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Wohnen: auf vielfältige Weise mit Sozialer Arbeit verknüpft

Wohnen: auf vielfältige Weise mit Sozialer Arbeit verknüpft

Ums Wohnen in der Schweiz steht es nicht gut. Besonders ernst ist die Lage in den Städten, wo die Leerstandsquote teilweise bereits unter einem Prozent liegt und die Mieten förmlich explodieren. Der Bedarf nach zusätzlichen und insbesondere bezahlbaren Wohnungen ist enorm. Die Frage ist bloss: Wie erreicht man das? Und ist unser allgemeines Verständnis von Wohnen eigentlich nicht zu eng?

Antworten auf hochaktuelle Fragen wie diese lieferte die Fachtagung «Wohnen für alle», die kürzlich an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit stattfand. Der Anlass unter der Leitung der Expertinnen Ulrike Sturm, Stephanie Weiss und Miriam Meuth war hochkarätig besetzt mit Vertreter:innen des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO), des Schweizerischen Städteverbands und einem Gast aus den Niederlanden, der einen Blick über die Landesgrenzen hinaus gewährte.

Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf

Miriam Meuth führte ins Thema ein mit ihrem inhaltlich übergeordneten Referat über das Wohnen als inter- und transdisziplinäres Handlungsfeld. Die Projektleiterin der HSLU und Co-Leiterin des MAS Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema und zeigte in ihrer Keynote auf, wie vielschichtig der Gegenstand ist: Wohnen bedeutet viel mehr, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Daher sei für ein umfassendes Verständnis des Themas zu plädieren, abseits alltäglicher, enger und normativer Vorstellungen.

Eigentlich ein Menschenrecht und wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe, wird Wohnen hierzulande lediglich als Sozialziel ausgelegt, das nicht einklagbar ist. Zudem funktioniere die übliche Marktlogik von Angebot und Nachfrage in diesem Fall nicht: «Wohnungen sind keine Joghurts», so Meuth. Zudem müsse Wohnen zwingend interdisziplinär betrachtet werden. In ihrem Vortrag zeigte sie auf, dass viele Handlungsfelder der Sozialen Arbeit mit Wohnfragen verbunden sind: etwa Betreutes Wohnen in Heimen und WGs, prekäre Wohnsituationen, Obdachlosigkeit, Belastungen durch Wohnungskündigungen und Verdrängung, Wohnen im Alter, Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigung, Quartierarbeit und vieles mehr. Es sei somit sinnvoll, die Soziale Arbeit bei Planungs- und Entwicklungsprojekten laufend mit einzubeziehen. In Anlehnung an Roland Anhorn, Elke Schimpf und Johannes Stehr sei eine «Politik der Verhältnisse statt des Verhaltens» gefragt.

Meuth schloss ihren Vortrag mit dem Hinweis darauf, dass die Wohnfrage als soziales Thema wiederkehrend sei. Ein Blick in die Vergangenheit sei daher für das Verständnis der aktuellen Situation zentral, so die Expertin.

Vernetzte Herangehensweise nötig

Angesichts der aktuellen Krise scheint es offensichtlich, dass Massnahmen notwendig sind, um den Druck auf die Mietenden zu senken. Der Markt allein schafft es nicht. Aber welche? Braucht es Programme zur Mietkontrolle oder staatliche Anreize für Bauunternehmen und Investor:innen, damit diese sich beim Bau von Wohnraum nicht nur an der Rendite orientieren? Wirken Regulierungen überhaupt? Und wie löst man den Zielkonflikt, hochwertig und bedarfsgerecht zu bauen, aber gleichzeitig nicht zu teuer?

Multiple Krisenlage

Marie Glaser, Mitglied der Geschäftsleitung des BWO, stellte in ihren Ausführungen zur aktuellen Situation eine «multiple Krisenlage» fest. Es sei schlimm genug, dass viele Leute während der Pandemie auf ihr Erspartes zurückgreifen mussten. Heute seien sie zusätzlich mit Teuerung, Energiekrise, steigenden Prämien und steigenden Mieten konfrontiert. Mit besorgniserregenden Folgen: Vor kurzem habe sie als Stiftungsratsmitglied der Stiftung Domicil, die in der Stadt Zürich Wohnungen für benachteiligte Menschen vermittelt, erfahren, dass es im günstigen Preissegment von Domicil keine Wohnungen mehr gäbe.

Erschwingliches Wohnen ist aber nicht nur ein Problem für einkommensschwache Haushalte; das Problem hat längst den Mittelstand erreicht. BWO-Direktor Martin Tschirren wies darauf hin, dass der Bundesrat erst kürzlich zu einem Runden Tisch eingeladen habe, um auf die Krise zu reagieren. Es sei entscheidend, dass alle relevanten Akteur:innen ihren Beitrag leisten, einschliesslich Kantone, Gemeinden, Bauunternehmen und Investor:innen. Ansonsten, so Tschirren, stosse man an Grenzen, zumal viele Zuständigkeiten gar nicht direkt beim Bund lägen. «Um diesen Supertanker auf den Weg zu bringen, braucht es das Engagement von allen.»

Tagung Wohnen für alle
Wohnen für alle Tagung
Tagung Wohnen für alle
Wohnen für alle Tagung

Bessere Rahmenbedingungen für Gemeinde und Städte

Monika Litscher vom Schweizerischen Städteverband plädierte für einen Wertewandel. Die Trennung zwischen Wirtschaft und Sozialem sei nicht zielführend. Es brauche in den Städten Wohnraum für alle, die gesellschaftliche Vielfalt müsse reflektiert werden. Entsprechend forderte die Vizedirektorin des Verbands bessere Rahmenbedingungen für Städte und Gemeinden, damit diese als wichtige Akteur:innen aktive Wohnungspolitik betreiben können. Da die öffentliche Hand oft zu wenig Grundbesitz habe, müsse den Städten ein Vorkaufsrecht für Liegenschaften gewährt werden, damit diese erschwinglichen Wohnraum fördern und somit langfristig stabile Verhältnisse schaffen können.

Eine unzureichende Wohnraumversorgung – auch dies eine zentrale Erkenntnis der Tagung – beeinträchtigt die wirtschaftliche Entwicklung, indem sie Verdrängungseffekte auslöst und die Kosten für Infrastruktur, Pendelverkehr und individuelle Problemlagen in die Höhe treibt. Standortförderung müsse zwingend mit Wohnraumförderung einhergehen, sonst sei sie nicht nachhaltig.

We are all in this together

Auch die Niederlande sind akut von Wohnungsmangel betroffen, so Richard Derksen in seiner Keynote. Gegensteuer bietet laut dem Direktor der Arbeitsgruppe «Een thuis voor iedereen» [ein Haus für jede:n] ein nationaler Aktionsplan, der in den nächsten Jahren den Bau einer Million Wohnungen vorsieht. Einer vielfältigen, generationsübergreifenden Mieterschaft mit preisgünstigen Lösungen für Betagte, Benachteiligte oder für Studierende gelte ein besonderes Augenmerk. Zuvor seien Politik und Verwaltung fragmentiert gewesen, es habe wenig Förderung von preisgünstigem Wohnungsbau gegeben und auch interdisziplinäre Fragen etwa zu Gesundheit und Sozialem seien zu wenig bedacht worden. Dies habe sich inzwischen geändert. Die Krise sei ein breit anerkanntes Problem, so Derksen, weshalb alle Akteur:innen, private wie öffentliche, in den Plan einbezogen würden: «We are all in this together.» Obwohl die planerischen Rahmenbedingungen anders sind in den Niederlanden, boten sich doch zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Wohnpolitik in der Schweiz.

Rückblickend ist klar: Es braucht eine umfassende Strategie, die sowohl kurzfristig zur Linderung der Situation beiträgt als auch langfristig die Schaffung eines nachhaltigen und gerechteren Wohnungsmarktes ermöglicht. Am besten unter laufendem Einbezug der Sozialen Arbeit.

Abgerundet wurde der Anlass mit einem brillanten Schlusswort der Projektleiterin Rebekka Ehret. Sie brachte die in den Referaten und Workshops gewonnenen Erkenntnisse mit dem Akronym WOHNEN elegant auf den Punkt:

  • W = Wohnen
  • O = Ohne (D. h. ohne Steuerung geht es nicht.)
  • H = Haus, Housing
  • N = Nachhaltigkeit
  • E = Emotionen (Wohnen habe althochdeutsch mit Wonne (!) zu tun.)
  • N = Nachfrage

Von: Anette Eldevik
Bild: Adobe Stock
Veröffentlicht am: 15. Mai 2024

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