Unlängst zappe ich während des Fernsehens von einem Sender zum anderen und bleibe hängen. Dies ist der Moment, als Richard David Precht seinem Gast, dem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine seiner Thesen zum mangelnden Vertrauen von Menschen in die Politik erläutert: «Die Erwartung, die Menschen heute an Politik haben, hat sich extrem verändert. […] Die grossen Visionen, die unserer Gesellschaft in den letzten Jahren Veränderungen abgenötigt haben, waren technische Visionen. Und dieses technische Denken ist extrem ausgeprägt bei den allermeisten Menschen. […] Und das spiegelt sich darin wieder, dass Menschen von der Politik erwarten, dass sie Probleme löst.»
Ich stelle mir die Frage, was denn daran falsch sei, der Politik eine Problemlösungserwartung zuzuschreiben. Die Antwort darauf folgt sogleich. «Wir haben es mit Prozessen zu tun, die gar keine Probleme sind.» Richten wir unser Augenmerk auf die Situation zufluchtssuchender Menschen in Europa. Es wird von «Flüchtlingswelle» oder von «Flüchtlingskrise» gesprochen und geschrieben. Aus konstruktivistischer Perspektive haben wir es hier mit einem Problem zu tun, da es als solches definiert wird. Doch ist es aus derselben Perspektive auch möglich, die Situation anders zu werten. Wer hat die Definitionsmacht? Wer ist die Gesellschaft? Was trägt die Soziokulturelle Animation in dieser Debatte bei? Könnte es auch sein, dass die Situation von Zufluchtssuchenden in Europa einen Prozess darstellt, der nicht nach Lösungen schreit, sondern begleitende Massnahmen erfordert?
Es ist eine Tatsache, dass Menschen in Europa Zuflucht suchen. Es ist eine andere Tatsache, dass Europa (auch die Schweiz) seinen Wohlstand auf Kosten anderer aufgebaut und ausgebaut hat. Nun suchen Menschen Zuflucht. Gleichzeitig haben Menschen der Aufnahmegesellschaft Ängste und/oder Hoffnungen. Entsprechend reagieren sie ablehnend. Ja, was hier vor sich geht, ist ein gesellschaftlicher Prozess. Wenn dieser Prozess kein eigentliches Problem ist, kann auch kein Problem gelöst werden. Nach Precht hat die Politik keine Probleme zu lösen, sondern gesellschaftliche Prozesse zu gestalten.
Den Auftrag, gesellschaftliche Prozesse zu begleiten ist eine der Kernaufgaben der Soziokulturellen Animation. Dabei bin ich der Ansicht, dass es längerfristig darum geht, sich von der allgegenwertigen Problemlösungsperspektive abzuwenden, hin zu einem konstruktiven Beitrag an die Gesellschaft. Leider fordert die Politik von der Sozialen Arbeit und der Soziokulturellen Animation weiterhin die Lösung vermeintlicher Probleme und setzt diese damit unter Legitimationsdruck – nicht zuletzt auch durch Sparprogramme.
Deshalb geht es darum, neue Wege und Argumentationen zu finden, die sowohl der Politik als auch der Soziokulturellen Animation den Legitimationsdruck nehmen und letztendlich den gesellschaftlichen Prozess in den Fokus rückt.
Bildquelle: https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/achtung-europa-100.html
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