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Telefon gegen Gewalt

Telefon gegen Gewalt

Am 15. September 2022 wurde Soziokultur-Studentin Nahid Haidari mit dem Student Award für ihren Einsatz für das Flüchtlingsparlament geehrt. Auch wenn jeweils nur eine einzige Person ausgezeichnet werden kann, lohnt sich ein Blick auf andere nominierte Projekte. Hier stellen wir Tatjana Nikolic vor, die mit dem «Telefon gegen Gewalt» gewaltbetroffenen Frauen eine Anlaufstelle bietet – und zwar explizit über das Wochenende, wenn andere Angebote schwer erreichbar sind.

Tatjana Nikolic (25) studiert Sozialpädagogik an der Hochschule Luzern. Daneben engagiert sie sich ehrenamtlich beim «Telefon gegen Gewalt», das sie mitinitiiert hat. Es dient gewaltbetroffenen Frauen* von Freitagabend mit Montagmorgen als erste Anlaufstelle, wenn andere Angebote nicht erreichbar sind. Denn eine 24-Stunden-Hotline fehlt bislang in der Schweiz.

*Das Angebot ist nicht nur für Frauen, sondern für alle FLINT-Personen. Der Begriff «FLINT» steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre und Transpersonen.

Tatjana Nikolic, wieso braucht es das «Telefon gegen Gewalt»?

Noch immer stellt Gewalt – besonders häufig in der Familie und in Beziehungen – eine ernsthafte Bedrohung für Leib und Leben von Frauen dar. Zwar gibt es in der Schweiz Beratungsstellen, diese sind jedoch – abgesehen von Polizei und Frauenhaus – nur zu Bürozeiten erreichbar. Das ist ein grosses Problem, denn für Gewaltbetroffene wäre es enorm wichtig, dass sie sich rund um die Uhr Unterstützung holen können.

Während der Corona-Pandemie ist der Bedarf zusätzlich gestiegen, und so haben wir – ein Kernteam von zwölf Frauen – das «Telefon gegen Gewalt» auf die Beine gestellt. Es ist keine Beratungs-, sondern eine Erstanlaufstelle, wo die Betroffenen ein offenes Ohr und weitere Informationen zu Unterstützungsangeboten finden. Mit dieser Arbeit bekämpfen wir den Missstand, dass es hierzulande noch immer keine 24-Stunden-Hotline für gewaltbetroffene Frauen gibt, obwohl das die Istanbul-Konvention vorsieht, welche die Schweiz 2018 in Kraft gesetzt hat.

Wie viel Zeit setzen Sie für dieses Engagement ein?

Am Wochenende übernehme ich je nach Kapazität eine Hotline-Schicht. Die erste dauert von Freitag- bis Samstagabend, die zweite von Samstag- bis Sonntagabend. Die Schicht von Sonntagabend bis Montagmorgen um acht Uhr teilen wir je nach Kapazität unter den Diensthabenden auf. Das bedeutet, dass sich eine Schicht an einem Wochenende über 24 Stunden hinziehen kann.

Die Telefonschichten müssen nachbearbeitet werden: Wir dokumentieren die Fälle und erledigen Administratives. Hinzu kommt politische oder aktivistische Arbeit. Alle zwei Wochen treffen wir uns im Kernteam; diese Sitzungen dauern in der Regel um die zwei Stunden. Ausserdem bin ich im Medienteam tätig und zuständig für Instagram. Ich investiere viel Freizeit in das «Telefon gegen Gewalt», weil es mir ein grosses Anliegen ist.

Hilft Ihnen das im Studium Gelernte dabei?

Vieles, was ich im Studium, aber auch im Praktikum gelernt habe, hilft mir: die Herangehensweise an Problemstellungen, das Wissen über Gesprächsführung und Deeskalation, das Verständnis für herausfordernde Lebenssituationen und den Umgang damit, die gesetzlichen Grundlagen, die Abläufe und das Strukturieren von Sitzungen oder auch, dass ich Angebote kenne, an die ich die Frauen weitervermitteln kann.

Was haben Sie persönlich durch Ihr freiwilliges Engagement gelernt?

Mir ist bewusst geworden, dass man über genügend Ressourcen verfügen muss, um Freiwilligenarbeit zu betreiben. Gratis zu arbeiten, bedeutet, genügend Zeit zu haben und finanziell abgesichert zu sein. Ehrenamtliches Engagement ist also abhängig von Privilegien.

In der Sache habe ich verstanden, wo das Problem der Gewalt gegen FLINT – also Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, Transgender-Menschen – liegt: Das System ist patriarchalisch, die Gewalt strukturell bedingt. Die Istanbul-Konvention, welche die Schweiz ratifiziert hat, benennt Gewalt an Frauen sowie Femizide explizit als gesellschaftliche Probleme und strebt einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft an. Mir scheint, noch fehlen oft das Feingefühl für rassistische und sexistische Strukturen sowie der Wille, dagegen vorzugehen. Es gibt wenig Sensibilisierungsarbeit, die Berichterstattung in den Medien ist oft verharmlosend: Man spricht von «Beziehungsdrama» statt von «Femizid» und gibt dem Opfer eine Mitschuld.

Es gibt also noch viel zu tun. Aktuell ist die grösste Herausforderung für uns, Betroffene zu erreichen und unsere Hotline-Nummer jenen Personen bekannt zu machen, die sie brauchen.

Von Eva Schümperli-Keller
Veröffentlicht: 16. Februar 2023

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