Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung,

Forschung

Erfolgreich verdichten und entwickeln – neuer Leitfaden

Erfolgreich verdichten und entwickeln – neuer Leitfaden

Die Verdichtung von bestehenden Siedlungsräumen ist komplex und kann von Hindernissen, Risiken und Konflikten geprägt sein. Aber aufgrund der Boden- und Wohnraumknappheit führt kein Weg daran vorbei. Der neue Leitfaden «Ko-evolutive Innenentwicklungs-Prozesse» zeigt, wie diese anspruchsvolle, aber wichtige Transformation besser gelingen kann.

Das Ausweisen neuer Bauzonen auf der grünen Wiese gehört endgültig der Vergangenheit an. Aufgrund der knappen Bodenressourcen muss die Schweiz verdichten und bestehende Siedlungsräume nach innen entwickeln. Anders lassen sich weder Landschaften schützen noch Antworten auf die immer akuter werdende Wohnraumsituation finden. Umso wichtiger, dass das Bauen im Bestand gut gelingt. Denn dieses stösst auf vielfältige Hindernisse.

Innenentwicklung: komplex und auch konfliktreich, aber nötig
Die Herausforderungen haben mit der Komplexität dieser Form der Siedlungsentwicklung zu tun. Sie stellt andere und deutlich höhere Ansprüche an Planung, Umsetzung und Partizipation als das Bebauen von grünen Wiesen oder das Umnutzen von Industrie- und Bahnbrachen. Interessenkonflikte gibt es klassischerweise bei Bauland, das für Gemeinden strategisch wichtig wäre, aber verschiedensten privaten Grundeigentümer:innen gehört. Ebenso scheiden sich die Geister oft auch bei Landschafts-, Ortsbild- oder Lärmschutzfragen. Besonders bedauerlich ist es, wenn sich Widerstände in späten Prozessphasen ergeben, wo bereits viel Geld und Zeit investiert worden ist. So sind selbst vielversprechende Projekte an der Urne gescheitert – oft auch äusserst knapp – weil die Anspruchsgruppen nicht gut abgeholt wurden oder die Kommunikation nicht gelang.

«Die Siedlungsverdichtung von heute stellt andere und deutlich höhere Ansprüche an Planung, Umsetzung und Partizipation als das Bauen auf der grünen Wiese der Vergangenheit.»

Ulrike Sturm und Andreas Schneider

Mitwirkungsverfahren für Verdichtungsprojekte haben offenbar ihre Tücken. Wie kann man die Gebiete also entwicklungsfähig machen und wie gewinnt man das Vertrauen der Bevölkerung? Das sind relevante Fragen für viele Gemeinden. Denn sie müssen Quartiere aufwerten, neuen Wohn- und Arbeitsraum schaffen und gleichzeitig die weitere Zersiedelung der Landschaft verhindern.

Neuer Leitfaden und Musterprozesse für S-, M-, L- und XL-Komplexität
Um sie bei der Siedlungsverdichtung zu unterstützen, haben die Hochschule Luzern (HSLU) und die Ostschweizer Fachhochschule (OST) den neuen Leitfaden «Ko-evolutive Innentwicklungs-Prozesse» erarbeitet. Dabei haben die beiden Professor:innen und Co-Projektleitenden Ulrike Sturm und Andreas Schneider gleich eine gute Nachricht: Es braucht nicht für jedes Vorhaben ein massgeschneidertes Projektdesign. Es gibt eine Best Practice.

«Mit den Musterprozessen ist es möglich, die Komplexität von Siedlungsverdichtungs-Projekten besser abzubilden.»

Ulrike Sturm und Andreas Schneider

In der Analyse zahlreicher Fallbeispiele haben die Forschenden gewisse wiederkehrende Muster als besonders zielführend erkannt. Anhand dieser Erkenntnisse hat das Team Musterprozesse mit unterschiedlichen Komplexitätsstufen erarbeitet. Im Leitfaden finden sich nun vier Best-Practice- Prozesse in der Graduierung «S für geringe», «M für mittlere» und «L für hohe» und «XL für sehr hohe Komplexität», die sich flexibel auf konkrete Anwendungsfälle übertragen lassen und zusammen mit Praxisbeispielen Schritt für Schritt erklärt werden.

Ko-evolutive Planung als Schlüssel
Das Zentrale ist die Ko-Evolution, also die wechselseitige Gestaltung von Lösungen, die Planungsfachpersonen und Stakeholder gleichberechtigt miteinander arbeiten lässt. Denn es geht um eine Lösungsentwicklung unter Einbezug der massgeblichen Stakeholder. Dazu zählen natürlich die Grundeigentümerschaften und die politischen Akteur:innen, aber eben auch Nachbarschaften, Nutzende und weitere Anspruchsgruppen, die ein ebenso vitales Interesse an der Transformation haben und gerade durch ihr ortspezifisches Wissen viel zu einer tragfähigen Lösung beitragen können.

«Je mehr Sichtweisen in den Prozess einbezogen werden, desto lebensfähiger dürfte die gefundene Lösung sein.»

Ulrike Sturm und Andreas Schneider

Das ko-evolutive Vorgehen reicht von der Problemwahrnehmung, über Lösungsmöglichkeiten bis hin zur Umsetzungsstrategie. Es erfolgt in einem Wechselspiel von Inputs und Diskussionsvorschlägen aus fachlicher Sicht sowie Erörterungen und Feedbacks durch die Stakeholder. Dabei zeigen die Planungsfachpersonen das Spektrum des Machbaren auf; dazu begleiten neutrale Moderierende die Willensbildung und «übersetzen» einerseits das Fachwissen, andererseits die eingebrachten Anliegen der Planungslai:innen, damit eine Diskussion auf Augenhöhe möglich ist.

Sieben zentrale Leitlinien der ko-evolutiven Innenentwicklungs-Prozesse
  1. Die ortspezifische Analyse muss auch Stakeholder und Governance umfassen.
  2. Je mehr Sichtweisen in den Prozess einbezogen werden, desto lebensfähiger dürfte die gefundene Lösung sein.
  3. Eine einfache Kernorganisation und aktive Wahrnehmung der jeweiligen Rolle ist wichtig.
  4. Die ko-evolutive Verfahrenslogik bringt Planungsfachleute und Stakeholder in einen konstruktiven Lösungsentwicklungs-Prozess.
  5. Dieser Austausch braucht Moderation, Übersetzungsleistungen und Dokumentation.
  6. In ko-evolutiven Planungsprozessen zeigen die Planungsfachleute mit verschiedenen Szenarien das Spektrum des Machbaren auf; die Diskussion und Auswahl der optimierten Lösung ist hingegen Aufgabe der relevanten Stakeholder.
  7. Das konkrete Prozessdesign wird, je nach Komplexität der Ausgangslage, aus dem vorkonfektionierten Musterprozess S, M, L oder gar XL entwickelt.

Genau diese breit abgestützte, strukturierte Vorgehensweise hat sich in vielen Fällen als besonders konstruktiv erwiesen und die Erfolgsaussichten deutlich verbessert. Daher betonen auch die beiden Co-Projektleitenden: «Je mehr Sichtweisen in den Prozess einbezogen werden, desto lebensfähiger dürfte die gefundene Lösung sein.» Eine frühzeitige und umfassende Partizipation ist also ein wichtiger Hebel, um den Weg für zukunftsorientierte Strategien wie die Siedlungsentwicklung nach innen zu ebnen.

Leitfaden
Mehr zum Leitfaden «Ko-evolutive Innenentwicklungs-Prozesse» im Detail findet sich hier. Dort kann die Broschüre auch heruntergeladen werden.

Ulrike Sturm

Prof. Dr. Ulrike Sturm

Ulrike Sturm leitet das Ressort Forschung und Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Zudem ist die Architektin verantwortlich für das Institut für Soziokulturelle Entwicklung und war lange Jahre Co-Leiterin des Interdisziplinären Themenclusters Raum & Gesellschaft der Hochschule Luzern. Sie ist spezialisiert auf Themen in der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung und nachhaltigen Quartiersentwicklung.

Prof. Andreas Schneider

Andreas Schneider ist ehem. Leiter des Instituts für Raumentwicklung (IRAP) der Ostschweizer Fachhochschule. Als Architekt und Raumplaner lehrt und forscht er zu raumplanerischen Instrumenten, Methoden und Prozessen. Der konkreten Planungspraxis ist er über verschiedene Beratungs- und Projektmanagement-Mandate verbunden.

Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung
Interessieren Sie sich für weitere Veranstaltungen und Weiterbildungen zur Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung?

CAS Zusammenarbeit in Gemeinden und Regionen gestalten
CAS Gemeinde- und Stadtentwicklung im Wandel
Weitere Fachseminare

Von: Anette Eldevik
Foto: Bild Mitwirkungsveranstaltung im Rahmen des Projekts, Marktplatz Entlebuch
Veröffentlicht: 13. Juli 2023

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.