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Sozialhilfeschulden: Warum Familien zögern, Hilfe in Anspruch zu nehmen

Sozialhilfeschulden: Warum Familien zögern, Hilfe in Anspruch zu nehmen

Wenn Familien eine sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) benötigen, kostet das durchschnittlich 18’000 Franken. Eltern entscheiden sich deshalb oft gegen die Hilfe, obwohl es die Wohngemeinde finanzieren würde. Das Forschungsteam unter der Leitung von Marius Metzger untersucht den Einfluss der Rückerstattungspflicht und der Elternbeiträge auf die Familien und deren Entscheidungen.

Die Studie «Finanzierung der Sozialpädagogischen Familienbegleitung in der Schweiz: Wirkungen der Rückerstattungs- und Beitragspflicht» zeigt, dass die Verpflichtung zur Rückerstattung und hohe Elternbeiträge Familien davon abhalten können, eine Familienbegleitung in Anspruch zu nehmen. Die meisten Familien können sich die Sozialpädagogische Familienbegleitung nicht leisten und sind zu deren Finanzierung auf Sozialhilfe angewiesen. Insbesondere finanzschwache Familien werden durch die Rückerstattungspflicht abgeschreckt. Die Studie schlägt vor, entweder die Rückerstattungspflicht abzuschaffen oder die Finanzierung aus der Sozialhilfe herauszulösen.

Viele Familien sind finanziell nicht in der Lage, die jährlichen Kosten von durchschnittlich 18’000 Franken für SPF aus eigener Tasche zu zahlen. Wenn sie das Angebot in Anspruch nehmen möchten, müssen sie sich verschulden. Marius Metzger weist darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass diese Familien jemals in der Lage sein werden, ihre Sozialhilfeschulden zurückzuzahlen. «Aber dennoch gilt, dass niemand gerne Schulden macht, und dann noch in dieser Höhe. Das sind wahnsinnig grosse Beträge für Familien, die ohnehin schon am finanziellen Limit sind.»

Rückerstattungspflicht und ihre Auswirkungen

In verschiedenen Schweizer Kantonen müssen Eltern die Kosten von SPF rückerstatten, die durch gemeindeeigene Sozialhilfe finanziert wurden. Die Forschenden der Studie konzentrierten sich auf diese Kantone und führten Interviews mit Fachpersonen des Sozialdienstes durch, um herauszufinden, ob die Rückerstattungspflicht Familien von der Nutzung von SPF abschreckt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Familien, die bereits von der Sozialhilfe abhängig sind, sich nicht von zusätzlichen Sozialhilfeschulden abschrecken lassen. Im Gegenteil: Sie sind motivierter, SPF zu nutzen, da sie das System kennen und bereits verschuldet sind.

Für finanzschwache Familien, die bisher ohne Sozialhilfe ausgekommen sind und SPF in Anspruch nehmen müssten, stellen die finanziellen Belastungen eine Hürde dar. Die Hemmschwelle, sich wegen der Finanzierung an die Sozialhilfebehörde zu wenden, ist hoch. Die Stigmatisierung finanzieller Probleme spielt hier ebenfalls eine Rolle.

Die Versuche, die Ängste zu mindern

Fachpersonen der Sozialen Arbeit versuchen, die Angst vor Verschuldung zu mindern, indem sie die Rückerstattungspflicht relativieren. Sie erklären den Klienten:innen, dass diese Rückzahlung nur selten angewendet wird, zum Beispiel bei einem Sechser im Lotto oder einer Erbschaft. Dies funktionierte jedoch nicht bei allen Familien. Insbesondere bei Migrantenfamilien funktioniert es in vielen Fällen nicht, da Schulden dem Migrationsamt gemeldet werden könnten. In der Praxis geschieht dies jedoch nur selten.

Verlustaversion: Höhe der Kosten und der wahrgenommene Nutzen

Die Studie erklärt, warum einige Familien auf die Inanspruchnahme der Sozialpädagogischen Familienbegleitung aufgrund hoher Kosten verzichten. Dies wird sowohl durch Stigmatisierungstheorien als auch das Konzept der «Verlustaversion» erklärt. Die Verlustaversion besagt, dass Menschen drohende Verluste stärker gewichten als mögliche Gewinne und das beeinflusst die Entscheidungsfindung. Eltern setzen den Verlust ihrer finanziellen Unabhängigkeit mit den potenziellen Verbesserungen für ihre Familie in Beziehung und stellen fest, dass der Verlust schwerer wiegt, als der eher abstrakte Gewinn ihnen bringt.

Insgesamt zeigt die Forschung, dass die finanziellen Aspekte der SPF-Nutzung für viele Familien eine erhebliche Hürde darstellen. Weitere Ausführungen zu dieser Studie und andere interessante Studienergebnisse zur Sozialpädagogischen Familienbegleitung finden sich im eben vom Fachverband Sozialpädagogische Familienbegleitung Schweiz herausgegebenen Buch «Wenn Familien wanken und Kinder leiden».

Von: Roger Ettlin
Bild: Adobe Stock
Veröffentlicht: 8. November 2023

Marius Metzger

Prof. Dr. Marius Metzger

Marius Metzger ist Dozent und Projektleiter sowie Verantwortlicher des Kompetenzzentrums Erziehung, Bildung und Betreuung über die Lebensalter hinweg.

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Kommentare

1 Kommentare

Vifian

Interessante Zusammenfassung. Was mir fehlt, sind die nicht finanziellen Probleme derjenigen, die eine Sozialpädagogische Familienberatung in Anspruch nehmen müssen (Anordnung durch KESB). Diese Personen kennen i.d.R. die Möglichkeiten sich zu wehren nicht und sind auch nicht in der Lage juristischen Beistand zu bezahlen. Für sie gilt: die KESB entscheidet, die Berufsbeistandschaft organisiert und setzt durch, das Sozialamt bevorschusst die Kosten und die Betroffenen müssen, zumindest im Kanton Thurgau, die SPF-Kosten zurückbezahlen. Wer sich wegen der Kosten wehrt, wird von der KESB mit den Worten "das Kindswohl hat Vorrang vor den Kosten" abgewehrt. Mag ja stimmen, führt aber in der Familie wegen der sehr hohen SPF-Kosten zu einem Problem. Nicht nur finanziell, nein auch untereinander. Ein zweiter Punkt, den ich vermisse, sind Hinweise zu den Steuern wenn SPF-Kosten retour bezahlt werden. Können diese von der Steuer abgesetzt werden?

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