Soziokultur

Soziokulturelle Animation und Demokratie – Gedanken nach den US-Wahlen

Soziokulturelle Animation und Demokratie – Gedanken nach den US-Wahlen

Soziokulturelle Animation für Demokratiebildung

Hier in San Francisco – und um die ganze Welt verteilt – sind zurzeit viele Menschen sehr betrübt bezüglich des Wahlausgangs in den USA. Hier ist es sehr spürbar. Ich stehe sehr für demokratische Prozesse ein, doch die heutigen demokratischen Systeme sind schon sehr anfällig für Hass, Angst und Verdruss – in den USA wie in Europa. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten ging nicht abstimmen. Hillary Clinton wurde von über 55% der Jungen zwischen 18-29 gewählt, hat von 88% der African-American die Stimme bekommen und rund 65% der Hispanics haben sich für sie eingesetzt («Behind Trump’s victory: Divisions by race, gender, education», pewresearch.org). Die Volksmehrheit hat sich knapp, aber doch eindeutig für Hillary entschieden. Aber die Stände… die sprachen sich für Trump aus. Wir kennen das ja auch in der Schweiz – dass progressive Vorlagen am Ständemehr scheitern. Und das dann – wie auch bei uns – ein Stadt-Land Graben sichtbar wird, der grösste Gender-Gap seit 1972 (Frauen pro Hillary) und der grösste Bildungs-Gap seit 1980 (2/3 der weissen Amerikanerinnen und Amerikaner mit Highschool oder tieferem Schulabschluss sprachen sich für Trump aus).

Lucie, eine neue Schulfreundin, Tänzerin, Amerikanerin-Kroatin, weinte bitterlich. Für sie und ihre Freundinnen und Freunde ist es ein Schlag ins Gesicht. Sie haben Angst, dass sie ihre Krankenkassenversicherung (Obama-Care) wieder verlieren, zum ersten Mal überhaupt sind sie versichert. Sie haben Angst, dass sie von ihrem Kunstschaffen nicht mehr leben können, weil Kunstförderung unter dem neuen Präsidenten gestrichen wird. Sie haben Angst, weil sie alle verletzlich sind, in prekären Situationen leben, weil sie schwarz sind, LGBTI oder auch nur Frau sind. Die eine Angst schürt die andere. Was ist das für ein System?!

Unter Trump werden Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Islamophobie, Homophobie, Frauenfeindlichkeit wieder salon- und mehrheitsfähig. In den letzten drei Tagen gab es so viele solcher Attacken auf Einzelpersonen wie schon lange nicht mehr in der Geschichte der USA. Gegen Musliminnen mit Kopftuch, Schwule, Schwarze – alles im halböffentlichen Raum – in Schulen, Einkaufsläden, auf der Strasse, im public transport.

Wir brauchen eine Demokratie auf einer Basis der Gleichheit. Die Zugangsbedingungen sind zu ungleich verteilt. Zu wenig Bildung und Teilhabemöglichkeit prägen unsere westlichen Gesellschaften. Ich glaube, eine Demokratie ist erst dann stark, wenn eine Teilhabegerechtigkeit gegeben ist. Jetzt haben auch hier die Angstmacher gewonnen, jene die ihren kleinen (verletzlichen und vermeintlichen) ‹Vorsprung› vehement verteidigen – und das gewaltvoll! Zum Schutz der eigenen Familie, statt des Gemeinwohls.

Und deshalb braucht es uns Sozikulturelle Animatorinnen und Animatoren – es ist ja nicht nur in den USA so. Es ist ein Backlash, den wir auch in Europa kennen und der in vielen Teilen der Welt erkennbar ist. Es braucht uns, die im Kleinen zu mehr Verständigung beitragen. Damit wir Menschen nicht aus einer (oft unbenennbaren) Angst heraus die Welt verunstalten statt gestalten und den ‹Anderen› empathisch und solidarisch gegenübertreten können. Dieser Angst gilt es entgegen zu treten. Von Hannah Arendt, jüdische deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin, wurde ich kürzlich inspiriert, sie schrieb, dass es darum geht, das Gegenüber zu befragen, um zu verstehen wie jemand lebt und zu den jeweiligen Ansichten kommt. Aus welcher Erfahrung heraus spricht jemand? Was ist ihr/sein Standpunkt, woher ist dieser geprägt? Ich denke, daraus erkennen wir die roten Fäden, die Prägungen, die Ängste und Hoffnungen. Das bedingt, dass wir im Kontakt sind, die Geschichten der Menschen erfassen und dann damit arbeiten.

Ja, es braucht die Soziokulturelle Animation als Brückenbauerin mehr denn je! Demokratieentwicklung wurde immer von unten gemacht – es sind die sozialen und kulturellen Bewegungen die zu mehr Rechten führten (Sozialversicherungen, Frauenrechte, Kinderrechte, Civil rights, Alternativkultur, atomare Abrüstung, Umweltschutz, …) Es braucht uns als Mitdenkerinnen und Mitdenker und Mitgestalterinnen und -Gestalter in dieser Welt: Grassroot Movements, Communitybuilder, Soziokulturelle Animatorinnen.

Und es tut gut zu wissen, dass wir Viele sind, die viele Brücken bauen und zu Verständigung und Gemeinsinn beitragen.

Bildquelle: www.srf.ch/kultur/netzwelt/meme-des-jahres-2012/hurrikan-sandy-der-frankenstorm


von: Rahel El-Maawi

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