Soziokultur

Frauenpower unter der Bundeshauskuppel

Frauenpower unter der Bundeshauskuppel

Frauensession 2021: Die HSLU-Absolventinnen Caroline Rey und Mandy Abou Shoak sowie die Studentin Irina Studhalter waren dabei, als es darum ging, den Anliegen der Schweizerinnen Gehör zu verschaffen.

Ende Oktober 2021 fand im Bundeshaus die zweite Frauensession statt. 246 gewählte Teilnehmerinnen aus der ganzen Schweiz debattierten über die drängendsten politischen Forderungen der Schweizer Frauen. Nach Bern reisten auch die Soziokulturellen Animatorinnen Irina Studhalter, Mandy Abou Shoak und Caroline Rey.

Was war Ihre Motivation für die Teilnahme an der Frauensession?

Rey: Ich habe mich spontan eine Stunde vor Anmeldeschluss dazu entschieden, als Teilnehmerin zu kandidieren. Vor dem Soziokultur-Studium habe ich Schreinerin gelernt und festgestellt, dass es noch immer viele Hürden für Frauen in Männerberufen gibt. Deshalb wollte ich mich an der Frauensession dafür einsetzen, dass nicht nur akademische MINT-Berufe für Frauen gefördert werden, sondern auch Handwerksberufe.

Studhalter: Ich sitze seit bald fünf Jahren für die Jungen Grünen im Luzerner Stadtrat. Gleichstellungsthemen interessieren mich besonders. Die ehemalige grüne Nationalrätin Cécile Bühlmann hat mich dazu ermuntert, mich für die Frauensession zu bewerben.

Abou Shoak: Ich komme aus einer sehr politischen Familie; beide Eltern sind parteipolitisch engagiert. In meinem Herkunftsland Sudan sind die Politik und die Fehltritte der politischen Elite an jeder Ecke Thema. Weshalb das in der Schweiz anders ist, weiss ich nicht. Vielleicht haben wir hier einfach das Privileg, uns mit gewissen Fragen nicht auseinandersetzen zu müssen, weil die unmittelbare Betroffenheit nicht so gross ist. Bis jetzt habe ich mich eher im Bereich Communitybuilding und alternative Formen der Meinungsbildung engagiert. Die Frauensession und meine Mitwirkung in der Kommission Freiwilligen- und Care-Arbeit waren eine erste Möglichkeit für mich, formelle politische Luft zu schnuppern.

Und Sie, Frau Studhalter und Frau Rey, in welcher Kommission haben Sie mitgearbeitet?

Studhalter: In der Kommission für sexuelle Gesundheit und Gendermedizin. Ich nahm im Vorfeld der Session an zwei Kommissionssitzungen teil. In diesen erarbeiteten wir drei Vorstösse. Alle wurden nach der Frauensession als Petition ans eidgenössische Parlament überwiesen.

Rey: Leider konnte ich in keiner Kommission mitarbeiten, weil aufgrund des grossen Interesses nicht alle Teilnehmerinnen einen Platz bekamen.

Sie sind alle drei Soziokulturelle Animatorinnen. Wo konnten Sie sich mit diesem Hintergrund besonders gut einbringen?

Rey: Als Soziokulturelle Animatorin muss ich vernetzen, auf Menschen zugehen können, Kontakte knüpfen. Ich denke, das ist mir auch während der Frauensession zugutegekommen. Nach der Session habe ich mich «empowered» und inspiriert gefühlt. Es ist toll, was man gemeinsam erreichen kann.

Abou Shoak: Kimberlé Crenshar, eine US-amerikanische Professorin, die sich auf institutionalisierten Rassismus im Recht und feministische Rechtstheorie spezialisiert hat, sagte einmal, dass wir die besten Lösungen für alle erhalten, wenn wir die Probleme aus Sicht der am meisten leidenden Personen lösen. Davon waren wir in der Frauensession meiner Ansicht nach weit entfernt und haben die Perspektive mittelständischer weisser Frauen ins Zentrum gestellt. Armutsbetroffene, Geflüchtete oder Menschen mit Behinderungen wurden oft nicht mitgedacht. Diese wollte ich vertreten.

Studhalter: Als Politikerin, Soziokulturelle Animatorin und Mensch hat mich die Motion zum Einwohner*innenstimmrecht besonders berührt. Dabei geht es um Inklusion und Diversität, also um Themen, für die ich mich auch in meinem Beruf engagiere. Für mich war das die wichtigste Forderung, welche von der Frauensession ans eidgenössische Parlament überwiesen wurde.

Frau Rey, welches war für Sie die wichtigste überwiesene Forderung?

Rey: Die Petition zur Gleichstellung im Alter. Dabei geht es auch um den Koordinationsabzug, der sich vor allem für Angestellte in Teilzeitarbeit – und das sind oft Frauen – bei der Pensionskasse nachteilig auswirkt. Es freut mich sehr, dass in der Wintersession 2021 der Nationalrat als Erstrat den Koordinationsabzug halbiert hat, was den Frauen entgegenkommt.

Und für Sie, Frau Abou Shoak?

Abou Shoak: Die Herausforderungen sind komplex und hängen alle zusammen; deshalb sind auch alle wichtig. Weil wir aber niemals alle gleichzeitig angehen können, stellt sich die Frage, welche dieser Anträge am wichtigsten und dringendsten sind, und da gehen die Meinungen auseinander. Aus meiner Sicht als Schwarze und muslimische Sozialarbeiterin mit einem klaren Menschenrechtsbezug ist die Forderung nach politischer Teilhabe von Einwohner*innen der Schweiz ohne Schweizer Staatsbürgerschaft eine sehr wichtige Forderung.

Was war Ihr ganz persönlicher Höhepunkt an der Frauensession?

Abou Shoak: So viele engagierte Menschen, wie zum Beispiel auch Caroline Rey, wiederzusehen oder neu kennenzulernen, zu entdecken, woran sie arbeiten, und uns gegenseitig zu feiern, zu inspirieren und Kraft zu tanken.

Rey: Das «Open Mic» am Abend. Man konnte über das Mikrofon des Nationalratssaals drei Minuten zu Themen sprechen, die zwar nicht auf der offiziellen Agenda standen, einem aber gerade unter den Nägeln brannten. Mandy zum Beispiel sprach in einem starken Auftritt über die Wichtigkeit von Solidarität und Zusammenhalt unter den Frauen, um mit vereinten Kräften Ziele zu erreichen.

Studhalter: Ich war am Freitagmorgen schon sehr früh im Bundeshaus. Draussen war es noch dunkel. Ich ging durch die Wandelhalle und blickte in den fast noch leeren Nationalratssaal hinein. Dort sah ich eine Freundin, die eben dabei war, ihren Platz zu beziehen. Ich konnte sie ungesehen beobachten. Sie sah sich staunend im Saal um und brach dann vor lauter Rührung, als gewählte Parlamentarierin hier Platz nehmen und mitreden zu dürfen, in Tränen aus.

Wenn Ihnen eine gute Fee einen Wunsch erfüllen würde, was würden Sie sich für die Frauen wünschen?

Studhalter: Es fällt mir ganz generell auf, dass oft Männer die Diskussionen dominieren. Ich würde mir wünschen, dass wir Frauen uns getrauen, unsere Stimme zu erheben und zu sagen, was wir wollen und wie wir es wollen.

Rey: Ich würde mir wünschen, dass wir endlich so weit sind, dass wir nicht mehr über Lohnungleichheiten bei Mann und Frau diskutieren müssten. Da wäre ich gerne optimistischer für die nähere Zukunft, als ich es derzeit sein kann.

Abou Shoak: Ich möchte mir von der guten Fee nicht nur für die Frauen etwas wünschen, sondern für die FINTA, also die Frauen, die Nichtbinären, die Agender-, Inter- und Transmenschen. Ich würde mir wünschen, dass es für sie Strukturen und Gefässe gibt, in denen sie voneinander lernen können, damit nicht jeder Mensch für sich immer wieder bei null starten muss. Es macht mich traurig, dass sie in der Schule immer noch die gleichen abwertenden Erfahrungen machen müssen wie ich damals vor 25 Jahren.

Frau Studhalter, Sie sitzen im Luzerner Parlament. Hat Ihnen die Frauensession Lust darauf gemacht, auf Bundesebene politisch tätig zu werden?

Studhalter: Ich bin schon seit zehn Jahren bei den Jungen Grünen politisch aktiv. Im Moment bin ich sehr glücklich mit meinem Mandat als Luzerner Grossstadträtin, weil ich mit den momentanen Mehrheitsverhältnissen im Rat vieles bewegen kann.

Und Sie, Frau Abou Shoak, Frau Rey, hat die Frauensession Ihre Lust auf ein politisches Amt geweckt?

Abou Shoak: Ich bin bereits politisch aktiv, nämlich im regionalen Vorstand des Berufsverbands Avenir Social und im Vorstand von Bla*Sh, einem Netzwerk von schwarzen Frauen in der Deutschschweiz. Parteipolitisch bin ich (noch) nicht tätig. Ich muss erst noch herausfinden, wo ich meine Stärken und Fähigkeiten am besten einbringen kann.

Rey: Ich politisiere in der SP und bin seit Kurzem Urnenbüropräsidentin in Luzern. In dieser Funktion leite ich bei Wahlen und Abstimmungen die Auszählung der Stimmen. 2020 habe ich für den Grossen Stadtrat von Luzern kandidiert, bin aber nicht gewählt worden. Ich könnte mir gut vorstellen, es noch einmal zu versuchen.

Interview Eva Schümperli-Keller


Mandy Abou Shoak (32) hat 2016 an der Hochschule Luzern den Bachelor in Soziokultur und kürzlich den Master in Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession abgeschlossen. Als selbstständige Diversitätsberaterin berät sie unter anderem aktuell das Schauspielhaus Zürich in der Produktion «Bullestress» zu Racial Profiling. Zudem arbeitet sie als Gastdozentin zu den Themen Rassismus, Sexismus und Adultismus – intersektional. Sie ist Social Entrepreneurin und Podcasterin und hat 2021 das Label «justhis» gegründet, das sich gegen institutionelle und strukturelle Formen der Diskriminierung engagiert.

Caroline Rey (34) hat nach ihrer Erstausbildung zur Schreinerin ein Soziokultur-Studium an der Hochschule Luzern absolviert und es 2016 abgeschlossen. Sie arbeitet bei LUNIQ.ch, einem Projekt für selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderung. Ausserdem ist sie Moderatorin für Medienkompetenz bei Pro Juventute sowie bei einem Programm gegen Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen, hat einen Lehrauftrag an der Höheren Fachschule für Gemeindeanimation und hilft bei einem Schreiner und in einem Café aus.

Irina Studhalter (28) studiert im 5. Semester Soziokultur an der Hochschule Luzern, nachdem sie zuvor ein Bachelor-Studium in Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Luzern abgeschlossen hat. Zudem ist sie bereits im fünften Jahr als Grossstadträtin der Jungen Grünen im Luzerner Stadtparlament. Nach Abschluss ihres Studiums möchte sie als Soziokulturelle Animatorin im Bereich Städteplanung arbeiten.

Dieser Artikel wurde am 14. Januar 2022 von Eva Schümperli-Keller verfasst und auf dem Soziokulturblog veröffentlicht.

Kommentare

1 Kommentare

Simone

Soziokulturelle Animatorinnen so präsent und so klug, wunderbar! Herzlichen Dank für diesen Blog-Text!

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