Soziokultur

Danke sagen, #Vanlife und anderer Rassismus

Danke sagen, #Vanlife und anderer Rassismus

Der Monat September ist zu Ende, der Herbst ist da. Im September 2021 ist die neue Verfilmung von Dune nach dem gleichnamigen Buch von Frank Herbert aus dem Jahr 1965 (!) in die Kinos gekommen. Ein typischer Science-Fiction Film insofern, als auch hier die sozialen Beziehungen ziemlich weit weg von Demokratie, Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit sind. Technisch ist die Zukunft top, sozial flop. Der drei Stunden lange Film zeigt gemäss Wikipedia gerade mal die Hälfte des ersten Buches der Saga. Die spielt um das Jahr 10’000 und erstreckt sich natürlich über Jahrhunderte und Generationen, inklusive wiederbelebter Heldenfiguren. Die alle Englisch sprechen. Manchmal allerdings noch andere, «alte Sprachen», welche nur die Schlaueren der Protagonist*innen beherrschen. Das ist dann eine Art Elite-Wissen, aber auch eine subversive Ressource der Benachteiligten. Die dümmeren Protagonist*innen haben dann halt Pech gehabt, für das Publikum werden diese Phantasiesprachen untertitelt. Nach dem Film habe ich die Darsteller*innen gegoogelt. Interessant finde ich, dass die Figur der Wissenschaftlerin «Dr. Liet-Kynes» in der Literaturvorlage offenbar männlich, im Film jedoch weiblich ist. Interessant finde ich auch, dass die britische Schauspielerin Sharon Duncan-Brewster, welche die Figur der Wissenschaftlerin spielt, gemerkt hat, dass für Science-Fiction-Filme zunehmend weibliche Schauspielerinnen gecastet werden. Sie sieht darin eine Chance, an interessantere Rollen zu kommen als in anderen Genres, obwohl sie sich persönlich offenbar nicht für Science-Fiction interessiert. Sharon Duncan-Brewster ist Schwarz.

Bei einer anderen Schauspielerin fällt auf, dass sie im Cast nur mit dem Vornamen «Zendaya» aufgeführt wird. Dieser bedeute auf Shona, einer in Regionen Simbabwes und Mosambiks gesprochenen Bantusprache «Danke sagen». Statt «Zendaya Maree Stoermer Coleman» steht also nur «Danke sagen» auf Shona auf dem Filmplakat. Zendaya spielt eine junge Fremen-Frau. Die Fremen werden verfolgt und verdrängt. Die Wüste, wo sie in Felssystemen in permanenter Wasserknappheit leben, beinhaltet – neben Sand natürlich – das sogenannte «Spice», eine kostbare Substanz, welche Raumschiffe auf den richtigen Weg bringt. Zendaya Maree Stoermer Coleman ist eine PoC.

September 2021 ist auch der Monat, in welchem eine junge Frau vermisst und dann tot aufgefunden wird. Die Geschichte um die Reise eines jungen amerikanischen Paars, welche eine tragische Wende nahm, geht viral. Das Paar, beide Anfang zwanzig, waren in einem Van aufgebrochen und zumindest die Frau hatte offenbar mit dem Gedanken gespielt, fortan als eine Art Reise-Influencerin auf Instagram ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihre Posts hatte Gabrielle Petito mit dem Hashtag «vanlife» versehen, zu dem es rund 11,2 Millionen Beiträge gibt. Als ihre Familie länger nichts von ihr hörte, ihr Freund allein mit dem Van zurückkehrte (unterdessen ist auch er verschwunden, nun wird er per Haftbefehl gesucht) und ein polizeilich dokumentierter Streit des Paars bekannt wurde, drehte sich die Social Media Welt fast nur noch um sie. Der Fall war beispielsweise am 20. September die zweithäufigste Suchanfrage – in der Schweiz. Gabrielle Petito war weiss.

September 2021 ist schliesslich auch der Monat, in welchem der Prozess gegen 18 ehemalige Studenten der Universität Löwen in Belgien wegen fahrlässiger Tötung und anderen Vergehen beginnt. Im Dezember 2018 war ein junger Mann mit einer Körpertemperatur von 27.2 Grad Celsius und einem viel zu hohen Salzgehalt im Blut ins Krankenhaus gebracht worden. Zwei Tage später starb er an multiplem Organversagen. In einer Hütte im Wald hatte er mit zwei Kollegen (sie waren es, die ihn aus dem kalten Wasser zogen) ein Aufnahmeritual in die renommierte Studentenverbindung «Reuzegom» durchlaufen. Die Beteiligten räumten die Hütte auf und löschten verdächtige Mitteilungen auf ihren Handys. Sie wurden nach dem Todesfall kurzzeitig suspendiert und mussten einige Stunden Sozialeinsatz leisten. Einige Dozierende forderten in einem offenen Brief härtere Sanktionen. Rund 500 Studierende protestierten gegen die lauwarme Haltung der Universitätsleitung, die es bei den Sozialstunden beliess. Im Juli 2020 veröffentlichte eine flämische Zeitung eine Rekonstruktion der letzten 30 Stunden im Leben von Sanda Dia, Sohn einer ursprünglich senegalesischen Familie. Die Studierendenorganisation «Undivided» an der Universität Löwen organisierte im September 2020 den stillen Protest #JusticeForSanda. Eine Botschaft bei diesem Protest lautete: «Ich weiss, wie es ist, meines Vaters Hoffnung zu sein. Ein Immigrant*innenkind.» 60 Prozent der Belgierinnen und Belgier afrikanischer Herkunft haben einen Hochschulabschluss. Sie sind viermal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als der Durchschnitt der belgischen Gesamtbevölkerung. Ein Prozess gegen die – zwischenzeitlich aufgelöste – Studentenverbindung wurde angekündigt, jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Nun ist es aber so weit, fast drei Jahre nach Sanda Dias Tod. Sanda Dia war Schwarz.


Dieser Artikel wurde am 9. Oktober 2021 von Simone Gretler Heusser verfasst und auf dem Soziokulturblog veröffentlicht.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.