Erst gerade beschrieb Alain Schnetz in einem Blogbeitrag[1] die Prägung der Architektur in Tirana, Albanien, durch verschiedene gesellschaftliche Einflüsse: «Die verschiedenen Baustile sprechen für die vielen Einflüsse, welche das Land hinter sich hat: Die Besetzung durch das faschistische Italien, abgelöst von den Nazis, gefolgt von einer langen kommunistischen Diktatur und hin zu einem liberalen, kapitalistischen Wirtschaftsmarkt.»
Architektur war mein Wunschstudium nach der Lehre als Zimmermann. Und auch als die Erfahrungen des Zivildienstes mich zur Soziokulturellen Animation brachten, blieb die Architektur eines meiner Steckenpferde. Zum einen sagt die Architektur einer Stadt tatsächlich vieles über die Geschichte und Gegenwart der Stadt aus. Zum anderen, und das wurde und wird mir durch das Studium der Soziokulturellen Animation bewusst, beeinflusst die Art und Weise, wie Städte geplant und gebaut werden, auch die Bewohnenden einer Stadt. Martina Löw[2] hält fest, dass gesellschaftliche Strukturen in räumlichen Anordnungen manifestiert werden. Da sind die Slums und Reichenviertel in vielen Städten des Südens, da ist Paris, dessen breite und geraden Boulevards die militärische Macht von Napoleon III herausstrichen, da ist Chicago, wo alle Linien der Stadtbahn durchs Zentrum mit den Hochhäusern der Banken und Grosskonzerne führen, und nur eine in die armen Quartiere im Süden der Stadt.
Es gibt also Überschneidungen zwischen der physischen und der sozialen Stadt. Grundlegend scheinen sich daraus zwei Überlegungen zu ergeben. Kann man durch städtebauliche Interventionen das soziokulturelle Leben verändern? Ansätze dazu waren zum Beispiel das City-Beautiful-Movement in den USA oder die Gartenstadt in England . Oder aber: Kann man durch soziokulturelle Interventionen den Städtebau verändern? Und wenn ja, wie macht man das? Mit welcher Absicht und welchen Zielen macht man das? Diesen Fragen ging ich in meiner Bachelorarbeit nach. Und eine erste Antwort fand ich bald: Ja, das kann man.
Eine zentrale Annahme, die mich in der Arbeit leitete, stammt von Martina Löw, die beschreibt, dass Raum durch Erinnerungs-, Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozesse konstruiert werden. Woran wir uns erinnern, wie wir wahrnehmen und die Vorstellungen, die wir über Raum entwickeln, prägen Raum. Gerade hier setzen viele Methoden der Soziokulturellen Animation an. Das Quartierfest, die Projektwoche, die Quartierspionage, das Open-Air-Kino, die Kleidertauschbörse: All dies schafft Erinnerungsmomente, prägt Wahrnehmungen, hilft, Vorstellungen zu entwickeln. So wird die langweilige Kreuzung plötzlich zum Möglichkeitsraum. Wenn die Kreuzung umgebaut wird, haben die Projekte Erfolg, welche die soziale Konstruktion des Raums berücksichtigen und sich daran orientieren. Hier können wiederum Fachkräfte der Soziokulturellen Animation wichtige Aufgaben übernehmen: Sie gestalten und moderieren partizipative Prozesse, die die Erinnerungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen erst ans Licht und in Diskussion bringen. Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren unterstützen so partizipative Stadtentwicklung und damit Städte, die für und mit Menschen gebaut werden[3].
Allerdings werden Professionelle der Soziokulturellen Animation in partizipativer Stadtentwicklung selbst zu Akteurinnen und Akteuren. Sie haben ihre eigenen Erinnerungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen. Diese gilt es so weit wie möglich transparent und somit diskutierbar zu machen. Hier gibt es spannende Ansätze in Architektur und Design. Zudem ist Stadtentwicklung nicht nur ein politischer, sondern auch ein ökonomischer Prozess. Vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit von Entwicklungen müssen gerade Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren hier sehr genau hinschauen.
Letztendlich bin ich davon überzeugt, dass Stadtentwicklung ein Prozess ist, der viele Akteurinnen und Akteure einschliessen muss und deshalb inter- und transdisziplinär angelegt werden sollte. Es braucht also Personen, die vermitteln, übersetzen und moderieren können. In der Schweiz wohnen gemäss dem Bundesamt für Statistik[4] 73 Prozent der Bevölkerung in Städten und Agglomerationen, Tendenz zunehmend. Es gilt, diese Entwicklung möglichst nachhaltig zu gestalten, also ökologisch tragbar, ökonomisch beständig und sozial gerecht[5]. Es gibt viel zu tun, packen wir es an. Oder wie Alexa Bodammer[6] sagt: «Lass uns das machen!» – und zwar nicht so wie immer schon, sondern «so, wie wir das wollen».
[1] Zum Weiterlesen: Alain Schnetz. Albanien und was seine Architektur über das Land verrät.
[2] Zum Weiterlesen: Martina Löw, Silke Steets und Sergej Stoetzer: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie.
[3] Zum Weiterlesen: Jan Gehl: Städte für Menschen.
[4] Zum Weiterlesen: Jürg Sulzer und Martina Desax: Stadtwerdung der Agglomeration. Die Suche nach einer neuen urbanen Qualität.
[5] Zum Weiterlesen: Matthias Drilling und Olaf Schnur: Nachhaltige Quartiersentwicklung. Positionen, Praxisbeispiele und Perspektiven.
[6] Zum Weiterlesen: Alexa Bodammer. Innenentwicklung – Das wird jetzt so gemacht.
von: Johannes Küng
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