Vergangenen Monat kamen wir im Rahmen einer Studienexkursion nach Den Haag in den Genuss eines soziokulturellen Rundgangs. Dieser Blog-Beitrag führt folgend durch drei Stationen eines zentral gelegenen, lebhaften Quartiers, wo unlängst Veränderungen im Zuge der Stadtentwicklung vollzogen worden sind.
Zuidwal ist ein vorbelastetes Quartier in Den Haag: Ausländer, Drogen, Prostitution – das volle Programm. Auf diese Tatsache reagierte Den Haag, wie jede grössere Stadt reagieren würde: Durch gezielte Steuerung wird ein sozioökonomischer Strukturwandel im Viertel angeschoben. Studierende eigenen sich dazu in der Regel gut, denn sie scheuen jene Viertel nicht oder können es sich zunächst nicht leisten, sie zu scheuen. Gleichzeitig ist es aber immer noch so, dass Studentinnen und Studenten überwiegend aus bildungsnahen und damit reicheren Elternhäusern stammen. Sie schaffen ein neuartiges soziales Milieu, werten die Stadtteile durch kulturelle Aktivitäten auf und steigen später ins Berufsleben ein [1]. Damit die Stadt zu einer Studentenstadt mutiert, sind strategische Massnahmen im Rahmen der Stadtentwicklung notwendig, welche die Attraktivität der Stadt für die Studierenden steigert.
Der Stadtteil Laakhaven-Oost liegt in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Den Haag Hollands Spoor und beherbergt in erster Linie das Hauptgebäude der 1989 errichteten Haagse Hogeschool. Mit dem künstlich angelegten Kanal und der parkähnlichen Aufenthaltszone ist der zentral gelegene Stadtteil auch attraktiv zum Wohnen. Zur Durchmischung trägt der geschickt gewählte Mix an unterschiedlichen Wohnformen, etwa Eigentums-, Miet- sowie Studentenwohnungen, bei. Wenn ich da an die ausgestorbene Science City in Zürich-Höngg denke, überzeugt die Kombination Wohnen, Studieren und Einkaufen im zwar ebenso artifiziell anmutenden, jedoch deutlich belebteren Laakhaven-Oost.
Inmitten des Multikulti-Viertels, gleich hinter dem Bahnhof Hollands Spoor steht der grosse Bazar. Die Handelshalle wurde 1987 für immigrierte Unternehmer zur Abwicklung und Betreibung deren Handels- und Dienstleistungsgeschäfte erbaut. Ein buntes Angebot an Food und Nonfood-Artikeln von Lateinamerika, über das nördliche sowie subsaharische Afrika, bis Griechenland und der Türkei, war da vorzufinden. Der Handel mit Zucker, Kaffee, Getreide, Gewürzen, Stoffen und Genussmitteln bedeutete aber nicht nur die Sicherung der Existenz der eingewanderten Geschäftsleute. Die Einkaufshalle war nicht zuletzt wegen der gut besuchten Friseursalons auch Ort der Begegnung und sozialen Interaktion.
Im Zuge der Aufwertung musste dieser Versammlungs- und Handelsort dem Bazaar of ideas weichen. Der Bazaar of ideas gehört zum benachbarten Student Hotel und stellt gemäss eigenen Aussagen ein Ort des «Treffens, Studierens, Relaxens und Teilens» dar. So können in erster Linie Räumlichkeiten für Events, Konferenzen, Kurse etc. kostenpflichtig gebucht werden. Hinzu sind weitere Dienstleistungen rund um den geplanten Event beziehbar. Kurzum: ein erweitertes Raumangebot für hippe und moderne Unternehmen, Startups, Organisationen und Privatpersonen, das sich bestens in das neue Image der Stadt einfügt. Der Haken? Die AraberInnen und AfrikanerInnen müssen fortan leider auf ihren Bazar verzichten. Eine Alternative wurde nicht gefunden. Mal eben die kulturelle Vielfalt weggentrifiziert.
Da drängt sich die Frage auf: Wo war die Soziokulturelle Animation (SKA), als dieser strategische Beschluss gefasst wurde? Die Situation rund um den alten Bazar wiederspiegelt die Bedeutung der SKA in ebensolchen Stadt- und Stadtteilentwicklungsprozessen. Im SozialAktuell fragt Rahel El-Maawi nach dem Beitrag der Soziokulturellen Animation zur Förderung einer integralen Entwicklung in benachteiligten Quartieren und Wohngebieten [2]. Sie fordert individuelle, an den Ort angepasste Konzeptionen zu deren Gestaltung, welche auf lokaler Ebene mittels demokratischer Strukturen zwischen möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppierungen auszuhandeln seien. Die SKA sollte dabei eine Vermittlungsposition zwischen der Bevölkerung und der Politik/Verwaltung einnehmen und sich «anwaltschaftlich für die Bedürfnisse der Bevölkerung einsetzen» [3]. Ausserdem kennen Soziokulturelle AnimatorInnen geeignete Methoden, um die Bevölkerung in Entwicklungsprozesse einzubeziehen. Dies setzt jedoch den politischen Willen der Gemeinde voraus, die Rolle der SKA in der Stadtentwicklung zu stärken und sie erfolgreich und ernsthaft einzubinden. Was die SKA in der Stadtentwicklung bewirken kann, wenn man sie lässt, zeigt die dritte und letzte Station des virtuellen Quartierrundgangs.
Aufgrund ausbleibender Ausleihe hatte die Stadt geschlussfolgert, dass keine Nachfrage mehr an dem Angebot der Bibliothek Schilderswijk bestünde und beschlossen, diese zu schliessen. Wie irrtümlich Indikatoren zur Entscheidungshilfe beigezogen werden zeigt dieses Beispiel. Denn wenngleich nicht die Bücher und sonstigen Ausleihartikel, die Bibliothek an sich wurde sehr wohl genutzt – als Ort des Verweilens, der Bildung, der Auskunft und der Unterhaltung. Da die Ausleihprodukte für diese Funktion eine marginale Rolle spielen, taugen sie nicht als Indikator dafür, ob grundsätzlich eine Nachfrage an der Bibliothek besteht oder nicht. Glücklicherweise liess sich die Stadt mithilfe der Vermittlung und Vertretung durch die SKA zur Umfunktionierung und Umnutzung der Bibliothek in eine – wie sie es nennen – «Partizipations- oder Nachbarschaftsbibliothek» bewegen. Neben den traditionellen Funktionen einer Bibliothek bietet sie neu Aktivitäten und Veranstaltungen zur Entwicklung und Förderung in den Bereichen Sprache, Lesen und Schreiben. Das neue Angebot trifft im Quartier auf regen Anklang.
Aufwertungen werden in allen grösseren und kleineren Städten als wirksame Massnahme angewandt, aktiv in die Stadtentwicklung einzugreifen. Meist haben sie aber auch ihren Preis, wie der Fall des Bazars exemplarisch verdeutlicht. Im Namen der (beabsichtigten) Durchmischung ist dieser Entwicklungsprozess meiner Meinung nach nicht ideal verlaufen. Denn anstelle einer sozialen Integration, die im Zuge einer Stabilisierung und Aufwertung benachteiligter oder problembehafteter Stadtteile erstrebenswert wäre, wurde ein Verdrängungsmechanismus in Gang gesetzt, wie es bei der Gentrifizierung üblich ist. Mit dem Bazaar of ideas als Ort der Zusammenkunft und sozialen Interaktion könnte am Rande noch argumentiert werden, dass dieser im Sinne einer soziokulturellen Entwicklung errichtet wurde. Die Frage ist aber, eine soziokulturelle Entwicklung für wen. Ob eine wahrhafte Durchmischung so gelingt? Quod est demonstrandum.
Weiterführende Informationen:
[1] Seite «Gentrifizierung» in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 22. März 2016, 17:12 UTC. (Abgerufen: 9. Mai 2016, 15:36 UTC)
[2] El-Maawi, Rahel (2013): «Quartierentwicklung – Brücke zwischen Stadtplanung und Bevölkerung: Förderung einer integralen Entwicklung in Wohngebieten und Quartieren». SozialAktuell, 10: 10-13.
[3] Sulzer, Dario und Dietsche, Anna (2014): Super-Animatoren in der Stadtentwicklung. Ein Reality-Battle. Workshop-Protokoll, Nationales Symposium Labor Soziokultur – Ansätze und Zugänge für zukünftige Herausforderungen. 20./21. November 2014.
von: Lea Aeschlimann
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