Strassenkinder, klar, das sind die Ärmsten der Armen. Die Rechtlosesten der Rechtlosen. Die Verlorensten der Verlorenen. Doch zum Leben auf der Strasse braucht es auch Kompetenzen wie Risikobereitschaft, Solidarität und Sinn für Gerechtigkeit. Dies beleuchtet eine Studie aus Burkina Faso.
Gewiss, Strassenkinder werden um ihre Kindheit betrogen. Etwas zu essen bekommen sie höchstens einmal in der von Ordensschwestern geführten Suppenküche. Schulbildung ist ein Fremdwort. Es sei denn, man lebt zufällig dort, wo ein idealistischer Auswanderer gerade eine Schule errichtet hat. Manchmal, nicht so selten, meint es jemand nicht gut mit ihnen. Gewalt, Ausbeutung, Drogen und Not sind die Begleiter von Strassenkindern.
Bakoroman nennen sich die Kinder in den Strassen von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Das Wort ist ein Zusammenzug aus dem (abgekürzten) bakorogo und dem englischen man für Mensch. In der Sprache der Mossi bedeutet Bakorogo „das Draussen, der Busch“. In der in Burkina Faso ebenfalls verbreiteten Sprache Dioula heisst im Bakorogo sein „aufs Geratewohl leben, ohne den Schutz des Hauses oder der Familie“. Nicht jeder ist dafür gemacht. Die bakoroman Ouagadougous pendeln zwischen der Strasse, ihrer Familie und der Institution samusocialBurkinaFaso. Im Rahmen einer von der Nichtregierungsorganisation in Auftrag gegebenen ethnographischen Studie liessen Buben im Alter von rund zehn bis siebzehn Jahren das Forschungsteam an ihrem Alltag teilhaben. Auch Erwachsene kommen zu Wort. Sie sind für die Kinder wichtige Bezugspersonen.
Ein Lastwagenfahrer, schockiert darüber wie klein die Kinder sind, berichtet wie er wiederholt Kinder ein Stück mitnimmt und ihnen manchmal auch Geld für die Koranschule gibt. Ein Mann bietet den Bakoroman eine Waschgelegenheit und verschafft einem Jugendlichen einen Job in einer Metzgerei. Ein anderer richtet mit einem DVD-Player im Schatten eines grossen Baums einen Treffpunkt ein. Eine Frau nimmt einen Jungen in ihre Familie auf und stellt seinen gewalttätigen Vater bei Gelegenheit zur Rede. Die Bakoroman erfahren sich als Akteure ihres Lebens, fragen die Erwachsenen um Rat, treffen ihre Entscheidungen. Das Leben auf der Strasse erfordert Gewieftheit, Mut, gute Menschenkenntnis und Kommunikationskompetenz – dies gilt ganz besonders für Strassenkinder. Es wäre zu wünschen, dass internationale Organisationen ihren oft defizitären Blick erweitern und ihre Augen für die Fertigkeiten der Bakoroman und ihrer Wesensgenossen öffnen könnten.
Quelle: Garcia Sanchez, Pedro José; Le Méner, Erwan; Yaro, Ibrahim (2009). Les mondes des bacoroman. Etude interactionniste sur les enfants des rues à Ougadougou. Rapport pour le Samusocial Burdina Faso: Ouagagougou. Bakoroman
Dieser Artikel wurde am 7. September 2017 von Simone Gretler Heusser verfasst und auf dem Soziokulturblog veröffentlicht.
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