Personen, die Sozialhilfe beziehen, haben überdurchschnittlich häufig gesundheitliche Beeinträchtigungen. Eine wachsende Zahl hat dennoch keinen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. Sie sind «zu krank für den Arbeitsmarkt aber zu gesund für die IV». Diesen Herausforderungen nahm sich die Luzerner Sozialhilferechtstagung vom 16. März 2023 an. Die Vorträge von Marc Höglinger und Karin Anderer lieferten wichtige Erkenntnisse zu diesem Thema.
Der grosse Andrang auf die Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht sprach für sich. Unter dem Titel «Krank in der Sozialhilfe» beleuchtete die Veranstaltung ein Thema, das die Fachwelt bewegt. Sozialhilfebeziehende sind häufig von gesundheitlichen Beschwerden betroffen. Dabei ist das Sozialhilferecht im Krankheitsfall nicht immer einfach zu handhaben.
Schlechter Gesundheitszustand von Sozialhilfebeziehenden
Marc Höglinger, Forscher und Dozent an der ZHAW, präsentierte die nationale Studie «Gesundheit von Sozialbeziehenden». Die Studie, welche für die Schweiz wichtige Forschungslücken schliesst, zeigt vor allem eines deutlich: Krankheit in der Sozialhilfe ist eher die Regel als die Ausnahme. Höglinger sprach von einem «systematischen Problem», das auch ein systematisches Handeln erfordere.
Personen mit Sozialhilfebezug sind übermässig stark von gesundheitlichen Risiken und Beschwerden betroffen. Fast die Hälfte leidet unter chronischen Erkrankungen. Bestimmte Erkrankungen treten im Vergleich signifikant häufiger auf, allen voran Depressionen. Zum Untersuchungszeitpunkt litten Sozialhilfebeziehende mit 25% gleich fünfmal mehr an Depressionen als die Allgemeinbevölkerung. Bemerkenswert ist, dass dieser Unterschied nicht durch die geringeren sozioökonomischen Mittel von Sozialhilfebeziehenden allein erklärt werden kann, da Personen mit niedrigem Haushaltseinkommen, aber ohne Sozialhilfebezug, nicht im selben Ausmass betroffen sind.
Das CAS Soziale Sicherheit nimmt konkrete Lebenssituationen von Klient:innen als Ausgangspunkt, wie etwa eine Krankheit oder ein Unfall. Fachpersonen sind aufgefordert, in solchen Situationen individuell angepasste und optimale Lösungen zur Existenzsicherung zu entwickeln.
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Insgesamt liefert die Studie nicht nur empirische Belege für die Praxis. Sie wirft auch zahlreiche neue Fragen für das professionelle Handeln auf. Wie ist es zum Beispiel möglich, dass fast ein Fünftel der Sozialhilfebeziehenden eine notwendige zahnärztliche Behandlung aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch nimmt, obwohl die Kosten von der Sozialhilfe zu tragen wären? Ist das Verlangen einer vorgängigen Kostengutsprache zu hochschwellig und führt zu zusätzlichem Stress? Besteht Unklarheit über den Begriff der notwendigen medizinischen Leistung? Bedürfen Klient*innen einer wiederholten Aufklärung? Müssen Sozialarbeitende zur Förderung des Gesundheitsverhalten viel proaktiver beraten?
Abgrenzungsschwierigkeiten & ungenügende Arztzeugnisse
Diese Fragen griff auch die Pflegefachfachfrau, Sozialarbeiterin und Juristin Karin Anderer auf. In ihrem Referat setzte sie sich mit zentralen rechtlichen Fragestellungen zur Gesundheit in der Sozialhilfepraxis auseinander. An der aktuellen Rechtsprechung zeigte Anderer auf, wie herausfordernd bereits die Anrechnung der Gesundheitskosten sein kann. So bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Leistungen, die aus dem pauschalisierten Grundbedarf zu begleichen sind, und Leistungen, die zusätzlich und situationsbedingt zu vergüten sind. Ist die Zuordnung der Kosten nicht klar, ist für Klient*innen nicht sicher, inwieweit sie getätigte Ausgaben zurückerhalten.
Grundsätzlich bildet die pflichtgemässe Ermessensausübung, wie in allen Bereichen der Sozialhilfe, einen wichtigen Anspruch an die Praxis. Zudem wiess Karin Anderer darauf hin, dass die Akzeptanz von allgemein gehaltenen Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, sogenannte «Arztzeugnisse auf unbestimmte Dauer», Klient*innen letzten Endes nicht zugutekommt. Um die Eingliederung zielgerichtet fördern zu können, benötigen Sozialarbeitende in der Regel spezifische Angaben über die psychische und körperliche Leistungsfähigkeit. Nur so können sie beurteilen, ob beispielsweise ein tagesstrukturierendes Angebot geeignet ist, um die gesundheitliche Situation zu stabilisieren. Für schnelle Hilfe und Orientierung im Arbeitsalltag empfiehlt Karin Anderer unter anderem die Webseite der Versicherungsmedizin Schweiz. Weitere praktische Tipps zum Umgang mit Arztzeugnissen finden Sie in den Tagungsunterlagen.
Und nun – wie weiter?
Das Motto könnte lauten: Proaktiver handeln! Das Rad muss jedoch nicht neu erfunden werden. Hinsehen, ansprechen, anregen sowie Verständlichkeit und Niederschwelligkeit sind altbekannte, aber wegweisende Massnahmen, um Klient*innen zu entlasten. Auch wenn die Sozialhilfepraxis die «Aufgabe Gesundheit» nicht allein bewältigen kann, kann sie auf diese Weise dennoch viel tun.
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Weitere Weiterbildungen:
Von Anna Wildrich-Sanchez
Veröffentlicht: 12. April 2023
Kommentare
1 Kommentare
Ronald
Darf mir das Sotzialamt das Buget kürzen im Monat für Zug Essen und Intrazionszuschlag trotz Arztzeugniss
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.