Vielfältige Wandlungsprozesse gehören zum Leben. Die Individualisierung, Globalisierung sowie der demografische Wandel wirken sich auf unser individuelles und gesellschaftliches Leben aus. Die Tatsache, dass sich eine Gesellschaft aus mehr älteren Menschen zusammensetzt, löst Angst aus. Diese Situation hat es seit Menschengedenken noch nie gegeben. Uns fehlen Erfahrungswerte und Modelle zur Orientierung, was uns zusätzlich verunsichert. Wie wollen, sollen, müssen wir mit den Herausforderungen umgehen? Es ist nötig, laufend auszuhandeln an welchen Werten und Normen wir uns orientieren. Eine Chance für die Soziokulturelle Animation, ihr professionelles Können anzuwenden. Mit ihrem Handeln, ihrer Rolle, ihren Kompetenzen und Methoden verbindet sie unterschiedliche Menschen und soziale Gruppen miteinander. So kann gemeinsam ausgehandelt und entschieden werden, was zu tun ist.
Die Soziokulturelle Animation orientiert sich an den Menschenrechten und verpflichtet sich dem Berufskodex der Sozialen Arbeit. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Menschen mit geringer Kapitalausstattung in allen Bereichen Zugang zu diesen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen haben. Mit der Ökonomisierung droht den Menschen mit geringer Kapitalausstattung zunehmend die soziale Isolation. Menschen werden immer mehr als Ware verstanden. Ihre Daseinsberechtigung wird an den erbrachten Leistungen gemessen. Solidarisches Denken und Handeln rückt in den Hintergrund und der einzelne Mensch trägt die alleinige Verantwortung für seine Situation, unabhängig der äusseren Einflüsse. Der Druck auf Menschen mit Einschränkungen wächst und die Ungleichheit, welche von Geburt an besteht, wird noch verstärkt. Die Grundrechte stehen jedoch allen Menschen alleine durch ihr Menschsein zu. Sie hängen nicht von den ökonomischen Werten ab. Für ältere Menschen ist eine Fokussierung auf die ökonomischen Werte ein Problem. Sie können ihre nachberufliche Phase, die bei guter Gesundheit solange dauert wie die Kindheit und Jugendzeit, nicht selbstbestimmt gestalten. Viele Angebote im Altersbereich richten sich an Menschen, die ihre Bedürfnisse artikulieren können, die über eine gute Bildung, viel Wissen und das nötige Kleingeld verfügen.
Die Vielfalt im Alter ist gross und es gibt nicht «die Alten». Für behinderte, migrierte, arme, bildungsschwache, kranke Menschen ist der Zugang zu den Angeboten im Alter ist erschwert. Hier ist die Soziokulturelle Animation aufgefordert zu intervenieren. Ihre gesellschaftliche Aufgabe ist es, die Teilhabe und Teilnahme zu fördern. Sich nicht an der Kapitalausstattung, sondern an den gemeinsamen Bedürfnissen zu orientieren wäre die Lösung. In der Praxis erweist sich dies schwieriger als gedacht. Viele der gängigen Partizipationsmethoden sind in der Altersarbeit ungeeignet. Sie sind auf grössere Gruppen zugeschnitten, und setzen Kommunikationsfertigkeiten und Selbstvertrauen voraus. Stellen Sie sich ein World-Café vor mit Menschen im Rollstuhl oder mit einem Rollator, Menschen, die nicht gut hören, sehen und nicht lange sitzen können. Sie behindern den Prozess und werden als Störfaktor wahrgenommen. Zudem werden ältere migrierte Menschen kaum erreicht. Viele von ihnen sind geblieben, obwohl ihr ursprünglicher Plan vielleicht war, spätestens nach der Pensionierung in ihre Heimat zurückzureisen. Ebenso die Menschen die ein Leben lang in Abhängigkeiten lebten und nie nach ihren Bedürfnissen befragt wurden. Ihr Ansehen ist gering, besonders wenn sie von staatlichen Zuschüssen abhängig sind. Selbst wenn sie an einem World-Café teilnehmen, würden sie in diesem Rahmen kaum wagen, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Hier sind ebenfalls neue Methoden, Modelle und Konzepte gefragt.
Die Soziokulturelle Animation ist gefordert sich an den Wandlungsprozessen zu orientieren und sich gleichzeitig weiter zu entwickeln. Viele Professionelle fühlen sich in ihrer Identität verunsichert. Sie orientieren sich nicht an der Aufgabe einen Ausgleich zu schaffen, unabhängig der Bereiche und Tätigkeitsfelder in denen sie sich bewegen. Einen Ausgleich zu schaffen wäre jedoch nötig. Dabei ist wichtig kritisch gegenüber der ökonomischen Logik zu sein wie auch die Besinnung auf die verschiedene Funktion und Rollen der Soziokulturellen Animation. In der Altersarbeit bedeutet dies, sichtbar zu machen, dass Alter(n) uns alle betrifft. Eine Bereichs- und Generationenübergreifende Zusammenarbeit kann sicherstellen, dass Menschen unabhängig von ihrer Kapitalausstattung in ihrer vertrauten Umgebung alt werden und sterben können. Wir dürfen nicht vergessen, dass Freiheit, Solidarität Gerechtigkeit und Gleichheit den sozialen Frieden sichern. Das ökonomische Kapital ist einer von vielen Faktoren, um die Menschenrechte zu verwirklichen.
von: Christa Schönenberger
Kommentare
6 Kommentare
Melanie Schneider
Ich finde, dass jeder, der sich in unserer Gesellschaft für andere einsetzt, oder etwas Positives für das gemeinschaftliche Miteinander bewirkt, vollste Anerkennung verdient hat. Gerade in der heutigen, schnelllebigen und egoistischen Zeit ist das selten. So bin ich auch ein großer Befürworter der soziokulturellen Animation. Schließlich wird hier nicht nur das Individuum per se berücksichtigt und somit dessen Persönlichkeit und Zugehörigkeitsgefühl gestärkt, sondern auch ein gemeinschaftliches Miteinander gefördert. Gerade bei älteren Menschen, die sich oft einsam und ausgegrenzt fühlen, ist eine solches Handeln förderlich. Ich persönlich finde auch die Wohnformen Wohnen gegen Hilfe und Demenz-WG super. Diese haben ja einen ähnlichen Hintergedanken wie die soziokulturelle Animation. Auch Seniorenheime reagieren inzwischen schon auf den demografischen Wandel. So werden die Angebote der Seniorenheime auch an die zum Teil „moderneren Bedürfnisse“ der Senioren angepasst und auch Maßnahmen ergriffen, gegen Krankheiten wie Demenz usw. vorzugehen. So zum Beispiel auch das Konzept der Demenz-Pflege: https://www.augustinum.de/pflege/demenz-pflege/betreuungskonzept-demenz/
Simone Gretler Heusser
Auch deshalb haben wir an der Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit Pro Senectute einen Fachkurs (Link auf www.hslu.ch/w104) erarbeitet, welcher neue Methoden der Soziokulturellen Animation thematisiert. Ebenso arbeiten wir gemeinsam an einem Leitfaden zu Partizipationsmethoden nicht nur für die gebildete Mittelschicht und an einem Raster betreffend Zugang zu Partizipationsanlässen.
Andrea Portmann
Als Soziokultur Studentin frage ich mich gerade, ob dieser Leitfaden mittlerweile existiert und ob er zugänglich ist? Mich würden Partizipationsmethoden für ältere, bildungsfernere, etc. Menschen sowie der Zugsangsraster sehr interessieren, gerade im Hinblick auf die kommende WiPo-Blockwoche.
Simone Gretler Heusser
Der hier angestrebte Leitfaden konnte bedauerlicherweise nicht entwickelt werden. Aber es gibt ganz brandneu einen Ersatz, nämlich Short Facts zu Aspekten, welche in Projekten im Kontext von altersgerechten Quartieren besonders beachtet werden sollten. Diese Short Facts beruhen auf Erkenntnissen aus der Praxis. Das PDF sollte in den nächsten Wochen veröffentlicht werden. Bitte erinnere mich doch daran, dann schicke ich es Dir gerne zu! Herzlichen Gruss, Simone
Christa Schönenberger
Als Soziokulturelle Animatorin bei Pro Senectute habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Methoden der Soziokultur noch verstärkt auf die unterschiedliche Kapitalausstattung und somit die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ressourcen angepasst werden müssen.
Claudia Michel
Was für ein einleuchtendes Beispiel: Die Methode des World Café ist auf kommunikative, mobile, sozial kompetente Menschen ausgerichtet. Das habe ich mir bisher so noch nie überlegt. Welche Methoden der soziokulturellen Animation sind denn speziell für ältere Menschen geeignet oder sogar für sie entwickelt worden? Herzlichen Dank, Claudia Michel
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.