter Mösch: Gerade juristisch besteht noch viel Unsicherheit. Mit unserem Buch wollen wir Klarheit schaffen, damit Fachpersonen wissen, worauf sie achten müssen. Einer der häufigsten Stolpersteine liegt ganz banal im Vertrag selbst. Oft ist nicht klar formuliert, welche Leistung erwartet wird oder wie mit Problemen umgegangen wird. Dabei wäre es gerade im Supported Employment wichtig, solche Situationen im Voraus zu besprechen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wer bei unvorhergesehenen Herausforderungen informiert wird oder wann der Jobcoach beigezogen wird. Das schafft Sicherheit für alle Beteiligten.

Somit fehlt es häufig an Klarheit am Anfang?
Peter Mösch: Ja, das ist so. Gute Verträge sind die halbe Miete. Diese müssen auch Themen wie Lohn und branchenspezifische Regeln berücksichtigen, etwa Mindestlöhne oder Besonderheiten bei der Personalvermittlung. Solche Punkte werden in der Praxis oft übersehen. Wenn man sie transparent regelt und offen kommuniziert, lassen sich viele Konflikte vermeiden.

Wie sehen Sie beide die Zukunft von Supported Employment in der Schweiz? Braucht es neue Strukturen oder gesetzliche Grundlagen, um dieses Modell zu fördern?
Peter Mösch: Ob es neue gesetzliche Grundlagen braucht, ist für mich nicht die erste Frage. Schon heute gäbe es in vielen Bereichen genügend Spielräume, um Arbeitsintegration wirksam zu gestalten – in der IV, der Sozialhilfe, der Behindertenhilfe oder im Migrationswesen. In manchen Kantonen wird das genutzt, in anderen nicht. Das zeigt: Das Problem liegt weniger im Recht als im politischen und administrativen Willen. Oft steht die Angst vor Kosten oder Präzedenzfällen im Weg.

Daniel Schaufelberger: Ich teile diese Einschätzung. Ganz zentral ist auch die Finanzierung. In vielen Programmen endet das Jobcoaching genau dann, wenn die eigentliche Arbeit beginnt – das ist paradox. Wenn man will, dass Integration nachhaltig funktioniert, braucht es dauerhafte und verlässliche Unterstützung, die auch über den Stellenantritt hinausgeht. Arbeitsintegration sollte breiter verstanden werden: nicht als Sozialprojekt, sondern als Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe und ökonomischen Nachhaltigkeit. Wenn Menschen mit Einschränkungen eine faire Chance bekommen, profitieren letztlich alle: die Betroffenen, die Betriebe und die Gesellschaft.

Text: Ismail Osman
Foto: Getty Images
Veröffentlicht am 29. Oktober 2025

Buch «Supported Employment»: komplett überarbeitete 3. Auflage
Das Buch «Supported Employment – Arbeitsintegration für Personen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt» zeigt, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen, Behinderungen oder nach langer Arbeitslosigkeit den Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen können. Menschen sollen zuerst eine Arbeitsstelle finden und sich dort weiterentwickeln. Jobcoaches begleiten diesen Prozess eng, öffnen Türen, moderieren zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitenden und bleiben auch nach dem Stellenantritt verlässlich ansprechbar. Das Werk gliedert sich in drei Teile – Grundlagen, Umsetzung und arbeitsrechtliche Fragen – und enthält zahlreiche Fallporträts aus der Praxis.

Daniel Schaufelberger

Daniel Schaufelberger

Autor Daniel Schaufelberger beschäftigt sich seit 25 Jahren mit sozialen Fragen der Arbeitswelt und praxistauglichen Konzepten in den Politikfeldern Arbeitsmarktintegration, Armut und Behinderung. Der Sozialpädagoge ist unter anderem Gründer von Reframes und Luniq, Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Arbeitsagogik (ifa) sowie Lehrbeauftragter an der HSLU – Soziale Arbeit. Mit der dritten Auflage von «Supported Employment – Arbeitsintegration für Personen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt» legt er ein vollständig überarbeitetes Werk vor.
«Als wir die erste Ausgabe 2013 veröffentlichten, gab es in der Schweiz kaum Literatur zu Supported Employment», sagt er. «Heute hat sich die Praxis stark weiterentwickelt und mit ihr die Fragen zu Finanzierung, Zuständigkeiten und Qualität der Umsetzung.»

Peter Mösch Payot

Prof. Peter Mösch Payot

Der Jurist Peter Mösch Payot ist Professor am Institut für Sozialarbeit und Recht der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit.  Er ist auch an anderen Schweizer Hochschulen Lehrbeauftragter sowie unter anderem Mitglied der Sozialhilfekommission der Stadt Bern und Berater für Rechts- und Organisationsfragen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Mösch Payot verfasste den rechtlichen Teil des Buches, der erläutert, wann ein Arbeitsvertrag vorliegt, welche Schutzrechte gelten und wo Grauzonen bestehen. «In den letzten zehn Jahren ist viel Praxiserfahrung hinzugekommen. Einige Fragen sind geblieben, andere neu entstanden. Diese überarbeitete Ausgabe soll vor allem der Praxis als hilfreiche Ressource dienen.»

CAS Supported Employment

Das CAS Supported Employment bietet die Möglichkeit, einen innovativen Ansatz zur Arbeitsintegration zu erlernen, der Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt den (Wieder-)Einstieg ermöglicht. Die Teilnehmenden werden von praxiserfahrenen Dozierenden in bewährte Methoden und Fachwissen eingeführt, um diese Personen effektiv in ihrer beruflichen Entwicklung zu begleiten. Mit individuell wählbaren Vertiefungsmodulen wird man optimal auf die Herausforderungen in der Arbeitsintegration vorbereitet. Mehr Infos hier.

Weitere Informationen zum Thema Arbeitsintegration an der HSLU hier.

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