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Eine Stimme für Menschen, die sonst keine haben

Eine Stimme für Menschen, die sonst keine haben

Soziokultur-Studentin Nahid Haidari gibt Flüchtlingen eine Stimme. Und zwar mit ihrem ehrenamtlichen Einsatz für das Flüchtlingsparlament. Am 15. September 2022 wurde sie dafür mit dem Student Award for Excellence ausgezeichnet. Ein Interview mit der Preisträgerin über ihre Arbeit, ihren Antrieb und Geflüchtete als Expert*innen in eigener Sache.

Nahid Haidari (25) hat selbst Fluchterfahrung. Sie kam 2012 in die Schweiz, studiert heute im 5. Semester Soziokultur und wird ihre Ausbildung voraussichtlich im September 2023 abschliessen. 2021 engagierte sie sich als Freiwillige und Kommissionsvorsitzende bei der Ideenfindung und Umsetzung des ersten Flüchtlingsparlaments der Schweiz. Durch dieses erhalten geflüchtete Menschen in der Schweiz, die nicht stimm- und wahlberechtigt sind, die Möglichkeit, ihre Anliegen in die Politik einzubringen. Im Mai 2022 war Haidari als Mitorganisatorin und Koordinatorin des zweiten nationalen Flüchtlingsparlaments tätig und übernahm neben anderen Aufgaben auch die Rolle der Moderatorin.

Nahid Haidari, wieso braucht es das Flüchtlingsparlament?

In der Integrationspolitik der Schweiz fungieren Geflüchtete oft eher als Objekt und weniger als Subjekt. Es wird vor allem über sie statt mit ihnen gesprochen, obwohl sie durch ihre persönlichen Erfahrungen viel zur Diskussion über Integration beizutragen hätten. Das Flüchtlingsparlament als Unterprojekt von «Unsere Stimmen» will, dass Geflüchtete am öffentlichen Diskurs teilnehmen können. Sie sollen als Expert*innen ihrer eigenen Sache wahrgenommen werden, ihre Erfahrungen mit der Integration in die Diskussion mit Entscheidungsträger*innen einbringen, Missstände aufzeigen und mithelfen, sie zu verbessern.

Flüchtlingsparlament Schweiz Nahid Haidari
Einmal im Jahr findet die Nationale Flüchtlingssession in Bern statt (Session vom 8. Mai 2022 im Rathaus in Bern).

Und weshalb ist es wichtig für die Gesellschaft?

Sind Entscheidungstragende nicht an den Forderungen der Geflüchteten interessiert, passieren Veränderungen unglaublich langsam. Das frustriert viele Geflüchtete. Wir brauchen eine Balance zwischen «kurzfristig-pragmatischen» und «langfristig-utopischen» Forderungen, sodass Verbesserungen schneller geschehen und sowohl für die Öffentlichkeit wie auch für die Betroffenen sichtbar werden. Der Weg zum Ziel ist das Empowerment. Mit dem Flüchtlingsparlament, der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit und der Berichterstattung in den Medien können die betroffenen Personen selbst auftreten, ihre Stimme erheben und die Bevölkerung für ihre Anliegen sensibilisieren. Ein weiteres Ziel ist, dass die Gesellschaft geflüchtete Menschen positiver wahrnimmt.

Wie viel Zeit setzen Sie für Ihr freiwilliges Engagement ein?

Der Aufbau persönlicher Beziehungen wird bei «Unsere Stimmen» sehr geschätzt. Deshalb bin ich im Rahmen verschiedener Projekte in ständigem Kontakt mit unseren freiwillig engagierten Geflüchteten und pflege einen engen Kontakt zu ihnen. Die Herausforderung dabei ist, dass ich meine private Telefonnummer benutze. Die ständige Verfügbarkeit für das Team und die Geflüchteten ist für mich vor allem während Vorlesungen und in meiner Freizeit herausfordernd. Ich versuche, mich durch transparente wertschätzende Kommunikation abzugrenzen. Jedoch geht diese Strategie oft nicht so gut auf und ich antworte doch gleich auf hereinkommende Nachrichten. Ich schätze jedoch diese Beziehungen sehr.

Hilft Ihnen das im Studium Gelernte bei Ihrer Arbeit?

Die Soziokulturelle Animation spielt eine wichtige Rolle bei meinen Projekten. Soziokulturelle Animator*innen ermutigen und befähigen Menschen zur aktiven Gestaltung ihres Lebensraums. Bei «Unsere Stimmen» geht es um ein Empowerment der Geflüchteten: Mit unserer Unterstützung erheben sie auf wirksame Art ihre Stimme für mehr Integration und Bildung. Sie erreichen damit Entscheidungsträger*innen und die breite Öffentlichkeit, gewinnen Anerkennung und Selbstsicherheit. Wir als Soziokulturelle Animator*innen setzen uns mit der Kampagne für die Rechte der Geflüchteten ein und öffnen ihnen Türen, die sonst verschlossen bleiben würden. Theoretische Ansätze aus dem Studium helfen mir dabei, unser Vorhaben zu legitimieren und mit Partizipation, Empowerment und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu argumentieren.

Was haben Sie persönlich durch Ihr freiwilliges Engagement gelernt?

Heute höre ich den Adressat*innen als Expert*innen ihrer eigenen Sache zu. Hier hat sich etwas entwickelt, es ist ein Perspektivenwechsel passiert. Ich kann in meinen Projekten die unterschiedlichen Partizipationsstufen erkennen und versuche immer, die höchstmögliche Stufe und das Empowerment zu erreichen. Dafür spreche ich mich mit den Geflüchteten, die sich engagieren möchten, ab und berücksichtige ihre persönlichen und zeitlichen Ressourcen. In unserer Profession haben wir engen Kontakt mit Menschen verschiedenster Kulturen in unterschiedlichsten Alltagssituationen. Ich versuche daher, personenzentriert mit aktivem Zuhören und Empathie zu kommunizieren und mein Anliegen und meine Wahrnehmung transparent zu machen.

Was möchten Sie nach dem Studium beruflich machen?

Ich wäre gerne in der Integration von Geflüchteten tätig. Projektbezogene Aktivitäten sagen mir besonders zu. Konkretere Vorstellungen habe ich aber noch nicht.

Bachelor-Studium mit Vertiefung Soziokulturelle Animation

Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren ermutigen Menschen dazu Lebensräume aktiv zu gestalten, indem sie Brücken zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Kulturen und Generationen bauen. Sie fördern die Interaktion und Vernetzung zwischen den Quartieren, Gemeinden und Institutionen und sind in Quartier und Kulturtreffpunkten, im Schul und Jugendkulturbereich, in Senioren und Flüchtlingszentren, in Nichtregierungsorganisationen und in Migrationsprojekten aktiv.

Du interessierst dich für ein Studium in Sozialer Arbeit? Anmeldung: Bachelor in Sozialer Arbeit

Der neue Bachelor in Sozialer Arbeit: Der Bachelor in Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt neue Konzepte und Innovation startet im Herbstsemester 2023.

Von Eva Schümperli-Keller
Bild: Flüchtlingsparlament Schweiz
Veröffentlicht: 24. April 2023

Kommentare

1 Kommentare

Simone Gretler Heusser

Herzliche Gratulation, liebe Nahid, für Deine wichtige Arbeit! Vor vielen Jahren war ich oft in diesem Saal als Stadträtin von Bern, ich habe ihn sofort wieder erkannt! :-)

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