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Stark im Sturm – wie das Kohärenzgefühl Gesundheit und Leistung stärkt

Stark im Sturm – wie das Kohärenzgefühl Gesundheit und Leistung stärkt

Was hält Menschen gesund und leistungsfähig, wenn ihre Arbeit besonders anspruchsvoll ist? Valentina Smajli hat in ihrer Masterarbeit im MAS Betriebliches Gesundheitsmanagement an der Hochschule Luzern erforscht, welche Rolle das Kohärenzgefühl dabei spielt – die Fähigkeit, das Leben zu verstehen, zu meistern und ihm Sinn zu geben.

Der Herbst steht vor der Tür: Morgens ist es nass und kalt, Regen prasselt auf die Baustelle, die Schuhe sind schnell schwer vom Matsch. Bald fällt der erste Schnee, und trotzdem muss das Telekommunikationsnetz weitergebaut und gewartet werden. Für Mitarbeitende in der technischen Infrastruktur gehört das dazu: Kabel einziehen, Schächte öffnen, Dächer decken, Leitungen reparieren, egal bei welchem Wetter, egal unter welchen Bedingungen.

Die technische Infrastruktur umfasst alle Tätigkeiten, die physische Netze, Anlagen und Systeme – also Energie-, Kommunikations-, Bau- und Versorgungsnetze – planen, bauen, betreiben und instand halten. Sie hält unsere Gesellschaft am Laufen und verlangt von den Menschen, die darin arbeiten, nicht nur technisches Können, sondern auch innere Stärke – das, was der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky Kohärenzgefühl nennt: ein tiefes Vertrauen darin, dass die Welt verstehbar, handhabbar und sinnvoll ist.

Was Antonovsky beschreibt, lässt sich in handwerklichen Tätigkeiten der technischen Infrastruktur deutlich beobachten. Menschen, die verstehen, welche Aufgabe oder Tätigkeit wichtig ist, über geeignete Mittel verfügen, sie zu bewältigen, und darin einen Sinn erkennen, haben bessere Voraussetzungen, auch bei widrigen Bedingungen wie Regen, Kälte und Zeitdruck leistungsfähig und gesund zu bleiben.

Was ist das Kohärenzgefühl?

„Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmass man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1 die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äusseren Umwelt ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind Verstehbarkeit; dass 2 einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen Handhabbarkeit; und dass 3 diese Anforderungen Herausforderungen sind, die es wert sind, investiert und engagiert zu werden Sinnhaftigkeit.“ (Antonovsky, 1979; 1987)

Was das in der Realität bedeutet, hat ein erfahrener Mitarbeiter so beschrieben:
«Gerade wenn’s draussen stürmt und alles hektisch wird, hilft mir das Wissen, wofür ich arbeite und wie ich meinen Beitrag leiste. So kann ich auch schwierige Tage ruhig und fokussiert meistern.»

Wissenschaftlich gesichert: Mehr Kohärenz, mehr Gesundheit

Studien belegen, dass ein starkes Kohärenzgefühl Belastungen abfedert und die Gesundheit schützt (vgl. Blättner, 2007, S. 69; Eriksson & Lindström, 2006, S. 378). Besonders wichtig sind dabei soziale Faktoren. Doch was stärkt Kohärenz konkret im Arbeitsalltag?

  • Klare Kommunikation: Was ist das Ziel? Wie sieht der Plan aus? Welche Änderungen gibt es?
  • Beteiligung an Entscheidungen: Mitarbeitende können ihre Erfahrung einbringen, Verbesserungsvorschläge machen und Verantwortung übernehmen.
  • Wertschätzung: Anerkennung, dass die Arbeit wichtig und anspruchsvoll ist.
  • Fehlerkultur: Missgeschicke sind Lernchancen, keine Schuldzuweisungen.
  • Gelebte Wertschätzung zeigt sich im Alltag durch ehrliches Zuhören, persönliche Anerkennung und kleine Gesten. Sie lässt jeden Einzelnen spüren, dass sein Beitrag zählt und dass er Teil eines wertvollen Ganzen ist.

Besonders in handwerklich geprägten Tätigkeiten ist es wichtig, Gestaltungsspielraum zu schaffen. Wo Fehler als Lernanlass und Versuche als Innovationsmotor gelten, entsteht ein Arbeitsklima, das Motivation und Widerstandskraft fördert.

Mut und Motivation durch Kohärenz

Wo Kohärenz gelebt wird, entstehen Mitarbeitende, die nicht nur ausführen, sondern auch gestalten. Sie zeigen Mut, Ideen einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und selbst in stressigen Situationen Ruhe zu bewahren. Das macht Teams innovativ, zuverlässig und leistungsfähig. Eine Stärke, die über den einzelnen Arbeitsplatz hinausgeht.

Es braucht dazu aber auch eine psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz, dass Mitarbeitende auf Vorgesetzte treffen, wo sie sich getrauen können, Kritik anzubringen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen haben zu müssen. Genau hier kommt Führung ins Spiel: Sie entscheidet, ob Vertrauen oder Angst den Ton angeben. Gute Führung schafft Räume, in denen Fragen erlaubt sind, Fehler als Lernchancen gelten und Feedback willkommen ist. Wer als Führungskraft Offenheit, Klarheit und Sinnorientierung vorlebt, fördert Kohärenz, weil Mitarbeitende erleben, dass ihr Beitrag zählt, sie ihre Arbeit bewältigen können und ihr Umfeld verlässlich ist.

Kohärenz wirkt auch privat

Das Besondere am Kohärenzgefühl ist, dass es nicht nach Feierabend endet. Wer im Beruf gelernt hat, schwierige Situationen zu verstehen, Lösungen zu finden und Sinn zu entdecken, trägt diese Haltung auch ins Privatleben und umgekehrt. Das stärkt den Umgang mit Stress im Alltag, Beziehungen in der Familie und die eigene Widerstandskraft in Krisenzeiten. So wird Kohärenzgefühl zu einer Ressource für das ganze Leben, egal ob auf der Baustelle, im Büro oder zuhause.

Fazit: Gesundheit beginnt bei Sinn und Klarheit

Gesundheitsförderung ist mehr als ergonomische Stühle oder Früchtekörbe. Entscheidend ist, ob Arbeit verständlich, machbar und sinnvoll gestaltet ist, also Kohärenz ermöglicht. Das Kohärenzgefühl ist eine innere Ressource, die Menschen befähigt, auch unter Druck gesund, engagiert und zuversichtlich zu bleiben. Es ist die Basis, um im Sturm standzuhalten und damit unsere Gesellschaft vernetzt und handlungsfähig zu halten.

Unternehmen sollten Rahmenbedingungen schaffen, die Kohärenz stärken: durch klare Kommunikation, Beteiligung, Wertschätzung und eine lernorientierte Fehlerkultur. Wer hier investiert, fördert nicht nur Gesundheit, sondern auch die langfristige Leistungsfähigkeit und Resilienz ihrer Organisation.

Von: Valentina Smajli
Bild: Von Casey Horner auf Unsplash
Datum: 4. Oktober 2025

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Valentina Smajli Profilbild

Valentina Smajli

Valentina Smajli hat an der Hochschule Luzern den MAS im Betrieblichen Gesundheitsmanagement sowie einen Executive MBA in Organisationsentwicklung und Leadership abgeschlossen. Sie forscht zu Kohärenzgefühl, Arbeitsengagement und Change Leadership in Veränderungsprozessen des Service public insbesondere in der technischen Infrastruktur. Beruflich engagiert sie sich als Gewerkschafterin für gute Arbeitsbedingungen, soziale Beteiligung und Gesundheitsförderung. Ihr Ziel ist es, Brücken zwischen Forschung und Praxis zu schlagen und zu zeigen, wie Menschen auch unter Druck gesund, widerstandsfähig und engagiert bleiben können.

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